Edward Lewis Wallant: Der Pfandleiher

  • Edward Lewis Wallant: Der Pfandleiher
    Berlin Verlag 2015. 352 Seiten
    ISBN-13: 978-3827011831. 22€
    Originaltitel: The Pawnbroker (engl. 1961 und 1989)
    Übersetzerin: Barbara Schaden


    Verlagstext
    Sol Nazerman ist der Pfandleiher von Spanish Harlem. Sein Laden ist ein Umschlagplatz für verlorene Träume und verpfuschte Leben. Abends fährt er zurück nach Mount Vernon, wo er zusammen mit seiner Schwester, ihrem Mann und ihren Kindern lebt, die er mit den Erträgen seines Geschäfts unterstützt. Sol ist dem Holocaust entkommen – anders als seine Frau und Kinder. Er musste miterleben, wie sie im Konzentrationslager ermordet wurden. Emotional abgestumpft beobachtet er die Verzweiflung, die ihn umgibt, und führt seine Pfandleihe mit der Härte und Verschlossenheit eines Gangsters. Erst ein dramatischer Einbruch in die Gleichförmigkeit seiner Tage löst seine Erstarrung und lässt ihn vielleicht einen ersten Schritt zurück ins Leben machen. Edward Lewis Wallants wichtigstes Buch ist eines der bewegendsten Werke der modernen Literatur.


    Der Autor
    Edward Lewis Wallant wurde 1926 in New Haven, Connecticut, geboren. Nach dem Kriegsdienst studierte er in New York Gestaltung und arbeitete in der Werbung. Mit „The Human Season“ (1960) und „Der Pfandleiher“ (1961) zählte er rasch zu den bedeutendsten Autoren seiner Generation - neben Philip Roth, Norman Mailer und Saul Bellow. Noch vor Veröffentlichung seines dritten Romans „Mr Moonbloom“ verstarb er überraschend, mit nur 36 Jahren, an einem Gehirnschlag.


    Inhalt
    Neuauflagen und Neuübersetzungen von Klassikern erobern gerade den Buchmarkt (Von Stoner, über Zwei Schwestern bis zu Was sie begehren). Wallants Klassiker von 1961 wurde nun zum ersten Mal ins Deutsche übersetzt.


    Sol Nazerman trägt seine Häftlingsnummer aus einem deutschen KZ sichtbar auf den Unterarm tätowiert. In Spanisch Harlem, wo er ein bescheidenes Pfandhaus betreibt, kann man nicht von jedem Kunden erwarten, dass er die Bedeutung dieser Ziffern kennt. Vielleicht ist das für Sol auch besser so. Seine Erlebnisse und der Verlust seiner Frau und seiner Kinder sind unaussprechbar, seine Alpträume vermutlich nur ein schwaches Abbild des Erlebten. Als Opfer medizinischer Versuche an Häftlingen wirkt der Mann so, als hätte man ihm die Knochen gebrochen und in falscher Reihenfolge wieder zusammengesetzt. Sol hat sich arrangiert mit Murillio, einem Mafioso, der das Pfandhaus als Scheinfirma zur Geldwäsche nutzt. Murillio gehören vermutlich alle Läden und Bordelle der Straße. Sols Kunden sind kleine Diebe, Schnorrer und Prostituierte, die bei ihren Freiern kleine Wertgegenstände mitgehen lassen und für ein oder zwei Dollar verpfänden. Sol verdient gut und finanziert auch den Lebensunterhalt seiner Schwester und deren Familie.


    Innerlich ist der Mann längst gestorben, möchte am liebsten in Ruhe gelassen werden mit den Schicksalen seiner Kunden und von den Ansprüchen seiner Verwandtschaft. Doch so einfach ist das nicht; denn eine Reihe von Personen erwartet noch etwas von Sol. Eigenartige Vorfälle könnten einen auf die Idee bringen, dass jemand von Sol Schutzgeld erpressen will und dass Murillio Testkäufer losschickt, um Sols Treue ihm gegenüber auf die Probe zu stellen. Jesus Ortiz, Sols Angestellter, träumt von einem eigenen Geschäft mit seinem Namen über der Tür und benötigt dazu Sols ausgezeichnete Fachkenntnisse. Das Geschäftsgeheimnis jüdischer Händler ist Ortiz noch immer ein Buch mit sieben Siegeln. Eine Frau tauscht bei Sol Sex gegen Geld, um sich und ihren Vater durchzubringen – und zu Hause interessiert sich Sol dann doch ein winziges Stück für seinen zeichnenden Neffen. In dieser zutiefst deprimierenden Situation taucht, rundlich und frisch wie ein gemangeltes Kleidungsstück, eine Miss Birchfield bei Sol auf. Sie will zunächst Unterstützung für ihr Jugendzentrum und entwickelt bald ein Interesse an Sol, das für den gebrochenen Mann nur wie eine weitere Last wirkt.


    Sols Schicksal legt sich wie eine staubige, erstickende Decke über den Leser, unter der dennoch atmosphärisch großartige Beschreibungen und stilistische Perlen hervorragen. Ein verblüffendes Ende kann schließlich die deprimierende Atmosphäre abschütteln. Stilistisch ist es eines der besten Bücher, das ich in diesem Jahr gelesen habe. Über 50 Jahre Warten auf die Übersetzung haben sich hier gelohnt.


    Zitat
    Obwohl die Lampen brannten, war es schummrig im Laden. Draußen tauchte die Abendsonne die Straße in ein Goldbad, in dem sich die Passanten wie dunkle Schwimmer bewegten, ohne Hast und Zielstrebigkeit. Gemeinsam mit seinem Gehilfen atmete er den Staub der durch eine Vielzahl von Händen gegangene Waren ein, die vorstellbaren Gerüche nach Schweiß und Stolz und Tränen; es war eine unbestimmte und doch übermächtige Atmosphäre, und sie bescherte ihnen eine Intimität, die sich keiner von beiden wünschte.


    „Dieser ganze Krempel“, sagte Ortiz sinnierend. „Und doch ist es ein Geschäft. Solide Sache, oh, wirklich solide Sache – ein eigenes Geschäft. Mit Akten und Büchern und Papieren, alles schwarz auf weiß fixiert. Euereins macht es richtig, wie ihr das immer hinkriegt, egal, was ist.“ (Seite 38/39)


    10 von 10 Punkten