Lewis Robinson: "Der Taucher"; Erzählungen

  • Jeder kennt dieses Gefühl des Abgrunds, wenn plötzlich, in einem ganz normalen Leben, der Augenblick eintritt, in dem alles auf dem Spiel steht, alles sich grundlegend ändern kann. Vielleicht bietet Maine für solche Szenen einen idealen Grund, sehr wahrscheinlich liegt es aber am Geschick des Autors, der in diesen Geschichten scheinbar ganz normale Menschen vor solchen Wendepunkten schildert und blitzlichtartig den ganzen Charakter, ein ganzes Leben, ja ein Schicksal erhellt. Z.B. als ein Pärchen mit seinem Baby von Portland nach Point Allison tuckert und das Boot vor dem Hafen liegenbleibt, weil sich Seetang in der Schraube verheddert hat. Der zu Hilfe gerufene Taucher wird für den jungen Vater zur Bedrohung – real oder eingebildet? –, mit der er nicht umgehen kann. Oder die Party auf einem ans Meer grenzenden Gelände einer Luxusvilla, bei der ein Neuankömmling den Wunsch des ihm unbekannten Gastgebers erfüllen soll – mit einer Pistole. Oder die schwangere junge Frau, die mit ihrem Zukünftigen dessen Tante auf einer vorgelagerten Insel besucht, obwohl sie panische Angst vor dem Meer hat. Wie kommt es, daß sie nach kurzer Zeit ebenjenes Meer als beruhigend empfindet? In diesen Geschichten steht kein Wort zuviel, unglaublich präzise fängt Robinson noch die intimsten Regungen seiner Figuren ein. "Dieser Erzählband ist phantastisch ... und zeigt Lewis Robinsons tiefes Verständnis für die menschliche Natur." John Irving "Sein Debüt, Geschichten, die in Formvollendung und inhaltlicher Tiefe den klassischen Meister erkennen lassen, kommen aus dem Nichts - ausgereift, absolut unwiderstehlich und erfrischend unmodisch." Los Angeles Times Book Review "Er weiß, was die Menschen antreibt und was sie stolpern läßt, zeigt entscheidende Situationen aus des Lebens versteckten Winkeln und bringt einfache Worte zum Leuchten." The Washington Post


    Über den Autor
    Lewis Robinson, geb. 1971 in Massachusetts, lebt in Maine. Nach dem Literaturstudium erhielt er im Iowa Writers' Workshop den Glenn Schaeffer Award, 2003 den Whiting Writers Award. Er arbeitete u.a. als Lastwagenfahrer, Taucher und Fischer.


    ... soweit das Material, das über Buch und Autor verbreitet wird ...


    ich finde allerdings, der Klappentext führt atmosphärisch etwas in die Irre. Wer auf spektakuläre "Wendepunkte" und "blitzlichartige" Enthüllungen und "Turns" wartet, wird vielleicht enttäuscht. Robinson arbeitet eher so, dass an manchen Stellen, an denen unsere "Leserphantasie" die Story ins Extreme treiben möchte, seine Erzählung eigene Wege geht. So wie das Leben eben meist auch (Doc aufpasst, hier geht es im Kern auch immer um Fragen der Lebensplanung ...) Die Titelgeschichte "Der Taucher" verläuft zum Beispiel sehr unerwartet - aber ohne Knalleffekt. Sie läuft eigentlich ins Leere. Naja, wie der Alltag halt so häufig - nicht nur im fiktionalen Point Allison. Sondern auch in Neckarwestheim oder in Herne-Süd.


    Mich haben die Erzählungen Lewis Robinsons auf eine eigenartige Weise berührt. Mmmmh, sogar verstört. Und dass mich Literatur verstört, etwas ver-rückt zurücklässt, ist vielleicht das profilierteste Lob, das ich zu vergeben habe. Er versteht an manchen Stellen brillant mit Sprache umzugehen (und es wurde wohl gut übersetzt). Außerdem ist er nicht auf eine "Linie" eingeschossen: Die Taucherstory atmet eine ganz andere Erzählluft, als eine Geschichte über zwei Halbstarke, die vor den Bullen davon rennen. Hin und wieder schillert eine ganz eigene Komik der letzlich tragischen Figuren Robinsons durch - aber okay: Literatur lebt im Kern ja immer vom ewigen Ehekrieg der Tragodie mit der Komödie. Wo findet man schon das eine ohne das andere; man pendelt als Leser immer mit seiner Sympathie zwischen diesen beiden Stimmungen.
    Wer wundervolle, seltsame, in Teilen auch befremdliche, Geschichten über den Alltag, die Liebe, die Karriere, Spießer und das dünne Make-Up unserer heilen Welt genießen will, ohne dabei von moraltriefenden, unfruchtbaren Sinnergüssen - zum Beispiel eines Paolo Coelho - überzuckert zu werden, der MUSS Robinson lesen. Der Mann liebt seine Figuren nicht, er hasst sie nicht. Er schildert einfach auf eine ganz eigentümliche Art das verblüffend eigenbrötlerische Wesen unseres Alltags. Wer auf herkömmlich durchstrukturierte Plots mit Spannungsbogen, Liebesreigen und Schicksals-Koitus steht, sollte sich die 18 Euro für das Hardcover mit elf Erzählungen auf 250 Seiten sparen.


    Am Rande: Auch wenn es der eine oder andere es als zu plump in die entsprechenden Geschichte eingebaut empfindet: Ich hab' einen der skurrilsten Anmach-Sprüche einer Erzählung Robinsons entnommen.
    "Hey, hast Du schwere Beine? Bestimmt, denn Du bist mir den ganzen Tag durch den Kopf gegangen."


    Und nun frei nach Peter Lustig: Jetzt könnt Ihr Abschalten. Und Lesen. Und zwar "Der Taucher". Hopp, hopp!

    RomeoyJulietaMilleFleursundeinGlasBunnahabhainwasbrauchtesmehr?

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  • Zitat

    Original von columbo
    Ich hab' einen der skurrilsten Anmach-Sprüche einer Erzählung Robinsons entnommen.
    "Hey, hast Du schwere Beine? Bestimmt, denn Du bist mir den ganzen Tag durch den Kopf gegangen."


    Nicht schlecht. :grin
    Das Original (amazon.com sei Dank) heisst tatsächlich so ähnlich:
    "Hey, are your legs tired? They must be, because you've been running through my mind all day"

    Surround yourself with human beings, my dear James. They are easier to fight for than principles. (Ian Fleming, Casino Royale)

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