'Das Buch, in dem die Welt verschwand' - Seiten 105 - 206

  • Vielleicht beruhigt es die Gemüter, wenn ich euch versichere, daß realiter eine Frau im Raum dabei gewesen wäre, während Nicolai Magdalena untersuchte.
    Auch später im Spital hätte Nicolai nicht alleine mit ihr sprechen können.


    Hier jedoch handelt es sich um einen ROMAN!
    Die ganze Szene ist auf verschiedenen Ebenen mit dem Grundthema der Geschichte verknüpft. Deswegen ist sie aufgebaut, wie sie aufgebaut ist.


    Meine Meinung: ich fand es stimmig. Mir hat die Szene gefallen. Und ich lese halt gern von 'Menschen' und nicht gern von Rittern in strahlender Rüstung.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Buchling


    Leichenöffnungen waren zu der Zeit allgemein untersagt. Nur Selbstmörder oder hingerichtete Verbrecher durften geöffnet werden. Dementsprechend rar waren die Leichen.


    Ja, aber laut Seite 151
    ...Es hatte sich kein Priester finden lassen, der bereit gewesen wäre, einem Selbstmörder eine Messe zu lesen...
    gehen sie im Großen und Ganzen davon aus, daß sich Alldorf selbst umgebracht hat.


    Bei Selling stimmt es dann wieder, daß man ihn nicht öffnen darf.


    Die Hausmittelchen in der damaligen Zeit sind echt kurios gewesen... Gegen Fieber abgeschnittene Fingernägel an den Schwanz eines Krebses binden... Muttermale verschwinden mit einem Stück Rindfleisch...


    Das letzte Wort in Di Tassi's Brief: "ersterbe" Wie kann man das verstehen? Ich würde für Euch sterben? Oder ist das nur eine Ausdrucksweise wie heute "Hochachtungsvoll"?


    So ganz traut Di Tassi Nicolai wohl wirklich nicht. Aber ist eigentlich auch klar, er kennt ihn ja nicht und weiß nicht, ob er ihm vertrauen kann. Aber ihm dann so einen Vertrag vorzulegen, wenn er ihn für einen Spion hält?

  • Die Hausmittelchen der damaligen Zeit waren wirklich sehr interessant.
    Manche Menschen "besprechen" Warzen übrigens noch heute bei Vollmond und lassen Schnecken drüber kriechen....(dieses Beispiel war nicht im Buch).


    Der sexuelle Übergriff auf seine Patientin hat mir auch nicht gefallen.
    Natürlich gehe ich da von heutigen Moralvorstellungen aus, aber damals waren die Leute doch noch viel prüder, also müsste es sogar noch verwerflicher gewesen sein.


    Er hat einen Vertrag mit Stadtphysikus Müller, den er bricht, um für Di Tassi zu arbeiten. Hätte ich an seiner Stelle auch getan. Aber war das so einfach damals und ging es so schnell? So wie ich es verstanden habe, hat er sein Zeug genommen und ist einfach verschwunden.

  • Zitat

    Original von Türmchen
    Ja, aber laut Seite 151
    ...Es hatte sich kein Priester finden lassen, der bereit gewesen wäre, einem Selbstmörder eine Messe zu lesen...
    gehen sie im Großen und Ganzen davon aus, daß sich Alldorf selbst umgebracht hat.


    Schon, aber Alldorf ist ein Graf, ein Adeliger und kein popeliger Bürgerlicher. :grin

  • Zitat

    Original von Leonie
    Die Hausmittelchen der damaligen Zeit waren wirklich sehr interessant.
    Manche Menschen "besprechen" Warzen übrigens noch heute bei Vollmond und lassen Schnecken drüber kriechen....(dieses Beispiel war nicht im Buch).


    Prof. Dr. Braun-Falco von der Hautklinik der Universitätsklinik München behandelte Warzenbefall bei Kindern sogar hochoffiziell und sehr erfolgreich mit Schneckenschleim und ähnlichem, wobei die Warzen auch eifrig besprochen wurden. Der Helungseffekt solch ritualisierter Methoden war äußerst verblüffend, obwohl sich in vitro nichts nachweisen ließ.


    Zitat

    Er hat einen Vertrag mit Stadtphysikus Müller, den er bricht, um für Di Tassi zu arbeiten. Hätte ich an seiner Stelle auch getan. Aber war das so einfach damals und ging es so schnell? So wie ich es verstanden habe, hat er sein Zeug genommen und ist einfach verschwunden.


    Damals reichte im Grunde das Fernbleiben als einseitige Kündigung aus. Verträge gab es nur im Falle von Geheimhaltungsverpflichtungen wie in dem Papier, das Di Tassi Nicolai vorlegt. Ein rbeitsverhältnis war eine rein faktische Angelegenheit, die ohne angabe von Gründen jederzeit beendet werden konnte.

  • Ich weiß nicht, ob ich mich hier einmischen darf, aber die Diskussion finde ich sehr interessant. Dass Nicolai durch diese Szene an Sympathiepunkten verliert, war mir klar. Andererseits erschien mir die ganze Situation so bezeichnend für alles Nachfolgende, dass ich entschied, das Risiko einzugehen. Letztlich geht es ja hier um eine Versuchung durch einen schwer kontrollierbaren natürlichen Trieb: den Sexualtrieb. Es gibt aber einen noch viel schwerer zu kontrollierenden Trieb: den Machttrieb, den Trieb, Gott werden zu wollen und Schicksal zu spielen. Magdalena wird später genau diese sinnbildliche Verknüpfung herstellen: alles wissen oder erforschen zu wollen (das Programm der Aufklärung) ist aus ihrer Sicht genauso obszön, wie jedem sexuellen Begehren nachzugeben. Die Versuchungen des Geistes sind nicht minder gefährlich als die der Sinne. Diese Sichtweise wollte ich irgendwie vorbereiten und dafür fand ich diese Szene sehr geeignet. In der Szene wird eine wohl jedem vertraute Empörung über ein moralisches Versagen benutzt, um ein Sinnbild für eine moralische Empörung zu finden, die uns "unreligiösen" Menschen völlig fremd geworden ist: die Ehrfurcht vor der Schöpfung etwa, in die einzugreifen für den wahrhaft religiösen Menschen Frevel ist. Für diese für uns absurde Sichtweise und ihre Verkünderin musste ich das Terrain vorbereiten und das ging natürlich nur, indem ich an dieser Stelle die Symptahie- bzw. Mitleidswaage zu ihren Gunsten ausschlagen ließ. Nun ja, ich hätte natürlich auch nicht gedacht, dass nach Filmen wie "Sprich mit ihr" oder - um in die Klassikerkiste zu greifen - der "Marquise von O- die Szene so starke Reaktionen hervorrufen würde. Ich habe versucht, Nicolai hier auch als Opfer und nicht nur als Täter darzustellen, er ist total überfordert und versagt jämmerlich. Aber hier spielt die Sensibilität des Publikums natürlich eine grosse Rolle, und die ist sehr schwer einzuschätzen.

  • Zitat

    Original von Wolfram
    Ich weiß nicht, ob ich mich hier einmischen darf, aber die Diskussion finde ich sehr interessant.


    Hallo Wolfram,
    natürlich darfst du dich hier einmischen. Es ist sogar schön, wenn wir deine Gedanken zu unseren Überlegungen und Vermutungen zu lesen bekommen! :knuddel1

  • Zitat

    Original von Wolfram
    Andererseits erschien mir die ganze Situation so bezeichnend für alles Nachfolgende, dass ich entschied, das Risiko einzugehen.


    Mit Erfolg, finde ich! Wenn Nicolai z.B. sagt, dass er diese verrückte Expedition in diesen Lustgarten nur wegen Magdalena mitgemacht hat, ist das sehr viel verständlicher, wenn man zuvor sehr eindringlich mitbekommen hat, welchen Einfluss sie selbst bewusstlos auf ihn hat.


    Zitat

    Original von Wolfram
    Ich habe versucht, Nicolai hier auch als Opfer und nicht nur als Täter darzustellen, er ist total überfordert und versagt jämmerlich.


    Auch das mit Erfolg!


    Und nichtsdestotrotz berührt es mich - davon weiss ich von zu vielen Frauen, die auf die eine oder andere Weise missbraucht wurden, als dass mich das kalt lassen könnte.

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  • Ich hätte ihn in seiner verzweifelten Zerrissenheit sehr viel mehr wahrgenommen, wenn ich ihn als Mann hätte sehen können.


    So stand bei mir ein eher unschönes Bild eines postpubertären, verschwitzten Knaben, der mit einer hilflosen Frau irgendwelche Doktorspielchen macht im Vordergrund.


    Es fiel mir aufgrund seines Alters einfach schwer ihn wirklich ernst zu nehmen. Darum habe ich ihn mir dann auch einfach älter gemacht, weil ich ihn zu jung fand.

  • Zitat

    Original von Iris
    Schön, wie hier den Wurzeln dieses pathologischen Phänomens der Verschwörungstheorien nachgegangen wird, besonders ihre gefährliche Wirkung auf Röschlein, der von diesem Gift infiziert wird.


    Liebe Iris, Röschlein infiziert?? Greifst Du jetzt vor, oder habe ich etwas nicht kapiert??



    Dank des Feiertages und des schönen Wetters bin ich lesend auf der Terrasse ein ganz Stück weitergekommen. Bin jetzt nicht sicher wie weit Seite 207 im HC geht. Vermute inklusive des 15. Kapitels im 2. Teil. Endet mit dem Satz „Es begleitete ihn den ganzen Abend".


    Dass es eine heiße Diskussion über die Szene mit dem unbekannten Mädchen geben wird, dachte ich mir schon beim Lesen. Aber man sollte doch dem lieben Nicolai zu gute halten, dass er sich selbst die größten Gewissensbisse deswegen macht und mit dem „lüsternen Teufel" kämpft und ihn schließlich rechtzeitig besiegt. Es hat einfach bei ihm heftigst gefunkt. Von „Notgeilheit" sehe ich keine Spur. Er versteht sich ja selbst nicht und kann es nur als „Heilige Lust" sehen, auch wenn andererseits Lust nicht heilig sein kann. Und Ärtze sind überwiegend auch nur Männer und keine Halbgötter :grin


    An einem Satz bin bisher gestolpert, da die Satzstellung für mich ungewöhnlich ist:
    Sein Tonfall klang nicht so, als habe er große Lust, ihn weiter aufzuklären
    Nach 3x lesen habe ich ihn erst verstanden. Seltsam was man sich selbst für Streiche spielt.


    Das es damals schon Projektoren gab, faszinierend.


    Und gelernt habe ich, was ein „Duodezformat" ist
    "Duodezfürstentum" ist die spöttische Bezeichnung für deutsche Kleinstaaten. Der Name leitet sich vom lateinischen Wort für Zwölftel "duodecima" ab. Er bezeichnet einen Staat im Kleinformat, in Anlehnung an das Duodezformat kleiner Bücher, deren Druckbögen zu je zwölf Blättern gefaltet wurden.


    Neu für mich war auch der Begriff „Gerechtsamen"


    Interessieren würde mich, ob die Beschreibung der Leibesgestalt in dem abgefangenen Brief authentisch ist oder vom Autor nachempfunden. Sie klingt nämlich sehr authentisch.


    Den Begriff „chymisch" kannte ich bisher nur von dem Rosenkreuzer-Buch „Die Chymiche Hochzeit". Dachte immer es heiße „verwandeln". Was sind dann aber chymische Bücher???


    So ganz neben bei als mögliche Spur (zur Ablenkung?) wird das Buch- und Verlagswesen damals dargestellt.. Neuerscheinungen in Fässern!! Ich faß es nicht. Was hätten wir Buchkaufsüchtigen im Süden für schlechte Karten. :lache Und so wurden unsere Großen, Goethe, Schiller, Lessing verlegt!! Danke an den Autor für diesen so neben bei ermöglichten Einblick. :anbet


    Der Schlußsatz von Di Tassi, ist der original??
    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe.


    Alle Nichtraucher werden mit Nicolai mitgelitten haben.


    Und Herr im Himmel, was sind „Miscellaneen"?? Im Inet finde ich nix g'scheits.


    Insgesamt schafft es der Autor blendend den Leser auf eine Zeitreise in die Vergangenheit zu entführen. Und dazu noch jede Menge Spannung, ungeklärte, seltsame Ereignisse,
    der undurchsichtige Di Tassi,
    der eine Chance sehende, aber im Nebel tappende, frisch verliebte Nicolai,
    die Kultorganisation „Die Illuminaten",
    Leserherz was willst Du mehr?? :kiss


    Wenn die Lösung genauso gut ist, wie der Roman bisher, hat das Buch große Chancen meine Höchstwertung zu bekommen.


    LG Dyke, der sich jetzt aufmacht in die 3. Session (und verlängertes WE :grin )

    "Sie lesen?"
    "Seit der Grundschule, aber nur, wenn's keiner sieht."


    Geoffrey Wigham in "London Calling" von Finn Tomson

  • Wolfram
    hier sitzt zumindest eine Leserin, die glücklich darüber ist, daß Du das Risiko eingegangen bist. Ich mag Autoren, die sich beim Schreiben was denken ;-)


    dyke
    die Sache mit den Fässern klingt für uns heute wirklich komisch, weil wir 'Faß' bloß noch mit Flüssigem assoziieren. Fässer waren aber seit dem späten Mittelalter gängige Transportbehälter für alles, was auch immer befördert werden mußte. Ich hab oft mit alten Büchern zu tun, mußte aber auch grinsen, als mir der Umstand, daß Bücher auf diese Weise z.B. zur Messe transportiert wurden, zum ersten Mal unter kam.


    Duodez? Hattest Du noch keins in der Hand? Waren in etwa die damaligen Taschenbücher, die sind wirklich so klein, daß man sie bequem in die Taschen des Rocks (Männerkleidung!) schieben konnte. Oder in die Manteltaschen. Man hatte die ja auch unterwegs dabei. In bequemeren Kutschen, z.B. die des Adels, konnte man durchaus lesen. Die Büchlein sind auch sehr leicht, da sie auf echtem Papier gedruckt waren, tolle Dinger.
    Teuer waren sie auch nicht.


    Miscellaneen sind die Vermischten Nachrichten.


    Und Manno, habt ihr es gut mit dem Feiertag! Wir in der Hauptstadt ham det nich!
    :wave


    PS.: Nicolai heißt mit Vatersnamen RöschLAUB :lache

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    K. Kraus

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  • Zitat:
    Von „Notgeilheit" sehe ich keine Spur. Er versteht sich ja selbst nicht und kann es nur als „Heilige Lust" sehen, auch wenn andererseits Lust nicht heilig sein kann.
    Zitat Ende.


    Hier muss ich -im Namen von Magdalena- widersprechen. Selbstverständlich kann Lust etwas Heiliges sein bzw. zum Kontakt damit führen. In allen frühen Kulturen ist sinnliche Extase immer Teil religiöser Riten. Viele religiöse Riten waren früher sinnlicher-sexueller Natur und fast alle entgrenzenden Praktiken, die heute verboten oder verpönt sind (Drogen, Gruppensex) waren Jahrtausende lang fester Bestandteil von kultischen Handlungen.
    Heute hat sich das aufgespalten: Sinnlichkeits-Rituale spielen sich fast nur im Schmuddelmilieu ab, ohne jegliche spirituelle Vermittlung, rein pornographisch. Die Welt hat sich geschieden in eine völlig entsinnlichte Religiosität (die gegenwärtigen Religionen) und eine entfesselte, unterirdische Triebwelt, die keinerlei spirituelle Dimension mehr kennt oder sucht (ich empfehle einmal einen Besuch in bestimmten Berliner Clubs zwecks Anschauungsmaterial).
    Nach der Niederschrift des Romans bin ich übrigens nach Poona gefahren, weil diese Verhörprotokolle der Buttlarschen Rotte mich irgendwie an die Baghwan-Bewegung erinnert haben, die ich immer sehr merkwürdig und irgendwie lächerlich fand. Doch wie immer war mein Bild davon, vermittelt durch Zeitungen, Medien und einige schräge Diskotheken, die in den 80 er Jahren in Deutschland existierten, völlig falsch gewesen. Aber das ist jetzt schon eine ganz andere Geschichte, über die ich aber sicher auch einmal schreiben werde.

  • Wolfram
    ja, schon, bloß wissen das die LeserInnen an der Stelle noch nicht (Achtung, nicht zuviel im Voraus verraten :-) )



    Ich habe die Szene noch mal genau durchgelesen. Ja, sie soll berühren. Aber das, was Nicolai tut, es wird mit keinem Wort als positiv eingestuft noch enthält die Szene eine Aufforderung, es ihm gleichzutun.
    Zur endgültigen Einschätzung muß man den weiteren Verlauf der Geschichte und die Entwicklung gerade dieser Beziehung abwarten.


    zu Eva von Buttlar: an Baghwan und Verwandtes denke ich da nicht. Es hat mit dem sehr schwierigen Verhältnis zu tun, das das Christentum zu Körperlichkeit und Sexualität hat. Gerade Buttlar mit ihrer sehr eigenen Definition, noch dazu als Frau, die sicher keine Definitionsbefugnis in kirchlichen Dingen hatte noch haben durfte, mußte auf heftigen Widerspruch stoßen. Und auf Unverständnis nattürlich.


    Berliner Clubs? :wow

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  • Zitat

    Original von magali
    Aber das, was Nicolai tut, es wird mit keinem Wort als positiv eingestuft noch enthält die Szene eine Aufforderung, es ihm gleichzutun.


    :bruell Ich weiiiiiss! :grin


    Zitat

    Original von magaliZur endgültigen Einschätzung muß man den weiteren Verlauf der Geschichte und die Entwicklung gerade dieser Beziehung abwarten.


    :bruell Das glaub ich dir auch sofort!


    :bruell Ich kritisiere ja auch nicht den Autor!


    Gestört hat mich glaub ich einfach der Kommentar von Türmchen: "Er war doch schon 20 Jährchen alt, da ist man(n) halt noch etwas ungestüm". Der kam so harmlos hingeworfen rüber. ( Türmchen - nicht schimpfen, das soll keine riesengrosse Kritik sein!) Nicolai selber denkt ja immer wieder mal daran, was ihm da passiert ist, und ist nicht gerade stolz auf sich. Die Figur ist stimmig; das passt!

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  • ZITAT:
    Interessieren würde mich, ob die Beschreibung der Leibesgestalt in dem abgefangenen Brief authentisch ist oder vom Autor nachempfunden. Sie klingt nämlich sehr authentisch.


    Antwort:
    Ja, die Beschreibungen stammen aus Originaldokumenten aus der Zeit. Die Spitzeltätigkeit dieser Geheimgesellschaften war enorm.


    Zitat:
    Den Begriff „chymisch" kannte ich bisher nur von dem Rosenkreuzer-Buch „Die Chymiche Hochzeit". Dachte immer es heiße „verwandeln". Was sind dann aber chymische Bücher???


    Antwort:
    Einfach "chemische" Bücher.



    Zitat:
    Der Schlußsatz von Di Tassi, ist der original??
    Ich bezeige, nach Hertzens-Aufrichtigkeit, dass ich mich glücklich schätze, mich mit Verehrung nennen zu dürfen und ersterbe.



    Antwort: Ja.




    Insgesamt schafft es der Autor blendend den Leser auf eine Zeitreise in die Vergangenheit zu entführen. ..




    Danke für die Blumen.


    Herzliche Gruesse

  • @ MaryRead
    Ich schimpfe nicht und ich fasse es auch nicht als Kritik auf, wenn Dich eine Äußerung von mir stört :knuddel1


    Bezogen war mein Kommentar auf Buchlings Äußerung, daß sie sich Nicolai einfach gerne etwas älter vorgestellt hätte. Ich wollte damit ausdrücken, daß er, wenn er 10 oder 20 Jahre älter gewesen wäre, sich wahrscheinlich besser unter Kontrolle gehabt hätte.


    Ehrlich gesagt, hat mich diese Szene nicht sooo sehr aufgewühlt, was absolut nicht heißen soll, daß ich so etwas gut heiße. Ganz im Gegenteil! Ich konnte aber darüber hinweg sehen, da ich mir dachte, daß damals wohl so einiges anders war, als heute. Und außerdem ist es ja „nur“ ein Buch (und das "nur" steht in ganz dicken Anführungszeichen, denn ich liebe es in die Welt von Büchern einzutauchen!).


    Mir ging beim ersten Mal lesen der Gedanke durch den Kopf, daß wohl viele Bücher nicht mehr ohne solche Szenen auskommen und daß ich das sehr schade finde (das war mein erster Eindruck als L e s e r, ohne Gedanken daran, was sich der Autor wohl dabei gedacht hat und welchen Sinn es für die weitere Handlung haben soll (daß man als AutorIn anders liest ist mir völlig klar)! Dank Eurer und Wolframs Hilfe habe ich diesen Gedanken schon revidiert und bin wieder auf dem „richtigen“ Weg :grin). Daher habe ich wohl nicht viel mehr zu meiner Äußerung geschrieben.


    Durch die hier entstandene Diskussion (mir gefällt diese Leserunde übrigens ausgesprochen gut!) habe ich mir die Szene natürlich noch einige Male durchgelesen. Und jedes Mal habe ich das Dilemma, in dem sich Röschlaub befindet, mehr gespürt. Er war wirklich nicht glücklich über sein Handeln. Und wer weiß, was passiert wäre, wenn ihm nicht die andersfarbigen Schamhaare aufgefallen wären. Und da hat der Autor absolut richtig gehandelt, indem er Nicolai nicht hat weiter gehen lassen.


    Ich kann mich einfach nicht mit dem Gedanken anfreunden, daß er zu diesem Zeitpunkt schon so verliebt in dieses Mädchen war. Wie und in was hätte er sich in sie verlieben sollen? Verliebt man sich in jemanden der schreiend, verletzt und verstört im Wald liegt und sonst noch kein Wort gesprochen hat? Ich denke, erst durch seine Handlungen im Krankenzimmer wird sie wichtiger für ihn und sein schlechtes Gewissen ihr gegenüber läßt ihn besorgt um sie sein.

  • Röschlaub! :cry Ich meinte nicht, daß er daran glaubt, aber das ganze Zeug verwirrt ihn ziemlich.


    Zitat

    Es hat einfach bei ihm heftigst gefunkt. Von „Notgeilheit" sehe ich keine Spur. Er versteht sich ja selbst nicht und kann es nur als „Heilige Lust" sehen, auch wenn andererseits Lust nicht heilig sein kann. Und Ärtze sind überwiegend auch nur Männer und keine Halbgötter :grin


    <seufz>
    Ich halte diese Szene für eine der eindringlichsten des ganzen Romans, weil sie -- wie Wolfram schon erwähnte -- die Obszönität von Macht und Wißbegier an der der Sexualität sinnbildlich sichtbar werden läßt. Und auch zeigt, wie alle ineinanderspielen: Der biblische Ausdruck dafür, daß zwei Menschen eine sexuelle Beziehung haben, lautet "einander kennenlernen" (gignóskein in der gr. Septuaginta, cognoscere in der lat. Vulgata); mit einem anderen Menschen -- wie man 's auch nennt -- intim zu verkehren, verschafft eben auch sehr intime Kenntnisse über den jeweils anderen. Allein die Ausdrucksweise sollte eigentlich verdeutlichen, welchen Stellenwert Sexualität in jüdisch-christlichen (und muslimischen) Kulturen hat! (Leider reden heutzutage zwar alle übers Christentum, aber kaum einer hat mehr als rudimentäre Kenntnisse davon)
    Außerdem hat Sexualität sehr viel mit dem Problem der Macht zu tun.


    Alle diese Aspekte kommen in dieser Szene eigentlich zum Tragen.



    Zitat

    Den Begriff „chymisch" kannte ich bisher nur von dem Rosenkreuzer-Buch „Die Chymiche Hochzeit". Dachte immer es heiße „verwandeln". Was sind dann aber chymische Bücher???


    "Chymisch" ist das noch im 18.Jh. verwendete Wort für "chemisch". Die "Chymie" war ein Zweig der Alchemie und wurde wie diese empiristisch-analytisch betrieben.


    Zitat

    Und Herr im Himmel, was sind „Miscellaneen"?? Im Inet finde ich nix g'scheits.


    Hihihi.. die frz. Variante! Eigentlich Miscellanea, später Miszellen. Das ist eine gemeinsame Ausgabe meist sehr kurzer wissenschaftlicher Abhandlungen aus den unterschiedlichsten Fachgebieten, die meist aus Kostengründen zusammengebunden wurden. Heute gibt es Miszellen als Ausgabe kleiner Schriften eines Wissenschaftlers oder als Sammelpublikation z.B. von Tagungsberichten.

  • Zitat

    Original von magali
    zu Eva von Buttlar: an Baghwan und Verwandtes denke ich da nicht. Es hat mit dem sehr schwierigen Verhältnis zu tun, das das Christentum zu Körperlichkeit und Sexualität hat. Gerade Buttlar mit ihrer sehr eigenen Definition, noch dazu als Frau, die sicher keine Definitionsbefugnis in kirchlichen Dingen hatte noch haben durfte, mußte auf heftigen Widerspruch stoßen. Und auf Unverständnis nattürlich.


    Hast du diesen Aufsatz von Thomas von Hoeren auch schon mal gelesen? Der Verfasser geht davon aus, daß das meiste, was man über die Evische Sozietät zu wissen glaubt, u.a. während des Prozesses, den der Graf von Sayn-Wittgenstein gegen sie anstrengte, kolportiert wurde, um sie zu diffamieren. Verteidigt wurden Margaretha "Eva" von Buttlar und Justus Gotthardt Winter von Vergenius und Dietz, zwei wohl ziemlich arrivierten Anwälten am Wetzlarer Reichskammergericht. Da habe ich laut lachen müssen, wie klein die Welt ist! :grin
    Allerdings hatten die Anwälte offenbar keine Möglichkeit zu einer wirksamen Verteidigung der Angeklagten.


    Was die Parallele zu Oshos Sannyasin-Gruppe angeht, kann ich diese Wirkung der "Meinungsmache" nur bestätigen. In Köln hatte diese Gruppe ja einen richtig großen Sprengel aufgebaut mit starkem gastronomischem Zweig. Ich habe damals (1981-83) einige von ihnen kennengelernt -- das war alles gar nicht so skandalös, wie die Presse es unentwegt darstellte. Und genauso wird es sich bei der Evischen Gesellschaft verhalten haben.


    Wobei ich mich dem Gedanken, daß die im Geheimen praktizierenden Nachfolger mehr dem Revolverjournalismus entsprechende Riten und Ideen pflegten gar nicht einmal verschließen möchte.


    Zitat

    Hier muss ich -im Namen von Magdalena- widersprechen.


    Und ich mal im Namen des Christentums, das wir (wie bereits erwähnt) sowieso nur noch durch die "Vermittlung" der Massenmedien kennen. :grin


    Zitat

    Selbstverständlich kann Lust etwas Heiliges sein bzw. zum Kontakt damit führen. In allen frühen Kulturen ist sinnliche Extase immer Teil religiöser Riten.


    Ich weise mal auf die Mystik des Mittelalters hin -- sowohl die christliche als auch die islamische, die eine stark erotische Komponente enthält -- auch wenn es eine transzendierte Sexualtiät ist.


    Es kann auch nicht angenommen werden, daß sinnlich-sexuelle Rituale immer besonders befreiend seien. Jede Religion versucht, die mächtigsten Impulse des Individuums zu bändigen und der Gemeinschaft dienstbar zu machen. Der "glückliche Wilde" à la Margaret Mead ist eine Wunschvorstellung des von der Rigidität des 19.Jhs. noch immer gebeutelten Europas.


    Außerdem finde ich es schon frappierend, wenn in fremden Religionen straffe Regeln als besonders spirituell gelobt werden, in der des eigenen Kulturkreises aber verteufelt. :pille


    Zitat

    Heute hat sich das aufgespalten: Sinnlichkeits-Rituale spielen sich fast nur im Schmuddelmilieu ab, ohne jegliche spirituelle Vermittlung, rein pornographisch. Die Welt hat sich geschieden in eine völlig entsinnlichte Religiosität (die gegenwärtigen Religionen) und eine entfesselte, unterirdische Triebwelt, die keinerlei spirituelle Dimension mehr kennt oder sucht (ich empfehle einmal einen Besuch in bestimmten Berliner Clubs zwecks Anschauungsmaterial).


    Vorsicht! ;-) Das Problem ist m.E. weniger ein Problem der Religionen als eine grundsätzliche weltanschauliche Krise der Leiblichkeit, die im 16. Jh. beginnt und im 19. Jh. gipfelt. Die Aufspaltung des Menschseins, die dabei ideologisch die Oberhand gewann, haben wir bislang nicht überwunden.

  • :wow
    Iris, danke für diesen Beitrag, der wieder einmal beispiellos umfassend Auskunft gibt, gerade über Dinge, auf die ich gar nicht gekommen wäre!
    :wave

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus