Deutscher Buchpreis 2015
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Baba Dunja ist eine Tschernobyl-Heimkehrerin. Wo der Rest der Welt nach dem Reaktorunglück die tickenden Geigerzähler und die strahlenden Waldfrüchte fürchtet, baut sich die ehemalige Krankenschwester mit Gleichgesinnten ein neues Leben auf. Wasser gibt es aus dem Brunnen, Elektrizität an guten Tagen und Gemüse aus dem eigenen Garten. Die Vögel rufen im Niemandsland so laut wie nirgends sonst, die Spinnen weben verrückte Netze, und manchmal kommt sogar ein Toter auf einen Plausch vorbei. Während der sterbenskranke Petrov in der Hängematte Liebesgedichte liest, die Gavrilovs im Garten Schach spielen und die Melkerin Marja mit dem fast hundertjährigen Sidorow anbandelt, schreibt Baba Dunja Briefe an ihre Tochter Irina, die Chirurgin bei der deutschen Bundeswehr ist. Und an ihre Enkelin Laura. Doch dann kommen Fremde ins Dorf – und die Gemeinschaft steht erneut vor der Auflösung. Alina Bronsky lässt in ihrem neuen Roman eine untergegangene Welt wieder auferstehen. Komisch, klug und herzzerreißend erzählt sie die Geschichte eines Dorfes, das es nicht mehr geben soll – und einer außergewöhnlichen Frau, die im hohen Alter ihr selbstbestimmtes Paradies findet. Auf kleinem Raum gelingt ihr eine märchenhafte und zugleich fesselnd gegenwärtige Geschichte.
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Seit 6000 Jahren lagen sie sich in den Armen: Als 2007 die aus der Jungsteinzeit stammenden Skelette zweier junger Menschen bei der Stadt Mantua ausgegraben wurden, gingen die Bilder um die Welt. »Romeo und Julia aus der Steinzeit« - so lautete die Sensationsmeldung. Dann kamen die Krise und der »verfluchte Frühling«, das Erdbeben im Mai 2012, die Renaissance-Stadt Mantua hatte andere Sorgen. In Ralph Dutlis Roman ist das berühmte Steinzeitpaar nach Untersuchungen in einem archäologischen Laboratorium plötzlich verschwunden, und so macht sich der Schriftsteller Manu auf die Suche. Doch bald ist er selber unauffindbar. Entführt auf das Anwesen eines dubiosen Grafen, soll er eine neue Religion der Liebe begründen helfen, nicht mit dem Gekreuzigten als zentralem Symbol, sondern mit dem Bild der Liebenden von Mantua ... In einer Zwischenwelt aus Realität und Traum flimmert das Mantua der Renaissance, der Maler Mantegna soll noch einmal sein berühmtes »Zimmer der Vermählten« malen, der Dichter Vergil fliegt als erstaunter Beobachter über seine Heimatstadt Mantua, und es geschehen mehrere merkwürdige Morde. »Die Liebenden von Mantua« ist ein Roman über die Erdbebenzonen des Lebens, über eine neue Liebesutopie, über Religion und Renaissance, den unsicheren Status der Wirklichkeit und die unheimliche Macht der Schrift.
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Wie erträgt man das Vergehen der Zeit, wenn man zur Untätigkeit gezwungen ist? Wie geht man um mit dem Verlust derer, die man geliebt hat? Wer trägt das Erbe weiter? Richard, emeritierter Professor, kommt durch die zufällige Begegnung mit den Asylsuchenden auf dem Oranienplatz auf die Idee, die Antworten auf seine Fragen dort zu suchen, wo sonst niemand sie sucht: bei jenen jungen Flüchtlingen aus Afrika, die in Berlin gestrandet und seit Jahren zum Warten verurteilt sind. Und plötzlich schaut diese Welt ihn an, den Bewohner des alten Europas, und weiß womöglich besser als er selbst, wer er eigentlich ist.
Jenny Erpenbeck erzählt auf ihre unnachahmliche Weise eine Geschichte vom Wegsehen und Hinsehen, von Tod und Krieg, vom ewigen Warten und von all dem, was unter der Oberfläche verborgen liegt.
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Winters Garten, so heißt die idyllische Kolonie jenseits der Stadt, in der alles üppig wächst und gedeiht, die Pflanzen wie die Tiere, in der die Alten abends geigend auf der Veranda sitzen, die Eltern ihre Säuglinge wiegen und die Hofhunde den Kindern das Blut von den aufgeschlagenen Knien lecken. Winters Garten, das ist der Sehnsuchtsort, an den der Vogelzüchter Anton mit seiner Frau Frederike nach Jahren in der Stadt zurückkehrt, als alles in Bewegung gerät und sich wandelt: die Häuser und Straßenzüge verfallen, die wilden Tiere in die Vorgärten und Hinterhöfe eindringen und der Schlaf der Menschen schwer ist von Träumen, in denen das Leben, wie sie es bisher kannten, aufhört zu existieren. Sprachmächtig und in sinnlichen Bildern erzählt die junge österreichische Autorin Valerie Fritsch von einer Welt aus den Fugen. Und von zwei Menschen, die sich unsterblich ineinander verlieben, als die Gegenwart nichts mehr verspricht und die Zukunft womöglich ein Traum bleiben muss.
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Dicht, dunkel, radikal Eine Gruppe junger Männer verbringt ein Wochenende auf einer Berghütte. Als sie ins Tal zurückkehren, sind die Ortschaften verwüstet. Die Menschen sind tot oder geflohen, die Häuser und Geschäfte geplündert, die Autos ausgebrannt. Zu Fuß versuchen sie, sich in ihre Heimatstadt durchzuschlagen. Sie funktionieren, so gut sie können. Tagsüber streifen sie durch das zerstörte Land, nachts durch ihre Erinnerung. Auf der Suche nach einem Grund, am Leben zu bleiben. »Das ist waghalsig, mehr davon«, forderte die FAZ nach Erscheinen von Heinz Helles Debütroman. Helle hat sich nicht lange bitten lassen und den Einsatz erhöht. Im neuen Roman geht es um die Frage: Reicht das Aufrechterhalten der wichtigsten Körperfunktionen, um von sich selbst sagen zu können, man sei am Leben? Die Antwort, die das Buch gibt, wird uns womöglich nicht trösten. Aber sie macht atemlos vor Spannung.
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Bürgerliche Mütter, bürgerliche Töchter: ein bitterböses Porträt zweier Frauen-Generationen Elisabeth, 58, versucht würdevoll zu altern. Ihr gutbürgerliches Leben ist am ehesten charakterisiert durch das, was sie alles nicht getan hat: sie hat nicht studiert und nicht gearbeitet, sie hat ihre Kinder nicht vernachlässigt und ihren Mann nicht mit dem Künstler Jakob betrogen, sie hat der Schwiegermutter nicht die Stirn geboten und stellt noch immer nicht den Anspruch, ins Grundbuch der Jugendstilvilla eingetragen zu werden. Mit Zynismus und verhaltener Selbstreflexion beobachtet sie das Altern der Frauen um sie herum. Und sie beobachtet ihre Kinder, vor allem Franziska, 35, die zu Wutausbrüchen neigt, mit den Anforderungen der Gesellschaft an ihre Mutterrolle hadert und die theoretische Gleichberechtigung von Mann und Frau im Alltag nicht einlösen kann. Auch sie hat ihre Visionen nicht verfolgt, weder beruflich noch privat, und begnügt sich mit einem fast fertigen Studium und einem fast geliebten Mann. Es scheint, als habe sich dieser zahnlose Feminismus von einer Generation an die nächste vererbt. Gertraud Klemm, die mit einem Kapitel aus diesem Roman den Publikumspreis in Klagenfurt gewann, schildert eine gesellschaftliche Situation, in der mit viel »ja – aber« die wichtigen Entscheidungen verschoben und verhindert werden, und ihr Blick auf die Lage ist gnadenlos, bissig und (aus Verzweiflung?) wahninnig komisch.
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Geheimexpedition des Deutschen Reichs an den Hindukusch: Nach einem Plan des Orientkenners Freiherr Max von Oppenheim ziehen sechzig Mann mit der Bagdadbahn, zu Pferd und auf Kamelen durch Wüsten und Gebirge. Das Ziel: den Emir von Afghanistan und die Stämme der Paschtunen im Namen des Islam zum Angriff auf Britisch-Indien zu bewegen. Der junge Marinefunker Sebastian Stichnote liegt mit seinem Schiff vor der Küste Albaniens. Aus der Enge der Giesinger Gerberei seiner Brüder hat ihn das Fernweh hinaus auf See und zur vielstimmigen Funktechnik gezogen. Diese gibt ihm das Gefühl, mit dem ganzen Kosmos in Kontakt zu stehen. Als der Erste Weltkrieg beginnt, muss die unterlegene deutsche Flotte durchs Mittelmeer nach Konstantinopel fliehen. Stichnote hat es nach den ersten Seegefechten eilig, sein Schiff so schnell wie möglich zu verlassen und schließt sich als Funkoffizier einer geheimen Expedition nach Kabul an. Ihre Reise führt sie nach Syrien, Bagdad, Teheran, Isfahan und schließlich durch die persische Wüste. Am Ende hängt der Erfolg der Expedition von Stichnote ab, der mit allem brechen muss, was ihm einst heilig war.
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Lennard Salm ist fünfzig und als Künstler weltweit durchaus erfolgreich. Als seine älteste Schwester stirbt, kehrt er zurück nach Hamburg und in die Familie, der er immer entkommen wollte. So schnell wie möglich will er wieder zurück in sein eigenes Leben. Aber was ist das, das eigene Leben? Salms jüngere Schwester Bille verliert ihren Job, sein Vater nähert sich immer schneller der Hilflosigkeit. Einen funkelnden Winter lang entdeckt Salm, dass niemand jemals alleine ist. Er lernt seine Eltern und Geschwister neu kennen. Rolf Lappert erzählt vom Wunder der kleinen Dinge und von dem, was heute Familie bedeutet. Jedes Detail leuchtet in diesem zarten, großen Familienroman
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»Wie Ihr wollt« – in dieser bitterbösen wie hochkomischen Geschichte geht es um Gunst und Anerkennung und darum, wie sehr wir davon abhängig sind. Eine Frau will sich Gehör und Aufmerksamkeit verschaffen, begehrt auf gegen die Flüchtigkeit von Macht in den sozialen Netzwerken ihrer Zeit: September 1571: Elisabeth I. herrscht in England, und Mary Grey ist wütend. Sie ist sechsundzwanzig, kleinwüchsig, hat einen Thronanspruch und keine Geduld mehr. Seit einigen Jahren steht sie unter Hausarrest, da sie ohne die Erlaubnis ihrer königlichen Cousine geheiratet hat. Ihr Ehemann stirbt und auch sonst sind sie alle tot: ihre Schwestern Jane und Katherine und ihre Eltern, einige von ihnen hingerichtet. Mary Grey will die Kontrolle über ihr Leben zurück, einen eigenen Haushalt und das Sorgerecht für ihre Stiefkinder. Doch nichts passiert, und anstatt das still hinzunehmen und sich anzupassen, begehrt sie auf gegen das System Königshof, seine Zufälligkeiten, seine Willkür und Unfreiheit, seine mühsamen Rituale und ökonomischen Zwänge. Sie beginnt, sich Notizen zu machen, die Vergangenheit aufzureihen, sie so zu erzählen, dass es recht ist. Nur um zu dem Schluss zu kommen, dass ihr und ihrer Familie Handeln ebenso amoralisch war, wie das aller anderen. Dass sie die Rituale mochte. Dass Gunst wie eine warme Perle ist, die im Magen aufbricht und in alle Glieder strömt. Und dann ist da auch noch Ellen ... Meisterhaft zeichnet Inger-Maria Mahlke am Beispiel des historischen Versuchs einer Selbstbehauptung einmal mehr ein beeindruckendes Porträt der Gegenwart. »Inger-Maria Mahlke erzählt ebenso unbarmherzig wie liebevoll.« Thomas Hettche
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Ulrich Peltzer hat einen großen Zeitroman geschrieben. Was hält unsere undurchschaubare Welt zusammen: Träume, Geldströme, Gott oder der Teufel?
Im 20. Jahrhundert diskutierten, lebten und kämpften junge Menschen an amerikanischen Universitäten, in Frankfurt und Moskau für eine gerechte Ordnung, für eine bessere Zukunft. Doch die Utopien sind in Terror umgeschlagen. Wir leben in einer radikal kapitalistischen Welt, unsere Gegenwart scheint undurchschaubar. Was ist aus unseren Utopien, Sehnsüchten und Träumen geworden?
Aus ehemaligen Revolutionären sind Manager geworden, Akteure der Wirtschaft. Sie sind involviert in globale Geschäfte zwischen Mailand, Südamerika und China, ihre Deals sind dubios. Haben sie alles verraten? Was heißt es heute in dieser Welt, gut zu leben? Was wäre das bessere Leben?
Jochen Brockmann ist erfolgreicher Sales Manager, doch er verstrickt sich in ein abstürzendes System. Die Bank gibt keinen Kredit mehr, Indonesien investiert nicht, es bieten sich die Chinesen an. Sylvester Lee Fleming ist ein skrupelloser Geschäftemacher, Finanz-Investor und Risiko-Berater. Er erscheint, als Retter, Verführer und Versucher. Ist er ein Abgesandter des Teufels oder nur ein Psycho? Er kreuzt Brockmanns Weg. Ist das Zufall oder Plan?
Ein philosophischer Roman, ein metaphysischer Thriller über das 21. Jahrhundert und die Gespenster der Vergangenheit. -
Das Lebensgefühl einer rebellischen Generation am Ende der DDR
Sie sind der letzte Jahrgang, der noch alles mitmachen darf – damals in Dresden vom Sommer vor der Wende bis zur Wiedervereinigung: die lauen Freibadnächte und die Ausweiskontrollen durch die »Flics« auf der »Rue«, die Konzerte im FDJ-Jugendklub »X. Weltfestspiele« oder in der Kirche vom Plattenbaugebiet, wo ein Hippie, den sie »Kiste« nennen, weil er so dick ist, mit wachsamem Blick Suppe kocht für die Punks und ihre Pfarrerstöchter.
Sie sind die Letzten, die noch »vormilitärischen Unterricht« haben. Und sie sind die Ersten, die das dort Erlernte dann im Herbst 89 erst gegen die Staatsmacht anwenden. Und schließlich gegeneinander. Denn was bleibt dir denn, wenn du zum Fall der Mauer beiträgst, aber am nächsten Tag trotzdem eine Mathe-Arbeit schreiben musst, wenn deine Freundin eine gläubige Kommunistin ist und die Kumpels aus dem Freibad zu Neonazis werden?
Von der Unschuld des letzten Sommers im »Tal der Ahnungslosen« bis zu den Straßenschlachten rund um die deutsche Einheit: Peter Richter beschreibt in seinem autobiografischen Roman das chaotische Ende der DDR aus der Sicht eines damals Sechzehnjährigen – pointiert, authentisch und sprachlich brillant. Coming of Age im Schatten von Weltgeschichte.
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Eines Abends erfährt sie, als sie, statt zu schreiben, nach ihrer ersten Liebe googelt, dass er sich aus dem achten Stock gestürzt hat. Vor fast fünf Jahren schon. Sie ist schockiert, ebenso sehr über seinen Selbstmord wie über die Tatsache, dass sie ihn gar nicht vermisst hat. Nun hat sie ihn am Hals, stärker als zu Lebzeiten. Was ist das, die Liebe? Wieso kann sie kommen und gehen? Wohin geht sie, wenn sie geht? Und was ist eigentlich mit der aktuellen Liebe los? Der sitzt in seinem Zimmer und checkt Mails oder sieht fern. Die Protagonistin in Monique Schwitters neuem Roman beginnt nun eine Liebesrecherche: Sie handelt ihre Liebesbiographie an zwölf Männern ab, die weit mehr als die Namen gemein haben mit den Aposteln, den Gesandten des Glaubens und der Liebe. Es sind beinahe mythische Umrisse von Männern, die sie schreibend mit Liebe, Leben und Geschichte füllt. Und je länger sie schreibt, desto stärker schiebt sich die Rahmengeschichte, ihre aktuelle Liebessituation, ins Zentrum, bis sie die Handlung übernimmt. "Eins im Andern" ist ein außergewöhnliches Buch: ein Wagnis, ein trickreiches, konsequentes Spiel mit Leben und Fiktion. Seine mitreißend lebendige Sprache verleiht ihm, bei aller Intensität, eine fast heitere Leichtigkeit.
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Spannend, abgründig, aufwühlend – 1000 Seiten Setz Was geschah in der Stunde zwischen Frau und Gitarre? In einem Wohnheim für behinderte Menschen wird die junge Natalie Reinegger Bezugsbetreuerin von Alexander Dorm. Der Mann sitzt im Rollstuhl, ist von unberechenbarem Temperament und gilt als »schwierig«. Dennoch erhält er jede Woche Besuch – ausgerechnet von Christopher Hollberg, jenem Mann, dessen Leben er vor Jahren zerstört haben soll, als er ihn als Stalker verfolgte und damit Hollbergs Frau in den Selbstmord trieb. Das Arrangement funktioniere zu beiderseitigem Vorteil, versichert man Natalie, die beiden seien einander sehr zugetan. Aber bald verstört die junge Frau die unverhohlene Abneigung, mit der Hollberg seinem vermeintlichen Freund begegnet. Sie versucht, hinter das Geheimnis des undurchschaubaren Besuchers zu kommen und die Motive seines Handelns zu verstehen. Dieser Roman ist eine Bergwerksfahrt in die Welt des Clemens J. Setz. Sie fördert ihre innere Ordnung zutage, ihre Geheimnisse und Prinzipien: Macht und Ohnmacht, Sinnsuche und Orientierungsverlust, Unterwerfung und Liebe in allen Spielarten – fürsorglich, respektvoll, besessen, Liebe als Wahn und als Manipulation. Und Rache. So subtil und schmerzhaft, dass die Frage nach Täter und Opfer in namenloses Gelände führt.
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Von den 68er-Müttern im Aufbruch hat eine Töchtergeneration den Auftrag erhalten, die Welt zu verbessern – das Waldsterben und die Aufrüstung zu stoppen, ein Zimmer für sich allein zu haben, gemeinsam stark zu sein –, und diesen Auftrag kann Sandra nicht vergessen. Mit vierzig Jahren und als Mutter zweier Kinder ist aus ihr eine Art Kassandra vom Prenzlauer Berg geworden. Sie sieht, dass die Ideale der Elterngeneration im Alltag verloren gehen, auf dem Spielplatz versanden, im Plenum der Hausgemeinschaft ad absurdum geführt werden. Alles auszusprechen, ist offenbar keine Lösung, weggehen kann sie jedoch auch nicht, außerdem genießt sie ihre Privi legien. Sie feiert die Kindergeburtstage wie früher, wie Pippi Langstrumpf, doch der Kern der Utopie ist nicht mehr da. Und die bodentiefen Fenster machen den Alltag allzu durchsichtig. Am Ende von Anke Stellings Roman, der in schöner Sprache Bitterböses erzählt, geht es ins Müttergenesungswerk: »Damit Mama wieder lacht.« Bodentiefe Fenster – bodenlose Gegenwart.
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Ilija Trojanow hat sein Lebensbuch geschrieben: Ein schwindelerregender Blick in den Abgrund zwischen Macht und Widerstand.
Konstantin ist Widerstandskämpfer, einer, der schon in der Schulzeit der bulgarischen Staatssicherheit auffällt und ihrem Griff nicht mehr entkommt. Metodi ist Offizier, Opportunist und Karrierist, ein Repräsentant des Apparats. Sie sind in einen Kampf um Leben und Gedächtnis verstrickt, der über ein halbes Jahrhundert andauert.
Ilija Trojanow entfaltet ein breites zeitgeschichtliches Panorama von exemplarischer Gültigkeit. Eine Fülle einzelner Momente aus wahren Geschichten, die Trojanow seit den Neunzigerjahren in Gesprächen mit Zeitzeugen gesammelt hat, verdichtet er zu einer spannenden Schicksalserzählung von menschlicher Würde und Niedertracht. ›Macht und Widerstand‹ ist bewegende Erinnerungsarbeit, ein Roman, wie man ihn in seiner Entschiedenheit und poetischen Kraft lange nicht gelesen hat. -
Lucia Binar ist 83, und sie ist verärgert. Die Große Mohrengasse, in der sie seit langem lebt, soll aus Gründen der politischen Korrektheit in "Große Möhrengasse" umgetauft werden. Und die soziale Einrichtung, die sie versorgt, hat versagt: Ihr Essen wurde nicht geliefert. Der Telefondienst ist in ein Callcenter ausgelagert, dort rät ihr eine Mitarbeiterin, sich von Manner-Schnitten zu ernähren. Lucia ist empört. Sie will die Frau aufsuchen und zur Rede stellen. Dabei hilft ihr ausgerechnet Moritz, ein Student, der die "Anti-Rassismus-Initiative Große Möhrengasse" unterstützt. Mit viel Humor erzählt Vladimir Vertlib die Geschichte einer alten Dame, die entschlossen ist, ihre Würde zu bewahren.
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Nun ist Nies schon über dreißig, aber manchmal wirkt er noch alles andere als erwachsen. Er wirft lieber Eier und Tomaten an Hauswände, als wie sein Bruder in einer Bank zu arbeiten. Und dass seine Eltern ihn als Kind ziemlich früh allein gelassen haben, taugt auch nicht ewig zur Entschuldigung, selbst wenn Nies an seinem trotzigen Spitznamen aus jener Zeit eisern festhält. Er ist ein Beobachter, ein Spieler, der sich auf alles einen eigenen Reim macht. Eher durch Zufall findet er plötzlich doch noch einen Job: in einem Bestattungsinstitut. Die Begegnung mit dem Tod verlangt ihm einiges ab, gerade auch weil Verantwortungsgefühl bislang nicht eben zu seinen herausragenden Fähigkeiten zählte. Mit Improvisationstalent kann er einiges wettmachen, und im Grunde ist er ja auch ein grundanständiger Typ. Was auch immer für Klischees existieren mögen - Bestattungshelfer ist ein hochabwechslungsreicher Beruf. Und die Würde des Menschen endet nicht mit seinem Tod. Kai Weyand ist ein Erzähler mit Sinn für Absurdes und das Ineinanderübergehen von Ernst und Spaß.
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Gudrun Ensslin eine Indianersquaw aus braunem Plastik und Andreas Baader ein Ritter in schwarzglänzender Rüstung? Die Welt des kindlichen Erzählers dieses mitreißenden Romans, der den Kosmos der alten BRD wiederauferstehen lässt, ist nicht minder real als die politischen Ereignisse, die jene Jahre in Atem halten und auf die sich der 13-Jährige seinen ganz eigenen Reim macht. Frank Witzel ist es in dieser groß angelegten fantastischen literarischen Rekonstruktion des westlichen Teils Deutschlands gelungen, ein Spiegelkabinett der Geschichte im Kopf eines Heranwachsenden zu errichten. Erinnerungen an das Nachkriegsdeutschland, Ahnungen vom Deutschen Herbst und Betrachtungen der aktuellen Gegenwart entrücken ihn dabei immer weiter seiner Umwelt. Das dichte Erzählgewebe ist eine explosive Mischung aus Geschichten und Geschichte, Welterklärung, Reflexion und Fantasie: ein detailbesessenes Kaleidoskop aus Stimmungen einer Welt, die ebenso wie die DDR 1989 Geschichte wurde.
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Vom Fuchs besessen, und das auch noch in Japan! Klarer Fall für Neurologen mit geschärftem Sinn für Menschen - vorzugsweise Frauen - neben der Spur. Dr. Shimamura (den es wirklich gab) reist in der Abendröte des 19. Jahrhunderts durch die Provinz, wo das burleske Krankheitsbild zur Folklore gehört. Ein liebestoller Student begleitet ihn, geht aber bald verloren, dafür fängt der Doktor sich selbst einen Fuchs ein (den es vielleicht auch gab). Da hilft nur noch Europa, und so flieht Shimamura auf Bildungsurlaub gen Westen, besteht neurologisch aufschlussreiche Abenteuer in Paris, Berlin und Wien. Allein, der Fuchs lässt ihn nicht los - auch nicht Jahrzehnte später zurück in Japan, wo sich dieses seltsame Leben, beäugt von allerhand weiblichem Familienanhang, seinem Ende zuneigt. Und so bleibt der Fuchs der unsichtbare Protagonist dieses zauberhaft fernöstlich getönten Gegenwartsromans.