Feuerschuh und Windsandale von Ursula Wölfel

  • Wer kennt es (noch)...?
    Ich bin ja schon Ende 30 *schniiieeef* und kenne es noch aus meiner Schulzeit. Neulich kam meine Tochter damit aus der Bücherei nach Hause.
    Ich habe es selbstverständlich noch einmal gelesen! Und fand es genau so *stark* wie meine Kleine:)


    *Feuerschuh und Windsandale* von Ursula Wölfel. Ein bezauberndes Buch, nicht nur für Kinder!!


    Exposé:


    Tim ist der Dickste in der Klasse und wird deswegen von allen gehänselt. Doch er vergisst seine Sorgen, als seine Eltern ihm zum Geburtstag ein ganz besonders Geschenk machen. Dann geht es los: Vier Wochen lang zieht Tim "Feuerschuh" mit seinem Vater "Windsandale" durch die Landschaft, und als sie einen Monat später zur Mutter zurückkehren, wissen sie kaum, wo sie mit dem Erzählen beginnen sollen. Ausgezeichnet mit


    dem Deutschen Jugendliteraturpreis und
    auf der Ehrenliste zum internationalen Hans-Christian-Andersen-Preis.
    Das Buch wurde in 16 Sprachen übersetzt!!


    Grüßle
    Luni

  • Erstmals erschienen 1961



    Hinter dem märchenhaften Titel verbirgt sich eine Geschichte aus dem Alltagsleben, einem Alltag allerdings, der heutzutage schon fast wie ein Märchen klingt.


    Tim ist knapp sieben Jahre alt und hat schon ein großes Problem. Er ist klein für sein Alter und vor allem zu dick. Er hat keine Freunde, die anderen Kinder lachen ihn aus. Tim versucht immer wieder, sie mit Süßigkeiten zu bestechen, aber es hilft nichts, sie spotten weiterhin.
    Das Geld für die Süßigkeiten muß Tim sich selbst verdienen, seine Eltern kommen gerade so über die Runden. Deswegen macht Tim zuweilen seinen Eltern kleine Geschenke. Dann ist die ganze Familie glücklich. Tims großes Problem aber läßt sich nicht lösen und macht ihn auf Dauer unglücklich. Am liebsten wäre er jemand anders.
    Da machen ihm seine Eltern zu seinem Geburtstag ein besonderes Geschenk. Zusammen mit seinem Vater, einem Schuster, geht Tim vier Ferienwochen lang auf Wanderschaft. In neuen Schuhen, von seinem Vater selbst genäht, Feuerschuhe für Tim und Windsandalen für den Vater. Gemeinsam durchstreifen sie eine ländliche Gegend, der Vater flickt Schuhe und verdient auf diese Weise auch das Reisegeld. Sie übernachten in Scheunen oder im Freien, haben ihr Essen im Rucksack dabei und führen ein freies Abenteuerleben. Das Wichtigste dabei aber sind Vaters Geschichten. Alles, was ihnen unterwegs begegnet und zustößt, verpackt er in eine Geschichte. Die Geschichten helfen Tim, am Ende der Reise zu verstehen, daß es tatsächlich gar kein Problem ist, einfach nur Tim zu sein, dick, klein, aber eben Tim.


    Das Ganze ist sehr einfach geschrieben und daher nicht nur zum Vorlesen, sondern auch gut für ErstleserInnen zum Selberlesen geeignet. Was das Buch auch auszeichnet, ist, daß es eine fast reine Vater - und - Sohn - Geschichte ist, etwas, das man selten findet. Beispielhaft ist auch die Zuwendung, die Tim von seinen Eltern erfährt, Liebe, Unterstützung, Anerkennung. Das macht das Buch zu einem Buch, das echte Wärme vermittelt.
    Schwieriger wird es bei den Lehren, die Tims Vater mit seinen Geschichten verteilt. Erzählt sind die Geschichten anregend und spannend. Sie enthalten durchaus überzeugende moralische Gebote für vernünftiges, bescheidenes und sozialverträgliches Verhalten. Das ist auch für kindliche Leserinnen und Leser verständlich und einzusehen.


    Nun ist dieses Buch fünfzig Jahre alt. Das bringt es mit sich, daß das Sozialverträgliche im Ganzen gesehen arg nach Selbstbescheidung schmeckt. Tim muß sich damit abfinden, daß andere über ihn lachen. Er lernt mitzulachen, das ist nicht falsch. Aber das wird als einzige Möglichkeit propagiert, die er hat. Die Gesetze schreiben andere, er kann sich nur anpassen. Von den anderen Kindern wird nichts eingefordert, sie werden nicht einmal auch nur zum Nachdenken darüber aufgefordert, ob ihr Spott für Tim verletzend ist. Respekt darf Tim nicht einfordern, er darf nur respektieren. Wenn er den schützenden Kokon der Kernfamilie verläßt, muß er sich rundum anpassen. Nicht zeitgemäß ist es auch, daß für dieses Gebot der vollkommenen Anpassung auch noch ein himmlischer Gott als Gesetzgeber herhalten muß. Das ist schade für diese Geschichte, die so überzeugend die Vorteile einen stabilen Vater - Sohn - Beziehung beschreibt.


    In diesem Zusammenhang sticht das Altmodische an dem Buch dann besonders hervor. Tim, der mit sechs Jahren selbst Geld verdient, eine Zigarre, eine kleine Tafel Schokolade und ein Dauerlutscher als Geschenke für sich und die Eltern, Mutter, die, ein feuchtes Taschentuch an die Augen drückend, zu Hause bleibt und auf die Pakete mit Schmutzwäsche wartet bzw. Pakete mit frischer Wäsche verschickt, Kuchen backt und sich sorgt. Die Vorstellung, daß man einfach so mit dem Rucksack auf dem Rücken losziehen kann, eine nahezu perfekte ländliche Idylle für durchziehende Handwerker und der fast durchgängige Sonnenschein.
    Es staubt ein bißchen.
    Da Wölfel aber so wunderschön erzählt, kann man das Buch mit einigen zusätzlichen Erklärungen als ‚Geschichte von ganz, ganz, gaaanz früher’ für ein kindliches Publikum auch heute eben noch durchgehen lassen.


    Gelesen habe ich die gebundene Ausgabe aus dem Thienemann-Verlag. Titelbild und Illustrationen passen zur Entstehungszeit udn machen das Ganze hübsch 'historisch'.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus