Diana Sweeny: Am tiefen Grund
Verlag: Königskinder 2015. 272 Seiten
ISBN-13: 978-3551560100. 17,99€
Vom Verlag empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren
Originaltitel: The Minnow
Übersetzerin: Karen Nölle
Verlagstext
Ein Mädchen namens Tom; eine verheerende Flut, die sie ihrer gesamten Familie beraubt; ein Typ namens Bill, der sie im Stich gelassen hat. Ihre Nana, gütig und stark, die als Einzige ihr Geheimnis kennt. Ihr bester Freund Jonah und Annabel, die Meerjungfrau. Und ein ungeborenes Kind. Voller Sehnsucht nach dem Verlorenen spricht Tom mit Oskar, dem Karpfen, mit Papa, der als Toter eine ganze andere Perspektive auf das Leben hat. Und mit ihrem ungeborenen Kind. Eine traurige, ungewöhnliche und traumverlorene Geschichte von herzzerreißender Schönheit – so fließend und lebendig wie das Wasser.
Die Autorin
Diana Sweeney, in Auckland, Neuseeland, geboren, zog mit zwölf Jahren nach Sydney. Sie lebt auch heute noch in Australien und ist Hochschuldozentin und Model. "Am tiefen Grund" ist ihr erstes Buch.
Inhalt
Ein Buchcover in Lackoptik, darunter ein farbenfroh mit Meeresbewohnern illustrierter Pappeinband verbergen die verstörende Geschichte des Mädchens Tom.
Tom lebt in Neuseeland und hat bei einer Flutkatastrophe Mutter und Schwester verloren, ihr Vater war bereits vorher ertrunken. Tom ist nicht die Einzige, der die Flut den Boden unter den Füßen weggezogen hat. Eine Lehrerin ist bei dem Unglück ums Leben gekommen, eine andere hat ihre Kinder verloren. Die 16-Jährige heißt in Wirklichkeit Holly Thomas und der Spitzname Tom (wie tomcat) passt perfekt zu ihr. Nach der Flut konnte Tom im Bootsschuppen von Billy unterschlüpfen, von dem sie nun ein Kind erwartet. Am liebsten würde Tom bei Jonah leben, der ebenfalls seine Eltern durch die Flut verloren hat, doch Jonah hat andere Pläne, die er noch nicht auf den Tisch packen kann. Für die Überlebenden scheint es keine Therapien zu geben, um die Katastrophe zu verarbeiten, sie müssen selbst füreinander sorgen.
Besondere Zeiten erfordern ungewöhnliches Handeln. Mit berührender Selbstverständlichkeit wird Tom von verschiedenen Menschen gestützt. Angefangen mit Jonah, der wie sie noch zur Schule geht, über Nan, ihre Oma im Altersheim, Jonathan, den Großvater von Jonah, bis zu all jenen, die Tom als schwangere Jugendliche umsorgen und betreuen. Ein besonderer Helfer ist der Lehrer James Wo, der Tom nach über einem Jahr Abwesenheit wieder an die Schule gewöhnen möchte. Wenn Tom noch nicht wieder zur Schule gehen kann, wird er ihr eben den Unterrichtsstoff nachhause zu Jonah bringen. Zum Hilfsmittel bei seinem Projekt wird ein Synonymwörterbuch. Am Beispiel der Schule wird deutlich, dass Spenden und Wiederaufbau die Wunden der Überlebenden nicht heilen können. Im Gegenteil, das neue Wandbild, das James Wo im Laubengang der neu gebauten Schule gemalt hat, erinnert Tom nur daran, wie sehr sie ihre alte Schule und ihre Kameraden vermisst.
Die Frage, ob Bill ihre Hilfsbedürftigkeit ausgenutzt und sie missbraucht hat, muss zunächst zurückstehen. Für Tom verschwimmen Gegenwart und Vergangenheit miteinander und ihre Toten erscheinen, um sich mit ihr zu unterhalten. Papa, Oma Nans verstorbener Mann, taucht ebenso auf wie Toms Vater. In verwirrenden Zeitsprüngen erlebt Tom in Flashbacks Szenen aus ihrer Kindheit gemeinsam mit dem Vater, der zu dieser Zeit vielleicht längst nicht mehr lebte. Auch die Zeitform gibt keine Orientierung; denn aus der Vergangenheit wird in wechselnden Zeitformen berichtet. Diese Übergangsphase schützt die Überlebende Tom zurzeit noch davor, sich mit der Endgültigkeit des Todes abfinden zu müssen. Ein wichtiger Gesprächspartner für Tom ist das Ungeborene, das Fischlein. In verwirrenden äußeren Umständen und innerlicher Verwirrung vermittelt Tom Lesern des Romans Einblick in die komplizierte Psyche traumatisierter Überlebender. Tom kann nur in kleinen Schritten Pläne für die Zukunft machen, weil sie noch immer nicht glauben kann, dass sie selbst überlebt hat. Für ihr Fischlein muss sie nun jedoch Pläne machen.
Fazit
Verstörende Ereignisse verbergen sich hier hinter brüchiger Realität und poetischer Darstellung. Durch die Überlappung von Gegenwart und Vergangenheit, Traum und Wirklichkeit ist das Buch für die jugendliche Zielgruppe sicher eine Herausforderung. Dennoch ermöglicht die Figur der überlebenden „Tom“, sich in eine Situation einzufühlen, in der sie noch nicht bereit ist, wieder normal, sauber und dankbar zu sein, wie Nichtbetroffene es vielleicht von ihr erwarten würden. Den Zeitpunkt, an dem Normalität für sie beginnt, wird Tom selbst bestimmen.
9 von 10 Punkten