Das nachstehende Gedicht fiel mir in den letzten Tagen beim Aufräumen in die Hand. Der Text entstand im Herbst 1989. Er diente als Einleitung eines Referats zum Thema "Brauchen wir Priester?" im Hauptseminar Pastoraltheologie. Die ersten vier Strophen habe ich im Original übernommen, mit der fünften war ich nicht mehr glücklich. Sie habe ich in Teilen verändert. Wenn ich den Text so betrachte, hätte er auch zum Schreibwettbewerb gepasst
Ein ganz normales Leben
Einst ging der Karl ins Seminar,
er wollte Priester werden.
Dieser Beruf, das war ihm klar,
wird stets gebraucht auf Erden.
Und er studierte schnell und gut,
die Weihe konnte kommen.
Klaus ging. Auch Hans nahm seinen Hut.
's war'n beides keine Frommen.
Der Karl erklimmt die Studienleiter.
Augen zu. Und weiter.
Dann ist der Karl schon bald Kaplan,
übt sich im Zelebrieren.
Er lächelt kleine Kinder an,
die für ihn ministrieren.
Ach ist die Welt so gut und rein!
Kein Nörgler darf hier stören.
Es ist so schön, Kaplan zu sein,
kann man ihn jubeln hören.
Streit überhört die ganze Zeit er.
Ohren zu. Und weiter.
Und dann begegnet ihm ne Frau.
Dem Karl. Dem frommen Priester.
Ihm wird's im Magen ziemlich flau.
Oh diese Teufelsbiester!
Doch er ist Priester. Dann erst Mann.
Der Teufel geht vorüber.
Karl hilft sich selbst, so gut er kann,
dann ist es fort, das Fieber.
Wer braucht schon Frauen als Begleiter?
Hose zu. Und weiter.
Und so vergeht dann Jahr um Jahr.
Karls Leben lebt sich schwerer.
Erst stirbt Papa. Dann stirbt Mama.
Die Welt wird immer leerer.
Am Anfang stand das Ideal.
Jetzt häufen sich Probleme.
So manche Frage wird zur Qual:
Wenn nur ein Wunder käme!
Karl nimmt drei Schluck. Wird wieder heiter.
Flasche zu. Und weiter.
Doch irgendwann kommt jene Zeit,
da fängt er an zu denken:
War ich denn damals echt bereit,
mich völlig zu verschenken?
Ich war gehorsam immerdar.
Den Oberen stets gewogen.
Habe gedient mit Haut und Haar.
Bin froh hinausgezogen.
War Selbstbetrug mein Wegbegleiter?
Zu spät. Das war's. Und weiter.