Helen McDonald hat ihre eigene Geschichte niedergeschrieben. Spannend und lesenswert berichtet sie von einem Tier, das sicherlich bisher noch keinen großen Raum in den Köpfen der Menschheit eingenommen hat und für mich seit diesem Roman eine noch größere Faszination ausübt.
Helen ist von Kindesbeinen an von der Falknerei begeistert. Liest alles, was sie darüber in die Finger bekommt und kann gar nicht anders, als Falknerin zu werden. Begleitet wird sie auf diesem Weg von ihrem Vater, der ihr mit Rat und Tat, mit Lebensweisheiten und als ruhender Pol zur Seite steht. Mit seinem Tod bricht diese Stütze weg. Helen fällt in ein Loch. Der einzige Weg dort hinaus ist die Erfüllung ihres größten Wunsches: die Abrichtung eines eigenen Habichts.
Ich mag Greifvögel sehr, schaue mir gern Flugschauen von Falknern an und betrachte sie so häufig, wenn ich im Morgengrauen in die Natur hinausgehe. Doch noch nie habe ich mich so eindringlich mit ihnen, ihren Charakterzügen, befasst, wie durch das hören von Helen McDonalds Roman „H wie Habicht“. Ein Roman, der jedoch nicht nur etwas für Liebhaber der Falknerei ist, sondern so viel mehr. So klug, so weise, erzählt sie von Freiheit, der Sehnsucht nach Leben und den damit einhergehenden Schwierigkeiten.
Der Leser / Hörer begegnet verschiedenen Lebensgeschichten. Ganz vorn steht Helen, die einen Verlust aufzuarbeiten hat, die sich nun ganz neu definieren und mit diesem neuen Ich eine Harmonie finden muss, um wieder glücklich werden zu können. Immer wieder berichtet sie aus dem Leben des Schriftstellers T.H. White, geboren 1906, Verfasser des Romans „Der König von Camelot“, der später zum Disneyfilm „Die Hexe und der Zauberer“ wurde, und Autor des Werkes „The Goshawk“, dem Roman, der Helen in vielerlei Hinsicht prägte. White, der – ähnlich wie Helen – versuchte einen Habicht zu zähmen, dabei jedoch weniger Erfahrung und helfende Hände zur Seite hatte, als Helen. Beide durchlaufen eine ähnliche Erkenntnis: ein Habicht ist ein Wild- und kein Haustier. Man kann sich arrangieren, nebeneinander herleben, miteinander leben, aber der Habicht wird immer seinen Instinkten folgen.
Auf eine besondere Art fühlt sich Helen mit White verbunden. Es ist die Angst vor dem Leben, die beide teilen. Falsche Wege zu beschreiten, den ersten Schritt zu gehen, mit Menschen zu kommunizieren und nicht nur mit Greifvögeln. Bei Helen ausgelöst durch den schweren Verlust ihres Vaters, bei White durch die Umstände, dass er sich von anderen männlichen Mitmenschen seiner Zeit unterscheidet.
„H wie Habicht“ wird von Cathlen Gawlich ganz wunderbar gelesen. Durch ihre Art, die Worte vorzutragen entsteht die Form der Melancholie, von der Helen sich befallen fühlt. Ich denke, dass der Roman an sich schon sehr intensiv wirkt, durch die sanfte Stimme der Schauspielerin und Synchronsprecherin, die mir bisher nur als nervige Rose aus der Serie „Two and a Half Men“ bekannt war, und hier deutlich ihre Wandlungsfähigkeit zeigt, eine noch eindringlichere Wirkung hat. Die Intensität der Erzählung, die klugen, nachdenklich stimmenden Worte der Autorin, sind mir sehr unter die Haut gegangen. Ich empfehle „H wie Habicht“, egal ob in gedruckter oder gesprochener Form, sehr, sehr gerne weiter.