Nachts - Mercedes Lauenstein

  • "Nachts" ist ein Debüt, das im Schutz der Dunkelheit spielt, sich selbst aber keineswegs darin verstecken muss. Ins passende Licht gerückt, da gehört dieser Roman, der voll greifbarer Ehrlichkeit steckt, hin. Allein die Sprache der noch recht jungen Autorin Mercedes Lauenstein ist so fein und klar, dass ich sie einfach gerne lese. Ganz gleich in welcher Form zum Ausdruck gebracht.


    Ruhig und leise, tiefgründig, aber auch ein bisschen luftig ist der Erzählton des Debüts, das - wie der Titel schon sagt - in der Nacht spielt und dem Leser eine Protagonistin vorsetzt, von der er im ganzen Buch nichts weiter erfahren wird, als dass sie in der Nacht durch die Straßen zieht und an den Wohnungstüren klingelt, an denen sie zuvor beleuchtete Fenster entdeckt hat. Sie selbst zieht den Tag zum schlafen vor und die Nacht zur Kontaktaufnahme.


    "Für einen Moment kippt meine Wahrnehmung der Nacht. Die Nacht ist plötzlich kein Ende mehr, kein toter Punkt, sondern etwas Neues. Nichts Dunkles, sondern etwas Helles."


    Warum? Für die junge Frau, die Nachtschwärmerin, die Geschichtensammlerin, die Menschenerkunderin, ist es wie eine Sucht. Es liegt ein gewisser Reiz darin, an fremden Türen zu klingeln. Menschen zu treffen, von denen wir nichts wissen. Ein Reiz, der sich auf den Leser überträgt, der eine Spannung aufbaut, die dazu anhält in fast voyeuristischer Vorfreude die nächste Tür zu öffnen, das Schicksal derjenigen kennen zu lernen, die anders als der Großteil der Bevölkerung die Nacht nicht zum schlafen nutzt. Nutzen kann? Welche Gründe gibt es für die Schlaflosigkeit?


    Manch einer versteckt sich in der Ruhe der Nacht. Dem Schutz, den die Dunkelheit bieten kann. Manch einer ängstigt sich vor ihr. Vor dem, was passiert, wenn wir nicht wach sind. Nachts empfinden wir Gefühle anders. Stärker, tiefer, haben zugleich aber die Möglichkeit sie auszublenden. In der Dunkelheit zurückzulassen. Kommunikation ist leichter, wenn man dem anderen nicht in voller Helligkeit ausgeliefert ist. Die Wahrheit kommt einfacher von den Lippen. Sie zu verändern verläuft ebenso mühelos.


    "Er wünschte zwar, seine Tage hätten eine klarere Struktur. Er wünschte, er würde öfter vormittags wach sein. Aber eigentlich mag er diese Momente allein am Fenster, wenn alles außenherum dunkel ist. Das stille, gemächliche Rauchen in die leere, kühle Nachtluft, das Schweifenlassen des Blicks und das Sich-erhaben-Fühlen. Über all die Menschen, die vom Schlaf ausgeschaltet sind."


    Oftmals sind es Menschen die allein leben. Soziale Vereinsamung - ein sich immer mehr ausbreitender Trend? Der Protagonistin scheint dies in irgendeiner Form zu erfahren. Sie klinkt sich ein in die Geschichten anderer Menschen, sucht nach Schicksalen, nach Lebenswegen, an denen sie teilhaben kann. Es scheint, als seien ihre Streifzüge durch die Nacht die Befriedigung ihrer eigenen einsamen Gedanken. Ihre Besuche sind ein Geben und Nehmen zugleich. Manch einer ist froh, lässt sie gern in seine Wohnung, sein Leben. Es tut gut Trauer, Wut, Frust von der Seele zu reden oder einfach nur die Nacht mit jemandem zu teilen.


    Aus ihrem eigenen Leben erfahren wir nichts. Ihre Geschichte hat sie so häufig verändert, dass sie nicht mehr weiß, welcher Teil der Wahrheit entspricht. Für sie bedeutet die Nacht Anonymität. Unabhängigkeit von Gefühlen und Emotionen. Dafür geht sie ein Risiko ein. Schließlich weiß sie nie, wer oder was sie hinter der nächsten Tür erwartet. Die meisten sind harmlos. Menschen, die genug mit ihren eigenen Problemen zu kämpfen haben, um anderen welche zu bescheren. Mir scheint, als seien viele von ihnen müde. Erschöpft im Geiste. Zu viel erlebt, zu viel gewollt.


    "Nachts, sagt er, fällt ihm das leichter, weil nachts alles weniger ernst ist, weil sich nachts sogar die braven Menschen mit ihren geregelten Tagsüberjobs in ungehemmten Träumen verlieren und nachts deshalb alles Raum hat, was am Tag keinen hat."


    Die Autorin sagt von sich selbst, dass sie ja "nur über Alltagskram" schreibt. Und genau das ist es, was den Roman lesenswert macht. Geschichten, die einfach echt sein könnten. Ich hab all diesen, in wundervolle. leichte Sprache verpackten Alltagskram richtig gern gelesen und kann für "Nachts" nur meine Empfehlung aussprechen.