Schreibwettbewerb September-November 2015 - Thema: "Schein und Sein"

  • Thema September/Oktober 2015:


    "Schein und Sein"


    Vom 01. September bis 31. Ootober 2015 - 18:00 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb September/Oktober 2015 zu o.g. Thema per Email an schreibwettbewerb@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 1. November eingestellt. Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!



    Achtung: Achtet bitte auf die Änderungen! Annahmeschluß ist ab sofort immer am Monatsletzten um 18:00 Uhr und die e-mail Adresse hat sich wie folgt geändert - schreibwettbewerb@buechereule.de

  • von Inkslinger



    Bis vor einer halben Stunde war es Kims perfekter Tag gewesen. Eine wohlgeplante Hochzeit ohne Komplikationen. Ihr frischgebackener Ehemann war pünktlich erschienen, hatte die wichtige Frage mit 'Ja' beantwortet und die Gäste amüsierten sich. Zumindest hatte sie das gedacht.


    Kim saß im Umkleideraum der kleinen Kirche und starrte auf den Zettel in ihrer Hand.


    DU HAST KEINE AHNUNG, WEN DU DA HEIRATEST


    Sie las die Worte immer und immer wieder. Was hatte das alles zu bedeuten? Wer hatte den Zettel auf dem Gabentisch im Festsaal platziert? Und vor allem, wieso?


    Niemand in ihrem Freundes- oder Familienkreis hatte je etwas gegen diese Heirat gesagt oder auch nur ansatzweise angedeutet, dass ihnen was nicht passt. Und normalerweise waren sie nicht zurückhaltend mit ihren Meinungen und Urteilen.
    „Ich muss unbedingt rausfinden, wer mir hier was zu sagen hat.“, sagte sie leise vor sich hin, raffte ihren Rüschenrock und lief, so schnell ihr opulentes Brautkleid es zuließ, nach draußen.


    Im Gartenpavillion feierten die Gäste. Sie tranken reichlich, lachten und tanzten. Als sie die Braut kommen sahen verstummten manche und warteten gespannt, was passieren würde. Doch als sie merkten, dass sie es nicht auf einen von ihnen abgesehen hatte, fingen sie wieder an zu lärmen.
    Kim lief gezielt auf einen der Anwesenden zu, packte ihn beim Arm und führte ihn von seiner belustigten Gesellschaft fort.


    „Was ist los, Kim? Ist dir dein Schleier ins Klo gefallen, oder was?!“
    „Lass die blöden Scherze, Stefan. Hast du diese fiese Nachricht bei den Geschenken platziert um mir meine Hochzeit zu versauen?“
    Er schaute sie verwirrt an.
    „Kein Plan, wovon du redest. Ich schreibe keine 'fiesen Nachrichten'.“
    „Tu nicht so unschuldig! Du warst doch von Anfang an eifersüchtig auf Yannik! Sieh es endlich ein, zwischen uns ist es aus!“
    Stefans Blick verdüsterte sich.
    „Zwischen uns wird es nie aus sein, Kim. Ich weiß einfach, dass er nicht der Richtige für dich ist. Er kennt dich doch gar nicht. Und er wird dich auch nie so akzeptieren, wie du bist. Ich schon.“
    Kim schnaubte verächtlich.
    „Ich liebe Yannik und er liebt mich. Auch wenn wir erst ein Jahr zusammen sind.“
    Sie stürmte zurück zur Kirche und Stefan folgte ihr.



    Als Kim in die Kapelle trat, entschuldigte Yannik sich bei seinen Eltern und dem Pfarrer, mit denen er sich gerade unterhalten hatte, und ging ihr entgegen.
    „Ist alles okay? Wir haben schon auf dich gewartet.“
    „Ja, Schatz, alles bestens. Lass uns zu den anderen raus gehen und den schönen Tag feiern.“




    Zwei Tage später fand man Stefan in der Abstellkammer des Pfarrhauses. Er war mit einem pinken Seidenschal erdrosselt worden. Der verantwortliche Kriminalkommissar konnte die Tat einer Serienmörderin zuordnen, die innerhalb der letzten zehn Jahre bereits fünf andere Männer auf diese Weise getötet hatte. Sie wurde die 'Pinke Drossel' genannt.

  • von Sinela



    Aufgeregt schwirrte Emma durch das Fenster der leerstehenden Garage, in der das Wespennest an der Decke hing. Völlig außer Atem flog sie hinein und rief:
    „Ich … habe … Essen … gefunden. Viel Essen!“
    Sofort war sie von den Mitgliedern ihres Volkes umringt, die noch halbwegs bei Kräften waren.
    „Essen?“
    „Wo?“
    „Reicht es auch für uns alle?“
    „Ja, es ist genügend da, davon können wir tagelang leben.“
    „Auf was warten wir dann noch? Lasst uns schnell hinfliegen!“
    Wie auf Kommando formierten sich die Wespen, verließen das Nest und die Garage und folgten Emma in den sonnigen Spätsommertag hinaus.



    „Herzlich willkommen zu unserem Ernährungsseminar.“
    Sieglinde Schubert ließ ihren Blick über die anwesenden Frauen schweifen. Wieder einmal waren alle Plätze belegt, dieses Seminar war wirklich eine Goldgrube.
    „Da die Sonne es heute nochmal gut mit uns meint, habe ich alles, was wir brauchen, draußen aufbauen lassen. Bitte folgen Sie mir hinaus in den Garten.“
    „Wow, das ist ja gigantisch! So viele leckere Sachen, da bekomme ich ja Hunger.“
    Staunend schauten die Frauen auf das Essen, das auf den Tischen stand.
    „Dann wollen wir mal beginnen ...“



    „Da unten, seht ihr: Kuchen,Torten, Muffins, Kekse, Fleisch, Wurst, Käse und und und – das muss das Schlaraffenland sein.“
    Emma drehte sich beifallheischend um, doch ihre Schwestern hatten nur Augen für das viele Essen. In den letzten kühlen Oktobertagen hatten sie hungern müssen, doch heute, nein heute würden sie satt schlafen gehen. Im rasanten Flug stürzten sich die Wespen auf die Tische, was hysterische Schreie und letztendlich eine Massenflucht bei den dort anwesenden Frauen verursachte. Rasch waren alle Leckereien auf den Tischen vor Wespen nicht mehr zu sehen.
    „Was ist das denn?“
    „Das riecht ja nach gar nichts.“
    „Ich kann da nicht reinbeißen, der Kuchen ist total hart.“
    Frust breitete sich aus, gefolgt von Wut.
    „Jetzt habe ich die Faxen dicke, du mistiges Ding.“
    Zack, der Stachel saß. Emma holte erneut aus.
    „Lass dass!“, rief die Wespe neben ihr.
    „Pah, du kannst mich mal“, pampte Emma ihre Freundin Sina an.
    Ein neuer Stich, ein Knall – der Kuchen explodierte und schleuderte alles in Reichweite von dannen. Emma fand sich auf der grünen Wiese wieder; ihre Freundin lag völlig benommen neben ihr, genau wie viele andere der Wespen.
    „Was war das denn?“
    Sina rappelte sich mühsam auf.
    „Du dumme Nuss, das war kein richtiges Essen, das war mit Luft gefüllter Gummi, der das Aussehen von Kuchen und dem anderen Zeug hatte!“
    Emma ließ den Kopf hängen. Was für ein Reinfall. Sie war für alle Zeiten blamiert. Völlig geknickt flog sie den anderen Wespen, die sich wieder erholt hatten, hinterher. Hier gab es nichts für sie zu holen.

  • von churchill



    Die Träume des Gefangenen
    Das Lied der Galgenvögel
    Lied von den Seligen
    Das Beschwerdelied
    Sonett für Trinker
    Großer Dankchoral
    Der Zweifler
    Gottes Abendlied


    Über das Lehren ohne Schüler
    Wer belehrt den Lehrer
    In finsteren Zeiten
    Vom fünften Rad
    Verwisch die Spuren
    Von seiner Sterblichkeit
    Hymne an Gott


    Bericht des Schiffbrüchigen
    Vom Klettern in den Bäumen
    Über das Frühjahr
    Vom Schwimmen in Seen und Flüssen
    Der gordische Knoten
    Der brennende Baum


    Gesang von einer Geliebten
    Über die Unfruchtbarkeit
    Entdeckung an einer jungen Frau
    Die Geburt im Baum
    Gegen Verführung


    Das Entsetzen, arm zu sein
    Der letzte Wunsch
    Vom Geld
    Prototyp eines Bösen


    Die Auswanderung der Dichter
    Liturgie vom Hauch
    Der Himmel der Enttäuschten


    Lied der preiswerten Lyriker
    Ein bitteres Liebelied


    Von der Freundlichkeit der Welt

  • von Marlowe



    In dem kleinen Bistro herrschte eine fröhliche Atmosphäre. Lydia war zum ersten Mal hier, aber schon nach fünf Minuten fühlte sie sich geborgen und angenommen. Neben ihr stand Holger, er war direkt nach ihr gekommen, hatte sich neben ihr an die Bar gesetzt und sich höflich vorgestellt, nachdem er sie gefragt hatte, ob dort noch frei wäre.
    Innerhalb kürzester Zeit unterhielten sie sich angeregt über Literatur, kamen dadurch dann auf Kino und welche Art von Filmen sie bevorzugten, und so vergingen die Stunden mit interessanten Themen und einem unterschwelligen Flirten, dass beide sehr genossen.
    Gegen Mitternacht sagte sie dann, sie müsse jetzt leider nach Hause, denn am nächsten Morgen wäre frühes Aufstehen angesagt. Er bot sich an, sie nach Hause zu begleiten, und dieses Angebot nahm sie gerne an.
    Auch während des Heimweges unterhielten sie sich, und als sie endlich vor ihrem Wohnblock angekommen waren, hätte ihn Lydia gerne gefragt, ob er noch “auf einen Kaffee“ mit raufkommen wolle und sagte ihm das auch. Betonte aber gleichzeitig, dass das eben nicht ginge, weil sie nur zur Untermiete wohnte. Bis sie etwas Eigenes gefunden hätte, schob sie dann noch hinterher.
    Das Problem kenne er nur zu gut, hatte er geantwortet, bei ihm sei es ähnlich. Also verabredeten sie sich für den kommenden Samstag wieder im Bistro.
    Lydia betrat ihre Wohnung, schlängelte sich durch den langen Flur zwischen Kisten, Kartons, Tüten und Säcken und schlüpfte in ihr Badezimmer. Das einzige Zimmer, in dem kein Chaos herrschte, in dem Platz war und das so ordentlich war, wie Lydia eigentlich die ganze Wohnung haben wollte. Aber sie schaffte es einfach nicht, sie konnte sich von nichts trennen, alles in ihrer Wohnung hatte für sie einen Wert. Sie wusste es nur zu gut, sie war ein Messie. Sie nahm sich vor, ab morgen etwas zu ändern, zog sich um und legte sich seufzend im Schlafzimmer zwischen Pappkartons und gestapelten Büchern auf eine Matratze. Sie weinte still vor sich hin, weil sie wusste, sie würde auch morgen wieder nichts ändern.
    Holger, endlich auch zu Hause angekommen, schlich in den Keller, den er seit zwei Monaten heimlich bewohnte, sah sich kurz um und stöhnte leise. Er wusste, er musste da so schnell wie möglich wieder raus. Irgendwann würde man ihn entdecken. Morgen fange ich an, sagte er sich, ganz bestimmt. Dann legte er sich in seinen Schlafsack und träumte sich aus dem Keller hinaus.

  • von Johanna



    Wir spielen heut verkehrte Welt.
    Ein Spiel, das Kindern sehr gefällt.
    Mal sehen, wie sich das Leben dann verhält,
    wirds anders, besser, vielleicht sogar erhellt?



    Wir schicken alle Aktionäre,
    weit weg, gen Stratosphäre.
    Wir wollen sie nicht, die Funktionäre,
    es zählt nicht mehr das Monetäre.



    Geld und Macht die gibt’s nicht mehr,
    die sind nur hohl und machen leer.
    So müssen andre, bessre Werte her,
    Menschlichkeit als wichtigstes Begehr.



    Fort die Sucht nach aufgesetztem Schein,
    ersetzt durch ein tatsächlicheres Sein.
    Das kann für viele dann ganz ungemein,
    das eigne Leben wunderbar befreien.



    Ein jeder wird bewertet nach Talent,
    sein Dasein wird sein Fundament.
    Gegen Macht und Habgier resistent,
    das wäre doch ein Argument.



    Heut wird das Ganze noch verlacht,
    noch hats auch nicht genug gekracht.
    In Zukunft vielleicht angedacht,
    da kommt „das Spiel“ dann in Betracht.