Karl Wolfgang Flender: Greenwash Inc.
DuMont Buchverlag 2015. 400 Seiten
ISBN-13: 978-3832197643. 19,99€
Verlagstext
Sie haben ein Unternehmen mit problematischem Portfolio? Genmais? Produktion in asiatischen Sweatshops? Kein Problem: Mars & Jung kümmert sich darum. Die Agentur bietet eine ganzheitliche Betreuung, von viralen Imagekampagnen über die Beschaffung von Fairtrade-Zertifikaten bis zum Krisenmanagement vor Ort. Falls es irgendwo mal brennt. In einer Textilfabrik zum Beispiel. In der es keine Fluchtwege gibt. Thomas Hessel ist in dieser Greenwash-Welt zu Hause. Und er verfügt über die perfekten Eigenschaften, um hier Karriere zu machen: Kreativität, Empathie, Aufopferungsbereitschaft - und Skrupellosigkeit. Für PR-Storys reist er nach Brasilien, Indien oder Ghana und geht für den Erfolg seiner Projekte über Leichen. Er liefert dabei, was von ihm verlangt wird: die Lügen, die wir alle hören wollen. Bis er selbst zum Opfer der eigenen Ambitionen wird. Karl Wolfgang Flenders Debüt erzählt mit schmerzhafter Präzision die Geschichte einer steilen Karriere und eines rasanten charakterlichen Zerfalls.
Der Autor
Karl Wolfgang Flender, 1986 in Bielefeld geboren, studierte Literarisches Schreiben an der Universität Hildesheim und war Mitherausgeber der Literaturzeitschrift BELLA triste sowie Mitglied der Künstlerischen Leitung von PROSANOVA 2014. Er arbeitet als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der UdK Berlin und promoviert dort in Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation.
Inhalt
Als Greenwash Inc trägt jemand in einem albernen Moment die betriebsinterne Laufgruppe der Agentur Mars & Jung ein. Thomas Hessels Arbeitgeber organisiert weltweit Image-Kampagnen für Unternehmen und übernimmt die kommunikative Bewältigung, falls Firmen-Images in die Krise geraten. In dieser Welt ist alles erlaubt, solange es mit 'schonend' oder 'nachhaltig' verschlagwortet werden kann. Hessel war in einem anderen Leben Journalist. Der Schrumpfprozess der Printmedien hat Thomas aus seinem Beruf heraus- und in die Beratungsbranche gespült. Heute sind Journalisten eine seiner Zielgruppen, die er mit vorgeblich ökologisch korrekten Geschichtchen füttert. Seine Hopestorys sind universal einsetzbar, sie könnten ebenso gut einem Genmaisfabrikanten ein grünes Mäntelchen der Nachhaltigkeit verschaffen, wie den Interessen von Regenwaldschützern dienen. In erster Linie dienen sie dem Erhalt von Thomas Job. Wenn Thomas Armut als Video abliefert, ist seine Darstellung von Armut authentischer als die Armut selbst. Selbst Thomas Asthma ist Teil einer Kampagne seiner Agentur, der Mitarbeiter als Mensch. Wenn Thomas körperliche Schwäche nicht Realität wäre, wäre sie zumindest gut entwickelt.
Der ganze Mann wirkt alterslos. In seiner Branche gibt es offenbar nur eine Generation, die die aktuell zur Firma gehört. Drinnen oder draußen – das wird von Jens Mars, dem Boss, täglich neu entschieden. Ein Mars & Jung-Mitarbeiter hat sich mit dem Boss beim Kickerspielen zu messen, die Fitnesswerte seiner Angestellten werden Jens Mars per App geliefert. Wer seine Zugriffsrechte als Machtinsignien verliert oder wessen Spind geräumt wird, den degradiert das zu „Dingens“, dessen Namen keine Erwähnung mehr wert ist. Thomas Hessel kämpft an allen Fronten gleichzeitig – um den Ruf des derzeitigen Klienten, die Anerkennung seines Chefs und gegen die alltäglichen Widrigkeiten in Ländern in Äquatornähe. Eine weitere Front hat sich gerade im Privaten aufgetan. Freundin Marina, der Thomas ein sorgenfreies Studium der Ethnologie ermöglichte, bewirbt sich ebenfalls in der Beratungsbranche und wird damit zur direkten Konkurrentin. Mit Kenntnissen über indigene Völker lassen sich kluge Reden schwingen, auch wenn die Ethnologin die Länder selbst nicht kennt, für die gerade Kampagnen gestrickt werden. Im täglichen Hamsterrad der Selbstoptimierung ist die Partnerbeziehung längst zur Rechengröße degradiert. Thomas sinnt darüber, ob ihm statt Marina nicht eine seinem gefühlten heutigen Status angemessene Frau zustehen würde. Im Zeitalter moderner Kommunikationsmittel lässt sich rund um die Uhr verfolgen, was Freund und Feind gerade treiben. Das Selfie wird zur Waffe im Rosenkrieg und im Kampf um den Platz auf der Hühnerleiter bei Mars & Jung.
Fazit
Karl Wolfgang Flender schickt seinen Protagonisten in den brasilianischen Regenwald, an den Brandort in einer indischen Textilfabrik und in die weltweit größte und giftigste Halde von Elektronikschrott in Accra/Ghana. Damit demontiert er nicht nur vorgeblich ökologisch zertifiziertes Blendwerk, sondern auch seinen Helden. Der Witz bei der Sache ist es, dem Icherzähler Thomas Hessel bei seinen Selbsttäuschungen und Selbstinszenierungen auf die Schliche zu kommen. Jemand wie er würde schließlich für eine Kampagne auch seine sterbende Großmutter verkaufen. Trotz der Beschränkung auf die Perspektive des Icherzählers zwingt Thomas' Lavieren zwischen Schein und Wirklichkeit zum äußerst konzentrierten Lesen.
9 von 10 Punkten
[edit: Fehler]