'Keiko' - Seiten 001 - 069

  • Zitat

    Original von Eliza08
    Keiko mag ich auch, obwohl sie als Jugendliche ein wenig anders ist als Henry, sie ist sich der Tragweite der Geschichte mehr bewusst als Henry (kommt mir zumindest momentan so vor)


    Kommt mir auch so vor, und ich kann mir zwei Gründe dafür vorstellen. Erstens kommt sie aus einer Familie, in der man offenbar miteinander redet, sodass sie besser informiert und sich der Gefahren stärker bewusst ist. Zweitens gehört sie anders als Henry (und übrigens auch Sheldon) nicht "nur" zu einer verachteten und unterprivilegierten Bevölkerungsgruppe, sondern in der Wahrnehmung der meisten weißen Amerikaner zu den verhassten Feinden.


    Zitat

    Ich kann den Hintergrund verstehen, warum die Eltern das wollen, aber ich als Elternteil würde mich dann ebenso verhalten und Englisch sprechen


    Das wäre natürlich wünschenswert, aber ich halte die Darstellung im Roman leider für realistisch. Henrys Eltern leben auf amerikanischem Boden weiterhin ein rein chinesisches Leben und möchten daran auch nichts ändern. Alle Freunde sowie ihr gesamtes Umfeld sind chinesisch, sie haben weder Verständnis für die amerikanische Lebensweise noch das geringste Interesse daran. Henry soll für seine Sicherheit und beruflichen Perspektiven in der Zukunft die Sprache lernen, aber sie selbst geht die einheimische Kultur nichts an. Sich nur für ihn zu verbiegen, kommt schon Aufgrund ihrer Traditionen nicht in Frage. In diesem Zusammenhang könnte ich dir ein Liedchen über chinesische Erziehung und das typische Eltern-Kind Verhältnis singen. :rolleyes

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von Findus
    Und es geht Millionen Einwanderern genauso. Das ist heute nicht anders. Und ich finde das Buch erschreckend aktuell.


    Ich auch, Findus. Ausgrenzung von Menschen, Missachtung von Schwächeren und eigene kulturelle Überlegenheitsgefühle gepaart mit Angst vor allem Fremden ziehen sich leider durch alle Geschichtsepochen, weltweit. :-(

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Zitat

    Original von harimau


    Hast du mal nachgerechnet, wie alt Henry im Gegenwartsstrang ist? :lache Mir kam er auch wie ein müder alter Knacker vor, der durch die Gegend schlurft, in Erinnerungen gefangen ist und auf sein Ende wartet, aber er ist erst 56, gerade mal zwei Jahre älter als ich selbst.


    Über diesen Widerspruch bin ich hart gestolpert. Natürlich hat er eine schwere und anstrengende Zeit hinter sich, die jahrelange Pflege seiner Frau, aber reicht das allein als Erklärung aus? Ich könnte mir gut vorstellen, dass auch die Erfahrungen seiner Kindheit dazu beigetragen haben, seinen demütigen Charakter zu formen und ihn sehr bescheidene Ansprüche an das Leben stellen zu lassen.


    Jetzt, wo du es sagst... :rofl
    Im ersten Abschnitt sagt er über sich selbst an einer Stelle, dass er erst Ende 50 ist. Das war weg vom Schirm.
    Es ist einfach so, dass er auf mich immer viel älter wirkt. Seine demütige Einstellung und seine bescheidene Einstellung habe ich immer auf seine Herkunft geschoben, aber was weiß ich schon von der asiatischen Seele...Dass man sich so einen Chinesen oder auch Japaner vorstellt, ist vielleicht ein Klischee?

  • Über Japan und Japaner weiß ich eindeutig nicht genug, um ein Urteil zu fällen, aber was die Chinesen betrifft, würde ich es tatsächlich für ein Klischee halten. :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Uih, schön. Hat ja super geklappt, mittlerweile flutscht das hier ja mit den Beiträgen und der LR. :grin


    Mir gefallen die Abschnitte aus 1942 auch viel besser. Trotz der Prügel und Ausgrenzung, die Henry als Kind erleben musste, ist diese Zeit eher noch von kindlicher Neugier und Naivität dominiert und wirkt dadurch wesentlich leichter als die depressiv erzählte Zeit in 1986. Hier dominieren dann bislang nur noch Traurigkeit und die Einsamkeit hat eine ganz andere Schwere. Spannend wird sein, was zwischen 1942 und 1986 mit Keiko passiert ist und warum Henry letztlich Ethel geheiratet hat und nicht Keiko.


    Ich war verwundert, dass Marty 1986 seine Trauer über den Tod seiner Mutter online bewältigt haben soll. Das würde sicher heute oder vielleicht auch seit ca. dem Jahr 2000 möglich sein, aber bereits in 1986?


    Seltsam ist auch, dass Henry so um Marty besorgt ist. Eigentlich scheint der überhaupt keine Probleme zu haben. Er hat sein Studium erfolgreich abgeschlossen und scheint auch ansonsten völlig integriert zu sein. Sorgen muss man sich da wohl eher um Henry, der als 56-Jähriger schon wirkt wie Mitte 70.

  • Zitat

    Original von harimau
    Hast du mal nachgerechnet, wie alt Henry im Gegenwartsstrang ist? :lache Mir kam er auch wie ein müder alter Knacker vor, der durch die Gegend schlurft, in Erinnerungen gefangen ist und auf sein Ende wartet, aber er ist erst 56, gerade mal zwei Jahre älter als ich selbst.


    Über diesen Widerspruch bin ich hart gestolpert. Natürlich hat er eine schwere und anstrengende Zeit hinter sich, die jahrelange Pflege seiner Frau, aber reicht das allein als Erklärung aus? Ich könnte mir gut vorstellen, dass auch die Erfahrungen seiner Kindheit dazu beigetragen haben, seinen demütigen Charakter zu formen und ihn sehr bescheidene Ansprüche an das Leben stellen zu lassen.


    Oh, ich hatte auch nie gerechnet und ihn so als Mitte 70 geschätzt. :rolleyes


    Vielleicht kommt auch ein wenig hinzu, dass die Leute heute jünger wirken als noch vor 30 Jahren. Wenn ich da meine Oma mit 70 und meine Mutter mit 70 vergleiche... allein schon die Kleidung. :lache

  • Mir gefallen beide Zeiten 1942 und 1986, auch Henry als Kind und als Erwachsenen mag ich sehr.
    Als Erwachsener tut er mir leid, einsam und traurig so von seiner Kindheit geprägt.
    Immer die Tradition hoch halten, diszipliniert, schweigsam nimmt alles hin.
    Ich hoffe das Verhältnis zu seinem Sohn wird noch besser.

  • Wir lernen Henry auch zu einem Zeitpunkt kennen, an dem er einmal noch sehr um seine Frau trauert und dann auch von der langen Zeit der Pflege geprägt ist.
    Überlegt nur: sieben Jahre ist sie krank gewesen. Auch wenn es sicher nicht die ganze Zeit eine tagesfüllende Beschäftigung war, aber sicher in den letzten Jahren. Vermutlich ist er kaum mehr aus dem Haus gegangen, außer um die lebensnotwendigen Dinge zu erledigen.


    Ich kenne etliche Menschen, die nach einer solchen Belastung Jahre brauchten, um wieder Lebensmut zu gewinnen.

  • Und Henry ist noch relativ jung, wie wir fest gestellt haben. Wäre es später gewesen, hätte er vielleicht nicht mehr die Energie sich zu ändern und sich seinem Sohn und der Schwiegertochter gegenüber zu öffnen.

  • Das stimmt so etwas mitzumachen ist für niemand einfach.


    Aber das mir gefällt an dem Buch Trauer, Angst, Verzweiflung und
    der Schmerz von Henry werden nicht offensichtlich, plakativ gezeigt.
    Alles wirkt auf mich so gedämpft und ruhig wie unter einem Schleier
    verborgen. Für mich ein entspanntes Lesen in einem wunderschönen
    Buch.

  • Ich habe heute die ersten ca. 30 Seiten gelesen und bin mir jetzt schon sicher, dass mir dieses Buch sehr gut gefallen wird.
    Den Schreibstil finde ich absolut gelungen.
    Auch der Wechsel zwischen Gegenwart und Vergangenheit passt - hier der ältere Henry ( den 56 ist ja wirklich noch nicht alt ;-) ), noch quasi traumatisiert vom langen Sterben seiner Frau, und dort Henry als Schüler, hin und hergerissen zwischen zwei Welten.


    Schön, dass nun Keiko in sein Leben getreten ist.
    Ich freue mich aufs Weiterlesen. :-)

  • Zitat

    Original von Clare
    Aus familiären Gründen kann ich im Moment nicht so, wie ich will. Und ich zaungaste ja nur.
    ...


    Ihr Lieben!
    Ich habe mich schon sehr auf diese LR gefreut, aber arbeitsmäßig war ich diese Woche so voll, dass ich erst gestern Abend den ersten Teil lesen konnte.
    Das tut mir sehr leid.
    Jetzt bin ich aber voll dabei!



    Zitat

    Original von Clare
    ...
    Das Buch hat mich sofort wieder gefangen genommen. Ich weiß gar nicht so richtig, wie ich die Stimmung beim lesen beschreiben soll, vielleicht am ehesten als Schwingung in einem leichten Wind. :-)...


    Das ist ein sehr guter Vergleich, Clare!
    Als ich gestern endlich mit dem Lesen begonnen habe, hat mich die Atmosphäre auch gleich gefangen genommen. Das Lesen hat mir so gut getan und ich bin so neugierig, wie die Personen sich entwickeln, dass ich mich sehr auf das Weiterlesen freue.



    Zitat

    Original von Clare
    ...


    Wirklich schlimm finde ich den Alltag, den Henry mit seinen Eltern führte. Sie wollten sicher nur einen guten Start für ihn, aber ein Abbruch der Kommunikation, weil er nur noch englisch sprechen soll, ist schon heftig, zumal sie ja nur ihre Muttersprache beherrschen. Henry hätte problemlos beide Sprachen sprechen können. Kindern fällt so etwas leicht.
    Er war also nicht nur in der Schule, sondern auch zu Hause isoliert.
    ...


    Das Buch hat mich sehr zum Nachdenken über Sprache gebracht. Ich erlebe es in meinem Alltag, dass es für Kinder eine große Katastrophe ist, wenn sie sich in keiner Sprache so zu Hause fühlen, dass sie sich ihre Welt bzw. fremde Welten erschließen können. Zum Glück ist man heute so weit, dass es anerkannt ist, wie wichtig das gute Beherrschen der Muttersprache ist, um auch eine Zweitsprache erlernen zu können.
    Henry tut mir da auch sehr leid. Ich kann mich in seine Einsamkeit sehr gut einfühlen. Eine Familie, in der Sprachlosigkeit herrscht, noch dazu auf der Suche nach einer Identität ist, das stelle ich mir zermürbend vor.



    Die Anfangsszene, in der die geheimnisvollen Gegenstände aus dem Keller des Panama-Hotels ans Tageslicht geholt werden, finde ich äußerst gelungen. Ich kann kaum erwarten, was wir darüber noch erfahren werden.
    Der Papierschirm ist bei meiner Ausgabe auch auf dem Cover abgebildet, das ich übrigens wunderschön finde.


    Die Zeitsprünge finde ich auch sehr gut geschrieben. Anscheinend verlieren sich Keiko und Henry irgendwann wieder aus den Augen und ich bin einfach nur neugierig, wie die sich im Moment so zart entwickelnde Freundschaft, vielleicht auch erste Liebe, ihren Weg bahnt.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von xexos
    ...
    Spannend wird sein, was zwischen 1942 und 1986 mit Keiko passiert ist und warum Henry letztlich Ethel geheiratet hat und nicht Keiko.
    ...


    Eine Ehe zwischen Keiko und Henry habe ich gleich ausgeschlossen. Henry ist so gefangen in der Tradition seiner Familie und wirkt auf mich zu wenig rebellisch, als dass er eine offene Liebe zu Keiko durchhalten würde. Seine Familie und Keiko- das geht nicht.


    Henry ist überall ein Außenseiter. In der Schule ist er "der Chinese", zu Hause ist er Außenseiter, weil er zum Amerikaner werden soll.
    Den Button finde ich auch sehr interessant. Anscheinend ist er notwendig, weil alle Asiaten über einen Kamm geschert werden, dann sind eben alle Japaner, weil sie als Feindbild gerade herhalten müssen.Das erlebe ich in meinem Alltag übrigens auch. Sowohl mit Afrikanern als auch mit Asiaten.
    Das Tragen des Buttons hat mich an den Judenstern erinnert, nur in umgekehrtem Sinne.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

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  • Zitat

    Original von Rosenstolz


    Da bin ich auch kurz ins Grübeln gekommen............


    Ins Grübeln kam ich nur, weil ich nicht weiß, wie man Trauer online bewältigen soll, nicht weil es zeitlich nicht passt. Vielleicht war das ja in den USA schon eher verbreitet als bei uns.

  • Gestern habe ich auch den ersten Teil beendet.


    Ich war sehr schnell im Buch "drin", der Schreibstil von Jamie Ford gefällt mir sehr gut. Mir gefallen beide Erzählstränge gleich gut.


    Henrys Kindheit scheint sehr isoliert gewesen zu sein. Zuhause durfte er kein chinesisch sprechen - und englisch verstanden seine Eltern nicht. Ich kann es mir gar nicht vorstellen nicht mit meinen Eltern oder jetzt mit meinen Kindern zu sprechen! :yikes Daher rührt sicher auch die mangelnde Beziehung zwischen Henry und seinem Sohn. :gruebel


    Und auch in der Schule war er allein. Die anderen Kinder bilden eine Gemeinschaft - aus der er ausgeschlossen ist. Erst als Keiko kommt, lichtet sich diese Einsamkeit etwas. Sehr gut finde ich die Beschreibung der Beziehung zwischen den Chinesen und den Japanern.


    Interessant auch Marty's Umgang mit dem Tod seiner Mutter. Über Internet? Kommt mir auch zu früh vor....


    Mal sehen, wie es weitergeht.... :wave

  • Da es mehrfach angesprochen wurde, möchte ich erwähnen, dass mir beide Erzählstränge gut gefallen und sie meiner Meinung nach hervorragend miteinander korrespondieren. Das hat Herr Ford sehr gut hinbekommen.


    Henry fand ich von Beginn an nicht sperrig, ich bin ihm schnell und gründlich nahegekommen. :-)

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann


  • Ich hatte 1997 den ersten Kontakt mit Internet und email und ich bin nicht der fortschrittlichste Mensch.
    Deshalb vermute ich das es 1986 in den USA schon möglich war.