Gebundene Ausgabe: 224 Seiten
Verlag: Kiepenheuer&Witsch
Kurzbeschreibung:
Irmgard Keun war schon eine Bestsellerautorin, als ihre Bücher in Deutschland verboten wurden. Sie ging ins Exil nach Ostende, traf dort Joseph Roth, begann eine leidenschaftliche Affäre mit ihm – und später diesen Roman.
Keun lässt die zehnjährige Kully von ihrem aufregenden Leben in der Emigration erzählen. Ihr leichtfertiger, spiel- und verschwendungssüchtiger Vater steckt als Schriftsteller ständig in Geldnöten, die liebevolle Mutter ist oft mit der Tochter allein und amüsiert sich anderweitig. Da seine Bücher in Deutschland verboten sind, lebt der Vater von Zeitungsartikeln und immer neuen Vorschüssen seiner Auslandsverlage – und ist ständig auf der Jagd nach Bargeld. Seine Beschaffungstouren führen ihn quer durch Europa, von Brüssel über Lemberg nach Prag, Paris, Nizza und sogar nach New York. Mutter und Tochter lässt er meist in Hotels zurück, wo Rechnungen zu begleichen und ständig Ausreden gefordert sind.
Über die Autorin:
Irmgard Keun, geboren 1905 in Berlin, war nach dem Abschluss des Mädchenlyzeums und dem Besuch einer Handelsschule als Stenotypistin tätig, bevor sie in Köln die Schauspielschule besuchte. Ihre Schauspielkarriere beendete sie früh und veröffentlichte 1931 ihren ersten Roman »Gilgi, eine von uns«, der sie schlagartig berühmt machte. Der Verkaufserfolg ihres zweiten Romans »Das kunstseidene Mädchen« (1932) hält bis heute an. Nach dem Verbot ihrer Bücher und der Ablehnung ihrer Aufnahme in die Reichsschrifttumskammer ging Keun ins Exil, zunächst nach Ostende, lebte und reiste zwei Jahre zusammen mit Joseph Roth und kehrte 1940 zurück nach Deutschland, wo sie bis 1945 in der Illegalität lebte. Ihre in der Emigration erschienenen Romane erwiesen sich als nahezu unverkäuflich, sie konnte in der Nachkriegszeit nicht mehr an ihre Erfolge anknüpfen und zog sich zurück. 1979 erlebte sie ihre späte Wiederentdeckung und starb 1982.
Mein Eindruck:
Irmgard Keun ist heute noch bekannt für ihre Erfolgsromane Gilgi - Eine von uns und Das kunstseidene Mädchen.
Dieses Buch wurde 1938 geschrieben und ist nicht ganz so bekannt, was sich durch diese Wiederveröffentlichung ändern könnte.
Zwei Elemente prägen das Buch.
Zum einen. die kindliche Perspektive eines Mädchens von 10 Jahren, das mit ihren Eltern im Exil durch die Länder zieht, immer fast mittellos.
Zum anderen fällt auf, dass der Vater dieses Mädchens offenbar dem österreichischen Schriftsteller Joseph Roth nachempfunden ist. Mit ihm lebte Irmgard Keun bei Entstehung dieses Buches zusammen.
Es ist das Portrait eines Mannes, der als Schriftsteller im Exil nicht leben kann, immer auf den Sprung, versucht er Geld zu leihen, mit dem er aber nicht umgehen kann. Hat er doch einmal Geld, lebt er gleich wieder auf großen Fuß. Das hält natürlich nicht lange. Die kleine Familie hangelt sich von Hotel zu Hotel durch, immer in Finanznöten.
Trotzdem ist der Vater ein Mann, der offensichtlich Charme hat. Deswegen stehen sowohl Mutter als auch Tochter loyal zu ihm.
Das Mädchen leidet an der Situation, weil das für sie heißt, in der Fremde schlecht versorgt zu sein, Isolation, nicht zur Schule gehen zu können und die Zukunft bleibt unsicher. Ihre Mutter ist vollkommen hilflos, deswegen wirkt das Kind noch als die stärkere. Bei aller Härte der Situation ist sie doch anpassungsfähig.
Die Erzählstimme des Kindes ist originell und phantasievoll. Ich habe es genossen, einen Roman aus dieser Sicht zu lesen. Ihre Beobachtung und Bemerkungen zeugen von einer Tragikomik.
Wer jedoch mit einer altklugen Kinderperspektive Probleme hat, braucht nicht zu diesem Buch greifen.
Das Erleben des Exils wirkt authentisch, wenn mir auch das letzte Drittel in den USA übertrieben oder jedenfalls einigermaßen spezifisch vorgekommen ist.
Letztlich ist dieses alte Buch jetzt wieder modern, den das Schicksal des Exils und Fremdheit teilt das Mädchen mit vielen Kindern, die flüchten mussten. Dabei kann eine Kindheit schnell verloren gehen und das kann nicht wieder gut gemacht werden.