Meg Wolitzer: Die Stellung

  • Meg Wolitzer: Die Stellung
    DuMont Buchverlag 2015. 368 Seiten
    ISBN-13: 978-3832197995. 19,99€
    Originaltitel: The Position
    Übersetzer: Werner Löcher-Lawrence


    Verlagstext
    Mitte der Siebziger erschüttert ein Buch die amerikanische Öffentlichkeit: Der Sex-Ratgeber Pleasuring. Die Reise eines Paares zur Erfüllung ist in aller Munde. Ungünstig nur, dass die Autoren, das Ehepaar Mellow, vier minderjährige Kinder haben. Die müssen sich nun damit auseinandersetzen, dass Vater und Mutter in aller Öffentlichkeit ihr tabuloses Liebesleben beschreiben. Und das Schlimmste: Das Buch zeigt sie auch noch in sehr detailreichen Zeichnungen in jeder nur denkbaren Stellung. Während die Ehe der Eltern den Bach runtergeht, versuchen die Kinder irgendwie mit diesem Gipfel der Peinlichkeit klarzukommen. Denn Pleasuring wird zu einem Buch, das jeder, wirklich jeder kennt und das die Mellow-Geschwister ihr Leben lang begleiten wird. „Die Stellung“ ist ein tragikomisches Familienporträt, das davon erzählt, wie vier Geschwister, denen wenig Illusionen über Liebe und Sex geblieben sind, sich in der Welt behaupten. Gleichzeitig führt uns Meg Wolitzer gnadenlos vor Augen, dass wir einer Sache nicht entfliehen können: Wir sind die Kinder unserer Eltern.


    Die Autorin
    Meg Wolitzer, geboren 1959, veröffentlichte 1982 den ersten von bisher elf Romanen, darunter mehrere New York Times-Bestseller. Zwei ihrer Romane wurden verfilmt. Sie ist verheiratet, hat zwei Söhne und lebt in New York City. 2014 erschien ihr Bestseller „Die Interessanten“.


    Inhalt
    Roz und Paul Mellow beschlossen, dass vier Kinder gut einmal aufeinander aufpassen könnten, und gönnten sich einen Abend zu zweit. Die Eltern konnten nicht wissen, dass ihre Kinder an diesem denkwürdigen sturmfreien Abend unter Führung des Zweitältesten „das Buch“ aus seinem Versteck holen und gemeinsam betrachten würden. Die Mellows hatten „Pleasuring“, ein Buch über Sexualität, veröffentlicht, in dem sie selbst, von einem Künstler gezeichnet, beim Sex zu sehen sind. Eingequetscht zwischen “Unten am Fluss“ und dem Hundebuch hatte das Buch ein unauffälliges Dasein geführt - bis zu diesem Tag. Tochter Holly ist damals 15, Michael 13, Dashiel und Claudia sind noch im Grundschulalter. In den 70ern hatte buchstäblich jedes amerikanische Paar das Buch im Regal, so dass die vier Kinder sich im weiteren Leben stets als „Sex-Mellows“ abgestempelt fühlen werden. Kurz nach der Veröffentlichung des Buches scheitert die Ehe der Eltern, die Familie ist inzwischen in alle Himmelsrichtungen zerstreut. Immerhin finanzieren die Einnahmen aus dem Buch die Ausbildungen der Kinder; für amerikanische Verhältnisse ein beachtlicher Vermögenswert. Vom Auslöser der Trennung als Clou des Ganzen erfährt man als Leser erst zum Ende der Handlung. In der Gegenwart hat Michael Mellow, inzwischen rund vierzig Jahre alt, ausgerechnet mit sexuellen Problemen zu kämpfen. Der jüngere, inzwischen schwer kranke, Dashiel wird seinen Eltern ein Leben lang übelnehmen, dass ihr Buch allein heterosexuellen Sex zeigt und er als Homosexueller darin nicht vorkommt. Nun soll Pleasuring neu illustriert und neu aufgelegt werden. Roz ist ihre Bekanntheit durch das Buch sehr wichtig, Paul dagegen interessieren weder die Einnahmen durch die Neuauflage, noch gönnt er seiner Frau die Aufmerksamkeit, die sie dadurch erfahren würde. Michael soll nun in Roz Interesse mit seinem Vater verhandeln und reist dazu ans andere Ende des amerikanischen Kontinents, wo Paul inzwischen lebt.


    In langen Rückblicken wird das Kennenlernen von Roz und Paul eingeschoben, wie auch die Entwicklung der Geschwister bis in die Gegenwart. Bereits die Familiengeschichte der Mellows bedeutet für das Paar eine Bürde und ist nicht ohne Komik. Roz Vater war Psychiater, Paul lernt seine Frau zur Zeit seiner Ausbildung zum Psychotherapeuten kennen. Vom Roman einer Familie mit vier Kindern hatte ich eigentlich mehr Dynamik in der Geschwisterbeziehung erwartet, doch die Einzelschicksale bleiben durch die räumliche Trennung vereinzelt. Ungewöhnlich für Vertreter der 70er Jahre fand ich, dass sich am Ende nur für die Söhne ein Kreis schließt, während eine Tochter völlig überfordert von der Familie Abstand hält und die andere obsessiv in ihrer Vergangenheit forscht.


    Fazit
    Um Meg Wolitzers neuen Roman zu mögen, muss man Sinn für die peinlich-komische Schlüssel-Situation haben, wenn zwei Pubertierende gemeinsam mit ihren kleinen Geschwistern ihre Eltern in einem Aufklärungsbuch beim Sex betrachten und wenig später realisieren, dass im ganzen Land alle anderen Menschen diese Bilder auch betrachten. Auch wenn die Handlung völlig anders verlief, als ich es mir vorgestellt hatte, bleibt von Wolitzers Buch die Erinnerung an hochkonzentrierte Tragikomik zurück.


    8 von 10 Punkten

  • Die vier Kinder der Mellows, - Holly, Michael, Claudia, Dashiell -, haben einen recht guten familiären Verbund. Man versteht sich mal mit dem einen besser, mal mit der anderen. In schlechten Zeiten hält man zusammen und so ist es für Michael nur allzu klar, dass er seinen unfassbaren Fund, den von den Eltern herausgebrachten Sexratgeber, der sich so lange schon im Haushalt zwischen all den anderen Büchern - neben einem Öko Diätratgeber - versteckt hält, mit seinen Geschwistern teilt. Die Kinder unterschiedlichen Alters von 8 - 16 Jahren, reagieren mit einer Mischung aus erschrockener Abneigung und Faszination. Als wäre der Name der Eltern als Verfasser dieses Werks, das von Erfahrungen und Berichten lebt, nicht genug der Scham, sind diese unverkennbar - wenn auch als Zeichnungen dargestellt - das Paar, das die verschiedenen Stellungen darstellt, inklusive einer von ihnen selbst erdachten Position, die als das Non-Plus-Ultra beschrieben wird. Ein Fund der das Leben der scheinbar Kinder für immer verändert und erst verarbeitet wird, als es zu einer Neuauflage des Romans kommen soll.


    "Tatsächlich war , wenn man es genau betrachtete, das Geräusch der endenden Kindheit eine fürchterliche Sache. Wenn du einer der übernatürlich begabten Menschen warst, die es hören konnten, wusstest du, dass es dem Zerschellen von Glas ähnelte, dem Aufschlag eines Körpers auf den Boden, wobei du mit einer fürsorglichen Mutter oder einem fürsorglichen Vater gerechnet hättest, der den Sturz auffing, jedoch feststellen musstest, dass es nur das harte, heiße Trottoir des Lebens war, das da wartete."


    Meg Wolitzer kreiert auf sarkastisch, tragisch komische Weise das Porträt einer Familie, die sich aufgrund des Sexratgebers von anderen Entwicklungen familiärer Bande zu unterscheiden scheint, jedoch sehr flexibel auf diverse Familien umlegen lässt. Meg Wolitzer erzählt von vier Menschen, ihren Eltern, und den Lebenswegen den diese Familienmitglieder einzeln und im Kontext zu den anderen eingehen. Der Leser bekommt einen kurzen Einblick in die Kindheitssituation und trifft die Protagonisten dann im Erwachsenenalter wieder. Der Blick liegt dabei auf Charakterzügen, menschlichen Eigenschaften, die jedem einzelnen zu eigen sind. Manche davon schon immer. Tief in ihnen schlummernd, erst zutage getreten, nachdem sie den Sexratgeber der Eltern gefunden haben. Einige veränderten sich zeitgleich mit dem Fund des Ratgebers, der auf die Mellow Kinder zunächst eine verstörende Wirkung zeigte.


    "Holly fror ständig, wie es so viele fünfzehnjährige Mädchen tun. Es war ganz so, als würde die weibliche Haut mit dem Heraufziehen der Pubertät dünner und machte die Mädchen für jeden irrlichternden Gedanken, jede Angst und jedes Verlangen empfänglich, so dass sie sich mit zusätzlichen Schichten bedecken mussten."


    Kann man wirklich dieses Buch, das einen so offenen Blick auf die Eltern zeigt, einen Blick, den Kinder eigentlich nicht erleben, für alle weiteren positiven wie negativen Abzweigungen im Lebensweg verantwortlich machen? Oder hat es die bereits brodelnden Vulkane, die nun für Kluften zwischen einzelnen Beteiligten des Familienkonstrukts sorgen, einfach nur verstärkt, aber eben nicht hervorgerufen? Vielleicht hätten die Mellow'schen Nachkommen gemeinsam, miteinander mit dem Erlebten zurecht kommen können, doch auch ihr Umfeld wusste vom Erfolg von Peter und Roz Mellow und ihrem erfüllten Liebesleben, so dass sie während ihrer Kindheit oftmals auf Verständnis und Mitleid trafen, was eine ungestörte Verarbeitung unmöglich machte und auf gewisse Art manipulativ auf sie einwirkte.


    "Es war, als erwachten die Mellows als Familie in dieser ersten Schneenacht des Winters in New York noch einmal zum Leben, wie ein alter, aufziehbarer Clown, der über Jahrzehnte reglos dagestanden hatte und in dem sich plötzlich ohne jeden Grund etwas verschob, worauf sich die Mechanik noch einmal in Gang setzte und der Clown die Becken wie in einem kutzen Fieber unerklärlicher Aktivitäten gegeneinanderschlug."


    Meg Wolitzer hat interessante Charaktere entworfen. Personen, deren Entwicklungen vom Leser nachempfunden werden können, weil sie realistisch sind und auf Erfahrungen, Erlebnissen und genetisch vorgegebenen Charaktereigenschaften aufgebaut sind. So ist es nur allzu verständlich, dass die Botschaft, die Peter und Roz Mellow über Liebe in die Welt tragen wollten, die sich aber nicht in einen Ratgeber pressen lässt, von jedem ihrer Kinder anders aufgefasst und weitergeführt wird. Jeder Mensch ist anders und jeder verarbeitet Erlebnisse anders. Wer der Kinder sich wie entwickelt hat, ist sehr spannend und soll von mir hier auch nicht weiter ausgeführt werden, denn genau darin liegt der Reiz für den Leser.
    Ein tragikomischer Familienroman, der mich sprachlich wie inhaltlich überzeugen konnte.