Owen Sheers: I Saw a Man

  • Owen Sheers: I Saw a Man
    Deutsche Verlags-Anstalt 2016. 304 Seiten
    ISBN-13: 978-3421046697. 19,99€
    Originaltitel: I saw a man
    Übersetzer: Thomas Mohr


    Verlagstext
    Nach dem tragischen Tod seiner Frau Caroline, die als Journalistin bei einem Auslandsdreh in Afghanistan ums Leben gekommen ist, erträgt Michael es nicht länger im gemeinsamen Heim in Wales. In dem Versuch, ein neues Leben zu beginnen, zieht er nach London, wo er auf die Nelsons trifft: Josh, Samantha und ihre zwei Töchter wohnen im Haus nebenan, und aus einer Zufallsbekanntschaft wird schnell – allzu schnell? – eine intensive Freundschaft. Michael geht bei den Nelsons wie selbstverständlich ein und aus, bis er eines Samstagnachmittags ihre Hintertür halb offen stehend vorfindet. In dem Gefühl, dass etwas nicht stimmt, betritt er das augenscheinlich leere Haus ... und setzt damit eine Folge von Ereignissen in Gang, die ihrer aller Leben schlagartig und auf immer verändern wird. - Ein tiefgreifender, packender Roman über Verlust, Schuld und die heimtückische Natur von Geheimnissen.


    Der Autor
    Owen Sheers, geboren 1974 in Fidschi, lebt nach einer Zeit in London heute wieder in Wales, wo er auch aufgewachsen ist. Vielseitig talentiert, lässt er sich nur schwer auf eine Form festlegen - zu seinen publizierten Werken zählen Dramen, Libretti, Gedichte und ein Sachbuch. Der Debütroman "Resistance" (2007) wurde in zehn Sprachen übersetzt und mit Michael Sheen in der Hauptrolle verfilmt. Sheers wurde u.a. mit dem Somerset Maugham Award, der Hay Festival Poetry Medal und dem Amnesty International Freedom of Expression Award ausgezeichnet. "I Saw a Man" ist sein zweiter Roman und für den französischen Prix Femina étranger nominiert.


    Inhalt
    Michael Turner wurde als Autor bekannt mit seinem Buch über zwei aus der Dominikanischen Republik eingewanderte Jungs und ihr Viertel Washington Heights/New York. Seine Frau Caroline ist Kriegsreporterin für einen Londoner Fernsehsender. Als „eingebettete“ Journalistin mit den Kriegsschauplätzen des 20. und 21. Jahrhundert vertraut, lebt Caroline für das Tagesgeschäft. Zwei Partner wie Feuer und Wasser ziehen gemeinsam in ein beschauliches Häuschen in Wales: Caroline, die ehrgeizige Reporterin, „wie ein Komet, der nur einmal eine Nacht erhellen würde“ (S. 16) und der ruhige Michael, der sorgfältig recherchiert und sich um professionelle Distanz bemüht.


    Michael findet an einem drückend heißen Londoner Sommertag die Hintertür des Nachbarhauses unverschlossen vor. Ist bei den Nelsons eingebrochen worden? Hat Michael etwa psychische Probleme? Seine Ehe mit Caroline und das Haus in Wales sind längst Vergangenheit. Caroline ist bei einer Reportage ums Leben gekommen und in Michaels Leben gibt es seitdem zu viele Bereiche, die er nicht mehr betritt, weil sie ihn zu stark an Caroline erinnern. „Er hatte nicht nur [Caroline] verloren, sondern auch den Mann, zu dem sie ihn gemacht hatte.“ (Seite 56) Zu gemeinsamen Freunden hält der Witwer Distanz, von Heilung kann für Michael noch lange keine Rede sein. Obwohl Michael von einer Trauerberaterin unterstützt wird, hat er Carolines Tod noch lange nicht verarbeitet. Es wäre nicht verwunderlich, wenn er therapeutische Hilfe bräuchte. Die Handlung der Gegenwart treibt vorwärts, die Rückblende bremst das Erzähltempo gleichzeitig aus. Wie in einem Krimi möchte man wissen, was bei den Nelsons passiert ist, benötigt dazu jedoch die Vorgeschichte. Je weiter man in die Beziehung des Paars und der befreundeten Nachbarn vordringt, umso unheimlicher und bedrohlicher wirkt die noch immer offen stehende Hintertür der Nelsons.


    Rückblenden entfalten akribisch die Vorgeschichte. Owen Sheers taucht tief in Michaels Selbstverständnis als Autor ein, dessen New Yorker Stadtviertel sich draußen gentrifiziert, noch während er drinnen als Chronist seine Reportage über die Einwanderer Nico und Raoul schreibt. Michaels Rückkehr nach London erfolgt auch aus seinem Eingeständnis, dass sich der Erfolg seines ersten Buches kaum wiederholen lassen wird. Caroline zieht nur formal nach England, als Zugeständnis für ihre Ehe, sie ist weiter in aller Welt unterwegs. Die gemeinsame Berufung zum Schreiben gleicht die gegensätzlichen Temperamente der Partner nicht aus, wie man vermuten könnte, sondern polarisiert die Beziehung.


    Seine Nachbarn lernt Michael kennen, weil Carolines Kollege ihm seine Londoner Wohnung in Hampstead Heath untervermietet. Es entsteht „die Illusion einer langjährigen Freundschaft"„ (S. 74) Michael wird zum brüderlichen Freund von Samantha und Josh, ihren Töchtern eine Art Patenonkel. Die Dreierbeziehung der Erwachsenen wirkt fragil; denn der Banker Josh trinkt zu viel und in die Ehe der Nelsons haben sich scharfe Töne eingeschlichen. Samantha und Michael verbindet unbewusst, dass beide auf der Flucht vor der Vergangenheit sind. Obwohl die Männer nicht sehr gut zusammenpassen, joggen sie von nun an gemeinsam und Michael hält sich immer öfter im Nachbarhaus auf. Mit der Entfaltung des Psychogramms wächst die Zahl möglicher Gründe, warum diese Dreierbeziehung in einer Katastrophe enden könnte.


    Fazit
    Die Ereignisse werden manchen Leser schockiert nach Luft schnappen lassen, mancher wird das Buch deshalb ablehnen. Doch die schockierende Vorgeschichte wird von Owen Sheers außerordentlich brillant beschrieben. Seine Beobachtungen des Beziehungsgeflechts bestehen aus Bild, Ton und Geruch, wenn er die befreundeten Männer z. B. in ihrer Körperlichkeit als Sportler beschreibt. Neben den politischen Ereignissen im Hintergrund ist das Hauptthema Trauer, in der besonderen Form, in der Männer trauen. Wie in einem komplizierten Uhrwerk greifen die Frage nach dem Sinn des Lebens und nach dem Überleben Hinterbliebener nach einem Todesfall wie Rädchen ineinander.


    Wenn ich einen Literaturpreis zu vergeben hätte, stände Owen Sheers oben auf meiner Liste und auch auf die berühmte einsame Insel würde ich das Buch wegen seiner brillanten Beschreibungen mitnehmen. Lesern von literarisch anspruchsvollen Psychothrillern empfehle ich es mit Überzeugung.


    10 von 10 Punkten

  • Inhalt und meine Meinung


    Der Roman beginnt mit der Beschreibung eines Vorfalls, der Michael Turners Leben und das seiner Nachbarn, der Nelsons, für immer verändern wird.
    Michael lebt seit sieben Monaten in London, in einer Wohnung, die für ihn lediglich eine Zwischenstation ist. Nach dem Tod seiner Frau Caroline hat er das gemeinsame Haus in Wales verlassen.
    Schon am Tag seines Einzugs in der neuen Wohnung hat er Josh kennengelernt und schnell wird Michael ein Freund der Familie. Josh, Samantha und ihre beiden Töchter sieht er fast täglich. Es bleibt Michael nicht lange verborgen, dass die Ehe der Nachbarn kriselt.
    An dem bewussten Tag ist Michael auf der Suche nach einem speziellen Werkzeug, das er Josh ausgeliehen hatte. Zu seiner Verwunderung steht die Hintertür offen, obwohl das Haus leer zu sein scheint. Zögernd betritt Michael das Haus und während er einen Raum nach dem nächsten durchsucht, an Bildern Halt macht, herumliegende Gegenstände betrachtet, gleitet er immer wieder in Erinnerungen ab. Seine Geschichte wird nach und nach erzählt. Die kurze Ehe. Der tragische Tod seiner Frau, die als Journalistin in Kriegsgebieten tätig war.


    Nicht nur die nicht enden wollende Trauer ist Thema dieses Buches, es geht immer wieder auch um Schuld und Schuldgefühle, um das Weiterleben mit diesen Gefühlen. All das wird eindringlich und so sinnlich erlebbar beschrieben, dass ich in diesem Roman regelrecht versackt bin.
    Immer mehr wurde ich von einem diffusen Gefühl der Bedrohung ergriffen, bis nach und nach erzählt wird, in welche Tragödie Michael verwickelt ist.



    Ein ungemein spannendes Buch für alle Leser, die keine Action brauchen, um gefesselt zu sein.


    9 Punkte gebe ich diesem Buch