Kommt ein Pferd in die Bar - David Grossman

  • Hanser, 2016


    Originaltitel: Sus Echad Nichnas Le-Bar
    übersetzt aus dem Hebräischen von Anne Birkenhauer


    Kurzbeschreibung:
    Für eine gute Pointe gab Dovele schon immer alles. Als Kind lief er oft auf den Händen. Er tat das, um seine Mutter zum Lachen zu bringen und damit ihm keiner ins Gesicht schlug. Heute steht er ein letztes Mal in einer Kleinstadt in Israel auf der Bühne. Er hat seinen Jugendfreund, einen pensionierten Richter, eingeladen. Im Laufe des Abends erzählt der Comedian zwischen vielen Witzen eine tragische Geschichte aus seiner Jugend. Es geht um Freundschaft und Familie, Liebe, Verrat und eine sehr persönliche Abrechnung auf dem Weg zu einer Beerdigung. Dem Kleinstadtpublikum ist das Lachen vergangen. Den Leser hält David Grossman mit diesem grandiosen Roman bis zur letzten Zeile gefangen.


    Über den Autor:
    David Grossman wurde 1954 in Jerusalem geboren und gehört zu den bedeutendsten Schriftstellern der israelischen Gegenwartsliteratur. 2008 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis, 2010 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Bei Hanser erschienen zuletzt Diesen Krieg kann keiner gewinnen (2003), Das Gedächtnis der Haut (2004), Die Kraft zur Korrektur (2008), Eine Frau flieht vor einer Nachricht (Roman, 2009), Die Umarmung (2012) und Aus der Zeit fallen (2013).


    Über die Übersetzerin:
    Die Übersetzerin Anne Birkenhauer lebt in Jerusalem und bringt israelische Literatur ins Deutsche. Zurzeit hat sie eine Berliner Gastprofessur für Poetik der Übersetzung inne.


    Mein Eindruck:
    Ein ungewöhnlicher Roman, der in erster Linie an einem Abend vom Auftritt und Monolog eines Stand-up-Comedian in Israel handelt. Es ist nahezu in Echtzeit erzählt!


    Der israelische Schriftsteller David Grossman beherrscht verschiedene Stile in seinen bisherigen Romanen, hier lernt man ihn noch einmal anders kennen. Für David Grossman, dessen Literatur durch seine Themen bestimmt ist, zählt nicht die Form sondern die Sprache und der Ausdruck.


    Der Standup-Auftritt dieses Mannes, der sich Dovele G. nennt, hat nichts mit den Blödelshows deutscher Comedians gemeinsam. Dovele ist in seinem Auftritt aggressiv, seine Witze greifen an und wollen verletzen.


    Das wäre für den Leser schwer zu ertragen, würde David Grossman nicht einen neutralen Beobachter einsetzen, der sich die Show ansieht. Er wurde von Dovele, den er aus der Jugendzeit kennt, extra für diesen Abend eingeladen. Dovele möchte eine unabhängige Meinung, wie sein Auftritt wirkt.
    Dieser Erzähler erinnert sich nach und nach an Ereignisse der Kindheit und Jugend,
    Schnell wird auch deutlich, wie viel von Doveles Leben in seinem Auftritt liegt. Er war als Junge ein Außenseiter, der sich zum Clown machte, um akzeptiert zu werden.
    Jetzt als schon nicht mehr junger Mann wirkt er krank und verbittert. Und er schont sich selbst in seinem Lebensbericht nicht.


    Die Stimmung im Saal hetzt sich auf. Das Publikum schwankt zwischen Belustigung und Unzufriedenheit. Sie wollen Witze und Zerstreuung am Abend, doch von Dovele wird es immer intensiver, seine Lebensgeschichte verdichtet sich mehr und mehr.


    Ob ein Abend mit einen Stand-up-Comedian in dieser Form glaubhaft ist, weiß ich nicht, aber es ist ein intensiv erzähltes Buch.

  • Titel und Titelbild dieses Buches haben mich in der Buchhandlung förmlich angezogen und neugierig gemacht.
    Nicht gerechnet hatte ich mit einer sehr intensiven Leseerfahrung, die ich auch körperlich spüren konnte.
    Im Mittelpunkt des Romans steht der Komiker Dovele, der in der israelischen Stadt Netanja eine Stand-up-Comedy-Vorstellung gibt. Schnell wird das Publikum in die Bühnenshow mit einbezogen und muss bissige und zynische Kommentare über sich ergehen lassen.
    Ein Zuschauer spielt eine besondere Rolle. Ein ehemaliger Richter, ein Freund aus Kindheitstagen, wurde von Dovele extra in die Show eingeladen mit dem Auftrag, dem Komiker nach der Show zu sagen, was er gesehen hat.
    So wechselt innerhalb des Romans die Perspektive. Der Richter führt den Leser in Doveles Kindheit und berichtet von seinem Schicksal.
    Dieser Wechsel der Perspektive macht den besonderen Reiz dieses Buches aus.
    Der Leser darf immer wieder die brutale, bösartige Comedy-Show verlassen, um in Doveles Kindheit vermeintliche Erholung zu finden. Doch beim Lesen setzt sich Schicht um Schicht ein Bild eines tragischen Lebens zusammen. Der Komödiant lässt seine Maske fallen.
    Das Buch hat mich in einen Sog gezogen, obwohl ich eigentlich nach den ersten 20 Seiten schon abbrechen wollte. Was für ein schrecklicher Typ, dachte ich. Ich fühlte mich als Voyeur einer Show, die ich nicht sehen wollte. Doch dann kippt das Geschehen und Dovele gibt eine Art Endabrechnung, eine Art Gerichtsverhandlung über sein Leben. Alle Rollen verwischen, Täter und Opfer verschwimmen.
    Das Buch hat in mir eine Vielzahl von Gefühlen ausgelöst. Besonders beeindruckt hat mich außerdem das Spielen mit dem Stilmittel Humor und das ständige Durchgeschüttelt werden durch den Wechsel der Zeitebenen und der Erzählperspektiven.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Herr Palomar
    Eben bei Spiegel online gelesen:


    Für "Kommt ein Pferd in die Bar" ist David Grossman mit dem renommierten Man Booker International Prize ausgezeichnet worden.


    Das freut mich aber! :-]

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin