Klaus Modick: Konzert ohne Dichter

  • Suppe ohne Würfel


    Zu seiner Zeit, die vom Ende des neunzehnten bis zur Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts reichte, war Heinrich Vogeler das, was man heutzutage als "Multitalent" bezeichnen würde. Der Mann war als Maler, Bildhauer, Architekt, Buchausstatter und Designer tätig, später auch als Schriftsteller. Zur Jahrhundertwende gründete er die Künstlerkolonie von Worpswede und schuf mit dem "Barkenhoff" eines ihrer Zentren. Zu den unregelmäßigen Bewohnern gehörte der notorisch in Geldnöten steckende Rainer Maria Rilke, damals am Anfang seiner Laufbahn stehend. Klaus Modick erzählt in "Konzert ohne Dichter" von der Begegnung dieser beiden Figuren, ihrer Annäherung und Entfremdung, aber es geht auch um Zeitgeschichte, Mäzenatentum, Familie, Freundschaft und Liebe. Und um die Bedeutung von Kunst bevorzugt aus der Sicht der Kunstschaffenden. Vogeler wird von Mäzenen hofiert und mit Aufträgen überhäuft, vor allem, als er im Jahr 1905 eine Goldmedaille für sein Werk erhält, insbesondere für ein Gemälde, das bis dahin (und heute noch) die Arbeitstitel "Sommernacht" oder "Konzert" trägt. Dieses Bild fasst die Stimmung der zurückliegenden Jahre auf dem Barkenhoff zusammen, aber sowohl das Gemälde, als auch die Entwicklungen dort sind aus Vogelers Sicht eher unbefriedigend. Deshalb enthält das Gemälde auch alle Protagonisten der damals legendären Worpsweder Sommernächte, nur nicht Rilke.
    Modick schildert die Geschehnisse überwiegend aus Vogelers Perspektive. Dem Künstler ist es gelungen, mit dem Barkenhoff eine nie dagewesene Selbstinszenierung zu schaffen, praktisch einen "Showcase", der bis ins Detail stimmig ist. Vogeler ist dem Jugendstil zugehörig, einer kunstgeschichtlichen Epoche, die mit floralen Ornamenten, Figuren und Formen aus der Natur gearbeitet hat, sehr dekorativ, aber auch, wie dem Künstler bewusst ist, sehr oberflächlich und vor allem pittoresk. Der junge Rilke, der ständig "arbeitet", sich gerne selbst reden hört und dem Klang seiner Worte mehr Bedeutung zuzumessen scheint als ihrem Inhalt, markiert diese Entwicklung für sein Genre. Die Kunst ist in erster Linie schön, und keinen der Mäzene oder Käufer interessiert, wie es hinter der Fassade aussieht. Eine Aussage erwartet auch niemand. Während Rilke diese Kunst ohne Botschaft perfektioniert, wobei er mit seinen Zeitgenossen kaum etwas anfangen kann und jede Verantwortung scheut, empfindet der andere den Erfolg als lähmend, die eigene Arbeit als fast schon nihilistisch. Und genau mit diesem Aspekt hadert Vogeler mehr und mehr.


    "Konzert ohne Dichter" ist, weil er von solchen handelt, ein Künstlerroman, der vermutlich sehr anschaulich in die Vorgänge einführt, seine Figuren so präzise wie möglich skizziert, sich auch der Sprache jener Zeit bedient. Er endet mit dem Tag, an dem Vogeler jene Medaille erhalten wird, die ihn adelt und ihm weitere Verdienstmöglichkeiten eröffnet, ihm aber auch wie nichts anderes vor Augen führt, dass Werk und Künstler längst keine kontrollierbare Einheit mehr bilden, dass er also Opfer seines Erfolgs zu werden droht. Was wir im Roman nicht mehr erfahren, ist das Ergebnis dieser Katharsis. Rilkes Popularität wird stark wachsen, Vogeler entscheidet sich für den Kommunismus und migriert in den Dreißigern in die Sowjetunion. Der eine wird heute noch in Poesiealben und auf Abreißkalendern zitiert, der andere ist außerhalb der Fachkreise so gut wie vergessen, obwohl es sicher Porzellanhersteller gibt, die nach wie vor seine Dekors verwenden.


    Das Buch ist bezogen auf seine Prämisse vermutlich exzellent gelungen, aber man muss sich darauf einlassen, um es als interessante und spannende Lektüre zu empfinden. Die ohnehin nicht sehr starken Konflikte sind nicht immer präzise auszumachen, was Modick wohl auch bewusst war, weshalb er sehr kunstvoll zwischen den Episoden springt und die dramaturgische Wucht vor allem hieraus bezieht. Das Verhältnis zwischen Rilke und Vogeler führt an keiner Stelle zu einer direkten Auseinandersetzung, bewegt sich also überwiegend auf der Interpretationsebene. Deshalb bleibt möglicherweise ein etwas unbefriedigtes Gefühl der Auslassung zurück, wird das Verlangen nach einer konkreten Wertung nicht erfüllt. Die "Chronik der Skandale", von der im Klappentext die Rede ist, hätte man als zeitgenössischer Leser wahrscheinlich vorgefunden, aber als jemand, der das hundert Jahre später zur Kenntnis nimmt, muss man sich schon gehörig anstrengen. Dennoch ist das ein sehr lesenswerter, erhellender und andeutungsreicher Roman geworden, der mitreißend in die Epoche einführt und (mindestens) ein kulturelles Problem zum Gegenstand hat, das es in ähnlicher Weise zu jeder Zeit gab und gibt.

  • Vielen Dank für die interessante Rezi! Ich mag Modick sehr gerne und bin auch vor kurzem darüber gestolpert, daß es was Neues von ihm gibt. Aber ich denke. ich werde hier aufs TB warten. :-)
    Das Thema ist jedenfalls interessant gewählt.

    ...der Sinn des Lebens kann nicht sein, am Ende die Wohnung aufgeräumt zu hinterlassen, oder?


    Elke Heidenreich


    BT

  • Ich habe das Buch schon vor einigen Monaten gelesen und kann mich Toms acht Punkten voll anschließen. Ich muss allerdings gestehen, dass ich großer Worpswede-Fan bin, schon mehrfach dort war, die Künstler alle ~kenne und daher eigentlich jedes Buch mit Worpswede-Thematik mag. Zu den 10 Punkten fehlte so ein bisschen ein je ne sais quoi, so wie in dem im Roman beschriebenen Gemälde etwas...jemand fehlt. Trotzdem ein sehr lesenswerter und unterhaltsamer Roman.


    Meine Hardcover-Version ist übrigens sehr schön gestaltet, mit dem Gemälde im Inneneinband.

  • Titel: Konzert ohne Dichter

    Autor: Klaus Modick

    Verlag: Kiepenheuer und Witsch

    Erschienen als TB: Oktober 2016

    Seitenzahl: 228

    ISBN-10: 3462049909

    ISBN-13: 978-3462049909

    Preis: 9.99 EUR


    Das sagt der Klappentext:

    Im Jahr 1905 ist Heinrich Vogeler auf der Höhe seines Erfolgs und wird für sein Meisterwerk "Das Konzert oder Sommerabend auf dem Barkenhoff" öffentlich gefeiert. Für Vogeler ist es das Resultat eines dreifachen Scheiterns: In seiner Ehe kriselt es, sein künstlerisches Selbstbewusstsein wankt, und seine fragile Freundschaft zu Rainer Maria Rilke, dem literarischen Stern am Himmel der Worpsweder Künstlerkolonie, zerbricht - und das Bild bringt das zum Ausdruck: Rilkes Platz zwischen den Frauen, die er liebt, bleibt demonstrativ leer. Was die beiden zueinander führte und später trennte, welchen Anteil die Frauen daran hatten, die Kunst, das Geld und die Politik, davon erzählt Klaus Modick auf kunstvolle Weise.


    Der Autor:

    Klaus Modick, geboren 1951 in Oldenburg, studierte Germanistik, Geschichte, Pädagogik, Theaterwissenschaften und Philosophie in Hamburg. 1980 Promotion, seit 1984 freier Schriftsteller und weltweite Gastprofessuren. Lebt heute mit Frau und zwei Töchtern wieder in Oldenburg.


    Meine Meinung:

    Dieser Roman erzählt seine Geschichte in Momentaufnahmen. Zudem eine Charakterstudie über Rainer Maria Rilke, den Prototyp des egomanischen Schriftstellers. Modick hat sich offenbar sehr mit dem Werk Rilkes und den autobiographischen Aufzeichnungen von Rilke und Vogeler befasst und dann seine Schlüsse daraus gezogen. Herausgekommen ist ein interessanter und lesenswerter Roman der aber nun wahrlich kein „Meisterwerk“ ist – wie der Literaturclown Scheck mal wieder meint rausposaunen zu müssen.

    Das wahre Wesen Worpswedes (eine Fahrt dorthin ist wirklich mehr als lohnenswert) erfasst Modick nur in Ansätzen. Er schafft es nicht, das Besondere dieses Ortes im Teufelsmoor bei Bremen herauszuarbeiten. Vieles liest sich dann auch eher wie eine lustlose Reisebeschreibung.

    Trotzdem lesenswert. 6 Punke

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.