Dorothy Baker: Zwei Schwestern

  • Dorothy Baker: Zwei Schwestern
    dtv 2005. 280 Seiten ISBN-13: 978-3423280594. 19,90€
    Originaltitel: Cassandra at the wedding (engl. 1962)
    Übersetzerin: Kathrin Razum

    (andere Ausgabe: Kassandra auf der Hochzeit 1965, übersetzt von Günther Huster, Krüger Verlag)


    Verlagstext
    Als Cassandra Edwards sich zur Hochzeit ihrer Zwillingsschwester Judith aufmacht, hat sie vor allem eines im Sinn: die Vermählung zu verhindern. Was will ihre hochmusikalische Schwester mit irgendeinem durchschnittlichen, jungen Arzt – wie hieß er noch? Seinen Namen kann sie sich nicht merken. Kompromisse und Mittelmaß sind ihr ein Gräuel, und radikal sich selbst treu zu bleiben, das ist in ihrer Familie oberstes Familiengebot. – Wird Cassandra auf der Suche nach sich selbst in ihrer symbiotischen Beziehung zu Judith gefangen bleiben? Wird Judith die Reise ins Unbekannte antreten und sich aus der beklemmenden schwesterlichen Zweisamkeit befreien können? Beiden steht eine existentielle und, wie sich zeigen wird, extrem bedrohliche Herausforderung bevor. – Ein hochintelligenter, witziger, vielschichtiger und scharfzüngiger Roman über Bindung, die Spielarten von Erotik und unsere Suche nach der großen, erfüllenden Liebe, jener Seelenverwandtschaft, die von unserer Einsamkeit eine Brücke zum Anderen schlägt.


    Die Autorin
    Dorothy Baker (1907 – 1968) stammte aus Montana. Sie studierte in Los Angeles Französische Sprache und erhielt u.a. ein Guggenheim Fellowship. Sie war verheiratet mit dem Dichter Howard Baker, mit dem sie in den Vierzigerjahren auch ein Theaterstück schrieb – von der Zensur bald kassiert. Baker verfasste mehrere Short Storys und Romane. Der Film „Young Man with a Horn“ mit Kirk Douglas, Lauren Bacall und Doris Day geht auf einen ihrer Romane zurück. Dorothy Baker gehört zu den bedeutenden Wiederentdeckungen der NYRB Classics und wird nun endlich auch in Europa gewürdigt.


    Inhalt
    Cassandra Edwards ist unterwegs in ihr Elternhaus zur Hochzeit ihrer Zwillingsschwester. Die Art, in der sie in einem - teils pathetischen - Monolog von der Fahrt und ihrem Verhältnis zu ihrer Schwester berichtet, lässt befürchten, dass Cassandra dabei ist, sich unglücklich zu machen. Aus ihrer Symbiose des Zwillingsdaseins mit gemeinsamem Sport und geteilter Liebe zur Musik ist Judith ausgebrochen, indem sie zuerst allein nach New York ging - und sich dort in einen jungen Assistenzarzt verliebte. Judith wird mit ihrer Heirat das enge Band zwischen den Schwestern zerstören, das die Großmutter stets niedlich fand und gegen das die verstorbene Mutter der Mädchen entschieden zu steuern versuchte. Cassandra wollte ursprünglich ihrer verstorbenen Mutter nacheifern und Autorin werden, doch offenbar hat sie es bisher nur zu einem Lehrerstudium in Berkeley und einer unfertigen Examensarbeit gebracht. Die Schwestern treffen in ihrem ehemaligen Kinderzimmer aufeinander, das kaum verändert an ihre Zeit als Leistungsschwimmerinnen erinnert. Die Hochzeitsplanung auf der Ranch der Familie Edwards wirkt seltsam bruchstückhaft, so dass ich mich gefragt habe, wozu die geplante Rolle einer Brautjungfer eigentlich gebraucht wird. Während Großmutter Rowena unbeirrt ihre Vorstellung einer Hochzeit verfolgt, wirkt um sie herum das Verhältnis der Edwards zum künftigen Schwiegersohn sehr sonderbar. Der Vater, ein pensionierter Professor, und Cassandra sprechen so elitär wie desinteressiert von Jack Finch wie von einem Niemand, der noch nicht einmal die Mühe wert ist, sich seinen Namen zu merken. Innerhalb von nur drei Tagen gerät das äußerlich intakte Familienleben der Edwards gehörig aus dem Lot.


    Fazit
    Die Ereignisse werden zunächst nur aus Cassandras Perspektive berichtet. Später kommt auch Judith zu Wort, allerdings erheblich kürzer als ihre Schwester. Die Handlung entwickelt durch die Form des Monologs eine bedrückende Dynamik, die durch Dorothy Bakers peniblen Stil noch unterstützt wird. 'Zwei Schwestern' ist nicht der erste und einzige Roman über eine beklemmende Symbiose zwischen eineiigen Zwillingen; er beeindruckte mich nachhaltig durch den Einblick in Lebensentwürfe junger Frauen in den 60ern.


    Dorothy Bakers bereits 1962 im Original erschienener scharfzüngiger Roman über die Zwillingsschwestern Cassandra und Judith und ihren abgeschiedenen Familienkosmos wurde zunächst in den USA neu aufgelegt (bei New York Review Books Classics, wo auch John Williams' Stoner wiederaufgelegt wurde) und nun auch neu ins Deutsche übersetzt. In der Ausgabe des Krüger Verlags von 1965 wäre Kassandra auf der Hochzeit vermutlich als Frauenroman eingeordnet worden. 50 Jahre später kann die Konfrontation zweier Schwestern beinahe schon als Klassiker bezeichnet werden, der Einblick in Frauenschicksale zu Beginn der 60er gibt. Dorothy Bakers Buch neu zu entdecken, finde ich sehr lohnenswert.


    9 von 10 Punkten

  • In dem Roman „Zwei Schwestern“ von Dorothy Baker geht es um eine intensive Zwillingsbeziehung – eine Beziehung, die droht, einseitig zu werden, denn Judith, die Schwester von Cassandra, beschließt zu heiraten. Cassandra reist zur Hochzeit nach Hause auf die Farm ihrer Familie und tut alles, um Judith davon abzuhalten, ihr enges Band durch eine Heirat zu zerschneiden.


    Über weite Teile kommt Cassandra zu Wort und im gesamten Buch geht es fast nur um ihre Befindlichkeiten. Man erfährt nebenbei von der ungewöhnlich isolierten Familie, in der die Schwestern groß geworden sind. Es gab wenig Kontakte zur Außenwelt und man hat den Eindruck, dass die Eltern, die Großmutter, aber Judith und Cassandra kein Bedürfnis auf Verbindungen außerhalb der Familie hatten. Die Mädchen sind eng verbunden, doch es ist, wie in manch einer Liebesbeziehung; einer liebt mehr und erwartet mehr von dem anderen. Cassandra ist die Fordernde und lässt Judith in langen Monologen, spüren, dass sie diese Hochzeit nicht will. Sie macht klar, dass sie beide zusammengehören, dass sie eigentlich eine Person sind, so eng empfindet sie die Bindung zu Judith. Alles, was Judith sagt und tut, legt Cassandra in ihrem Interesse aus und als kein Mittel mehr hilft, die Schwester von der Hochzeit und der damit verbundenen Trennung der beiden abzubringen, greift Cassandra zu ihrem letzten Trumpf…


    Dorothy Bakers Roman erschien 1962 und die Handlung erinnert mich an einige Filme aus den 60er Jahren – überdrehte, verwöhnte Frau tritt auf und redet alles in Grund und Boden. Zwischendrin trinkt sie jede Menge Alkohol und schluckt auch ein paar Tabletten. Was im Film anstrengend ist, lässt sich auch hier teilweise anstrengend lesen. Cassandra beherrscht die Kunst der moralischen Erpressung perfekt und setzt sie permanent ein. Das machte sie mir als Leserin nicht unbedingt sympathisch.


    Dorothy Baker hat mit Cassandra einen schwierigen Charakter erschaffen, der sich fast verselbstständigt hat und so in den Mittelpunkt der Geschichte rückt, dass man versteht, warum sich die Schwester von ihr trennen muss, um als eigenständige Person zu überleben.

    Mein Fazit: Ein interessanter und sehr gut geschriebener Roman mit einer etwas anstrengenden Hauptfigur, die aber so intensiv und gut dargestellt ist, dass man gar nicht anders kann, als dem Verlauf der Handlung zu folgen, um zu erfahren, ob es Judith gelingt, sich aus der engen Umklammerung der Schwester zu lösen.

  • Cassandra und Judith sind Zwillingsschwestern. Äußerlich gleich unterscheiden sie sich im Inneren zutiefst. Während Judith kurz vor ihrer Hochzeit steht, kommt Cassandra mit dieser Nachricht nur schlecht klar. Und so kommt ihr eine Idee: sie muss die Hochzeit verhindern. Um jeden Preis...


    "Zwei Schwestern" ist ein Roman aus den 60ern von Dorothy Baker. Und das hat mich schon vor Beginn der Lektüre überrascht. Ich dachte, ich halte ein neues Werk in den Händen und musste beim Überfliegen der Verlagsangaben erkennen, dass es dieses Buch schon mal unter dem Titel "Cassandra bei der Hochzeit" gab. Das war schon zu Beginn verwirrend, aber auch gut zu wissen. Denn spätestens beim Lesen selbst wäre ich stutzig geworden, wie wenig Moderne in dem Roman enthalten ist.


    Die Geschichte wird großteilig von Cassandra erzählt. Auch Judith kommt mal zu Wort, jedoch ist Cassy die Hauptfigur in diesem Werk. Und sie zeigt auf subtile Art und Weise, wie sehr sie der Gedanke zerstört, dass ihre Zwillingsschwester, ihre zweite Hälfte ein eigenes Leben aufbaut. Obwohl sich beide Schwestern immer gegen das "Wir sind eins" gewehrt haben, wird Cassandra erst kurz vor der Trauung bewusst, was die Hochzeit für ihre Zukunft bedeutet. Darauf reagiert sie....nun ja für unsere heutige Zeit fast vorhersehbar, für damalige Verhältnisse vielleicht noch außergewöhnlich. Für mich selbst war die Reaktion vorhersehbar und wenig überraschend.


    Mir persönlich hat der Abschnitt, in dem Judith aus ihrer Perspektive über die Erlebnisse erzählt, am besten gefallen. Denn die junge Frau wirkt bodenständig, geordnet und fest im Leben verankert. Sie zeigt zwar auch Emotionen, aber lang nicht so geladen und ab und an übertrieben wie ihre Schwester. Das war wie eine Erholung für mich beim Lesen.


    Die Story selbst ist sehr ruhig, fast schon langatmig. Denn die Geschehnisse sind erahnbar, die Schilderungen manchmal verworren, wenn auch geistreich und das Ende fügt sich einfach ein, ohne dass eine der Figuren eine wirkliche Wandlung durchgemacht hätte. Das fand ich schade.


    Der Stil von Dorothy Baker ist gut, wenn auch nicht immer flüssig zu lesen. Ihre Ausführungen sind ab und an wie eine Extrawindung im Gehirn, für die heutige Zeit leicht angestaubt und nicht immer konnte ich ihr folgen. Alles in allem kam ich aber dennoch gut klar.


    Fazit: kann man lesen, muss man aber nicht. Für mich hat die Lektüre nichts gebracht.