Die Autorin: Jo Walton wurde 1964 in Wales geboren und wuchs dort auf - das Walisische bezeichnet sie als ihre zweite Muttersprache.
Heute lebt sie mit ihrem Mann in Kanada.
Ihre Werke wurden mehrfach für wichtige Preise nominiert und oft auch ausgezeichnet. Die deutsche Übersetzung ihres Romans "Among others"/"In einer anderen Welt" (Golkonda) wurde darüber hinaus mit dem Kurt-Lasswitz-Preis geehrt.
"Der Tag der Lerche" ist nach "Die Stunde der Rotkehlchen" der zweite Roman um Inspector Carmichael von Scotland Yard. Der dritte Teil wird ebenfalls bei Golkonda erscheinen.
Das Buch: In einem Londoner Vorort detoniert eine Bombe, die Explosion fordert zwei Todesopfer. Ein Anschlag? Immerhin wimmelt es in der Stadt von Anarchisten, Kommunisten und Juden, allesamt sind sie verdächtig - nicht umsonst werden schärfere Gesetze verhängt, um die Sicherheit der Bevölkerung zu garantieren.
Aber warum sollte jemand eine Schauspielerin in die Luft sprengen? Inspector Carmichael beginnt zu ermitteln und findet sich schon bald in Mitten einer Verschwörung, die auch höchste Regierungskreise bedroht - und das alles während Adolf Hitler zu einem Staatsbesuch erwartet wird!
Die Schauspielerin Viola Lark freut sich derweil über ein außerordentlich reizvolles Rollenangebot: Sie soll den Hamlet spielen! Und dann wird ihr noch eine weitere, weitaus gefährlicherer Rolle angeboten - nicht auf der Bühne, sondern in der echten Welt.
Meine Rezension: Mit "Der Tag der Lerche" liegt nun der zweite Band von Jo Waltons Alternativgeschichtsromantrilogie bei Golkonda vor. Der dritte Band ist in Vorbereitung.
Der Hintergrund ist wie folgt: Die Briten - namhaft das Mordopfer aus dem ersten Band - konnten 1941, noch vor dem Eintritt der USA in den II Weltkrieg, mit den Deutschen Frieden schließen - England ist raus aus dem Krieg, welcher auf dem Kontinent nach wie vor zwischen den Deutschen und den Russen weiter tobt.
Doch die neue Regierung ist dabei, das britische Volk, unter dem Vorwand es zu beschützen, durch immer schärfere Gesetzte all ihrer Freiheit zu berauben. Misstrauen und Hass werden geschürt, gegen alles was anders ist - oder als solches angesehen werden kann. Und ganz weit oben auf der Liste der Staatsfeinde stehen die Juden!
Selbst im Schatten eines Deutschen Reiches, welches dabei ist dieses Volk auszurotten, wächst auch in England der Antisemitismus. Jeder Widerstand wird als Terrorismus schwer geahndet, die Protestler als Kommunisten und Anarchisten praktisch aller Rechte beraubt inhaftiert oder, wen sie jüdischer Herkunft sind, sogar auf den Kontinent deportiert. Eine gewisse Paranoia, gepaart mit allen Möglichen kruden Vorurteilen bricht sich bahn.
So stellt auch Carmichael fest, das jemand "nicht wie eine Jüdin aussieht". Eine als Kommunistin verdächtigte Schauspielerin erhält umgehen die Absolution, als sich herausstellt das sie großzügige Trinkgeld gibt - Kommunisten, das ist ja allgemein bekannt, geben kein Trinkgeld.
Die Schauspielerin Viola Lark repräsentiert hier stellvertretend für viele die Haltung eines Großteils der britischen Bevölkerung: Sie sieht durchaus, das etwas nicht in Ordnung ist, kann aber nicht wirklich etwas daran ändern - und wenn es zu schlimm wird verschließt sie die Augen....
....nein, so schlimm kann es nicht sein! Alles Übertreibung, Lüge.....
Sie ist somit der perfekte Spielball für die Pläne der Verschwörer. In ihrer hilflosen Unschuld und Richtungslosigkeit bietet sie sich geradezu an, eine Rolle zu spielen die den Part des Hamlet in den Schatten stellen wird.
Als sie im Theater tatsächlich Adolf Hitler vorgestellt wird nimmt sie seine charismatische Erscheinung und sein bescheidenes Auftreten sofort für ihn ein: "Ich mochte ihn auf Anhieb!"
Das eigentlich erschreckende an diesem Szenario ist die Normalität, in welcher sich diese radikalen Ereignisse abspielen - und sie erscheinen keineswegs als Spiegelbild der Ereignisse in Deutschland, der Weg zu immer schärferen Gesetzen und dem einschränken der Rechte der Bevölkerung erinnern fatal an die vereinigten Staaten nach 9/11!
Wie schon im ersten band wählt Jo Walton hier zwei verschiedene Erzählebenen. Wir folgen Inspector Carmichael bei seinen Ermittlungen, und im Wechsel dazu erzählt uns Viola Lark ihre Sicht auf die Ereignisse und ihre Rolle(n), die sie spielt. Der Aufbau erinnert dabei an Forsythes "Der Schakal", wo sich Ermittler und Täter langsam einander nähern, bis sie zum Schluß aufeinandertreffen.
"Die Stunde der Rotkehlchen" begann noch als typischer britischer "Cozy Crime, der sich erst langsam zu einem Politthriller wandelte. "Der Tag der Lerche" ist durch und durch ein Politthriller - und dabei einer der besten! Selten wurde ein fiktives - und doch so reales - Schreckensszenario so packend und eindringlich in Szene gesetzt.