Naomi J. Williams: Die letzten Entdecker

  • Naomi J. Williams: Die letzten Entdecker
    DUMONT Buchverlag 2015. 464 Seiten
    ISBN-13: 978-3832197704. 24,99€
    Originaltitel: Landfalls
    Übersetzerin: Monika Köpfer


    Verlagstext
    Was gibt es mit zwei großen Segelschiffen zu entdecken, wenn es eigentlich nichts mehr zu entdecken gibt? Wenn die Engländer die Welt längst vermessen haben? Die Männer, die 1785 im Auftrag des französischen Königs unter der Führung des besonnenen und aufgeklärten Kommandanten La Pérouse ins Ungewisse fahren, glauben dennoch fest an den Erfolg ihrer Expedition. Angetrieben von Pflichtbewusstsein, Idealismus, Eitelkeit oder schlichter Not bergen die beiden Schiffe sehr unterschiedliche Abenteurer. Eines ist allen – vom einfachen Matrosen bis zum geltungsbewussten Naturwissenschaftler – gemeinsam: die Bereitschaft, das eigene Leben aufs Spiel zu setzen für eine Entdeckung, die ihnen den Eintrag in die Geschichtsbücher sichert. Als sie 1788 endlich auf die ersehnte „terra incognita“ stoßen, lediglich eine kleine Insel in der Südsee, ist ihre Begeisterung längst von den Schrecken der bisherigen Reise überschattet.


    Die Autorin
    Naomi J. Williams wurde in Japan geboren und spricht erst seit ihrem sechsten Lebensjahr Englisch. Ihre Kurzgeschichten und Erzählungen erschienen in verschiedenen literarischen Zeitschriften. 2009 wurde sie mit einem Pushcart Prize ausgezeichnet. „Die letzten Entdecker“ ist ihr erster Roman.


    Die Übersetzerin
    Monika Köpfer war Lektorin bei zwei Münchener Publikumsverlagen und ist heute als Übersetzerin und freie Lektorin tätig. Zu den von ihr übersetzten Autoren zählen u. a. Mohsin Hamid, Richard C. Morais, Milena Agus, Fabio Stassi und Theresa Révay. Für „Die letzten Entdecker“ wurde sie vom Deutschen Übersetzerfonds mit einem Arbeitsstipendium ausgezeichnet.


    Der historische Hintergrund
    Die dreijährige Expedition führte die beiden französischen Fregatten Astrolabe und Boussole (die kurz zuvor noch als Frachtschiffe gedient hatten) zwischen 1785 und 1788 von Europa an der zentralafrikanischen Küste entlang, um Kap Hoorn zur nordamerikanischen Westküste über Macao, Kamtschatka bis ins damals noch Neuholland genannte Australien. Die beiden (realen) Schiffe verschwanden damals samt Mannschaft spurlos, ihr Schicksal wurde erst Jahre später geklärt.


    Inhalt
    Naomi J. Williams lässt zahlreiche Personen ihre Erlebnisse auf dieser wissenschaftlichen Expedition berichten, mehrere Icherzähler treten auf, Briefwechsel stellen Beziehungen zwischen den handelnden Figuren her und manche Szenen werden aus verschiedenen Blickwinkeln gezeigt. Die amerikanische Autorin beschränkt sich mit wenigen Ausnahmen auf die Sicht der Oberschicht, der Offiziere, Wissenschaftler, Priester und Dolmetscher an Bord. Etwas Farbe bekommt die Angelegenheit durch das Auftreten der Ehefrau des chilenischen Gouverneurs und eines jungen Inuit-Mädchens in Alaska. Indem Lamartinière, der Botaniker der Expedition, sich hauptsächlich mit dem Protokollieren der Reise befasst und weniger mit seiner Profession, bleiben die naturkundlichen Beobachtungen auf der Reise leider sehr blass. Mehr als die Sichtung „eines Bären“ oder „eines Seevogels“ darf man nicht erwarten. Die Konzentration der Erzählweise auf die Beziehungsebene lässt Willams Roman wie einen Gesellschaftsroman wirken, den sie an Bord zweier französischer Schiffe angesiedelt hat. Die für mich spannenden Fragen in einem Entdecker-Roman werden nicht vertieft, z. B. wie ein Kapitän in der Notsituation handelt, nachdem ein entscheidender Teil seiner Mannschaft ausgefallen ist.


    Fazit
    Williams Ton ist zeitweilig bissig bis ironisch, so dass ich ihre Sichtweise teils als Satire auf Entdeckerromane empfunden habe. Zu diesem Eindruck trug die wenig seemännische Beschreibung des Lebens an Bord bei. Ob die Autorin diese Wirkung ursprünglich bezweckt hat oder ob durch die Übersetzung ein ernstgemeinter Text unbeabsichtigt eine satirische Wirkung erhielt, kann ich nicht beurteilen. Rein sprachlich wirkt „Die letzten Entdecker“ für einen Erstling beachtlich, inhaltlich hat er mich nicht überzeugt.


    °°°°°
    Zitat
    Wusste sie, was sie da tat, war das möglich? Lapérouse hätte sich beinahe an seiner Zwiebelsuppe verschluckt. Er konnte O’Higgins kaum ansehen, der voll des Lobes war über die samtige Konsistenz der Suppe, die gelungene Ausgewogenheit von Schärfe und Milde. Nun erhob sich de Langle, um ein paar Worte zu sagen und der Fächer wanderte abwärts, näher zum Knie hin. Während des Applauses für Langle verschwand er, und Lapérouse hatte ihn beinahe schon vergessen, als er plötzlich wieder auftauchte, indem er seine Hüfte streifte und ihn von seinem Fisch ablenkte. Um sich den gefüllten Fasan schmecken zu lassen, bedurfte es beider Hände; unterdessen lag der Fächer zwischen ihnen auf dem Tisch wie eine papierne elfenbeinerne Grenzlinie. Doch nachdem sie gerade so viel vom Hauptgang gekostet hatte, wie es der Anstand erforderte, aber keinen Bissen mehr, ließ Eleonore ihren Fächer aufschnappen und wedelte ein paarmal damit vor dem Gesicht, ehe sie ihn wieder zuklappte und ihre Hand abermals unter den Tisch gleiten ließ. Lapérouse wappnete sich für den sanften Druck an seinem Bein, aber er blieb aus, und jetzt war er genauso abgelenkt von dessen Ausbleiben wie zuvor von dessen verwirrender Präsenz.“ (S. 171)


    7 von 10 Punkten

  • Ich hab das Buch heute Morgen bei Amazon bestellt und nun ist schon die erste Rezi da. :-) Vielen Dank dafür. Ich habe an diesen Historischen Roman grosse Erwartungen und bin gespannt wie er mir gefallen wird. Ich hoffe natürlich, dass er mir etwas mehr zusagen wird und dass ich mehr als 7 Punkte vergeben kann. :wave

  • Vielen Dank für deine Rezi, Booklooker. :knuddel1 Besonders toll, dass du auch einen kleinen Ausschnitt als Zitat reingebracht hast; da ich bisher keine Leseprobe des deutschen Teils finden konnte, vermittelt mir das direkt einen zusätzlichen Eindruck in Sachen "passt mir der Sprachstil".


    Jetzt schiebe ich das mal etwas nach hinten bei meiner Beobachtung, weil es inhaltlich dann eher nicht dem zu entsprechen scheint, das ich erwarte. :knuddel1

  • Dieser Roman war mein "Weihnachtsbuch 2015" welches ich mir zum Lesen über die Weihnachtstage ausgesucht habe. :-]


    Das verklärte und in weiten Teilen der Literatur auch romantisierte Sujet der verwegenen Entdecker und Seefahrer eignet sich perfekt für ergreifende Geschichten mit grossen Spannungsbögen. Kapitäne, Matrosen, Wissenschaftler die von glorreichen Taten und Abenteuer in exotischen Ländern berichten. Nicht selten schmücken sie ihre packenden Erzählungen mit fein gesponnenem "Seemannsgarn" aus. Dabei ist vieles nüchterner und monotoner als man vermuten würde. Die lange Seereise und die vielen langweiligen, sich im Ablauf wiederholenden Tage an Bord werden verschwiegen. Der Mensch als Individuum und als Mitglied einer willkürlich zusammengestellten Gruppe wird auf dem beengten Raum eines Schiffes von den unkontrollierbaren, ja manchmal entfesselten Naturgewalten von Meer und Sturm auf die Probe gestellt. Manchmal sind es auch fehlende oder verdorbene Lebensmittel die zu quälenden Krankheiten werden. Überlebensinstinkte gegen die allgemein gültigen Regeln der Seefahrt und der strikten Hierarchie. Wie das seiner Gefährten, hängt das Leben eines jeden Seemanns an einem seidenen Faden und dieses Risiko übt eine urtümliche Faszination auf die Leserschaft aus.


    Die Franzosen sind nicht als grosse Seefahrernation bekannt, aber im Auftrag des Königs machen sich gegen ende des 18. Jahrhunderts zwei Schiffe zu einer Expedition auf, ein Stück der unbekannten Welt zu entdecken. Nebst den nautischen und wissenschaftlichen Erkenntnissen erhofft man sich von dieser Forschungsfahrt auch Reputation und Ansehen für die Nation. So stechen die "Astrolabe" und "Boussole" mit ihren ingesamt über 200 Mann starken Besetzungen in See um die Erdkugel gen Westen rund um Südamerika zu umrunden. Über die mehrjährige Forschungsreise über zwei Ozeane samt den diversen Ankerplätze und Landgängen möchte ich keine Details verlieren. Das sollen neugierige Leser bei einer Entdeckergeschichte schließlich selbst erkunden.


    Ein paar Worte möchte ich hingegen dem Erzählstil widmen. In einem sehr gepflegten stets gefasstem Tonfall schildert die Autorin von den Ereignissen und dem Innenleben der Figuren. Mir ist dies mehrheitlich zu nüchtern geraten und es fehlen impulsive Szenen damit ich nicht nur mit wachem Kopf sondern auch mit dem emotionalen Bauchgefühl bei der Sache bin. Diese besonnene Erzählweise ist auch der Grund, weshalb ich diesem ansonsten tadellosen Roman zwei Eulenpunkte in der Wertung abziehe. Positiv zu erwähnen ist hingegen das multiperspektivische Erzählen. Immer wieder erleben wir Szenen aus der Sicht von an der Expedition unbeteiligten Personen. Dies führt zu einer angenehmen Abwechslung.


    Ein Buch für historisch interessierte Leser die dem Forschungsdrang zugeneigt sind und denen eine tragische maritime Abenteuergeschichte, basierend auf realen Fakten, spannende und lehrreiche Lesestunden bereitet. Wertung: 8 Eulenpunkte