Hannah's Buch : Keine Kurzgeschichte, aber mal ein Anfang ;-)

  • 1.Kapitel


    Als sie aufwachte, fühlte sie sich nicht im geringsten ausgeruht. Sie hatte keine Ahnung, wie lange sie geschlafen hatte. Ihr Kopf schmerzte, als sie ihn in Richtung Nachttisch drehte, um auf die Uhr zu schauen. Sie konnte die Zahlen auf ihrem Radiowecker nicht erkennen.
    „ Zu dunkel, " war ihr erster Gedanke, „ oder ein Stromausfall. "
    Sie kramte in ihren Gedanken nach einer logischen Erklärung, warum sie sich so merkwürdig fühlte. Ihr Bett roch nach Erde und es war so dunkel, als hätte sie die Fenster mit Brettern vernagelt. Sie fühlte sich nicht, als wäre sie in der vertrauten Umgebung ihres Schlafzimmers – irgendwie war alles so falsch.
    Sie tastete an ihrem Körper hinunter, konnte keine Decke finden. Obwohl sie nur den dünnen Stoff eines Nachtkleides unter ihren Händen fühlte, war ihr nicht sehr kalt. Sie versuchte sich aufzusetzen, und erneut fuhr ihr ein scharfer Schmerz durch den Kopf. Ihr war so schwindlig, und sie stütze beide Händen neben ihren Oberschenkeln auf. Panik durchfuhr ihren ganzen Körper, als sie den Untergrund, auf dem sie saß, ertastete – Erde, Gras, Blätter – sie befand sich mit Sicherheit nicht in ihrem Bett.
    Ein Stöhnen ließ sie erschrocken zusammenzucken, bis sie merkte, das es von ihr selbst kam. Sie drehte den Kopf hin und her, konnte durch die Finsternis jedoch nichts erkennen. Sie blickte nach oben, und irgendetwas schlug ihr ins Gesicht. Sie griff mit den Händen danach und ein paar dünne Zweige zerbrachen in ihren zitternden Fingern. Sie schüttelte entsetzt den Kopf und konnte den Gedanken, den ihr Gehirn langsam zusammensetzte einfach nicht fassen – sie befand sich irgendwo draußen, im Freien, war mit nicht mehr als einem dünnen Nachthemd bekleidet und so sehr sie sich auch bemühte, sie hatte keinerlei Erinnerung, wie sie hierher gekommen war.
    „Ganz ruhig " , sagte sie sich, und unterdrückte das Schluchzen, das in ihrer Kehle nach oben stieg. Vorsichtig stemmte sie sich in die Hocke, und schob mit beiden Händen die Äste über sich beiseite.
    Als sie sich langsam aufrichtete, stellte sie fest, das es gar nicht so finster um sie herum war, wie sie zu Anfang geglaubt hatte. Sie schien sich in einem Park oder etwas ähnlichem zu befinden. In einiger Entfernung konnte sie eine Laterne und eine Bank erkennen. Sie selbst befand sich mehr oder weniger mitten in einem Haselnussstrauch, und als sie einen Schritt nach vorne trat, stieß sie mit ihrem nackten Fuß gegen etwas Weiches. Sie bückte sich danach und fand einen Stoffbeutel. Sie drückte ihn an sich und machte noch einen Schritt nach vorne. Spitze Zweige stachen ihr in die Fußsohlen, und sie wünschte sich, auch noch ein paar Schuhe zu finden.
    Im selben Augenblick wurde ihr klar, wie unwichtig ein paar Schuhe in dieser Situation waren, in der sie nicht einmal wußte, wo sie sich befand, geschweige denn, wie sie hier her geraten war. Sie sah sich noch einmal um. Der Park schien menschenleer und außer ein paar Grillen , die leise vor sich hin zirpten, war kein Geräusch zu hören. Es war fast ein Gefühl, als wäre sie allein auf der Welt. Die Panik kam mit aller Macht zurück und sie begann unkontrolliert zu zittern. Ein schlechter Zeitpunkt, um die Nerven zu verlieren.
    Sie zwang sich, in Richtung der Laterne zu laufen. Bei jedem Schritt schoß ein scharfer Schmerz durch ihren ganzen Körper, und sie fragte sich verzweifelt, was ihr geschehen würde, wenn sie wieder bewußtlos werden sollte. Sie streckte ihre steifen Glieder und ging wieder ein paar Schritte voran.
    Was war ihr geschehen, das sie in diese verrückte Situation gebracht hatte? Erleichtert stellte sie fest, das sie bei der Laterne angekommen war. Sie ließ sich auf die Bank nieder und versuchte einen klaren Gedanken zu fassen. Ihr Kopf war leer wie ein Vakuum und die Schmerzen trugen auch nicht gerade dazu bei, ihren Kopf zu produktiven Gedanken anzuregen. Sie dachte an dieses lächerliche Nachthemd, das sie trug und ihr Blick fiel auf ihre nackten Füße. Sie konnte sich nicht erinnern, an nichts, was ihr weiterhelfen würde. Plötzlich fiel ihr der Stoffbeutel wieder ein, den sie gefunden hatte, und sie öffnete ihn vorsichtig. Der Beutel gab nicht viel her: ein paar saubere Taschentücher, ein Kamm, ein zusammengefalteter Zettel, ein Parfüm und ein paar andere Dinge, womit sie aber nichts anzufangen wußte. Diese Dinge waren ihr alle so fremd, das sie langsam glaubte, das sie ihr gar nicht gehörten.
    Sie sah sich im Park um, aber sie war tatsächlich allein. Enttäuscht legte sie den Beutel zur Seite. Sie hatte sich zumindest einen Schlüsselbund erhofft. Jeder Mensch schleppte doch einen mit sich herum, dann hätte sie sich wenigstens auf die Suche nach ihrem Auto machen können.
    Fuhr sie überhaupt ein Auto? Es irritierte sie sehr, das sie sich an die einfachsten Dinge nicht erinnern konnte. Aber es brachte sie auch nicht das geringste Stückchen weiter, hier mitten in der Nacht auf einer Parkbank herum zu sitzen und sich den Kopf zu zerbrechen. Genauso gut könnte sie sich auf die Suche nach ... nach irgendetwas eben – einem Haus, Menschen oder vielleicht einer Straße, die sie irgendwohin führen würde, machen.
    Sie griff nach dem Stoffbeutel und stand auf. Welche Richtung? Egal, sie konnte auch genauso gut einfach geradeaus gehen.
    Weiches, nasses Gras streichelte ihre nackten Füße und sie dachte darüber nach, das ihr Leben vor 10 Minuten erst begonnen hatte, was natürlich auch nur eine Vermutung war, weil sie keine Uhr bei sich trug. Aber war das überhaupt wichtig, ob es früh oder spät in der Nacht war, wenn man sich an den Rest seines bisherigen Lebens nicht erinnern konnte? Sie fragte sich, wie weit ihre Erinnerungslücken wohl zurückreichten, aber sie wollte jetzt nicht darüber nachdenken! Wie nannte man diesen Zustand auch noch gleich? Amnesie – genau! Verwundert stellte sie fest, das diese Feststellung sie so gut wie gar nicht schockierte.
    Vorsichtig, einen Fuß vor den anderen setzend, als wäre sie unsicher, das von der Amnesie vielleicht auch ihre Füße betroffen sein könnten und ihr plötzlich den Dienst versagten, tappte sie los. Erstaunt registrierte sie, das sie leise flüsternd ihre Schritte zählte. Sie entfernte sich langsam von dem sicheren warmen Licht der Laterne, und die Dunkelheit verschluckte sie immer mehr.
    Als sie gerade 235 gezählt hatte, bemerkte sie ein Geräusch das langsam näher kam. Sie versuchte sich zu orientieren, aus welcher Richtung es kam, und als sie stehenblieb, um zu lauschen, stellte sie fest das es ein Motorengeräusch sein musste, denn es wurde stetig lauter und näherte sich ihr weiterhin. Hastig und mit laut pochendem Herzen, das sie in ihren Ohren dröhnen hörte, sah sie sich nach einer Straße um, und kurz darauf konnte sie vage das Licht eines Autoscheinwerfers ausmachen.
    Sie beschleunigte ihre Schritte um die Straße zu erreichen. Vertrocknete spitze Halme stachen in ihre nackten Fußsohlen, aber sie achtete nicht darauf. Winkend und rufend versuchte sie, auf sich aufmerksam zu machen, doch Bäume und dichte Hecken versperrten ihr die Sicht, und als sie die Straße endlich erreicht hatte, war sie fast versucht, sich mitten drauf zu stellen und mit beiden Armen zu winken.
    Irgendein ungutes Gefühl hielt sie jedoch im letzten Moment davon ab, und sie duckte sich ängstlich in das hohe Gras am Rand der Straße. Während sie verborgen am Straßenrand kauerte, konnte sie den Luftzug auf ihren nackten Armen spüren, als das Auto mit hoher Geschwindigkeit an ihr vorbei rauschte. Sie erklärte sich ihr Unbehagen damit, daß der Fahrer sie bestimmt nicht früh genug auf der Fahrbahn hätte sehen können, um noch rechtzeitig vor ihr zu bremsen, und sie vermutlich über den Haufen gefahren hätte, aber ihr war klar, das dies nur eine ziemlich lahme Ausrede für ihre wahren Gründe war, das sie sich hier verbarg.
    Was hätte sie dem Fahrer denn erklären sollen, das sie mitten in der Nacht in diesem merkwürdigen Aufzug auf der Straße stand? Wo sie es ja selbst nicht einmal wußte. Also beschloß sie, erst einmal der Straße zu folgen, und abzuwarten, wohin sie schließlich führen würde. Leise vor sich hin flüsternd zählte sie ihre Schritte, als sie der dunklen Straße folgte.

  • Wow... Ich finde dieses erste Kapitel super spannend und es juckt mich zu erfahren, wie es weiter geht. Warum sie dort gelandet ist und was noch passiert... Ich finde es bisher einfach klasse...


    Magst Du nicht das zweite Kapitel auch noch posten? Bitteeee.... ;)

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Dies war wieder mal einer dieser Tage, an denen Nina Evans sich wünschte, ihr Leben um etwa 10 Jahre zurückdrehen zu können und sich sicher zu sein, das sie die selben Fehler nicht noch einmal machen würde.
    Nicht mehr zu heiraten, keine Kinder zu bekommen und vor allen Dingen nicht mehr in diesem gräßlichen Haus leben zu müssen, das sie mit jeder Faser ihres Körpers haßte.
    Egal wieviel Mühe sie sich jeden Tag auch gab, das Beste aus dem zumachen, was sie an Möglichkeiten hatte, um dem Haus ihren Stempel von Behaglichkeit aufzudrücken, irgendwann kam immer wieder der Punkt, an dem ihr die Schäbigkeit und die Unzulänglichkeit ihrer Bemühungen nur allzu bewußt wurden.
    Und wenn sie dann endlich mit der ganzen Putzerei fertig war, und ihr alle Knochen von der Anstrengung weh taten, fragte sie sich jedesmal, warum sie sich eigentlich die Mühe machte. Sie selbst fühlte sich nämlich genauso unwohl wie zuvor.
    Ihrem Mann Mike machte das alles herzlich wenig aus, kein Wunder, er war ja schon in diesem Haus groß geworden, und kannte es von Kindheit an eben nie anders. Als sein Vater starb und seine Mutter ein paar Jahre später wieder heiratete, war es für ihn gar keine Frage gewesen, das er das Haus übernehmen würde.
    Sie hatten bis dahin drei Räume im Obergeschoss bewohnt, und Nina hatte immer daran geglaubt, das sie irgendwann, wenn sie nur genug Geld zur Seite legten, ein kleines, aber gepflegtes Häuschen mit einem schönen Garten kaufen würden. Daran hatte sie sich die ganze Zeit geklammert, wenn sie mal wieder unglücklich über ihre unpersönliche Dreizimmerwohnung war. Voll gestellt mit Möbeln, die sie bei ihrem Einzug von Freunden, Verwandten und großzügigen Nachbarn erhalten hatten, wirkten die Zimmer mit den viel zu kleinen Fenstern vollkommen überladen. Von Gemütlichkeit und einem Zuhause, in das man nach einem langen, anstrengenden Arbeitstag gerne zurückkehrte, konnte gar keine Rede sein.
    Als Mike `s Mutter dann überraschend verkündete, das sie wieder heiraten würde, kam das zu einem ziemlich unpassenden Augenblick.
    Da war gerade ein neues Auto, das bezahlt werden mußte, und Nina würde in 4 Monaten ihr erstes Baby bekommen. Sie hatten schon damit angefangen, ein Babyzimmer einzurichten, und das Geld, welches noch übrig geblieben war, reichte gerade noch für die Neuanschaffungen, die nun ins Haus standen. Ihnen blieb also gar keine andere Wahl, als auf der Bank einen Kredit aufzunehmen und Mike`s Mutter das Haus abzukaufen.
    Nina hatte sich seitdem bestimmt 1000mal gefragt, warum sie diesen Kredit nicht für die Anzahlung auf eines der kleinen Einfamilienhäuschen, die gerade in der Gegend gebaut wurden, benutzt hatten. So oft sie später, mit dem kleinen Jamie im Kinderwagen, durch die kleinen Straßen bummelte, in denen kaum Autos fuhren und die wunderhübschen Häuschen, mit ihren gepflegten Gärten betrachtete, trauerte sie ihrer verpaßten Chance nach, auch eines dieser Häuschen zu besitzen. Stattdessen saßen sie nun in diesem von ihr so gehaßten Haus fest.
    Als Jamie beinahe 5 Jahre alt gewesen war, hatten sie beschlossen ein zweites Kind zu bekommen. Nick war ein fantastisches Baby, und es machte Nina großen Spaß, ihn zu versorgen, so das sie für einige Zeit ihren Unmut über die unbefriedigende Wohnsituation vergaß.
    Zur Zeit besuchte Nick noch die Vorschule und kam erst kurz nach 12 Uhr zurück, was Nina Zeit ließ, ihre Arbeiten zu erledigen. Nachmittags hatte sie dann genügend Zeit für Jamie und Nick, wenn diese nicht gerade ihre eigenen Pläne hatten, was immer häufiger vorkam!
    Inzwischen war Jamie fast 11 und Nick 6, und er würde diesen Sommer in die Schule kommen, worauf er sich schon richtig freute. Sie hatte mit der Zeit lernen müssen, das die beiden ihre eigenen Wege gingen, aber sie wußte jetzt schon, das große Haus würde still sein, wenn Mike auf der Arbeit wäre und beide Kinder bis zum späten Nachmittag aus dem Haus. Noch mehr Zeit, über verpaßte Chancen nachzugrübeln.
    Es war fast 11 Uhr, als Nina endlich ihre trüben Gedanken beiseite schob. Mit ihrer Arbeit war sie fertig und das Mittagessen hatte noch Zeit. Die Betten waren gemacht, die Zimmer aufgeräumt, das Geschirr gespült, die Wäsche gewaschen und zum Trocknen in den Garten auf die Leine gehängt – eigentlich hätte sie sich jetzt eine Pause gönnen können, aber sie wanderte ruhelos in dem stillen Haus herum und schüttelte hier noch ein Kissen auf und wischte ein paar Krümel weg.
    Am Ende stand sie am Fenster und blickte in den Garten hinunter, wo die Wäsche im Wind flatterte. Es war ein hübscher und gepflegter kleiner Garten, aber sie war nie auf die Idee gekommen, ein paar Gartenstühle oder eine Liege dort aufzustellen, wo sie sich in ihrer freien Zeit hätte aufhalten können. Es war nämlich so, das sie dort nie wirklich allein gewesen wäre, weil man von den umliegenden Häusern ungehindert hinein sehen konnte. Und es reizte sie herzlich wenig, mit den alten Frauen aus der Nachbarschaft den neuesten Klatsch auszutauschen. Also machte sie es sich meist auf dem Sofa bequem und schmökerte in einem spannenden Buch, das sie sich entweder in der Bücherei ausgeliehen hatte oder billig auf einem der Trödelmärkte erstanden hatte, die sie an den Sonntagen des öfteren abklapperten.
    Das war immer etwas, auf das sie und die Kinder sich die ganze Woche über freuten. Jamie stöberte am liebsten nach Comic-Heften aller Art, die er dann meist noch an seine Freunde aus der Schule weiter gab und Nick hatte eine Vorliebe für Plüschtiere. Sein Zimmer sah inzwischen aus wie ein Zoo, aber Nina befürchtete, das diese Phase auch bald zu Ende sein würde, spätestens, wenn er seine ersten Schulfreunde mit nach Hause bringen würde.
    Bei ihrem letzten Trödelmarktbesuch hatte er ein riesiges Krokodil erstanden, das er zur Zeit überall mit hinschleppte. Wo Nick war, war also auch sein Krokodil, das er Koko getauft hatte, nicht weit.
    Nina selbst hatte ein fast neues Buch ihrer Lieblingsschriftstellerin gefunden aber sie konnte sich nicht entschließen, mit dem lesen zu beginnen. Zu viele Gedanken wanderten in ihrem Kopf herum, sie wußte, das sie sich nicht auf das Buch würde konzentrieren können.
    Plötzlich meinte sie einen Schatten hinter einem von Mike’s weißen Hemden, die sie zum Trocknen auf Bügel in den Garten gehängt hatte, zu sehen. Sie runzelte verwirrt die Stirn und glaubte schon sich getäuscht zu haben, als plötzlich eine Frau zwischen den frisch gewaschenen Bettüchern auftauchte und sich verstohlen im Garten umblickte.
    Der erste Gedanke, der Nina durch den Kopf schoß war, das schon wieder mal eine der alten Damen aus dem Altenpflegeheim in Valley View ausgebüchst sein mußte, und sie legte sich bereits die Worte zurecht, mit denen sie die sicherlich verwirrte alte Frau ins Haus locken würde um sie am Küchentisch mit einer Tasse frisch aufgebrühtem Tee zu beruhigen. Dann würde sie im Heim anrufen, und einen der Pfleger bitten müssen, herzukommen um die alte Dame abzuholen.


    Als die Frau im Garten nun durch die weißen Laken hindurchschlüpfte und nach einer von Mikes Jeans griff, konnte Nina sie etwas besser sehen und ihr wurde sofort klar, das sie sich geirrt hatte:
    Das Gesicht, das von wirren, braunen Locken umrahmt war, war zu jung, um in ein Altersheim zu gehören. Nina konnte zwar auf die Entfernung, nicht viele Details des Gesichtes der Frau erkennen, aber als die schmale Gestalt nun in die wohl noch feuchten Hosen schlüpfte und dabei das weiße Kleid- es war wohl eher ein Nachthemd- unters Kinn klemmte, um die Knöpfe besser schließen zu können, bemerkte sie, das dies eindeutig nicht die Bewegungen einer alten Frau waren.
    Während sie das Geschehen weiter beobachtete, fragte sie sich plötzlich, warum sie in aller Seelenruhe noch hier am Fenster stand. Diese Fremde stahl Kleider von ihrer Wäscheleine und sie hatte nichts besseres zu tun, als sich Gedanken über das Alter dieser Person zu machen?
    Mit einem Ruck löste sie sich vom Fenster und eilte in Richtung Küche, von der eine Treppe in den Garten führte. Sie stieß mit ihrer linken Hüfte gegen die Kante des Küchentisches, aber sie ignorierte den Schmerz und riß die Tür auf, nachdem sie beinahe den Schlüssel aus dem Schloß gerissen hätte, so heftig und ungeduldig hatte sie daran gedreht.
    Die Tür schwang nach innen auf und stieß gegen den Schrank. Sie war schon halbwegs die Treppe hinunter, als die Tür mit einem lauten Knall wieder zuschlug. Sie schenkte dem Fenster in der Tür nur einen flüchtigen Blick und sah, das es einen Riss quer über die Scheibe abbekommen hatte.
    Fluchend sprang sie die letzten Stufen hinunter und sah sich keuchend im Garten um.
    Von der Frau war nichts mehr zu sehen, sie war verschwunden und mit ihr Mike's Lieblingsjeans und Nina's blaues Reebok-Shirt. Die leeren Klammern baumelten einsam an der Leine...


    3. Kapitel


    Sie hatte es gerade noch so geschafft, aus dem Garten zu verschwinden, nachdem sie mit einem kräftigen Ruck das Shirt von der Leine gerissen hatte.
    Zum Glück hatte sie aus dem Augenwinkel die Gestalt am Fenster und ihr plötzliches Abwenden bemerkt, und nur einen kurzen Moment gezögert, bevor sie die Flucht ergriffen hatte. Nur den Bruchteil einer Sekunde hatte sie gezögert und mit dem Gedanken gespielt, um Hilfe zu bitten. Aber was hätte sie denn sagen sollen, um den Diebstahl der Kleider zu rechtfertigen ?
    " Entschuldigung, das ich ihre Kleider stehle, aber ich fühle mich in diesem Nachthemd so unwohl! " Womöglich hätte diese Frau die Polizei gerufen, und sie wußte nicht, ob ihr die im Moment eine Hilfe waren. Erst wollte sie in Ruhe nachdenken, um doch vielleicht noch ein paar Brocken irgendeiner Erinnerung aus den Tiefen ihres Gedächtnisses zu fischen.
    Sie brach in beinahe schon hysterisches Gekicher aus, während sie den schmalen Feldweg entlang lief, der sie zu ihrem Versteck bringen würde.


    Nachdem das Auto an ihr vorbei gerauscht war, war sie der Straße gefolgt und immer wieder lauschend stehen geblieben, um sich vor weiteren Autos rechtzeitig verstecken zu können. Weil ihr doch kein Auto mehr begegnete, mutmaßte sie, das es mitten in der Nacht sein musste.
    Sie hatte ihren Weg fortgesetzt, leise vor sich hin flüsternd ihre Schritte gezählt, um sich von den wirren Gedanken abzulenken, die durch ihren immer noch schmerzenden Kopf jagten. Irgendwann schmerzten ihre nackten Füße sie zu sehr, und sie beschloß, in einen der zahlreichen Feldwege, die von der Straße wegführten, abzubiegen. Außerdem wurde es langsam hell, und bald würde die Straße wieder mehr befahren sein.
    Anscheinend hatte sie mit dem von vielen Haselnußsträuchen und Hagebuttenhecken gesäumten Weg eine gute Wahl getroffen, führte er sie doch zu einer kleinen, windschiefen und halb verfallenen Kate. Der üble Zustand ließ sie darauf schließen, das hier lange niemand gewesen war, und der Weg war mit Gras, das ihr fast bis zu den Knien reichte, zugewachsen. Wäre irgendein Fahrzeug in der letzten Zeit auf diesem Weg gefahren, hätte das Gras flach am Boden niedergedrückt liegen müssen.
    All diese Folgerungen bestärkten sie in ihrem Gefühl, hier fürs erste sicher zu sein.
    Sicher vor was? Oder vor wem?
    Vielleicht war sie ja eine Ansässige des nächsten Ortes, von dem das Auto gekommen sein musste.
    Überfallen, verschleppt und in einem einsamen Park bewußtlos zurückgelassen?
    Sie schaffte es nicht, den Gedanken zu Ende zu führen, wollte es gar nicht, zudem ihr Kopf schmerzte, als hätte jemand einen Hammer darauf nieder sausen lassen.
    Vorsichtig stieg sie über Bretter, aus denen sie lange verrostete Nägel ragen sah. Die Tür der Kate stand halboffen, aber der Mondschein reichte nicht aus , um auch das Innere etwas zu erhellen. Mit den Händen tastend, räumte sie einen Haufen Gerümpel beiseite, der ihr den Zugang versperrte. Dabei stieß sie auf eine kleine, schmale Pritsche mit einer feuchten Matratze, die an der Wand stand. Sie ließ sich langsam darauf nieder und als keine Mäuse oder anderes Getier vor ihr aufschreckten, streckte sie sich mit ihrem erschöpften Körper ganz darauf aus. Die Unterlage roch einfach ekelhaft nach Staub, Feuchtigkeit und anderen unangenehmen Dingen, von denen sie lieber nichts wissen wollte.

  • Sie überlegte kurz, ob sie etwas von dem Parfüm, das sich in dem Stoffbeutel befand, darauf versprühen sollte, aber vermutlich würde das nur wenig nützen. Stattdessen knüllte sie den Beutel zu einen Art Kissen zurecht und schob ihn unter ihren Kopf. Ihre Augen richteten sich für einen Moment auf die nur halb geschlossene Tür, die oben aus den Angeln gerissen war. In dem kleinen Fenster ihr gegenüber fehlte das Glas, aber wenigstens hatte sie ein Dach über dem Kopf.
    Müde schloß sie die Augen und war innerhalb weniger Minuten fest eingeschlafen.



    Während sie nun den Feldweg entlanglief, das schmutzige Nachthemd das sie inzwischen gegen das Shirt ausgewechselt hatte fest an sich gepresst, versuchte sie so wenig wie möglich das Gras niederzutrampeln, was ihren Weg verraten hätte. Sie hatte sich ein paarmal nach hinten umgesehen, aber inzwischen war sie sich sicher, das ihr niemand folgte. Daraufhin verlangsamte sie íhre Schritte, und begann sich umzusehen.
    Sie musste ziemlich nahe an dem Dorf sein, obwohl sie glaubte, das das Haus, von dem sie eben noch die Wäsche von der Leine gestohlen hatte, etwas abseits lag. Allmählich machte sich ihr Magen bemerkbar, und sie pflückte eine Handvoll Nüsse von einem Strauch ab. Sie knackte die Schale mit den Zähnen auf und verschlang die Kerne. Dann hielt sie Ausschau nach irgendwelchen Obstbäumen, aber die wenigen Apfelbäume, die sie entdeckte waren entweder schon abgeerntet oder hatten keine Früchte getragen.
    Als sie in der Hütte ankam, griff sie nach dem Stoffbeutel, den sie auf der Matratze zurückgelassen hatte. Sie nahm jeden Gegenstand einzeln heraus und legte ihn neben sich auf die Matratze : Das Parfümfläschen, 7 unbenutze Papiertaschentücher, die sie ordentlich stapelte, ein kleines Taschenmesser mit ausklappbaren Funktionen, das ihr evtl. nützlich sein würde, ein Stift, Feuerzeug und Zigaretten, beides nur noch halbvoll, eine Rolle Pfefferminzbonbons und einen zusammengefalteten Zettel den sie hastig öffnete :
    "Sonntag, 30.September , 22.00 Uhr , Dr. Garcia , Ashley Point " stand da.
    Sie tastete noch einmal mit den Händen in dem Stoffbeutel herum und stülpte das Innere nach außen, aber sonst befand sich nichts mehr darin. Sie nahm sich ein Bonbon und stopfte den restlichen Kram wieder hinein, mitsamt dem Nachthemd und behielt nur die handgeschriebene Notiz noch fest.
    Nachdenklich starrte sie auf den Zettel und überlegte, ob das ihre Handschrift sei. Sie fuhr mit den Fingerspitzen die schwarze Schrift nach und kramte dann nach dem Stift, der sich im Beutel befunden hatte. Sie riß die Verschlußkappe ab und sah, das zumindest die Farbe mit der auf dem Zettel übereinstimmte. Sie drehte den Zettel, der so groß wie ihre Handfläche war, und stellte fest, das die Rückseite leer war. Zögernd schrieb sie ein paar Buchstaben : " Sonntag " und drehte den Zettel wieder, um die Schrift zu vergleichen. Frustriert starrte sie dann wieder auf ihr Gekrakel mangels einer Schreibunterlage und konnte nicht die geringste Ähnlichkeit feststellen.
    Sie war also genauso schlau wie vorher. Dann fiel ihr ein, das sie nicht einmal wußte, welches Datum heute war, und ob der Termin auf dem Zettel schon Vergangenheit war oder noch bevorstand. Wo oder was war Ashley Point ? Oder war das der Name einer Person, womöglich ihr eigener Name ?
    " Ashley , " murmelte sie vor sich hin aber es klang weder vertraut noch beschwor es irgendeine Erinnerung herauf.
    Sie würde also noch einmal in das Dorf gehen müssen, um herauszufinden, welcher Tag heute war und um etwas zu essen zu besorgen. Aber für dieses Unternehmen wollte sie erst einmal die schützende Dunkelheit abwarten. Und bis dahin blieb ihr genügend Zeit sich einen Plan zurecht zulegen.

  • Diese beiden Kapitel haben mir auch einfach nur Lust auf mehr gemacht.... :]


    Also ich muss sagen, dass mir Dein Schreibstil sehr gefällt. Man kann sich wunderbar in die Personen, Orte und Situationen hineinversetzen... Mir gefällt es echt sehr gut und wenn Du magst, dann tue Dir keinen Zwang an und stelle ruhig weitere Kapitel hier herein... ;) (*hofft das sie es tut*)

    "Nicht wer Zeit hat, liest Bücher, sondern wer Lust hat, Bücher zu lesen, der liest, ob er viel Zeit hat oder wenig."

    - Ernst Reinhold Hauschka

    Zitat

  • Hallo Morgana !


    Das baut einen richtig auf, so einen positiven Zuspruch zu bekommen ! Vielen Dank :] *totalfreu*


    Es gibt noch ein paar weitere Kapitel, aber mit denen bin ich noch nicht so zufrieden !


    Wenn ich schreibe, ist es nicht so, das ich das was ich schreiben will schon im Kopf habe, das passiert und entwickelt sich erst während des Schreibens, und da purzeln die Gedanken manchmal nur so durcheinander !


    Diese Kapitel werden dann noch etliche Male überarbeitet, bis alles stimmig ist und mir selber auch gefällt !


    Was mal irgendwann daraus wird - keine Ahnung, ich wüsste ja nicht mal, wie es weitergeht, wenn das Manuskript irgendwann mal fertig sein sollte.


    Aber es ist schon ein schöner Gedanke, das auch anderen das, was ich schreibe gefallen würde, und sie gespannt auf mehr macht !


    Auf jeden Fall werde ich nun mit neuem Elan an die Arbeit gehen ;)


    Liebe Grüße


    Hannah

  • Hallo Doc !


    Nö, einen konkreten Titel habe ich eigentlich noch nicht, ich denke, wenn ich mal weiß, auf was die Story hinauslaufen soll, werde ich mal darüber nachdenken !


    Im Moment arbeite ich gerade erst mal daran, erste Andeutungen, was der Frau mit der Amnesie passiert ist, auszuarbeiten !


    Sie hat sich nämlich inzwischen Nina anvertraut, die ihr zu helfen versucht ! Was nicht ganz unerhebliche Turbulenzen in Nina's fades Leben bringt ;)


    Aber mehr kann ich dazu auch noch nicht sagen, weil mir inzwischen verschiedene Ideen vorschweben, und um die gut umsetzen zu können, das es auch eine Logik ergibt, bin ich schon den ganzen Nachmittag im Internet am forschen und Notizen machen *schweißvonderstirnwisch*


    Bei 2 von den Möglichkeiten müsste ich allerdings nochmal einiges ändern, aber die 3. ist mir zu einfach und offensichtlich ...


    Wenn, dann soll es auch spannend weitergehen und nicht schon nach 100Seiten klar sein, wo der Hase läuft :grin


    So, dann mach ich mal weiter :write


    Liebe Grüße


    Hannah

  • Hallo Hannah,


    Mensch das ist echt super ! ich war beim lesen gleich total gefangen ! ich möchte unbedingt wissen, wie es mit den beiden Frauen weitergeht !


    Dein Schriebstil gefällt mir sehr gut ! Und wenn du das Buch irgendwannfertig hast, dann würde ich es auch kaufen !

    liebe Grüsse melanie


    Wenn man Engeln die Flügel bricht, fliegen sie auf Besen weiter !
    :keks


    :lesend )

  • Hallo Hannah,
    Respekt, dein Buch scheint echt klasse zu werden.Du hast einen tollen Schreibstil, du bringst Humor in die Geschichte (ich mußte schmunzeln als Nina da einfach vor dem Fenster stehen bleibt und erstmal seelenruhig zuguckt wie ihr die Sachen geklaut werden), du bringst schon von Anfang an Spannung in die Geschichte.Man will unbedingt wissen wer diese Frau ist und was mit ihr los ist.Also ich muss echt sagen, dass interessiert mich echt brennend wer die junge Dame ist und was da überhaupt los ist.Mach auf jeden Fall weiter so und wenn du ein neues Kapitel fertig hast....Zeigen.
    gruß orquidea

  • Hallo Melanie, hallo Orquidea und alle anderen auch !


    Danke - ihr habt mir mit eurem Lob echt Mut gemacht weiterzuschreiben :]


    So wie es ausschaut, scheine ich ja auf dem richtigen Weg zu sein ;)


    Wenn man manchmal so am schreiben ist, da eine Geschichte in die Tatastur hämmert, da fragt man sich schon : Interessiert das überhaupt irgend jemanden, oder ist es eine Story, die nur mir zu gefallen scheint ???


    So ein Zuspruch von Außenstehenden tut da unendlich gut, man spürt, das die ganze Mühe nicht umsonst ist !!!


    1000 Dank !


    Sobald das nächste Kapitel überarbeitet ist, werde ich es hier einstellen, als "Danke schön" sozusagen ;)


    Liebe Grüße


    Hannah