'Erkenne die Welt' - Seiten 090 - 179 (Die menschliche Natur - Schein und Sein)

  • Dann will ich mal zu ein paar Stellen, an denen in Zettel ins Buch gelegt habe, etwa anmerken.


    S. 107: Die Vorstellungen der damaligen Zeit waren vom Denken der heutigen offensichtlich sehr verschieden.
    Ähm, ja. Leider wird genau dieses - ganz allgemein gesehen - heute weitgehend „vergessen“ und alles meist aus heutiger Sicht betrachten und beurteilt.



    S. 116: Auf einer allzu bescheiden materialistischen Vorstellung vom menschlichen Geist lässt sich nämlich kein herausgehobener Platz des Menschen im Kosmos behaupten. Und es lässt sich auch keine kosmisch-menschliche Ethik oder gar ein idealer Staat entwerfen.
    Sowie S. 151: Dem Materialismus fehle damit die Tiefe, die erst zur wahren Einsicht der menschlichen Natur und ihrer Vernunft führt. Sie beantworte zwar das Wie?, aber nicht das Warum?. Die rein naturalistische Betrachtung des Menschen könne sein Wesen folglich nicht ergründen. Auch für alle ethischen Fragen bleibe sie blind.
    Oder, anders und leicht überspitzt formuliert: auf einer rein materialistischen Sicht läßt sich keine Ethik begründen - außer vielleicht die vom Recht des Stärkeren.



    S. 131: Wenn nur der Mensch das Maß der Dinge ist, dann bestimmt nicht die Qualität einer Aussage ihren Wahrheitsgehalt, sondern allein die Quantität derjenigen, die ihr zustimmen.
    Und:
    Der Relativismus des Protagoras ist überraschend neuzeitlich. Und erscheint gut zu einer Stadt und einem Zeitgeist zu passen, in denen die traditionellen Werte der archaischen Zeit in Auflösung begriffen sind: durch Gewinnstreben und Geldwirtschaft, Mitbestimmung und Marktgeschrei, Vielvölkermix und Entwurzelung, Korruption und Waffengeklirr.
    Meint Precht jetzt die Antike oder die Gegenwart?



    Und dann mußte ich doch erst mal grinsen, S. 160: Wir wissen nicht, was Wissen ist, weil wir immer schon etwas wissen müssen, um zu Wissen zu kommen. :grin

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von Zwergin
    Auch wenn natürlich nicht alle Menschen gleich sind und das auch nicht sein sollen, niemand wird eine Gesellschaft voller Klone wollen, denke ich schon, dass Gleichberechtigung ein wichtiges Ideal für eine demokratische Gesellschaft ist, auch wenn wirkliche Gleichberechtigung wohl nicht zu erreichen ist.


    Meinst du tatsächlich "Gleichberechtigung" oder nicht doch eher "Chancengleichheit"?
    Wenn Gleichberechtigung aus diversen plausiblen Gründen und nicht außer Acht zu lassenden Unterschieden nicht erreicht werden kann, ist es aber doch zumindest Chancengleichheit, die jedem ermöglicht werden sollte. Diese ist auch erreichbar, die Gesellschaft müsste das nur wollen und ich denke, dass genau hier das Problem liegt.

    "There is beauty in imperfections. They made you who you are. An inseparable piece of everything…" Arcane

  • In diesem Kapitel finde ich persönlich Anaxagoras am interessantesten. Mich wundert es nicht, dass er so vehement "bekämpft" wurde und sogar kurz vor der Verurteilung zum Tode stand. Dass der Mensch sich nur vom Tier unterscheidet, weil er "die Hände frei hatte", geht natürlich gar nicht in den Augen derer, die darauf beharren, dass der Mensch aufgrund seines Geistes über den Tieren steht.

    "There is beauty in imperfections. They made you who you are. An inseparable piece of everything…" Arcane

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  • Zitat

    Original von SiCollier
    S. 107: Die Vorstellungen der damaligen Zeit waren vom Denken der heutigen offensichtlich sehr verschieden.
    Ähm, ja. Leider wird genau dieses - ganz allgemein gesehen - heute weitgehend „vergessen“ und alles meist aus heutiger Sicht betrachten und beurteilt.


    Damit hast du natürlich Recht. Aber wie soll man es sonst betrachten? Auch wenn man es versucht, kann man sich doch niemals wirklich in die damalige Situation hineinversetzen und sich auch nicht gänzlich von dem derzeitigen Kenntnisstand freimachen.


    Was von Empedokles`Weltbild an Fragmenten überliefert ist und wie es hier von Precht ausgelegt wird scheint mir ganz schön verworren und ich habe für mich entschieden, dass es vernachlässigt werden darf :-).

  • Zitat

    Original von Lumos


    Damit hast du natürlich Recht. Aber wie soll man es sonst betrachten? Auch wenn man es versucht, kann man sich doch niemals wirklich in die damalige Situation hineinversetzen und sich auch nicht gänzlich von dem derzeitigen Kenntnisstand freimachen.


    Man sollte nur unterlassen, frühere Geschehnisse nach heutigen Maßstäben zu beurteilen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von SiCollier
    Man sollte nur unterlassen, frühere Geschehnisse nach heutigen Maßstäben zu beurteilen.


    Ich würde an dem Satz gerne das Wort "nur" etwas verrücken: "Man sollte unterlassen, frühere Geschehnisse nur nach heutigen Maßstäben zu beurteilen."
    Eine Beurteilung sollte besser aus mehreren Perspektiven heraus erfolgen.

  • Zitat

    Original von xexos


    Ich würde an dem Satz gerne das Wort "nur" etwas verrücken: "Man sollte unterlassen, frühere Geschehnisse nur nach heutigen Maßstäben zu beurteilen."
    Eine Beurteilung sollte besser aus mehreren Perspektiven heraus erfolgen.


    Oder man lässt das beurteilen raus, das hat immer so etwas absolutes.


    Formulierungen wie betrachten, untersuchen, einschätzen... klingen mehr nach Toleranz gegenüber anders gelagerten Interpretationen und Ansichten, wenn ihr wisst, was ich damit ausdrücken will. Manchmal ist das gar nicht so einfach. :-)

  • Zitat

    Original von xexos
    Ich würde an dem Satz gerne das Wort "nur" etwas verrücken: "Man sollte unterlassen, frühere Geschehnisse nur nach heutigen Maßstäben zu beurteilen."


    Das legt für mich zu sehr den Fokus auf die heutige Zeit und ihre Maßstäbe, weswegen ich mit solch einer Verrückung nicht sehr glücklich bin und die für mich daher nicht vollziehe.



    @ Lumos
    Das ist nicht zu vermeiden und geschieht immer wieder. Erlebe ich beispielsweise oft in Diskussionen mit meiner Tochter, die Dinge und Geschehnisse, die (zeitlich) in meiner Jugendzeit passiert sind, mit heutigen Maßstäben und Kenntnissen beurteilt. Das führt unweigerlich zu Fehlurteilen.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Wir hatten genau die gleiche Diskussion letztes Jahr beim Buch "Welt in Flammen" und sind von der Meinung gar nicht so weit auseinander. Meine eigentliche Aussage ist ja "Eine Beurteilung sollte besser aus mehreren Perspektiven heraus erfolgen.".


    Selbstverständlich führt es zu einem Fehlurteil, alles nur von der heutigen Warte aus zu sehen. Es wird aber gemacht und daher mein Appell, dies nicht nur zu machen. Ich komme also eher von der Ist-Situation und dann soll das "nur" einschränken und gerade nicht den Fokus auf heute legen.

  • Zitat

    Original von xexos
    Meine eigentliche Aussage ist ja "Eine Beurteilung sollte besser aus mehreren Perspektiven heraus erfolgen.".


    :write Auf diese Formulierung können wir uns einigen. :-)


    Die "Welt in Flammen" war leider schon 2014; ich habe das ganze Jahr 2015 auf Nachschub von Benjamin Monferat gewartet - und da kam nix. :cry



    OT:
    Gerade, als ich den Autor in eine "bekannte Suchmaschine" (:grin) eingab gefunden: :freude :freude :freude


    Der Turm der Welt - Benjamin Monferat


    Die ganze Welt schaut auf Paris. Oktober 1889: Die Pariser Weltausstellung geht dem Ende zu. Millionen von Menschen strömen in die Lichterstadt, um Zeuge des Spektakels zu werden. Die brisante internationale Lage scheint für einen Augenblick vergessen. Und doch würde gerade hier, im bunten Gewimmel der Nationen und Interessen, ein Funke genügen, um das Pulverfass zur Explosion zu bringen. Ausgerechnet da werden zwei Ermittler des französischen Geheimdienstes tot aufgefunden - sie waren einer Verschwörung auf der Spur. Was niemand weiß: Die Zukunft Europas ist mit dem Schicksal einiger Besucher der Ausstellung eng verknüpft: Eine französische Adelige - Königin der Pariser Salons - fürchtet um ihr Geheimnis: dessen Enttarnung würde weit mehr als nur einen gesellschaftlichen Skandal bedeuten. Ein deutscher Offizier, unterwegs in einer sehr persönlichen Agenda, wird zum Spielball der Großmächte. Ein genialer Konstrukteur will den Erfolg seines Kontrahenten mit allen Mitteln verhindern. Ein junger Fotograf schließt einen folgenschweren Pakt, um das Herz seiner großen Liebe zu gewinnen. Ist die bildschöne Kurtisane in Wahrheit eine Spionin? Schließlich versammelt sich alles, was Rang und Namen hat, an der Spitze des Eiffelturms, um das Abschlussfeuerwerk zu bestaunen. Wann wäre der Zeitpunkt für einen Anschlag besser gewählt, um die Welt im Chaos versinken zu lassen? Ein Wettlauf gegen die Zeit beginnt: zu Lande, zu Wasser – und in der Luft ...
    .

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")

  • Zitat

    Original von xexos
    Das wird jetzt das ganze Jahr so gehen. Zum Eulentreffen kommen wir mit Bart und in weißem Gewand. :-)


    Und mit Sandalen. :chen


    @ SiCollier: Da musst du dich noch bis August gedulden. :wave

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

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  • Meinst du, das ist was für dich, SiCollier :gruebel?
    Sieht nicht so aus, als kämen da Eisenbahnen drin vor :grin.


    Ich war ja nicht ganz so begeistert von Welt in Flammen, aber die Inhaltsangabe klingt echt interessant und das Cover sieht gut aus.


    Aber mehr dürfen wir dazu nicht mehr schreiben, glaub ich. Zu sehr off topic. Kehren wir lieber zurück zu den Philosophen ;-).

  • Zitat

    Original von Saiya


    Meinst du tatsächlich "Gleichberechtigung" oder nicht doch eher "Chancengleichheit"?
    Wenn Gleichberechtigung aus diversen plausiblen Gründen und nicht außer Acht zu lassenden Unterschieden nicht erreicht werden kann, ist es aber doch zumindest Chancengleichheit, die jedem ermöglicht werden sollte. Diese ist auch erreichbar, die Gesellschaft müsste das nur wollen und ich denke, dass genau hier das Problem liegt.


    Wenn ich von unserer Gesellschaft heute ausgehe, finde ich, dass Chancengleichheit schwerer zu ermöglichen.
    Zumindest formal sind das Kind aus reichem Elternhaus und eines aus ärmlichen Verhältnissen gleichberechtig, aber haben sie auch die gleichen Chancen das zu nutzen? Ich denke nicht.

  • Meine Wunschliste wurde um das erwähnte Buch vergrößert, wobei ich jetzt nicht ganz genau weiß, ob ich mich darüber ärgern oder freuen soll... :lache
    Ich bezweifele, dass ich mit DIESEM hier bis dahin "fertig" bin... :grin


    Meiner Meinung nach haben grundsätzlich alle Menschen in der Theorie bzw aus ihrem reinen "Dasein" her schon gleiche Rechte, ich denke da an die amerikanische Verfassung. Nur ist da eben der große Unterschied zwischen Theorie und Praxis. Dieses Recht auf Rechte lässt sich eben bedauerlicherweise nicht für alle umsetzen. Was wiederum verschiedene Ursachen haben kann.
    Die, wie hier ja auch teilweise schon gesagt, im Elternhaus, den finanziellen und politischen Verhältnissen, aber auch den persönlichen Eigenheiten oder dem Fehlen derselben wie zB Durchsetzungsvermögen liegen können.


    Was das mit den verschiedenen Zeitepochen angeht, denke ich auch, dass es klar ist, dass wir aus heutiger Sicht urteilen. Nur müssen wir uns eben genau das immer wieder ins Bewusstsein rufen. Und nicht BE- oder gar VERurteilen, sondern möglichst wertfrei betrachten. Was nicht immer leicht ist.


    Ist schon interessant, was hier so alles "hochkommt"... :-)
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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  • Zitat

    Original von Lumos
    "Und so glauben die meisten Menschen, Realität sei, was die wirklichen Dinge sind. Der Philosoph aber weiß, dass Realität ist, wie die Dinge wirklich sind."


    Knifflig. Das habe ich mehrfach gelesen, irgendwann konnte ich dann was damit anfangen ;-). Wie die Dingen wirklich sind, liegt natürlich auch wieder im Auge des Betrachters, von Philosoph zu Philosoph wahrscheinlich verschieden.
    Interessante, aber komplizierte Gedankengänge. Kein Wunder wenn sich der "normale" Mensch "nur" mit den Dingen beschäftigt.


    An diesen Sätzen auf Seite 91 bin ich auch lange hängen geblieben, Lumos.
    Wie sind denn deine Gedanken dazu?


    Ich finde, da sind wir wieder bei dem Punkt, den wir im 1. Abschnitt zum Vorwort diskutiert haben. Realität liegt ganz im Auge des Betrachters.


    Meine weiteren Notizen:
    S. 93 unten:
    "Wo befindet sich dieser Logos im Menschen?"
    Eine interessante Frage, die ich mir nie gestellt hätte. Da es keine Lösung für diese Frage gibt, wird die Seele kurzerhand aus dem Körper verbannt. :grin

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Zwergin


    Wenn ich von unserer Gesellschaft heute ausgehe, finde ich, dass Chancengleichheit schwerer zu ermöglichen.
    Zumindest formal sind das Kind aus reichem Elternhaus und eines aus ärmlichen Verhältnissen gleichberechtig, aber haben sie auch die gleichen Chancen das zu nutzen? Ich denke nicht.


    Genau das meine ich.

    "There is beauty in imperfections. They made you who you are. An inseparable piece of everything…" Arcane


  • Ehrlich gestanden mache ich mir gar nicht so viele Gedanken dazu. Ich bin froh, wenn ich den Inhalt einigermaßen erfassen und die damaligen Betrachtungen der Philosophen in etwa nachvollziehen kann.
    Manches macht auch für mich Sinn, anderes nicht.


    Der Logos entspricht aber nicht genau der Seele, oder :gruebel?
    Bedeutet er nicht eher das verstandesmäßige Denken?
    Oder von beidem ein bisschen? Schwierig ;-).