Philip Kerr - Winterpferde

  • Inhalt:


    Das Mädchen Kalinka befindet sich mitten in den Kriegswirren des 2. Weltkriegs in der Ukraine und ist völlig auf sich alleine gestellt, da ihre Familie komplett ausgelöscht wurde. Da trifft sie auf den Tierpfleger Max, der im Naturschutzgebiet Askania-Nowa über eine Herde der seltenen Przewalski-Pferde wacht. Auch sie bleiben vor den Kriegsgräueln nicht verschont, aber bevor die Deutschen auch noch das letzte verbliebene Zuchtpaar der Wildpferde ausrotten kann, macht sich Kalinka mit den beiden auf und flieht Richtung Front.


    Meine Meinung:


    Das Buch lässt mich sehr zwiespältig zurück. Es hat mir ein paar schöne, spannende Lesestunden beschert, andererseits hat sich manches sehr seltsam angefühlt. Es ist ein Jugendbuch, das musste ich mir immer wieder vor Augen führen, um nicht mit der falschen Erwartungshaltung heran zu gehen.


    Es ist dem Autor ganz gut gelungen, die Kriegssituation reel darzustellen, ohne dabei allzu viele Gewaltsszenen einzubauen. Das ist absolut jugendkonform, für mich hat es sich aber streckenweise seltsam verharmlosend angefühlt. Am ehesten konnte mich dieser Punkt am Ende überzeugen, als ein Bombardement geschildert wird - da kamen die Schrecken des Krieges in einer zerstörten ukrainischen Stadt am ehesten herüber.


    Mit den Figuren hatte ich auch ein paar Problemchen; Kalinka war mir sehr sympathisch, in manchen Situationen aber schon wieder zu abgebrüht und clever. Für Jugendliche mag das aber ok sein, mitfiebern kann man mit diesem Mädchen auf alle Fälle und ihre Zivilcourage als Vorbild nehmen. Ansonsten war ich zufrieden mit der Darstellung der Erwachsenen, die erfreulicherweise nicht eindimensional gut oder böse gezeichnet sind, sondern in ihrer Auseinandersetzung mit dem Krieg und seinen Folgen ambivalent erscheinen.


    Was mich sehr enttäuscht hat, sind die Pferdeszenen, und davon fast alle. Die Przewalski-Pferde mögen zwar intelligente Tierchen sein, aber was der Autor ihnen da auf die Fahnen schreibt, ist einfach Quatsch. Sie werden vermenschlicht, indem ihre Gedanken wiedergegeben werden, sie denken logisch und verhalten sich keinesfalls wie Wildtiere in Gefahr. Mit denen kann man vom Fleck weg reiten und lassen sich anspannen, sie steigen freiwillig in Züge und bewältigen Treppen - das geht für mich gar nicht, auch und gerade nicht in einem Jugendbuch. Damit kann ich den Roman eigentlich nicht mehr für voll nehmen. Interessanterweise ist auch noch ein Hund mit im Spiel, und den hat der Autor eigentlich recht gut getroffen. Seine Verhaltensweisen kann ich jederzeit abnicken, offenbar hat der Autor also doch ein gutes Gespür für Tierszenen. Umso enttäuschender, dass dies mit den Pferden nicht klappt.


    Was soll ich nun für ein Fazit ziehen? Die Geschichte von Kalinka und ihrer Flucht mit den Wildpferden hatte durchaus ihren Reiz und auch der Schreibstil mit seinen schönen Sprachbildern hat mir ganz gut gefallen, ebenso die winterliche Atmosphäre; aber das Buch hat für mich durch die oben genannten Kritikpunkte an Glanz verloren. Wer an diesen Punkten mal Fünfe gerade sein lassen kann, der kann es sicherlich damit versuchen, wer aber Wert insbesondere auf authentische Tierszenen legt, der wird bestimmt enttäuscht sein.


    6 von 10 Eulenpunkten

  • Kalinka ist die einzige Überlebende ihrer jüdischen Familie. Alle anderen wurden von deutschen SS-Mitgliedern, die in der Ukraine stationiert sind, um dort ihre Pflichten zu erfüllen, getötet. Um ihnen zu entkommen flieht Kalinka und findet Unterschlupf im ukrainischen Naturreservat Askania-Nowa, das für den Erhalt seltener, regionaler Wildtierrassen gegründet wurde.


    „Das menschliche Herz ist ein seltsames Ding, doch das gilt auch für Pferde und ganz besonders für Wildpferde.“


    Dort leben neben Wildtieren, wie eine kleine Herde der ganz seltenen Urzeitpferderasse Przewalski, auch der Tierwärter Max und sein Windhund Taras. Seit eine Gruppe deutscher SS-Soldaten in Askania-Nowa eingezogen ist, muss er ihnen behilflich sein, sich dort zurecht zu finden. Eine Aufgabe, die er gegen seinen Willen erledigt, ihn aber davor bewahrt ebenfalls erschossen zu werden. Denn das passiert mit den Przewalskis, die nicht dem entsprechen, was der deutsche Hauptmann Grenzmann unter einem hübschen, sportlichen Pferd versteht. Ein Hengst und eine Stute können der Gewalttat entkommen, werden gerettet von Kalinka und gehen eine ganz besondere Freundschaft mit ihr ein.


    „ '[…] Das SS-Hauptquartier trifft die Entscheidungen in allen Rassenangelegenheiten. Und im Falle der Przewalski-Pferde hat Berlin mir befohlen, die Arbeit zu vollenden, die die Natur bereits begonnen hat, Max. Nämlich eine biologisch ungeeignete Rasse aus der Tierpopulation des Großdeutschen Reiches zu entfernen, um die Linie von vernünftig domestizierten Pferden wie Molnija davor zu schützen, von euren herumstreunenden Höhlenponys verunreinigt zu werden.[…]' “


    „Winterpferde“ ist ein sehr beeindruckendes, emotionales Buch, das mich sehr bewegt hat. Angesprochen vom ausdrucksstarken Cover konnte Philipp Kerr, der mir bisher nur durch seine Fantasyromane für Kinder bekannt war, mein Interesse für diese sehr besondere Geschichte, die von einer historischen Gräueltat berichtet, wecken. Meine Angst, dass der Roman zu bedrückend und düster ist und große Traurigkeit bei mir auslösen würde, war größtenteils unbegründet. Man kann die Auge nicht davor verschließen, dass in den 1940ern ganz, ganz schreckliche Dinge passiert sind, die auch von Philipp Kerr nicht verherrlicht werden, aber die Hoffnung, die Kalinka in sich trägt, der Mut gegen Tod und Ungerechtigkeit anzukämpfen, dominieren und sorgen dafür, dass die Tränen der Trauer, denen der Erleichterung und Rührung weichen.


    „ 'Ich glaube, man hat immer eine Wahl. Das ist das, was uns zu Menschen macht. Jeder, der behauptet, er hätte keine Wahl, könnte genauso gut sagen, dass er nicht besser ist als Molnija, der sein Gebiss zwischen den Zähnen trägt und einen Sattel auf dem Rücken.' “


    Philipp Kerr benutzt einen eher ruhigen Erzählton, setzt den Schwerpunkt auf fein herausgearbeitete Charaktereigenschaften, mit deren Hilfe eine sehr bildliche Darstellung von Historie, Handlung und Landschaft entsteht. Besonders die deutschen Soldaten stellen sich durch ihre Aussagen, die kontrovers und verblendet sind, auch ohne ihre Taten, in ein schlechtes Licht. Möchten besonders schlau und herrschaftlich erscheinen, wirken aber dümmlich und lösen beim Leser Wut und Missfallen aus.

    „ 'Aber diese Leute hier sind noch schlimmer. Das macht der Krieg aus den Menschen: Er verwandelt sie ihn böse Monster.' “


    Das Mädchen Kalinka begibt sich auf eine mutige Reise, die nicht komplett der Realität entspricht und einige eher märchenhafte Passagen erhält, aber so dicht an der Historie des Zweiten Weltkriegs angelehnt ist, dass sie sicher so ähnlich tatsächlich passiert sein könnte. Dass die Rasse der Przewalskis fast ausgestorben wäre und auf nur neun Stammpferde zurückgeht, ist nicht Kerrs Feder entsprungen, sondern entspricht Tatsachen. Mir gefällt wie der Autor auf die irrsinnigen Gräueltaten des Kriegs hinweist, diese einbettet in die bewegende Geschichte eines Mädchens und zweier Pferde, die ein ähnliches Schicksal und eine besondere Freundschaft teilen, und so einen sehr lesenswerten Roman entwickelt, der für mich einer der Lesehiglights der Herbst- / Winterprogramme ist.