Alexander Kissler – Keine Toleranz den Intoleranten – Warum der Westen seine Werte verteidigen muss.
Als ich dieses Buch vor zwei Monaten im Buchhandel liegen sah, dachte ich: Was? Westliche Werte? – Das meint den Dow-Jones-Index, oder?
Noch dazu ist auf dem Cover ausgerechnet die (laut Vasari) nur durch einen historischen Zufall entkommene Venus von just jenem Künstler, der in seinem Piagnoni-Wahn alle seine ihm erreichbaren heidnischen und unzüchtigen Bilder auf Savonarolas Scheiterhaufen der Eitelkeiten warf, also durchaus über die verschleierte Dame glücklich sein würde, die sich hier auf dem Cover anschickt, seine Venus endlich keusch zu verhüllen.
Da mich diese Ironie reizte, ich weitgehend ratlos war, was westliche Werte wohl sein könnten, und das Buch mir dünn genug für einige Busfahrten schien, wurde ich hier aufgeklärt: Liberalität, Säkularismus und Toleranz – und, darauf legt Kissler großen Wert: deren Grenzen.
Ich habe hier viel Neues gelernt: Locke und Voltaire nur in Auszügen gelesen habend, wurde mir hier mitgeteilt, dass deren staatliche Toleranzidee im ersten Fall Katholiken und Atheisten, und im zweiten Fall Jesuiten, Calvinisten, und andere eifernde Lutheraner und Atheisten ausgeschlossen hatte, denn mit denen wäre jeweils kein friedlicher, ziviler Staat zu machen.
Des Weiteren kamen mir einige Aha-Erlebnisse, indem der Autor Fakten, die mir zwar bekannt waren, auf für mich neue Art verknüpfte, und mir obendrein mitteilte, dass ich es verabsäumt hatte, das aktuelle historische Standard-werk über die Geschichte des Westens von Heinrich August Winkler zu lesen, das somit auf meiner Wunschliste landet.
Mein erster zynischer Gedanke an den Dow-Jones-Index deutet obendrein laut Autor auf den weit verbreiteten christlich fundierten Meaculpismus hin, der uns gern insgeheim würmisch windend zugeben lässt, dass eigentlich… ja eigentlich die Terroristen nicht sooo völlig unrecht hätten, denn... und dann kommt der ganze schwarze (in dem Fall braune) Schwanz an verdeckten Antisemitismen, Weltverschwörungstheorien und Globalisierungsgegnerschaft gleich hinterhergezogen. - Einer der Hauptgründe, warum sich auch Westler vom Dschihadismus angesprochen fühlen, denn wir kennen das ganze ja schon, es ist vertrautes Terrain; und in dem speziellen Fall sind auch wir Linken plötzlich gern auf dem rechten Auge blind.
FACIT:
Das Buch (anlässlich der Pariser Februar-Attentate geschrieben und nunmehr von brennender Aktualität) schafft es, auf 176 sehr leicht und gelegentlich sehr poetisch und elegant geschriebenen Seiten rasche Nachhilfe über die Werte des Westens und ihre Geschichte zu geben, die wir nur zu leicht aus den Augen verlieren, während wir von der Arbeit zum Shoppingcenter und danach zur Party hasten und uns in unseren Freiheiten sonnen, die überhaupt nicht selbstverständlich, sondern sich langsam aus unseren ideologischen Diskussionen und Kriegen gegeneinander als kleinster gemeinsamer Nenner herauskristallisiert haben und jetzt von Neuem in Frage gestellt werden, in erster Linie von uns selbst und dann unserem neuen Lieblingsfeindbild, der Schleierfrau.
Lösungen bietet uns der Autor keine expliziten, er erklärt uns auch nicht den Unterschied zwischen Schleier und Schleier; er meint nur: Holzauge, sei wachsam gegenüber allen Arten von Freiheitsbeschneidern. Nur zu gerne nehmen wir verstärkte Überwachung und Selbstzensur in Kauf, wenn es um unsere Sicherheit geht, und tragen bereitwillig unsere eigenen Freiheiten zu Grabe, legen uns selbst aus Political Correctness Maulkörbe an, um ja nirgends anzuecken.