Holger Karsten Schmidt: Auf kurze Distanz

  • Cool


    Normalerweise lese ich keine Krimis. Okay, das klingt ein bisschen wie: "Gestern bin ich beim Zappen total aus Versehen auf RTLplusminusSATzwei hängen geblieben. Hammer, was die Katzenberger da wieder für einen Unsinn gebabbelt hat." Tatsächlich lese ich zuweilen Krimis, jedenfalls im weitesten Sinn. Etwa die von Wolf Haas oder Heinrich Steinfest. Weil sie originell und unkonventionell sind (und, im Idealfall, auch noch amüsant), weil es um die Menschen geht, um Entwicklungen und Grenzsituationen, weil die Kriminalfälle in den Hintergrund treten - und das, was die Situation mit den Leuten anstellt, im Vordergrund steht. Das mag ich auch an Fernsehkrimis. Wenn sie dann noch spannend sind - umso besser.
    "Kriminaldauerdienst" war ein exzellentes Beispiel. Ähnliches, aber kaum Vergleichbares bieten einige "Tatort"-Folgen, etwa die mit Axel Milberg. Oder jene aus Stuttgart - ein Team, das sich übrigens Holger Karsten Schmidt ausgedacht hat. Wie auch die hinreißenden "Finn Zehender"-Krimis mit dem großartigen Hinnerk Schönemann in der Titelrolle. Und "Mörder auf Amrum", ebenfalls mit Schönemann, wofür es unter anderen den wohlverdienten Grimme-Preis gab.


    Klaus Burck ist notorischer Einzelgänger - und genervt vom Schreibtischjob als Kriminalhauptkommissar im Ressort für Wirtschaftsdelikte. Deshalb hatte er sich schon vor einer Weile als verdeckter Ermittler beim LKA beworben, ist aber abgelehnt worden. Als er nun vom Schreibtisch weg verhaftet wird, angeblich wegen der Unterschlagung von Beweisen, stellt sich heraus, dass seine Bewerbung verspätet akzeptiert wurde und mit der Verhaftung die Tarnexistenz beginnt. Er soll einen anderen VE unterstützen, der sich einer serbischen Familie angenähert hat, die im norddeutschen Raum das Wettgeschäft kontrolliert. Doch der Kollege stirbt, vermeintlich brutal hingerichtet, weil er entlarvt wurde, und Burck muss direkt ins kalte Wasser springen.


    Holger Karsten Schmidt erzählt unprätentiös, präzise, unter Verzicht auf jedwede Larmoyanz und sehr rasant davon, wie sich der sprichwörtlich einsame Wolf Klaus Burck immer weiter in den inneren Kreis der Familie Goric vorarbeitet - und dabei leider auch Sympathien entwickelt. Dies umso mehr, da das Verbrechen, um das es vordergründig geht, eigentlich keines ist: Sportwetten sind legal, und ihre Manipulation ist es verblüffenderweise auch. Diejenigen, die sich strafbar machen, sind die unmittelbar Beteiligten, also die Schiedsrichter, die falsche Elfmeter pfeifen, oder die Tischtennisspieler, die absichtlich verlieren: Sie betrügen, aber die Bestechung ist keine Straftat. Weshalb sie auch massenweise ausgeübt wird; im Roman stellt Burcks VE-Führer Dudeck irgendwann lakonisch fest, dass es nur in der Formel 1 keine Manipulation gibt, weil da die Gehälter zu hoch sind. Bei allen anderen Sportarten haben die Kriminellen ihre Finger im Spiel, und wenn es darum geht, die Claims abzustecken, werden sie auch handfest. Ziel der Ermittlungen wäre also, den Clanchef beispielsweise eines Mordes zu überführen. Doch dafür muss dieser erst einmal davon überzeugt werden, dass Klaus Burck vertrauenswürdig ist.


    "Auf kurze Distanz" ist, wenn man so will, geradeaus erzählt, und deshalb umso atemloser und spannender. Zwar droht jederzeit die Gefahr, dass der verdeckte Ermittler als solcher erkannt und drakonisch bestraft wird, aber die eigentlichen Fallstricke lauern anderswo: Klaus Burcks direkter Kontakt, ein Neffe des Wettpaten namens Luka, ist einfach ein sehr netter Typ, dessen hochschwangere Frau Nadja eine hinreißende Person. Irgendwann vermischen sich Tarnexistenz und bürgerliche Realität, Burck entwickelt Zuneigung und bringt sich selbst in Schwierigkeiten. Parallel entwickelt sich ein blutiger Kleinkrieg zwischen den Serben und einer türkischen Bande, die das Revier für sich beansprucht. Und dann tritt auch noch die italienische Mafia auf den Plan ...


    Schmidts Schreibe merkt man an, dass der Mann sonst überwiegend Drehbücher verfasst, und diese Beobachtung hat angenehme Konsequenzen. Schnörkellos und dicht an den Figuren, handlungsorientiert und ohne küchenpsychologischen Schnickschnack. Das Geschehen und die Figuren, mehr gibt es nicht, und das reicht auch. Ein lässiger, hochinteressanter und äußerst spannender Roman, der einem zwar die Lust am Profisport verleidet, aber jene auf die Krimis aus Holger Karsten Schmidts Feder steigert. Cool!

  • Tom : geniale und treffende Rezi!!!



    Die vielen Sportwett-Lokale überall kenne ich - von außen. Der Name Robert Hoyzer ist mir ein Begriff, aber ansonsten geht das Thema Sportwetten völlig an mir vorbei. So hatte mich an der Kurzbeschreibung auch mehr der verdeckte Ermittler gereizt als die Sportwetten. Doch mit jeder gelesenen Seite wuchs mein Interesse an dem Thema und ich bin immer noch ganz fasziniert, auf was da nicht alles gewettet wurde und wo nicht überall was gedreht wurde...


    Das Buch hat mich von der ersten Seite an gefesselt und ich habe mitgefiebert, ob und wie Klaus in den Goric-Clan aufgenommen wird und ich habe mitgezittert, wenn die Gefahr bestand, dass er auffliegen könnte. Die Geschichte wird rasend schnell und schnörkellos erzählt, da kommt man kaum zum Luft holen.


    10 Punkte von mir für ein Buch, das ich kaum aus der Hand legen konnte!

  • Sport ist zum Geschäft geworden, das weiß man im Prinzip schon länger.
    Wenn man diesen Krimi von Holger Karsten Schmidt liest, hofft man jedoch, dass seine Recherchen nicht gänzlich die Realität widerspiegeln. Unfassbar, in welchem Ausmaß dort inzwischen von der organisierten Kriminalität manipuliert wird.
    Knallhart und erbarmungslos geht es zu in dieser Parallel-Welt, in die Klaus Burck als verdeckter Ermittler eingeschleust wird.


    Der Autor nimmt sich hier eines ebenso aktuellen wie brisanten Themas an, erzählt die packende Geschichte auf eine klare und stringente Weise, hinter der man durchaus den Drehbuchautor erkennt.


    Verdeckte Ermittler stehen mit ihren Beinen in zwei verschiedenen Welten und nicht selten verschwimmen mit der Zeit ihre Identitäten. Diese Problematik ist gut herausgearbeitet.


    Gelungen finde ich die Figuren, die trotz des Milieus, in dem sie agieren nur sehr bedingt in eine Schublade gesteckt werden können. Sie offenbaren immer wieder verblüffende Eigenschaften und Handlungsweisen, im Guten wie im Schlechten.


    Ein temporeicher Mix aus Information zum Thema, Action und ja, auch Emotion ;-), ergibt eine flüssig zu lesende Geschichte, bei der die ein oder andere Frage offen bleibt, was den positiven Gesamteindruck bei mir jedoch nicht gemindert hat.


    Für mich ein empfehlenswerter Kriminalroman, der sich thematisch und stilistisch vom Einheitsbrei gängigen Krimifutters abhebt.
    8 Punkte

  • Ein Krimi, der sich sprachlich und inhaltlich auf das Wesentliche beschränkt. Die Geschichte wird nüchtern und gradlinig erzählt, die Sprache ist klar und schnörkellos, ohne ausschmückende Adjektive und Beschreibungen. Die Handlung kommt ohne Nebenschauplätze aus. Und das bei einem Thema, dass die Gemüter schnell hochkochen lässt: es geht um Sportwetten, genauer gesagt um deren Manipulation.


    Klaus Burck ist ein ehrgeiziger Polizist und sagt sofort zu, als er die Chance erhält, als verdeckter Ermittler zu arbeiten. Er wird in die Wettszene eingeschleust, die von einem serbischen Familienclan beherrscht wird. Seine Bereitschaft, Risiken einzugehen, zahlt sich bald aus. Brenzlig wird es, als auch Türken und Italiener versuchen, etwas vom Kuchen abzubekommen.


    Wolf bekommt zu spüren, dass auch die Distanz zu seinem Herzen eine kurze ist, denn einige der Mitglieder der Familie, in die er eingeschleust wurde, werden ihm schnell sympathisch und das birgt zusätzliche Konflikte für den verdeckt ermittelnden Beamten.


    Die Geschichte entwickelt sich sehr spannend mit unerwarteten Wendungen und einem Finale, das mich kaum Atemholen ließ.


    Alles an diesem Buch wirkt authentisch. Die Beschreibung der Wettmanipulationen, das Milieu, in dem diese stattfinden, die Personen und ihr Umfeld, in dem die Kriminalität gedeiht. Zudem punktet der Autor bei mir mit seiner angenehm klaren Charakterzeichnung. Und ich weiß eines genau: von Sportwetten jeglicher Art lasse ich mit Sicherheit die Finger :grin


    Ach ja: Irgendwo habe ich gelesen, dass „Auf kurze Distanz“ verfilmt wird. Darauf bin schon sehr gespannt.

  • Zitat

    Original von xexos
    Hat jemand den Film gesehen? Ich war eher ein wenig enttäuscht und hätte ohne Kenntnis des Buchs wohl kaum die komplette Handlung verstanden. :-(


    Dito - der Film war nicht der Hit.
    Das Buch genial, mit zu den Lesehighlights des letzten Jahres gehörend - der Film ..naja...unter ferner liefen


    Hier gibts noch eine weiter Diskussion darüber
    Verfilmung Auf kurze Distanz am Mittwoch 2.3.2016 um 20.15 , ARD

  • Der Film war etwas gerafft erzählt, dadurch konnte man der Geschichte als Nichtleser nur schwer folgen. Mir hat das Buch definitiv viel besser gefallen, wobei ich glaube, der Autor hat ja auch das Drehbuch geschrieben.
    Aber die beiden Hauptdarsteller fand ich sehr gut. Vor allem Luca kam sehr gut rüber. Das Ende wurde ja etwas geändert. Das fand ich eigentlich auch ganz okay. Es passte.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Zitat

    Original von hollyhollunder
    ...wobei ich glaube, der Autor hat ja auch das Drehbuch geschrieben...


    Nicht ganz. HKS schrieb dazu:


    Zitat

    Original von hks
    Eigentlich sollte der Film Ende November kommen.
    Aber da nach 2 Jahren Entwicklung 8 Wochen vor Dreh plötzlich ein neuer Regisseur an Bord war, der sehr viele Änderungswünsche hatte, die auch die Hauptfigur, Dudek und die Tonalität der gesamten Geschichte betrafen und ich mich weigerte, das Drehbuch zu verschlimmbessern, bin ich von Bord gegangen und ein "Kollege" hat die Veränderungen vorgenommen.
    Ich hoffe aber trotzdem, dass der Film sich sehen lassen kann.
    Schöne Grüße,
    Holger


    Fragen an Holger Karsten Schmidt

  • Über die Verfilmung hab ich ja genug gemeckert - wird Zeit, zu erzählen, wie gut hingegen das Buch ist.


    Für mich war es auf jeden Fall mit eines meiner Lesehighlights des Jahres 2015.
    Und das ist gar nicht so einfach, da ich Krimis und Thriller ja verschlinge und demensprechend viele davon lese.


    Schon die Thematik war faszinierend, da ich aus dem Bereich der Wettmafia bisher noch gar nicht so viel, wenn hin bis gar nicht, gelesen habe.


    Auch der Protagonist - Klaus - der als verdeckter Ermittler in der Wettszene eingeschleust wird, sich dort bewährt und bald in den inneren Kern des serbischen Clans aufsteigt, ist hochsymathisch, authenisch und menschlich.


    Ich mochte ihn sehr gern, auch wenn meine eigentliche Lieblingsfigur sein sogeannter Vorgesetzter, meinetwegen auch Verbindungsmann ist.
    Den habe ich einfach ins Herz geschlossen und - ich kann nicht mal genau sagen, weshalb - er war einfach mein Lieblingsprotagonist.


    Der Schreibstil gefiel mir ebenfalls, flüssig, sachlich, aber nicht zu sachlich, spannend und ohne viel übertriebenes "Beiwerk".



    Ich liebe es ja, jedes Jahr zum Derby zu gehen - ok, das laß ich mir auch nicht vermiesen und mach es auch weiterhin, aber vermutlich mit einem anderen Blickwinkel auf das wetten und das Gewinnen welches Pferdes und ob es als Favorit gewonnen oder ob der Favorit "nur" zweites Pferdchen geworden ist oder gar unter ferne liefen ankommt. :grin


    Und nun hoffe ich doch bald auf Nachschub von Hoger Karsten Schmidt.



    Fazit
    Ein wunderbarer Krimi, der sich abhebt und auch anders ist als andere.
    Mit einer spannenden Thematik und Protagonisten, die sehr real wirken.
    Ich kann das Buch jedem Krimifan empfehlen.
    Schade nur, daß die Unterscheidung zwischen Film und Buch so immens ist und der Film dem Buch in keinster Weise gerecht wird.


    Von daher - lesen - und nicht gucken :grin