'Tanz des Vergessens' - Seiten 209 - 310

  • Dank hitzebedingter Schlaflosigkeit habe ich gestern abend noch den 3. Abschnitt fertig gelesen - das Buch zieht einen aber auch wirklich in seinen Bann, man mag gar nicht aufhören! :-)


    Lou ist mittlerweile volljährig, auch wenn sie für ihre "Ziehmutter" immer noch minderjährig ist. Ich muss gestehen, kurzzeitig hat mich die Feier zu ihrem 21. Geburtstag in meiner Zeitrechnung etwas aus der Bahn geworfen, bis ich wieder auf dem Schirm hatte, dass sie sich für Hilde ja jünger macht, als sie ist.


    Seit sie bei den Hoffoldingers wohnt, hat Lou ja kaum noch intimeren Kontakt zu Ernst und es scheint, als habe er auch gar kein großes Interesse mehr daran. Das macht mich umso stutziger, was wohl sein wirklicher Beweggrund war, Lou in sein Haus zu holen? :gruebel Zumal ja auch immer wieder betont wird, dass der "Cäsar" Ernst durch und durch Geschäftsmann ist, der nichts Unüberlegtes tut.


    Dazu kommt nun noch Richard Lönsheim als angeblicher Verlobter - ausgerechnet der! Richard traue ich auch überhaupt nicht, v.a. der stechende Blick, der immer wieder erwähnt wird, macht mich misstrauisch. Interessant ist aber, dass auch Richard trotz seines arischen Aussehens jüdische Wurzeln hat - ob das nochmal von Bedeutung sein wird???
    Interessant finde ich, dass Ernst Hoffoldinger mittlerweile mehr an seiner Geschäftsbeziehung zu Richard als an seiner Liebesbeziehung zu Lou interessiert zu sein scheint. Inzwischen kann man für Lou eigentlich nur hoffen, dass sie aus diesem Beziehungsgeflecht heil wieder herauskommt, auch wenn sie dann wieder komplett bei Null anfangen muss. Ob sie auch noch nach Berlin ziehen wird???


    Dagegen bekommt Judith die Auwirkung des beginnenden offenen Antisemitismus schon ganz deutlich zu spüren. Sie ist also nicht nur lesbisch, sondern auch Jüdin... hätte man sich bei ihrem Nachnamen ja fast schon denken können. Sie zieht wie Max nach Berlin und scheint die einzige zu sein, die die Zeichen der Zeit früh erkennt - ob ihr das helfen wird? :gruebel


    Von Frida hört man kaum noch was, wir erfahren nur, dass ihr Kommerzienrat ebenfalls Jude ist und dass sich die zwangseinquartierten Lehmanns in ihrer Wohnung als wahrer Segen erwiesen haben. Allerdings wüsste ich ja schon gern, ob wir irgendwann noch erfahren werden, wer sich hinter der mysteriösen "Freundin" mit dem unerschöpflichen Kleiderfundus verbirgt?


    Hitlers Auftritt bei der Dombergschen Soiree war schon bemerkenswert - auch wenn es nichts Neues mehr ist, erschüttert es mich trotzdem immer wieder, wie dieser kleine österreichische Dummschwätzer die Leute derart in seinen Bann ziehen konnte! :-(


    Ich bin gespannt, wie es weitergeht! :-)


    LG, Bella

  • Natürlich wünsche ich Dir keine hitzebedingte Schlaflosigkeit, aber es freut mich zu lesen, dass der Roman Dir da eine willkommene "Erfrischung" bietet :grin


    "Cäsar" Ernst ist sicherlich - unbewusst - aus verschiedenen Gründen zur Adoption Lous bereit gewesen. Letztlich hat alles immer mehrere Seiten. In gewisser Weise ist es auch Pragmatismus, wenn man mit einer Aktion mehrere Ziele erreichen kann. Letztlich ist er aber auch ein feiner Mensch mit Gefühlen und fühlt sich vor allem verantwortlich für Lou...


    Die Szene zu Lous 21. Gebnurtstag ist mir vor allem auch wegen Max Bekenntnis sehr wichtig. Auch Ernst und der Kommerzienrat erkennen, wie es um diese Generation steht und dass da manches schief gelaufen ist, was jetzt eine gewisse Bereitschaft, die Jungen machen zu lassen, erfordert.


    Hitlers Auftritt jagt mir auch immer wieder Gänsehaut über den Rücken. Die Szene habe ich angelehnt an Schilderungen von seinen Auftritten im Salon der Verlegersgattin Elsa Bruckmann. Dort war er nachweislich zwar erst ab Dezember 1924 zu Gast (sie hatte während seienr Haftzeit in Landsberg Kontakt zu ihm bekommen und ihm beim Schreiben von "Mein Kampf" unterstützt), aber er wurde schon vorher von einflussreichen Kreisen in München hofiert. Deshalb habe ich daraus die fiktiven Dombergs gebastelt und schon 1922 einen solchen Auftritt geschildert (was durchaus möglich gewesen wäre).

  • Mir fehlen hier noch einige Seiten - so 12 :wave


    Aber trotzdem entsetzt mich das Tun von Ernst und Richard. Warum gibt Ernst Richard ein derartiges Filmprojekt? Richard ist mir die ganz Zeit ja unsympathisch aber Ernst wird es auch - leider rasant schnell. :fetch Ich hoffe noch, dass hier politische Hintergründe gegeben sind. Richard und Ernst als Paar wäre mir doch zu viel.


    Lou und ihre Freunde sind jung. Mit 20 bin ich auch 3x die Woche zum Tanz gegangen, wenn auch nicht die Nacht durch. Samstags wurde es schon mal etwas später, denn sonntags konnten wir ja ausschlafen.
    Lou, Judith und Max sind recht sympathisch. Vielleicht klappt es am Ende ja doch mit Max irgendwo im Ausland.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein


  • Den Auftritt fand ich auch sehr bemerkenswert und auch die Beschreibungen, wie Hitler in allen gesellschaftlichen Schichten immer mehr Anhänger um sich scharrt. Dieser Teil um die politische Stimmung in München hätte für meinen Geschmack noch etwas ausführlicher sein können, so finde ich die Geschichte im Moment ein bisschen flach, immer nur Party :lache
    und jetzt verschwindet auch noch Judith nach Berlin :-(

  • Es ist kein politischer sondern ein Gesellschaftsroman, deshalb wollte ich auch einfangen, wie viel die "normalen" Menschen in ihrem täglichen Leben mit den Ereignissen konfrontiert sind. Und das war vor allem das Leben als solches und - da es keine Politiker waren - nicht immer Auseinandersetzungen mit dem politischen Tagesgeschehen, sondern mit den Erfordernissen ihres Daseins. Das ist heute ja auch so.

  • Zitat

    Original von Zwergin


    Den Auftritt fand ich auch sehr bemerkenswert und auch die Beschreibungen, wie Hitler in allen gesellschaftlichen Schichten immer mehr Anhänger um sich scharrt. Dieser Teil um die politische Stimmung in München hätte für meinen Geschmack noch etwas ausführlicher sein können, so finde ich die Geschichte im Moment ein bisschen flach, immer nur Party :lache
    und jetzt verschwindet auch noch Judith nach Berlin :-(


    Geht mir wie Zwergin - etwas mehr Tagesgeschehen und weniger Party wäre schön gewesen.

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    Wendy Wasserstein

  • Lou ist in einer Phase, in der sie sich aus bestimmten Gründen mehr als gern vom Leben ablenken lässt und ins Vergnügen stürzt. Auch das ist ein Merkmal der Zeit, das im Lauf der 20er Jahre sogar noch verbreiteter wird. Nach allem, was ihr widerfahren ist, hat sie wenig Lust, sich um das politische Geschehen so genau wie ihre Freundin Judith zu kümmern. Anders als Judith ist sie auch noch nicht direkt betroffen. Dafür aber will sie unbedingt vergessen, was ihr mit Curd geschehen ist. Wenn man die Aufzeichnungen vieler Menschen aus diesen Jahren liest, stellt man fest, dass sie damit nicht allein ist.

  • Lou hat sich also mehr oder weniger bei Ernst und Hilde eingelebt. Nun macht Hilde aber Druck, dass sie einen Heiratskandidaten für Lou finden will. Aber auch da weiss sich Lou zu helfen und wählt Richard, den Elsässer für diese Aufgabe. Ernst ist darüber erfreut. Ich finde aber schon, dass Ernst ein Lou ein bisschen mehr helfen hätte können. Schliesslich war die Adoptionsgeschichte seine Idee. Aber, so ist es. Nach aussen hin den Cäsar geben und daheim unter dem Pantoffel der Frau stehen :grin
    Spielen bei Richard und Ernst wirklich nur die geschäftlichen Aspekte eine Rolle, oder hat Ernst auf seine alten Tage festgestellt, dass es ihn mehr zu Männern hin zieht?
    Der Überfall auf den Boxclub war ja heftig. Schade eigentlich, dass nicht mehr (millionen) Menschen Judiths Weitblick hinsichtlich Hitlers hatten. Sonst wäre die Geschichte anders geschrieben worden. Und es hätte auch keinen 2. WK gegeben. Ich finde es auch gruselig - wie Judith auch - dass Hatler gerade bei der gebildeten Gesellschaft so gut ankam. Aber auch darauf hat Judith ja selbst schon die Antwort gegeben.
    Und vor allem Hildes Reaktion finde ich grauselig. Erst so über den Kommerzienrat zu sprechen und dann, vor Zeugen, auch noch dem eigenen Mann nahelegen, mal in seiner Ahnenreihe zu forschen. Richard, der Inbegrif des Ariers ist also Jude. Hoffentlich kommt Hilde da nicht (so schnell) dahinter...

  • Zitat

    Original von belladonna


    Lou ist mittlerweile volljährig, auch wenn sie für ihre "Ziehmutter" immer noch minderjährig ist. Ich muss gestehen, kurzzeitig hat mich die Feier zu ihrem 21. Geburtstag in meiner Zeitrechnung etwas aus der Bahn geworfen, bis ich wieder auf dem Schirm hatte, dass sie sich für Hilde ja jünger macht, als sie ist.


    An der Stelle war ich zunächst auch etwas verwirrt :grin


    Zitat

    Original von belladonna


    Hitlers Auftritt bei der Dombergschen Soiree war schon bemerkenswert - auch wenn es nichts Neues mehr ist, erschüttert es mich trotzdem immer wieder, wie dieser kleine österreichische Dummschwätzer die Leute derart in seinen Bann ziehen konnte! :-(


    Das fand ich auch ganz klasse geschildert!!


    Wobei ich eigentlich schon darauf gewartet habe, dass er in die Geschichte eingeflochten wird. Schon in den ersten Leseabschnitten, als erst Richard und dann später Hilde optisch beschrieben wurden, war klar, wohin der Weg führen würde. Bei der Darstellung dieser beiden Charaktere stellen sich mir übrigens die Nackenhaare auf. Vor allem Hilde hat irgendwas an sich, was ich mit Worten nicht so wirklich beschreiben kann. Bin sicher, sie wird schon ziemlich bald beseelt von dem Gedanken sein, die "arische Rasse" zu erhalten und alles nichtarische zu eliminieren :yikes

  • Zitat

    Original von mazian


    Spielen bei Richard und Ernst wirklich nur die geschäftlichen Aspekte eine Rolle, oder hat Ernst auf seine alten Tage festgestellt, dass es ihn mehr zu Männern hin zieht?
    ..


    Die Befürchtung hatte ich auch. :wave

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    Wendy Wasserstein

  • Ich bin auch etwas überrascht in Bezug auf Spekulationen zu Ernst und Richard.... aber als Autorin bin ich meinen Figuren gegenüber sehr befangen...


    Zu Hitler: ich fand es schon sehr schwer, diese Szene mit seinem Auftritt zu schildern, denn ich habe etwas Hemmungen, einen solchen Menschen fiktiv zu gestalten. Das erfordert ein Hineinversetzen, für das ich mich bei ihm verweigere. Die Szene fußt auf Aussagen hauptsächlich von Elsa Bruckmann, die ja als eine seiner frühen und sehr entschlossenen Unterstützerinnen gilt. Gerade diese Frauen wollte ich einfangen. Hilde ist eine von ihnen. Sie waren sehr einflussreich und dank ihrer Bewunderung für Hitler letztlich unberechenbar in dem, was sie zu tun bereit waren....

  • Zitat

    Original von belladonna
    @ Zwergin:
    Da sieht man mal, wie unterschiedlich die Geschmäcker sind - ich persönlich bin froh, dass der politische Teil nicht größer ist! :-) Und bei einem Buch, das "Tanz des Vergessens" heißt, erwarte ich irgendwo auch, das viel getanzt wird... ;-)


    LG, Bella


    :write
    Geht mir genau so...



    Der Auftritt von Herrn Hitler bei den Dombergs ist für mich gut beschrieben. Man fühlt richtig wie er den Leuten den Kopf verdreht.... Plötzlich hat Hilde an Ernsts Nase was auszusetzen, und irgendwie macht man sich auch gleich Sorgen um den Kommerzienrat. Von Judith und Max ganz zu schweigen.... Der Überfall auf den Boxclub war, denke ich, ausreichend um aufzuzeigen das es so langsam aber sicher losgeht mit der Hetze....

  • Zitat

    Original von Heidi Rehn



    Zu Hitler: ich fand es schon sehr schwer, diese Szene mit seinem Auftritt zu schildern, denn ich habe etwas Hemmungen, einen solchen Menschen fiktiv zu gestalten. Das erfordert ein Hineinversetzen, für das ich mich bei ihm verweigere. Die Szene fußt auf Aussagen hauptsächlich von Elsa Bruckmann, die ja als eine seiner frühen und sehr entschlossenen Unterstützerinnen gilt. Gerade diese Frauen wollte ich einfangen. Hilde ist eine von ihnen. Sie waren sehr einflussreich und dank ihrer Bewunderung für Hitler letztlich unberechenbar in dem, was sie zu tun bereit waren....


    Die Darstellung dieser frühen Unterstützerinnen von Hitler ist dir super gelungen, finde ich.

  • Als bei der Geburtstagsfeier von den jungen Leuten die Rede war, habe ich mir gleich gedacht, daß die vom Theater sind. Das paßte einfach zu gut. :grin


    Max geht also für immer nach Berlin. Ob der nochmal auftaucht?


    Was mir immer wieder auffällt ist, daß mir die Zeitsprünge nicht auffallen; ich immer wieder stutze, Sätze zwei Mal lese, bis ich kapiert habe, daß einige Tage / Wochen / Monate vergangen sind. Z. B. S. 240 geschieht so ein Sprung mitten im Absatz: Seit mehr als fünf Monaten war Max in Berlin...
    Oder ein kurzer Sprung S. 248, immerhin mit einem Absatz: „Kommen Sie nur schnell herein...


    Dann geht Judith also auch nach Berlin, nach der unangenehmen Begegnung mit den SA Schlägern.


    Ob Lous Idee, Richard als Verlobten zu präsentieren, allerdings so gut ist, möchte ich doch bezweifeln. Richard ist mir nicht geheuer, der ist zu undurchsichtig. Aber das Abkommen mit Ernst wird geschlossen, und beide scheinen sehr auf ihren geschäftlichen Vorteil bedacht zu sein, Lou nur noch ein Anhängsel. Ob das mal gut geht?


    Dann kommt Judith für eine Reportage zurück und erlebt mit, wie Richard als Heiratskandidat eingeführt wird. Ich würde zu gerne wissen, ob Hilde das Spiel von Ernst und Lou durchschaut und, als welchen Gründen auch immer, mitspielt oder ob sie wirklich so ahnungslos ist, wie sie tut.


    S. 305 Du wirst dich wundern, wie leicht Menschen zu blenden sind, gerade solche, die sich für besonders klug und abgeklärt halten.
    Daran dürfte sich nicht allzuviel geändert haben.


    Hitler wird also in die besten Kreise eingeführt; kein Wunder, daß der Erfolg hatte. Irritiert hat mich die Andeutung Hildes über die (jüdische?) Herkunft von Ernst. Will sie sich, quasi aus Rache, ihres Mannes entledigen? Das wäre ein Ansatz.



    Zitat

    Original von belladonna
    Interessant ist aber, dass auch Richard trotz seines arischen Aussehens jüdische Wurzeln hat - ob das nochmal von Bedeutung sein wird???


    Ich fürchte, ja. Und auch den Kommerzienrat wird es möglicherweise „erwischen“.



    Zitat

    Original von Lesebiene
    Richard und Ernst als Paar wäre mir doch zu viel.


    Ups, so weit habe ich noch überhaupt nicht gedacht.



    Zitat

    Original von mazian
    Nach aussen hin den Cäsar geben und daheim unter dem Pantoffel der Frau stehen


    Das irritiert mich auch immer wieder, irgendwie paßt das nicht so recht.



    Überrascht hat mich in diesem Zusammenhang Bruckmann. Der Name fiel mir ziemlich gleich auf, jetzt habe ich mal etwas nachgelesen und bin doch über die Verlagsgeschichte erstaunt. Zumal ich einige deren Veröffentlichungen kenne und eine Buchreihe sogar abonniert habe. Aber die Geschichte der DB ist politisch recht unverfänglich, sieht man mal von den Einflüssen der Tagespolitik ab.

    Unter den Büchern finden wir wieder, was uns in der Fremde entschwand, Frieden im Innern und Frieden mit unserer Umgebung.
    (Gustav Freytag, 1816 - 1895, aus "Die verlorene Handschrift")