Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt: Die digitale Bildungsrevolution ...

  • Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt: Die digitale Bildungsrevolution. Der radikale Wandel des Lernens und wie wir ihn gestalten können
    Deutsche Verlags-Anstalt 2015. 240 Seiten
    ISBN-13: 978-3421047090.17,99€


    Verlagstext
    Chancen und Risiken der digitalen Bildungsrevolution
    Ein Schüler erhält täglich einen auf ihn zugeschnittenen Lernplan, den ein New Yorker Rechenzentrum über Nacht erstellt. Eine Universität arbeitet mit Software, die für jeden Studenten die optimalen Fächer ermittelt, inklusive der voraussichtlichen Abschlussnoten. Ein Konzern lässt seine Bewerber in einem virtuellen Restaurant Sushi servieren, da das Computerspiel ihren Berufserfolg vorhersagt. Die Bildungsexperten Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt wissen: Das ist die digitale Zukunft des Lernens.
    In ihrem neuen Buch zeigen sie, wie die vernetzte Welt nicht nur unser Bildungssystem, sondern auch unsere Gesellschaft grundlegend verändern wird, wie bisherige Bildungsverlierer neue Chancen bekommen und alte Eliten in Bedrängnis geraten. Und sie warnen: Digitale Bildung erfasst Unmengen von Daten; es droht der gläserne Lerner, der im Netz unauslöschliche Spuren hinterlässt und zum Opfer von Algorithmen und Wahrscheinlichkeiten wird.
    Der Appell der beiden Autoren: Um die großen Chancen zu nutzen, den Risiken zu begegnen und international nicht den Anschluss zu verlieren, muss Deutschland die digitale Bildungsrevolution jetzt aktiv gestalten. Ein Weckruf, der unsere Gesellschaft zum Handeln auffordert.


    Die Autoren
    Jörg Dräger, geboren 1968, ehemaliger Hamburger Wissenschaftssenator und heutiger Vorstand der Bertelsmann Stiftung, gilt als ausgewiesener Bildungsexperte. Der Buchautor (Dichter, Denker, Schulversager, 2011) – ist ein gefragter Redner und Impulsgeber zur Zukunft der Bildung.


    Ralph Müller-Eiselt, Jahrgang 1982, ist mit Internet und sozialen Medien aufgewachsen. Er forscht für die Bertelsmann Stiftung, wie der digitale Wandel unsere Gesellschaft verändert, twittert (@bildungsmann, @Bildung_Digital) und bloggt (digitalisierung-bildung.de) über die Bildung von morgen.


    Inhalt
    Jörg Dräger und Ralph Müller-Eiselt prophezeien eine bevorstehende revolutionäre Veränderung gesellschaftlicher Strukturen durch überwältigend erfolgreiche und dabei kostengünstige digitale Lehr- und Lernmethoden. Diese gesellschaftlichen Veränderungen vergleichen sie mit jenen, die die Erfindung des Buchdrucks oder die Digitalisierung in der Musikindustrie auslösten. Von individuellen digitalen Lernmethoden erhoffen sie sich, dass in Deutschland nicht mehr vorrangig die Herkunft über den Bildungserfolg eines Schülers entscheidet - ein unbezahlbarer Luxus, wie die Experten feststellen.


    Plattformen wie MOOC, von denen aus jedem Winkel des Globus Online-Vorlesungen abzurufen sind, lassen in der Tat einen digitalen Bildungs-Tsunami erhoffen. Das Lernen vom PC oder Smartphone aus könnte gerade in Schwellenländern (wie Indien oder Brasilien) den Bildungshunger einer vorwiegend jungen Bevölkerung kostengünstig stillen. Auch Schüler, die schneller oder langsamer lernen als der Durchschnitt, würden von individuellen Methoden profitieren. In Deutschland könnte auf diesem Weg die Schulversagerquote von unfassbaren 16% eines Jahrgangs verringert werden. Nicht zuletzt sollen neue Lehrmethoden auch in Deutschland die Kosten-Nutzen-Relation des bisher „paketierten“ Bildungssystems verbessern. Ermutigende Beispiele (öffentlicher) Schulen in den USA fordern zum Handeln auf, an denen jeder Schüler seinen persönlichen Lehrplan bearbeitet und sofort individuelles Feedback von seinem Lernprogramm erhält.


    Dräger und Müller-Eiselt erhoffen sich durch individuelle digitale Lehrmethoden eine höhere Motivation der Schüler, eine messbare Verbesserung der Schulleistungen, die dringend nötige Eliteförderung und durch alle drei Komponenten die Linderung des Fachkräftemangels in Deutschland. Im Zukunftsszenario der Autoren würden Mitarbeiter im Einstellungstest per PC-Spiel auf organisatorische und netzwerkende Talente geprüft, weniger Wert würde auf Wissen gelegt, das mit dem Berufsabschluss oft schon veraltet ist. Die schöne neue Bildungswelt wirkt zunächst attraktiv und der Generation Y auf den Leib geschneidert. Von Online-Mentoren, Peer-Grading, dem Klout-Score (aus Twitter-Followern und Facebook-Kontakten), digitalen Lebensläufen und dem Algorithmus als Studienberater erfahren wir hier.


    Vor den Schattenseiten des Lernens am PC oder Smartphone warnt das Buch explizit. Wer Bildung nicht selbst durch Studiengebühren finanzieren kann, muss bisher auf Lernplattformen mit persönlichen Daten bezahlen, die Anbieter von Lernprogrammen über die Bildungskarriere jedes Users ansammeln. Doch der schönen neuen Bildungswelt stehen in Deutschland zuvor einige Hürden im Weg: die im internationalen Vergleich extrem medienskeptischen Lehrer, die fehlende W-Lan-Ausstattung von Schulen, die hieraus resultierende mangelhafte Vermittlung von Medienkompetenz, sowie urheberrechtliche Probleme des digitalen Zeitalters. Beklagt wird u. a. das Fehlen eines Kriterienkatalogs für Lehrer, der die Auswahl digitaler Lernmethoden erleichtere. – Doch wer sollte diese Auswahl fachlich begleiten, wenn Politik und Kultusbürokratie ebenso medienfern verharren wie Deutschlands Lehrer?


    Fazit
    „Die digitale Bildungsrevolution“ wurde, ganz zeitgemäß, in nur 6 Monaten geschrieben. Beim Lesen spürt man die Erfahrung der Autoren als Referenten, sie können mit wenigen Schlüsselworten ganze Szenarien vor den Augen ihrer Leser entstehen lassen. Für ein Sachbuch liest sich das sehr geschmeidig, auch wenn ich die Darstellung der Online-Welt in Teilen zu unkritisch finde. Über den Glauben an die Intelligenz der Massen (im Buch genannt im Zusammenhang mit Bewertungsportalen) sollten Autoren längst hinaus sein, die sich beruflich mit den Möglichkeiten des Netzes befassen.


    8 von 10 Punkten