Poesiealbum Nr.317: Charlotte Grasnick

  • Verlag: Märkischer Verlag Wilhelmshorst
    36 Seiten
    2015


    Kurzbeschreibung:
    Die Lyrikerin, die die Grenzen der kleinen Republik in mehrfacher Hinsicht auslotete: Lebens- und Schaffensorte vom thüringischen Keilhau über das sächsische Pirna und Dresden sowie das mecklenburgische Graal-Müritz bis ins hauptstädtische Berlin, von der fleißigen Schülerin über die pedantische Arzthelferin zur kollektiven Sängerin – ihr Liebes- und Kunstverlangen gipfelte in eigener Produktivität lebensnaher Lyrik, wunderbarer Mataphern und melodischer Worte. Viel zu früh verstarb die zurückhaltende Dichterin, deren Mann diese treffliche Auswahl zusammenstellte.


    Über die Autorin:
    Charlotte Grasnick (1939-2009) wuchs als Tochter eines Universitätsprofessors in Thüringen auf. Nach dem Gesangsstudium in Dresden war sie unter Felsenstein als Altistin im Chor der Komischen Oper. Sie war verheiratet mit dem Lyriker Ulrich Grasnick. Neben drei veröffentlichten Lyrikbänden hinterließ sie ein Prosamanuskript und an die 2000 handgeschriebene Seiten mit zumeist noch unveröffentlichten Gedichten.


    Mein Eindruck:
    Die 2009 verstorbene Lyrikerin Charlotte Grasnick, die bis zur Wende in der DDR lebte, kannte ich bisher nicht, daher ist es verdienstvoll von der Heftreihe Poesiealbum ihr Werk in einer Auswahl vorzustellen. Es sind sogar ein paar Erstveröffentlichung vertreten.


    Es ist sicher zutreffend, was im Heft bei der Vorstellung der Autorin steht:
    Ihre Gedichte sind weder hermetisch noch unbegrenzt offen.


    Das ist etwas, was ich sehr schätze.


    Das Band beginnt gleich mit ein paar sehr starken Gedichten:
    Das erste mit dem Titel “Durchleuchtung” zeigt Gedanken, die aus einer Untersuchung entstanden sein können und tragen Erkenntnisse doch aus dem körperlichen heraus:


    Vor mir das Plakat
    meiner inneren Verfassung:
    seltsame Grafik
    im Spiegelbild des Fleisches.


    Das ist das Rückgrat,
    ein junger Baum
    mit feinem Geäst,
    und ein Netz voller Vögel
    das flatternde Herz.


    Da ist die Furcht,
    welch ein Urteil gefällt wird
    über den Schatten
    in mir.


    Wer aber durchleuchtet
    jenen Schatten,
    der außerhalb meiner Haut brennt,
    der draußen
    vor dem Fenster vorbeigeht
    und findet keinen Schlaf.



    Weiter geht es mit Worten, die aus Überlegungen und Eindrücken entstehen.
    Für Kaffeefans ist "Kaffee schwarz" interessant:


    Am dunkelsten
    in der Mitte
    – wie ein Auge –
    heller am Rand
    vom weißen Porzellan –
    bis zum Grund
    kann ich nicht blicken.


    Alles kühlt ab
    langsam
    von außen nach innen.
    Manche wärmen ihn auf –
    mir aber ist das
    wie schon einmal gestorben.



    Das Gedicht erschien ursprünglich in Flugfeld für Träume.



    Charlotte Grasnick schafft es besondere Momente auf melodische Art zu beschreiben:


    Du schläfst.


    Ich sehe deinen Mund,
    Lippen, die so rasch
    entlassen und verschließen das Wort.
    Der Aschenbecher, die halbleeren Gläser:
    die nicht bis zur Neige getrunkene Nacht.


    Zwischen uns
    das unsichtbare Wundmal Zweifel.
    Ich küsse deine ahnungslose Stirn,
    bevor du erwachst,
    denke,
    wie du mich erreichtest
    mit einer einfachen Drehung.



    Viele Gedichte haben Bezug zu Kunst insbesondere Malerei
    (Atelierbesuch, Adagio der Bilder, Modellsitzen) oder Musik (Chopin, Puccini).


    Dann gilt Grasnick auch als große Liebeslyrikerin, aber das nimmt in diesem Heft eigentlich keinen so große Raum ein.
    Doch hier wenigstens ein kleines Beispiel:


    Liebe


    Plötzlich ist mir
    das Leben wieder wichtig,
    ich möchte meine Hände
    nach draußen strecken
    zwischen Hagelschauer
    und Blüte.


    Die Auswahl stammt von Ulrich Grasnick, mit dem Charlotte bis zu ihrem Tod verheiratet war Die Grafiken im Heft stammen von ihrem Sohn Stefan Friedemann.


    Charlotte Grasnick ist eine interessante Entdeckung, gerade weil sie knapp, unaufgeregt und zurückhaltend schreibt. Dazu gehört dann aber auch, dass nicht alle Gedichte einem sofort etwas sagen. Doch ich konnte genug in dem Heft finden, mit dem ich etwas anfangen konnte.