Zum Buch
Das Land Dorimare hat die Magie und die Phantasie ausgestoßen, als der bucklige Wüstling Herzog Aubrey und sein Hofstaat zweihundert Jahre vor Beginn der Geschichte verstoßen wurden. Allerdings wird Herzog Aubrey vom einfachen Volk immer noch hochverehrt und noch immer werden Feenfrüchte aus dem Feenland über die Grenze geschmuggelt. Wer sie isst, hat merkwürdige Visionen, und sie können Menschen in den Wahnsinn treiben – und darüber hinaus. Die Früchte sind so gesetzeswidrig, dass sie nicht einmal beim Namen genannt werden dürfen: Früchteschmuggler werden stattdessen für Seidenschmuggel bestraft, als würde die Änderung des Namens auch etwas an der Sache selbst ändern.
Der Bürgermeister von Lud-in-den-Nebeln, Nathan Hahnenkamm, ist weit weniger phantasielos, als er andere glauben lassen möchte. Er führt – oder würde das zumindest gerne glauben – ein vernünftiges Leben, wie alle anderen auch, insbesondere wie die Toten, die er bewundert. Seine Welt ist jedoch oberflächlich, wie er bald erfahren wird. Seinem Sohn wurden Feenfrüchte verabreicht, ohne dass Hahnenkamm dies wusste. Allmählich bemächtigt sich die Feenwelt – die auch die Welt der Toten ist – seiner Stadt. Ein Kobold namens Ferdie Fetz lässt die reizenden jungen Damen von Fräulein Holzapfels Höherer Töchterschule über die Berge ins Feenland verschwinden, Hahnenkamm stößt zufällig auf Früchteschmuggler, Herzog Aubrey wird gesichtet und lang zurückliegende Bluttaten haben Folgen. Schließlich muss Hahnenkamm die Elfenmarken überqueren, um seinen Sohn zu retten.
Das Buch beginnt als Reisebericht oder als historischer Roman, wird zu einer Pastorale, einem Schwank, einer Gesellschaftskomödie, einer Geistergeschichte und dann zu einer Detektivgeschichte. Die Sprache ist elegant, geschmeidig, wirkungsvoll und eindringlich – die Autorin fordert eine Menge von ihren Lesern, belohnt die Mühen allerdings um ein Vielfaches. (Neil Gaiman im Vorwort)
Zur Autorin
Hope Mirrlees (1887-1978.) besuchte als eine der ersten Frauen Großbritanniens die Universität und galt als glanzvolle Erscheinung der englischen Literaturszene. Sie gehörte zum Bloomsbury-Kreis um Virginia Woolf und beeinflusste T.S. Elliot nachhaltig. Sie kannte alle großen Geister ihrer Zeit und huschte durch die Lebensgeschichten und manchmal auch Biographien von Gertrude Stein, Bertram Russell, André Gide, Lady Ottoline Morrell, Anthony Powell, Walter de la Mare, Arthur Waley, Kathrine Mansfield und William Butler Yeats. Ihr einziger Fantasy-Roman „Flucht ins Feenland” (“Lud-in-the-Mist“) erschienen 1926, gilt seit seiner Wiederentdeckung in den siebziger Jahren als Kultbuch des Genres.
Meine Meinung
Ein seltsames Buch. Der Titel und auch der Klappentext sind übrigens etwas irreführend. Auch wenn Bürgermeister Hahnenkamm ins Feenland geht, um seinen Sohn zu retten, spielt die Geschichte nahezu ausschliesslich in Dorimare.
Während ich das Buch gelesen habe, hatte ich das Gefühl, dass mir (und gleichzeitig anderen) die Geschichte eigentlich wie eine Art Gute-Nacht-Geschichte erzählt wird. Die Autorin spricht die „Zuhörer“ manchmal direkt an: „Ihr habt Euch vielleicht gefragt, wie es dazu kam, dass…“ oder „Wie wir schon wissen,…“. Allerdings für eine Gute-Nacht-Geschichte ist sie verdammt böse, auch wenn sie die meiste Zeit ganz lieb vor sich hinplätschert.
Die Sprache ist sehr blumig und die Autorin verwendet viele Bilder, die sich mir nicht immer erschlossen haben. Für Tom wäre es glaube ich nichts – zu viele Adjektive. Ich gebe mal ein Beispiel:
Von Zeit zu Zeit flatterte ein winziger Schmetterling vorbei, gleich einem kleinen gelben Blatt, das von einer der Birken abgeschüttelt worden war. Und hin und wieder warf eine der blutenden, verwachsenden Korkeichen mit einem leisen Plop eine Eichel ab – nur um uns daran zu erinnern, dass sie ein unabhängiges, gelassenes Pflanzenleben führte und sich der Qualen nicht bewusst war, die ihr von der fiebrigen Phantasie der Menschen zugeschrieben wurden.
Neil Gaiman sagt im Vorwort, Dorimare sei von Grund auf englisch, aber mit flämischen und niederländischen Einflüssen. Ich hab mich ja eher ans Auenland erinnert gefühlt und auch die Bewohner haben mich von ihrer Lebensart an die Hobbits erinnert (nur dass das Buch fast 30 Jahre vor „Herr der Ringe” erschienen ist :grin). Das liegt wahrscheinlich auch an den Namen der Menschen und Orte. Ein bisschen hab ich bedauert, das Buch nicht auf Englisch gelesen zu haben, den „Ivy Peppercorn“ klingt in meinen Ohren irgendwie schöner als „Efeu Pfefferkorn“. Trotzdem denke ich, hat sich der Übersetzer viel Mühe mit der Übersetzung gegeben und das deutsche Cover fand ich einfach wunderschön.
Wie es sich für einen anständigen Klassiker gehört , hat das Buch noch ein umfangreiches (70 Seiten) Nachwort, in dem man viel über Hope Mirrlees, ihr Leben und die Leute, mit denen sie sich umgeben hat, erfährt.
Im Nachwort gibt es auch einen kurzen Deutungsversuch für „Flucht ins Feenland“, aber so richtig weiß ich immer noch nicht, was denn eigentlich nun die tiefere Bedeutung ist. Ich würde es ja für eine Art Gesellschaftskritik halten - dass Dinge, die in einer Gesellschaft aufgrund von unbegründeten Vorurteilen tabuisiert und totgeschwiegen werden irgendwo unter der Oberfläche weiterbrodeln und irgendwann ein Eigenleben entwickeln. Kann aber auch sein, dass ich völlig falsch liege. Die Feenfrüchte assoziiere ich irgendwie mit „von verbotenen Früchten naschen“.
Bei Amazon würde ich 4 von 5 Sternen geben.
lg Iris