'Runa' - Seiten 001 - 081


  • Achso okay, weil vor 20 Jahren oder tatsächlich heute ist ja in der Geschichte der Psychiatrie ein enormer Unterschied. Es hat sich selbst in 20 Jahren noch wahnsinnig viel getan, sodass man erst seit kurzem wirklich von menschenwürdiger Behandlung psychisch Kranker sprechen kann. Ich arbeite mit einem etwas älteren Kollegen zusammen, der mit seinen 59 Jahren noch die Situation von Wachsälen in Psychiatrien kannte. Und nicht zu vergessen die irreversiblen Spätschäden von Schizophrenen, als ab 1952 Psychopharmaka angewandt wurden. In der Psychiatrie, in der ich arbeite, sind noch heute viele Patienten im Wohnbereich, die Spätfolgen durch massiv überdosierte Psychopharmaka haben. Heute würde man sagen: Soetwas darf nicht passieren. Ist es aber. Glücklicherweise gab es dann ja Reformen zu der Versorgung und den Missständen.

  • Zitat

    Original von Belle Affaire
    Ich bin total fasziniert von dem Buch, nachdem ich eigentlich auch nur den Klappentext interessant fand aber nicht wirklich wusste, was mich erwarten würde!


    Wusste auch nicht, dass vieles auf wahren Begebenheiten beruht!


    Vera Buck hat eine tolle Sprache und ich bin total überrascht, dass dieses Buch ein Debüt ist - noch dazu von einer so jungen Frau!



    Genau so geht es mir auch. Ich lese, und kann einfach nicht aufhören, weil ich alles sounwahrscheinlich interessant finde, ich lese auch langsam, weil ich Angst habe irgendwas zu verpassen oder zu überlesen. Der Klappentext hat ja schon einiges versprochen, wird der Geschichte aber nicht wirklich gerecht.
    Ich selber habe kaum Ahnung vom medizinischen Teil dieser Sache, weiß aber als PTA natürlich welche Tabletten man heutzutage gegen welche Art der "Hysterie" schluckt. Die Anfänge dieser ganzen Sache interessieren mich sehr. Natürlich wird einem manchmal - vor allem als Frau - schlecht wenn man liest wie das von statten ging, aber andererseits denke ich das damals die Grundlagen geschaffen wurden, für viele medizinische Errungenschaften. Eben weil man damals weniger Skrupel hatte. Gut muss man das nicht finden, aber interessant ist es in jedem Fall.


    An American Horror Story "Freak Show" musste ich auch gleich denken. Ich kenne zwar nur ein paar Folgen daraus, aber die Beklemmung fühlt sich ganz ähnlich an, das stimmt.


    Generell finde ich die Atmosphäre die die Autorin geschaffen hat wirklich unglaublich gut, ich hatte ja fast das Gefühl mit Lecoq auf das zu kleine Glas zu starren, und auch Jori und Paul empfinde ich als großartige Charaktere, ich bin wirklich sehr gespannt wie das weiter geht...

  • Mir gefällt der Roman bisher wirklich gut, das Thema ist zwar ziemlich schockierend- und leider den Tatsachen entsprechend, aber die Autorin erzählt mit sehr viel, wenngleich speziellen, Humor (Mülleimer zu benutzen, ist verdächtig, wer den Müll daneben wirft, hat nichts zu verbergen ...), das gefällt mir ausgesprochen gut. Für einen Debütroman bisher erste Sahne.


    Beim Zitat, das den 1. Teil eingeleitet hat, musste ich heftig schlucken, Tiere sind zu teuer, experimentieren wir doch lieber mit Findelkindern. Puh ... Den Eid des Hippokrates gibt es doch schon lange, gilt aber offenbar nicht für alle? Auch, dass Chacot seine "Vorlesungen" wie eine Show aufbaut, Kranke regelrecht zur Schau stellt (und dann noch auf diese Art und vor allem möglichen Publikum) und ihre Anfälle absichtlich provoziert - leider aber so gewesen. "Onanistische Psychose", Klitoridektomie, Ovarienpresse (da bekäme ich wohl auch hysterische Spasmen ...), allein die Vorstellung ...


    Besonders interessant finde ich Lecoq, der früher bei der Surété beschäftigt war und die Menschen anhand ihrer Physiognomie beurteilt (was ja eine mögliche Theorie ist, um Menschen einzuschätzen - auch das gefällt mir gut, es gibt eine Menge Background).


    Da mein Sohn das Tourette-Syndrom hat, ist mir Gilles de la Tourette natürlich ein Begriff, allerdings nicht in diesem Zusammenhang, da hätte ich ihn lieber nicht gesehen.


    Jori, Paul und Pauline ... Mal sehen, was sich da noch ergibt. Im Moment tut mir Pauline sehr leid.


    "Frische Nachtluft schwappte mit einer Dringlichkeit in den Raum, als wüsste sie, dass sie später keine Gelegenheit mehr dazu haben würde" (S. 82), toller Satz, brachte mich zum Schmunzeln.

  • Zitat

    Original von Nightflower
    Lunette scheint ja eindeutig am Tourette Sydrom zu leiden mit ihren ausfälligen Worten, die Arme.


    Wobei die Koprolalie bei den Betroffenen eher selten vorkommt. Mir kommt es bei der Beschreibung hier eigentlich nicht unbedingt wie Tourette vor, obwohl ich auch daran gedacht habe.

  • Ich bin eigentlich recht begeistert von dem Buch. Die Passagen mit den widerlichen Versuchen und Darstellungen kann ich einfach so hinnehmen. Damals war die Welt hält wesentlich härter und ursprünglicher. Ich denke schon, dass das eigentliche Interesse dort im Hörsaal der Wissenschaft gilt. Nach heutigen Maßstäben ist das natürlich alles ziemlich abartig.

  • Also die Sprache finde ich auch ganz toll, es werden interessante Vergleiche und sehr beeindruckende Bildsprache verwendet (nicht immer "schön", aber eindrucksvoll). Bei der Sache mit den Mülleimern und der Mülltrennung musste ich auch grinsen. :grin

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Zitat

    Original von Belle Affaire
    Hab gerade das Interview der Autorin gelesen - Christoph Waltz als Lecoq? :gruebel Ich stell mir den irgendwie moppeliger vor, Christoph Waltz ist doch schlank?


    Hm, ne, das wäre jetzt auch nicht der Erste, der mir dazu einfällt. Vielleicht eher so der Typ Armin Rohde oder so. :lache (zumindest bisher)

    „Furcht führt zu Wut, Wut führt zu Hass. Hass führt zu unsäglichem Leid.“

    - Meister Yoda

  • Zitat

    Original von Paradise Lost


    Hm, ne, das wäre jetzt auch nicht der Erste, der mir dazu einfällt. Vielleicht eher so der Typ Armin Rohde oder so. :lache (zumindest bisher)


    Auch interessant ;) Da habe ich jetzt mittlerweile alle möglichen Gegenvorschläge gehört. Für mich passt Waltz nach wie vor, z.B. so, wie er in Django auftritt, aber da hat natürlich jeder sein eigenes Kino beim Lesen. Finde ich super!

  • Hey, hallo.. *in die Runde winke*
    Meine Freundin liest mir dieses Buch vor - wir haben im Urlaub eine Leseprobe davon bekommen und waren total begeistert!


    Nun wollte ich mal anfragen, ob ich denn noch in diese LR "quereinsteigen" darf, auch, wenn ich quasi eher höre als lese und vermutlich (wieder mal) das Tempo nicht halten kann :rolleyes??


    Würde mich freuen.....


    Ich finde den Einstieg.... gruselig, grausam, zeitweise komisch, spannend und packend geschrieben.
    Gab ziemlich schnell kein entkommen mehr für mich, auch wenn ich mir an manchen Stellen am liebsten die Ohren zugehalten hätte und froh darüber war, dass ich ein Kuscheltier im Arm hatte....


    Man kann -das ist zumindest meine Meinung- diese Buch nicht "einfach so" weglesen, dazu ist das Thema zu schwer. Aber Frau Buck hat es prima hin bekommen, immer mal wieder, nach schweren Passagen Kapitel mit einer gewissen Leichtigkeit reinzubringen, in denen man schmunzeln oder auch mal herzhaft lachen kann.
    Für mich gehören da unter anderem auch die Geschichten rund um Lecoq zu (zumindest noch.)...
    Klar, man kann auch hier einen Bogen schlagen in die Nazizeit, da hast Du sicher Recht, Susannah , aber ich denke, dieses ist hier nicht beabsichtigt gewesen und sollte möglicherweise tatsächlich zur "Auflockerung" der harten Materie dienen ;-)


    Da wir jetzt schon ein wenig über den ersten Abschnitt hinaus sind und ich auch erst einmal warten möchte, ob ich hier überhaupt -unangemeldet- erlaubt bin, hier zunächst nicht mehr dazu von mir :-)


    Happy Halloween Euch allen :kreuz :rofl

    "I have lived a thousand lives and I've loved a thousand loves. I've walked on distant worlds and seen the end of time."


    image.gif

  • Zitat

    Original von xexos
    Ich bin eigentlich recht begeistert von dem Buch. Die Passagen mit den widerlichen Versuchen und Darstellungen kann ich einfach so hinnehmen. Damals war die Welt hält wesentlich härter und ursprünglicher. Ich denke schon, dass das eigentliche Interesse dort im Hörsaal der Wissenschaft gilt. Nach heutigen Maßstäben ist das natürlich alles ziemlich abartig.


    Also dieses Gefühl hatte ich ja gar nicht. Die jungen Männer kamen sicherlich nicht nur wegen der Wissenschaft so zahlreich zu den Vorlesungen. Mir scheint, sie hofften schon, neben den trockenen Fakten auch ein bisschen Haut zu sehen. Und die Erklärungen von Lecoq sind durchaus auch absichtlich manchmal etwas anstößig. Was natürlich auch an der Sache selbst liegt, denn Onaniegürtel und Druck auf Eierstöcke usw. da wird auch die "schmutzige" Phantasie angeregt und nicht nur das wissenschaftliche Interesse. Sind ja schließlich alles testosterongesteuerte Männer in der Vorlesung. :-(


    Ich fand die Vorlesung den blanken Horror. So ganz genau wusste ich ja vorher nicht, worauf ich mich bei diesem Buch einlasse.


    Der Schreibstil ist anspruchsvoll, gefällt mir gut. Das Thema ist sehr speziell und sehr interessant.
    Aber dass es damals SO ablief ist für mich in dieser Dimension schon schockierend.
    Und spätestens bei der Erklärung, dass Pauline die Klitoris entfernt werden soll wurde mir klar, das wird kein lustiger Lesespaß.


    Ich bin bloß froh, dass ich erst mein anderes Buch beendet habe, um mich diesem jetzt etwas verspätet endlich voll und ganz widmen zu können.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Zitat

    Original von Booklooker
    Christoph Waltz würde super passen, finde ich. Ein ähnliches Bild habe ich auch vor Augen.


    :write Vom Typ her würde Walz sicherlich passen. Dass er nicht klein und dick ist, finde ich unwichtig. Bei mir ist immer wichtiger, dass der Schauspieler das Wesen der Buchfigur rüberbringt und das könnte Walz sicherlich. (Figurmäßig UND charaktermäßig hätte Philip Seymour Hoffmann auch gut gepasst, finde ich).

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Zitat

    Original von PMelittaM


    Wobei die Koprolalie bei den Betroffenen eher selten vorkommt. Mir kommt es bei der Beschreibung hier eigentlich nicht unbedingt wie Tourette vor, obwohl ich auch daran gedacht habe.


    Tourette ist durchaus nicht nur auf das Sprachzentrum beschränkt, sondern führt auch zu heftigen Bewegungsstörungen und spastischen Zuckungen der Gliedmaßen. Ich denke schon, dass es dieses Syndrom ist, an dem sie leidet.

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)

  • Zitat

    Original von hollyhollunder


    Wobei die Koprolalie bei den Betroffenen eher selten vorkommt. Mir kommt es bei der Beschreibung hier eigentlich nicht unbedingt wie Tourette vor, obwohl ich auch daran gedacht habe.


    Tourette ist durchaus nicht nur auf das Sprachzentrum beschränkt, sondern führt auch zu heftigen Bewegungsstörungen und spastischen Zuckungen der Gliedmaßen. Ich denke schon, dass es dieses Syndrom ist, an dem sie leidet. Wobei ich mich frage, ob dieses widerliche Maschine die Symptome nicht verändert oder verstärkt. :gruebel

    Hollundergrüße :wave



    :lesend


    Ninni Schulman - Den Tod belauscht man nicht

    Hanna Caspian - Im Takt der Freiheit


    (Die Freiheit des Menschen liegt nicht darin,

    daß er tun kann, was er will,

    sondern daß er nicht tun muß,

    was er nicht will - Jean Rousseau)