H wie Habicht - Helen Macdonald

  • H wie Habicht
    Helen Macdonald
    ISBN: 3793422984
    Allegria
    416 Seiten, 20 Euro


    Über die Autorin: Helen Macdonald ist Autorin, Lyrikerin, Illustratorin und Historikerin. Sie arbeitet an der University of Cambridge, England, im Bereich Geschichte und Philosophie der Wissenschaften. H wie Habicht erhielt in England den renommierten Samuel Johnson Prize, der herausragenden Sachbüchern verliehen wird, sowie den Costa Award für das beste Buch des Jahres.


    Klappentext: Schon als Kind beschloss Helen Macdonald, Falknerin zu werden. Sie eignete sich das komplizierte Fachvokabular an, mit dem sich die Falkner wie in einer Geheimsprache untereinander verständigen, und las die Klassiker der Falknereiliteratur. Ihr Vater unterstützte sie in dieser ungewöhnlichen Leidenschaft, er lehrte sie Geduld und Selbstvertrauen und blieb eine wichtige Bezugsperson in ihrem Leben.
    Als ihr Vater stirbt, setzt sich ein Gedanke in Helens Kopf fest: Sie muss ihren eigenen Habicht abrichten. Sie ersteht einen der beeindruckenden Vögel, ein Habichtweibchen, das sie auf den Namen Mabel tauft, und begibt sich auf die abenteuerliche Reise, das wildeste aller wilden Tiere zu zähmen.


    Meine Meinung: Helen Macdonald ist eine außergewöhnliche Frau und schon als Kind zeigte sich, dass ihr Berufswunsch von denen anderer Kinder weit abwich, denn welches Kind träumt schon davon, Falknerin zu werden? In einem Alter, indem ihre Altersgenossinnen Pferdebücher und Internatsgeschichten lasen, verschlang sie alles über die Falknerei, was sie finden konnte. Ihr Vater unterstützte sie bei ihrem Wissensdrang und in Antiquariaten erstanden sie historische Schriften zu dem Thema. Als ihr Vater stirbt, fällt Helen in ein tiefes Loch und ihr Leben verliert jeden Glanz, bis in ihr der Wunsch aufkommt, einen Habicht abzurichten. Sie ahnt es eher, als dass sie es weiß; dieses Tier wird ihr Leben retten.


    Dass dieses Buch als Sachbuch eingestuft wird, kann ich nicht nachvollziehen, doch es ist schwer, es überhaupt irgendwo einordnen zu wollen. Ob Sachbuch, oder Autobiografie, der Schreibstil ist so poetisch und beweist, dass in Helen nicht nur eine herausragende Falknerin steckt, sondern auch eine Literatin, die es schafft, Vogel und Mensch zu gleichermaßen zu beeindrucken. Sie lässt sich mit Haut und Haar auf das Habichtweibchen Mabel ein und ganz langsam ist eine Veränderung ihrer Trauer zu spüren und auch Mabel beginnt sich langsam und unmerklich zu verändern.


    Es gibt einen weiteren Erzählstrang, der sich mit der Geschichte der Falknerei und der Rolle des Habichts beschäftigt und sehr häufig wird auf den englischen Schriftsteller T.H. White eingegangen, der seinerzeit als sehr umstritten galt.


    Sprache und Stimmung beeindrucken und fesseln. Man spürt die Trauer, die Depression und fühlt die Verletzung die Helen durch den Verlust des Vaters erlitten hat und fühlt sich doch beim Lesen wohl, da ihre Worte so voll mit tröstlicher Poesie angereichert sind.
    Ich könnte noch viel mehr zu diesem Buch schreiben und würde ihm nicht gerecht. Die Persönlichkeit Helen Macdonalds und die des Habichtweibchens Mabel, sowie die vollkommene Einlassung eines Menschen auf die Persönlichkeit eines Tieres sind absolut beeindruckend. Ich wünsche dem Buch, dass es nicht unbeachtet in seiner Sachbuch-Ecke vergessen wird, sondern noch ganz viele Leser findet und ich setze es ganz bewusst in die Kategorie Belletristik, was ja ursprünglich nichts anderes als schöne Literatur bedeutet und dazu zählt dieses Buch ganz gewiss.

  • Meine eigene Geschichte zu diesem Buch ist eigentlich traurig, weil ich mir selber darin nicht besonders gefalle.
    Mein Mann hat mir dieses Buch im Oktober geschenkt, weil ich ganz begeistert vom Joggen zurückkam: ich hatte ein Kranichpärchen bei uns in den Feldern entdeckt.


    Trotzdem war ich böse, weil wir immer noch "Only-one-income-housewife-two-kids" sind und ich zurzeit im Leben keine 20 Euro für ein Buch hinblättern würde, das noch nicht einmal auf meiner Wunschliste steht.
    Da er erwähnte, er wolle es selber auch lesen, habe ich es ihm also zu unserem Hochzeitstag im November "zurückgeschenkt", war froh, kein weiteres Geld ausgegeben zu haben - aber er war natürlich gekränkt. Ja, das war doof von mir.


    Also habe ich es wieder zurückgenommen (Blumen gab es in diesem Jahr für mich jedenfalls nicht :cry) und vor einigen Tagen sofort angefangen zu lesen, denn ich wusste, wenn ich mich nicht gleich daranmache, würde es auf ewig im SUB verschwinden.


    In einer Mischung aus Trotz, Ehrgeiz und auch Neugier habe ich also Helens und Mabels Geschichte gelesen.
    Man sollte schon wissen, dass Helens Vater durch Herzversagen stirbt und die ganze Aktion, einen Habicht abzutragen (ja, ich habe Fachjargon gelernt), eine einzige, riesige Trauerbewältigungssache ist, nebenbei eine kleine Hommage an T. H. White, einen englischen Schriftsteller, der selber ein Manuskript verfasst hat, wie er quasi als Laie einen Habicht abzutragen versucht. Dieses Buch hat Helen als Kind, völlig besessen von Greifvögeln, gelesen und kommt parallel zu ihrer eigenen Geschichte immer wieder darauf zurück.
    Zudem ist Mabel auch nicht Helens erster Vogel; sie ist Falknerin.


    Das Buch zu lesen war interessant und es macht Lust auf mehr Geschichten, die sich zwischen Mensch und Tier abspielen. Aber manchmal war das Lesen, das Durchkommen, doch auch etwas zäh, um die Autorin zu zitieren: "als würde man durch Sirup waten". Im ersten und im Endteil verliert sich die Erzählerin etwas in Geschwafel.
    Die Geschichte um Mabel, den Habicht, selbst ist doch recht dünn und gäbe in Reinform vermutlich so um die 70 Seiten her.
    Trotzdem hatte ich, wenn ich gerade keine Zeit hatte zu lesen, immer wieder den Gedanken "ich will jetzt zum Habicht zurück".


    Von mir gibt es 8 Punkte.
    Und mein Mann muss das Buch jetzt selbstverständlich auch lesen. Haha.
    Aber einsortieren werde ich es doch in die Sachbuch-Ecke.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

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  • Mir hat das Buch sehr gut gefallen. Die Verzahnung der unterschiedlichen handlungsstränge, die tolle Sprache und der Stil der Autorin, die einen biographischen Roman mit Sachbuchinhalten und zudem mit einer kleinen Literaturanalyse verknüpft hat, war herrlich zu lesen. Ich wollte das Buch irgendwann nicht mehr aus der Hand legen.


    Eine uneingeschränkte Empfehlung von mir!!! :-)

  • Als ich das Buch in meiner Lieblingsbuchhandlung ausliegen sah, hat es mich sofort angesprochen. Der Titel „H wie Habicht“ erinnerte mich sofort an eine Anlauttabelle, wie ich sie in meiner täglichen Arbeit benutze. Dazu sieht das Bild auf dem Umschlag aus, als stamme es aus einem alten Naturkundebuch. Aber ein Buch über das Abtragen eines Falken kaufen und auch noch lesen? Das Thema interessierte mich nicht die Bohne.
    Dachte ich. Und bekam das Buch glücklicherweise geschenkt, denn sonst wäre mir eine Perle entgangen.
    Das Buch hat mich beim Lesen direkt aus jeglicher Zeit katapultiert. Eigentlich ist es vollkommen egal, wann es spielt, denn eine Beziehung zu einem so ursprünglichen Tier wie einem Habicht aufzubauen, das ist ein zeitloses Unterfangen. Und irgendwie abartig, jedenfalls für meinen Geschmack. Trotzdem habe ich beim Lesen an den Seiten geklebt und mich mit Mabel, dem Habicht, gefreut, wenn es ihr gelang, ein Kaninchen zu töten. Befremdlich und dennoch erstaunlich nah hat es sich angefühlt, zu lesen, welche tierischen Instinkte dieses gemeinsame Jagen bei der Besitzerin des Habichts auslöst.
    Dieses Kunststück hat die Autorin Helen Macdonald geschafft und noch viel mehr.
    „H wie Habicht“ ist die Geschichte von Mabel und Helen, deren Traum es seit Kindheitstagen war, einen Habicht abzutragen. Sie erfüllt sich diesen Wunsch nach dem Tod ihres Vaters, den sie sehr bewunderte und dem sie sehr nahe stand. Sein Tod zieht ihr den Boden unter den Füßen weg. Helen verliert jeglichen Halt. Es ist also auch die Geschichte einer Trauerbewältigung.
    Zugleich ist es aber auch ganz allein Helens Geschichte, wie sie sich aus dem tiefsten und dunkelsten Sumpf einer Depression wieder zurück ins Leben kämpft. Und es ist die Geschichte des mir gänzlich unbekannten Autors T.H. White. Seine Bücher begleiteten Helen durch ihre Kindheit. In ihrem Buch stellt sie ihren Lesern nun diesen interessanten, aber durch und durch kaputten Schriftsteller vor. Umso heilsamer liest sich durch diese Blaupause hindurch Helens eigene Geschichte.
    Besonders gut gelungen, ja geradezu meisterlich geschrieben, sind die Szenen, in denen Macdonald die majestätische Schönheit ihres Habichts einfängt, wenn man beim Lesen spürt, wie das Tier ein Opfer fixiert, alle Nerven angespannt sind, bis der erlösende Sturzflug endlich einsetzt. Alle Geräusche des Alltags treten zurück, habichtgleich fixiert man die Zeilen des Buches, die Zeit bleibt stehen. Dass mich diese Natur-Schilderungen so fesseln, das hätte ich nicht gedacht.
    Helens Geschichte rund um die Trauer bleibt nackt und ursprünglich. Auch das gefällt mir ausgesprochen gut. Der Habicht hilft ihr zwar und gibt ihr einen Lebenssinn, ist aber kein Heilsversprechen, auch kein Beziehungsersatz, sondern Überlebensstrategie. Als die Trauer bewältigt ist, löst sich dieses symbiotische Verhältnis noch im Buch wieder auf. Habicht bleibt Habicht, Mensch bleibt Mensch. Das fühlt sich wohltuend an und irgendwie gesund.
    Das Buch ist noch viel mehr und meine Gedanken kratzen nur an der Oberfläche.
    Macdonald lernt in diesem Buch, dass „L wie Leben“ bedeutet, buchstabiert die Ursprünge dieses Lebens neu und lernt, dass in ihren Wurzeln die Fähigkeit zur Freiheit, zum Loslassen, verankert ist.
    Ein sehr lesenswertes Buch.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Das hast du schön geschrieben, Regenfisch!


    Ich muss immer noch daran denken, wie Helen entdeckt, dass sie mit Mabel spielen kann, ja, dass der Vogel es fast schon einfordert und braucht. Das hat mich so berührt, dass ich das wohl nie vergessen werde.

    „An solchen Tagen legt man natürlich das Stück Torte auf die Sahneseite — neben den Teller.“

  • H wie Habicht – Helen MacDonald


    Mein Eindruck:
    Dies mag ein Sachbuch sein, aber die kraftvolle und außergewöhnliche Sprache der Autorin macht es zu Literatur. Helen MacDonald hat Form und Ausdruck für ihre Themen gefunden. Es geht um Zähmung eines Habichts, um Trauerbewältigung und nebenbei wird noch ein schönes Portrait des englischen Dichters T.H.White.
    Immer wieder gibt es Passagen um T.H.White und sein Buch über die Aufzucht eines Habichts. Das inspirierte Helen MacDonald, als sie nach dem Tod ihres Vaters beschlossen hatte, ebenfalls einen Habicht aufzuziehen. Schon als Kind interessierte sie sich für Greifvögel und wurde schließlich Falknerin. Doch die Zähmung eines Habichts ist sehr schwierig. Den Habicht Mabel wird ihr ein und alles. Gemeinsam erleben sie die einzelnen Stationen der Abrichtung und Ausbildung.
    Da Helen noch tief in ihrer Trauer gefangen ist, gibt es bei aller Sachlichkeit viele emotionale Momente, wenn sie die Verbundenheit mit Mabel spürt.


    Die Passagen über T.H.White, der bei seiner Abrichtung des Habichts aufgrund seiner Unerfahrenheit viele Fehler machte, wirken immer wie ein Spiegel für Helen, die als Perfektionistin sich immer wieder in Frage stellt.
    Eine Biographie über T..H.White wird es dadurch nicht, obwohl ich gerade diese Abschnitte nicht missen möchte. Aber es bleibt die Geschichte von Helen und Mabel!


    Es sind die vielen berührenden Momente zwischen Mensch und Tier, die dieses Buch zu so etwas besonderen machen.