'Schlaf der Vernunft' - Seiten 303 - 376

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  • Martina ist nun endgültig radikalisiert. Der Tod Holgers war in meinen Augen der letzte Tropfen. Und ich weiß nicht, wie ich gehandelt hätte, wenn meine große Liebe in einem Gefängnis unter Aufsicht verhungert! Das muss furchtbar gewesen sein.


    In der "Gegenwart" kommt heraus, dass Martina den Anschlag auf Werder geplant hatte. Aber warum? Und warum verrät der ehemalige Stasi-Offizier das so freimütig? Hier sind Seilschaften im Gange, die ich noch nicht ganz durchschaue.


    Vor dem Hintergrund der Anschläge in Paris beeindruckt mich ein Teil umso mehr. Nämlich der, in dem Steffen feststellt, dass die Radikalisierung sehr viel schneller von statten geht, als sie glauben. Das trifft auf damals wie heute zu.

  • Logan-Lady, der Tod von Holger Meins war für die meisten der sogenannten "zweiten Generation" der RAF das entscheidende Ereignis, das ihnen den letzten Schub gab, daher habe ich ihn auch unter seinem wahren Namen auftreten lassen, statt ihn zu fiktionalisieren. Ich muß auch sagen, daß mich bei der Recherche die näheren Umstände seines Todes immer noch schockierten. Es gibt ein berühmtes, wirklich grauenhaftes Foto von seiner Leiche, das zuerst der "Stern" veröffentlichte. Online ist es u.a. in diesem Artikel "Opferbilder - Täterbilder" abgedruckt, wer nachschauen will, obwohl ich wirklich warnen muß:


    http://www.geisteswissenschaft…dia/pdf/Terhoeven2007.pdf


    Das sowohl Gefängnisarzt als auch Gefängnisdirektor seinerzeit bei einem Gefangenem in diesem Zustand in den Wochenendurlaub fuhren, bleibt für mich unfaßbar. Respektive nur dadurch erklärbar, daß sie wirklich wollten, daß er stirbt, nach dem Motto "selbst schuld, einer weniger".

  • Auf Keitum: Dafür dass Angelika und Martina so lange getrennt waren, gehen sie doch ganz gut miteinander um.
    Das ist zum große Teil Angelika zu verdanken, die sich viele Gedanken macht, ob ihre Mutter durch die lange Gefängniszeit manches nicht kennt, wie z.B. hohe Restaurantpreise, Filme wie Pretty Woman, die Gefahr von Aids,etc, doch da unterschätzt sie Martina.


    Martina bleibt aber noch zurückhaltend, öffnet sich nur langsam. Aber ich habe das Gefühl, die beiden sind auf einem guten Weg zueinander.



    Das Martina eine Zeichnung für 1000 Mark verkaufen konnte, finde ich überraschend, aber bei dem Sylter-Preisniveau dann vielleicht doch nicht so verwunderlich.

  • Zitat

    Original von Rumpelstilzchen
    Mir gefällt es sehr gut, wie du Steffen beschrieben hast, wie auch er Zweifel am Vorgehen der Sicherheitsbehörden beim Tod von Holger Meins hatte.
    Letztlich hat man dadurch nachträglich die Argumente der Terroristen in einem gewissen Sinn bestätigt, nämlich mit zweierlei Maß zu messen.


    :write
    Ich finde gerade die Figur Steffen ganz stark. Er reflektiert sehr stark, was natürlich bei Martina, aber auch bei den anderen Figuren mal mehr, mal weniger fehlt. Das gefällt mir sehr, denn es trägt zu der Vielschichtigkeit der Geschichte sehr bei. Und ich gerade die unterschiedlichen Perspektiven sind so wichtig dafür, dass dieser Roman so gut funktioniert.

  • Mir war zwar bekannt, dass Holger Meins verhungerte, daraus hatte ich bislang aber nicht abgeleitet, dass dies für viele der letzte Grund zur Radikalisierung war. Beim Anblick dieses Fotos allerdings wird das sehr klar.und der Vergleich zu KZ-Toten liegt wirklich nahe. Das erschüttert wirklich das Vertrauen in den Staat und den Glauben an dessen Unschuld.


    Michael könnte also sexuell verführt worden sein, um dann etwas an die RAF zu verraten. Was allerdings Lieferte Lieberts Beweggründe sind, ist mir weder bei ihm noch bei ihr klar.



    Das "Ich verzeihen Ihnen" von Frau Werder ist mir nun etwas zu viel. Hat sie ihm denn wirklich etwas vorgeworfen? Dies ist rational aus meiner Sicht eigentlich nicht möglich. Wie hätte er das Attentat denn verhindern sollen?



    Edit: Am Handy hatte die Autokorrektur zugeschlagen. ;-(

  • Xexos, ich konnte das nicht beantworten, ohne für den Rest zu spoilen, aber den hast du ja jetzt gelesen.


    Noch etwas zu Monika Werder und Steffen, jenseits des Michael-Faktors. Monika Werder hat Steffen nie für auf irgend eine Weise schuldig am Tod ihres Mannes gehalten. Aber STEFFEN hat vehemente Schuldgefühle. Steffens Überzeugung nach seinem Koma, daß alle Witwen seiner Kollegen wie auch Frau Werder sich insgeheim fragen, warum er überlebte, und ihre Männer tot sind, entspringt diesen Schuldgefühlen, nicht der Realität. (Sieht man auch daran, daß Steffens Mutter und Monika Werder miteinander bis zum Tod von Steffens Mutter korrespondierten.) Wenn du dich erinnerst: Steffen war derjenige, der seinerzeit den Kontakt abgebrochen hatte.


    Monika Werder ist eine kluge, sensible Frau, und durch den erneuten Kontakt ist ihr rasch klar, daß Steffen immer noch vehemente Schuldgefühle eines Überlebenden hat. Nicht logisch, aber vorhanden. Und denen begegnet man nicht dadurch, daß man sie wegrationalisiert - das hat Klaus jahrelang umsonst versucht. Stattdessen gibt sie ihm ihre Verzeihung, weil es genau das ist, was er emotional braucht.

  • Zitat

    Original von Tanja Kinkel
    Logan-Lady, der Tod von Holger Meins war für die meisten der sogenannten "zweiten Generation" der RAF das entscheidende Ereignis, das ihnen den letzten Schub gab, daher habe ich ihn auch unter seinem wahren Namen auftreten lassen, statt ihn zu fiktionalisieren. Ich muß auch sagen, daß mich bei der Recherche die näheren Umstände seines Todes immer noch schockierten. Es gibt ein berühmtes, wirklich grauenhaftes Foto von seiner Leiche, das zuerst der "Stern" veröffentlichte. Online ist es u.a. in diesem Artikel "Opferbilder - Täterbilder" abgedruckt, wer nachschauen will, obwohl ich wirklich warnen muß:


    http://www.geisteswissenschaft…dia/pdf/Terhoeven2007.pdf


    Das sowohl Gefängnisarzt als auch Gefängnisdirektor seinerzeit bei einem Gefangenem in diesem Zustand in den Wochenendurlaub fuhren, bleibt für mich unfaßbar. Respektive nur dadurch erklärbar, daß sie wirklich wollten, daß er stirbt, nach dem Motto "selbst schuld, einer weniger".


    Vielen Dank für den Link! Der Tod von Holger Meins ist wirklich nicht nachvollziehbar! Und das in der damaligen Zeit...


    Zitat

    Original von Saiya


    :write
    Ich finde gerade die Figur Steffen ganz stark. Er reflektiert sehr stark, was natürlich bei Martina, aber auch bei den anderen Figuren mal mehr, mal weniger fehlt. Das gefällt mir sehr, denn es trägt zu der Vielschichtigkeit der Geschichte sehr bei. Und ich gerade die unterschiedlichen Perspektiven sind so wichtig dafür, dass dieser Roman so gut funktioniert.


    Steffen ist meine Lieblingsperson in dem Buch. Er versucht, die Wahrheit zu erfahren - auch auf die Gefahr hin, daß seine Selbstzweifel größer werden.
    Monika Werders Verhalten ihm gegenüber hat mir sehr gut gefallen - und für ihn macht dieses " ich verzeihe ihnen" das Leben einfacher. :wave

  • Zitat

    Original von Tanja Kinkel
    Logan-Lady, der Tod von Holger Meins war für die meisten der sogenannten "zweiten Generation" der RAF das entscheidende Ereignis, das ihnen den letzten Schub gab, daher habe ich ihn auch unter seinem wahren Namen auftreten lassen, statt ihn zu fiktionalisieren. Ich muß auch sagen, daß mich bei der Recherche die näheren Umstände seines Todes immer noch schockierten. Es gibt ein berühmtes, wirklich grauenhaftes Foto von seiner Leiche, das zuerst der "Stern" veröffentlichte. Online ist es u.a. in diesem Artikel "Opferbilder - Täterbilder" abgedruckt, wer nachschauen will, obwohl ich wirklich warnen muß:


    http://www.geisteswissenschaft…dia/pdf/Terhoeven2007.pdf


    Das sowohl Gefängnisarzt als auch Gefängnisdirektor seinerzeit bei einem Gefangenem in diesem Zustand in den Wochenendurlaub fuhren, bleibt für mich unfaßbar. Respektive nur dadurch erklärbar, daß sie wirklich wollten, daß er stirbt, nach dem Motto "selbst schuld, einer weniger".


    Ich habe mir die Bilder angeschaut und den Artikel teilweise gelesen ( muss ich noch ganz lesen, er erscheint mir sehr gut, im Moment ist mir das Zitat von Susan Sontag im Kopf geblieben ).
    Ja, das Bild ist schon schlimm - aber es war doch seine Entscheidung, zu verhungern, oder?
    Die Menschen auf den "Opfer-Bildern" hatten diese Wahl zwischen Leben und Tod nicht.


    Ich bin da wirklich zwiegespalten mit meiner Meinung bzw. was ich davon halten soll.

  • Zitat

    Original von Tanja Kinkel
    Als Romanautorin habe ich natürlich bei allen Figuren versucht, sie so plastisch und vielschichtig wie möglich zu gestalten, aber ich muß gestehen, Steffen war ein besonderer Liebling...


    Diese Figur ist dir auch sehr gut gelungen.


    Ich fand diese Szene so gut, als er seine damaligen Kollegen so vehement verteidigte und in Schutz nahm und die Therapeutin sinngemäß meinte, weshalb er dieses Vertrauen/diese Überzeugung nicht auch für sich selbst, also seine Person, hätte.
    Ein wichtiger Punkt, finde ich.

  • Zitat

    Original von logan-lady
    Martina ist nun endgültig radikalisiert. Der Tod Holgers war in meinen Augen der letzte Tropfen.


    Ja, das war wohl der ausschlaggebende Punkt.
    Und ich habe heute beim Lesen bemerkt, wie mein Verständnis für Martina schwindet.
    Ich kann ihren Gedanken und Argumentationen nicht mehr folgen..........bzw. das kann ich theoretisch natürlich schon.
    Aber tatsächlich finde ich es nur noch erschreckend.

  • Zitat

    Original von Rosenstolz


    Ja, das Bild ist schon schlimm - aber es war doch seine Entscheidung, zu verhungern, oder?
    Die Menschen auf den "Opfer-Bildern" hatten diese Wahl zwischen Leben und Tod nicht.


    .


    Rosenstolz, das ist natürlich richtig. (An einer späteren Stelle im Roman sagt Angelika auch etwas Ähnliches zu Martina.) Es war auch ein sehr bewußte Taktik der RAF, den eigenen Körper als Waffe einzusetzen. (Wir haben inzwischen die Kassiber, um das zu belegen. Einschließlich desjenigen von Gudrun Ensslin an Holger Meins, in dem sie ihm mehr oder weniger befiehlt, den Hungerstreik bis zum Tod durchzuziehen. Das war der Sympathisantenszene und Leuten wie Martina natürlich nicht bekannt.) Nur: soweit es die sogenannte "zweite Generation" betraf, hat sie funktioniert. (Und nicht nur diese: es waren an die 4000 Leute, die beim Begräbnis von Holger Meins in Hamburg auf die Straße gingen, und nur wenige von denen wurden später selbst Terroristen.) Sie sahen diesen Tod nicht als Selbstmord, sondern als "Mord auf Raten" (Zitat Otto Schily, später Innenminister) durch den Staat.


    Nebenbei bemerkt: ich selbst sehe den Tod sowohl als Selbstmord als auch als bewußte unterlassene Hilfeleistung mit tödlichem Ausgang durch den Gefängnisdirektor und den Gefängnisarzt. Das eine schließt das andere nicht aus. Es war die Entscheidung von Holger Meins, so zu hungern, und es war die Entscheidung des Arztes und des Direktors, ihn in diesem Zustand sich selbst zu überlassen und in ein verlängertes Wochenende zu fahren. In den 80ern wäre so ein Verhalten von Seiten der Staatsangestellten undenkbar gewesen, und da gab es auch keine "Märtyrer" von Seiten der RAF mehr, obwohl sie die Hungerstreik-Taktik noch ein paarmal versuchten.

  • Ich denke, der Tod von Holger Meins hat noch einen anderen Aspekt.
    Was ihr schreibt, ist alles richtig. Er hat seinen Körper bewusst als Waffe eingesetzt und wollte vorsätzlich seinen Hungertod herbeiführen.
    Als Staat, in dessen Obhut dieser Mensch war, hat man nun zwei Möglichkeiten. Man kann ihn gewähren lassen, ihm Hilfe und medizinische Behandlung anbieten und wenn er diese nicht will, ihn in Ruhe lassen. Mit der Folge, dass er stirbt.
    Man kann - sicher aus guten Gründen - auch die Variante wählen zu sagen, der Mensch ist in meiner Obhut, ich achte seinen Willen nicht, sondern behandle ihn gegen seinen Willen. Obwohl er bei Verstand, Bewusstsein usw ist. Das ist für sich genommen schonmal Körperverletzung, ob die zu rechtfertigen ist, mag ich nicht beurteilen.
    Wenn wer immer das entschieden hat, das aber tut, ist dieser Mensch für das weitere Schicksal des Patienten verantwortlich, denn ein Patient wird er in diesem Fall. Und hat damit die Pflicht, alles medizinisch Notwendige zu tun, um ihm am Leben und bei möglichst guter Gesundheit zu erhalten.