Lisa O’Donnell: Die Geheimnisse der Welt
DuMont Buchverlagi 2015. 256 Seiten
ISBN-13: 978-3832197797. 18,99€
Originaltitel: Closed Doors
Übersetzerin: Stefanie Jacobs
Verlagstext
Der elfjährige Michael Murray kann zwei Dinge am allerbesten: Ballhochhalten und Geheimnisse bewahren. Seine Familie findet, dass er für Erwachsenendinge noch zu jung ist, also lauscht er an Türen. Es ist der einzige Weg, um irgendetwas mitzubekommen. Und Michael hat ein Geheimnis mitbekommen eines, das vielleicht die Prellungen im Gesicht seiner Mutter erklärt. Als das Flüstern zu Hause und in der Nachbarschaft zu laut wird, um es zu ignorieren, fragt sich Michael, ob hinter der ganzen Sache doch mehr steckt, als er dachte. Also macht er sich daran, die Wahrheit herauszufinden, in der Hoffnung, dass dann endlich alles wieder normal wird. Er darf dabei nur ein paar Dinge nicht vergessen: sich auf den bevorstehenden Talentwettbewerb im Dorf vorzubereiten, ein Auge auf seine Erzfeindin »Dirty Alice« zu haben und auf jeden Fall die wässrigen Eintöpfe seiner Granny zu vermeiden. Die Geheimnisse der Welt beschwört in einfühlsamer Weise die Ängste und Freiheiten der Kindheit. Es ist ein eindringlicher Roman über die Liebe, den Verlust der Unschuld und die Bedeutung der Familie in schwierigen Zeiten.
Die Autorin
Lisa O'Donnell wurde für ihr Drehbuch „The Wedding Gift“ mit dem Orange Screenwriting Prize ausgezeichnet. Für ihren Debütroman „Bienensterben“ (2013) erhielt sie den Commonwealth Writers Prize. Lisa O'Donnell lebt mit ihren zwei Kindern in Schottland.
Inhalt
Zu Jahresbeginn 1983 wird Michael Murray 12 Jahre alt. Michael pubertiert zwischen Kindsein und Heranwachsen; er weiß noch nicht, ob er Mädchen faszinierend oder abstoßend finden soll. Es ist das Jahr, nachdem der Eurovision Song Contest zum Groll der Briten und Schotten mit „Ein bisschen Frieden“ gewonnen wurde und Jungen ein Rad mit Bananensattel und Fransen an den Griffen geschenkt bekommen. Es ist auch die Zeit, in der Kinder aus dem Zimmer geschickt werden, wenn Erwachsene sich über Dinge unterhalten, die sie ungeeignet für Kinderohren finden. Schlimm wird es erst, wenn Kinder nicht mehr aus dem Raum geschickt werden, weil die Erwachsenen deren Anwesenheit im Eifer nicht bemerken. Wie vermutlich alle andere Kinder auf der kleinen schottischen Insel im Firth of Clyde an der Küste vor Glasgow versucht Michael, sich zurück zu schleichen und hinter die Geheimnisse zu kommen. In seiner Familie köcheln diverse Konflikte unter der Oberfläche, ausgelöst durch Arbeitslosigkeit, persönliche Schicksalsschläge und dörfliche Moral.
Obwohl Michaels Mutter sich wunderbarerweise im gemeinsamen Haushalt mit ihrer Schwiegermutter sehr gut versteht, wird über die Arbeitslosigkeit des Vaters gestritten, über die Thatcher-Politik und darüber, wie katholisch ein Kind sein kann, dessen Mutter Protestantin ist. In dieser Situation der Sprachlosigkeit wird Michaels Mutter abends im dunklen Park überfallen und deutlich sichtbar verletzt. Was wirklich vorgefallen ist, wird Michael eisern verschwiegen, obwohl die unausgesprochene Angst der Erwachsenen vor dem großen Unbekannten nicht zu übersehen ist. Aus Angst vor dem Dorftratsch will die Mutter die Tat auf keinen Fall bei der Polizei anzeigen. Wie man sich leicht vorstellen kann, bringt sie damit ihren Mann, der gern mal tief ins Glas schaut, in eine peinliche Situation. Durch ihr Schweigen verhindert sie außerdem, dass mögliche weitere Opfer des Täters gewarnt werden. Selbst ein Gespräch zwischen Vater und Sohn kann Michaels Problem nicht lösen, weil die Fakten noch immer nicht auf den Tisch kommen.
Fazit
Die Ereignisse in der Folge einer Gewalttat werden konsequent aus der Sicht eines Elfjährigen erzählt, dessen Sprache aus heutiger Sicht sehr naiv wirkt. Wie hätte sie zu der Zeit auch anders sein können, wenn Kinder entweder im Lexikon zwischen aufgeschnappten Reizwörtern hin und her blättern oder ihr Halbwissen miteinander vergleichen konnten. Michael spricht zwar wie ein viel jünger wirkendes Kind, aber seine Schlussfolgerungen sind alles andere als naiv. Am Ende überwindet seine Mutter Angst und Scham, Michael erfährt Dinge, vor denen seine Eltern ihn lieber bewahrt hätten – und die Sache mit den Mädchen stellt sich als nur halb so schlimm heraus.
9 von 10 Punkten