Historische Romane = Schund?

  • Zitat

    Original von Bodo
    Pelican : Deine Frage nach dem Regulativ hinkt ein wenig (nur ein kleines bisschen....) denn diese Frage nach der Qualität, welche wir hier alle so engagiert erörtern stellt sich 90% der Konsumenten da draussen garnicht!


    Vielleicht habe ich es nicht klar ausgedrückt. Das Regulativ Markt funktioniert in diesem Fall nicht. Damit muß ich aber leben, denn ein anderes Regulativ könnte ich mir nicht vorstellen.


    @ Magali
    Du hast ja recht, daß der Autor eine klare Verantwortung hat. Leider tritt das wohl aber häufig für den Broterwerb in den Hintergrund.

  • Das mit der Verantwortung sehe ich überhaupt nicht so.
    Jeder muss sein eigenes Tun vor sich selbst verantworten können.
    Aber sollten Autoren von Unterhaltungs!Romanen verpflichtet sein, in ihren Büchern mein! Weltbild darzustellen. Mein Nachbar hat vielleicht ein ganz anderes.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Delphin


    zu Deinem Fantasy-Vergleich sage ich mal nichts. :lache


    Aber man kann eben beim historischen Unterhaltungsroman, Recherche, Erzählen und schriftliche Umsetzung nicht voneinander trennen, finde ich.
    Das sind in meinen Augen die drei Säulen und je weniger stabil sie sind, desto eher kommt Schund heraus.


    Wenn schlecht erzählt und schlecht geschrieben wird, fallen Fehler in der Wiedergabe historischer Fakten noch mehr auf. Wenn eine Geschichte sehr gut erzählt und formuliert ist, kommt man wahrscheinlich gar nicht auf die Idee, etwas zu überprüfen.
    So geht es einer doch mit den Romanen von Georgette Heyer. Überprüft da jemand, was sie an Realia der Regency-Jahre im Roman einbringt? Eher nicht, weil es gut erzählte und dem Thema angepaßt speziell formulierte Liebesgeschichten sind, mit toll gezeichneten Figuren.
    Man verzeiht ihhr sogar den grauenhaften Stil.
    Mit ihren Mittelalterromane ist es wohl ähnlich.


    Wenn ich dagegen so etwas finde, wie besagten Jugendroman, in dem eine Autorin unbedingt eine sexy-hexy-Teenager-Knutsche-Story nach Versailles unter Ludwig XIV verlegen muß, dabei schon auf den ersten Seiten zeigt, daß sie erzählerisch und in den Formulierungen wenig talentiert ist, dann schaue ich doppelt aufmerksam auf die Fakten. Es hat mich wenig überrascht, daß sie auch bei denen danebenhaut und zwar gründlich.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Frettchen
    Das mit der Verantwortung sehe ich überhaupt nicht so.
    Jeder muss sein eigenes Tun vor sich selbst verantworten können.
    Aber sollten Autoren von Unterhaltungs!Romanen verpflichtet sein, in ihren Büchern mein! Weltbild darzustellen. Mein Nachbar hat vielleicht ein ganz anderes.



    Ich glaube, da habe ich mich nicht klar ausgedrückt.
    Es geht nicht darum, daß eine Autorin 'mein' Weltbild ausdrückt. Es geht im Gegenteil darum, daß man annimmt, daß AutorInnen von Unterhaltungsliteratur wie auch ihr Publikum gar nicht beachten, daß sie Weltbilder(!) vermitteln.
    Unterhaltung gilt als harmlos.
    Sie ist es nicht.


    Schon da beginnt die Verantwortung.
    Was tue ich eigentlich, wenn ich öffentlich eine Geschichte erzähle? Darüber denken viele, die schreiben, nicht nach.
    Und da kommt Dein Standpunkt: jede muß ihr eigene Tun vor sich selbst verantworten.


    Darüber muß man aber vorher nachdenken.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Bodo


    Pelican : Deine Frage nach dem Regulativ hinkt ein wenig (nur ein kleines bisschen....) denn diese Frage nach der Qualität, welche wir hier alle so engagiert erörtern stellt sich 90% der Konsumenten da draussen garnicht!


    Ich nehme diesen Punkt noch mal auf.
    Ich bin anderer Ansicht. Die Frage stellt sich wohl. Die meisten Leserinnen erwarten, daß sie ein gut gemachtes Buch, einen ordentlich korrigierten Text und eine gute Geschichte bekommen.
    Sie erwarten, daß ihnen die Buchhändlerin genau das gibt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Pelican
    [quote]Original von Bodo
    @ Magali
    Du hast ja recht, daß der Autor eine klare Verantwortung hat. Leider tritt das wohl aber häufig für den Broterwerb in den Hintergrund.


    Wenn es nur der Broterwerb wäre, könnte man sagen, okay, es ist eine Art Armuts-Prostitution.


    Ist es aber nicht. Es wird einfach nicht nachgedacht, schreiben ist zu leicht, veröffentlichen zu leicht, Bücher/Buchmarkt zu schnellebig, alles ist erlaubt, allseitige Beliebigkeit, alles lustig, wir sind so frei, tralalala.



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • magali : ach so. Da stimme ich Dir natürlich zu.


    Wobei ich auch hier die Verantwortung auf beiden Seiten sehe. Man sollte sich überlegen, was man verbreitet. Aber Leser sind ja keine willenlosen Opfer. Nicht nur der, der was verbreitet, hat Verantwortung, sondern auch der, der ganz freiwillig zuhört, ohne Widerworte zu geben, sondern das vielleicht sogar gut findet.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Frettchen


    ja, eben, das dachte ich schon.


    Mit den beiden Seiten hast Du nicht unrecht, aber auch lesen muß man lernen. Es ist schon verlockend, sich bedienen zu lassen, nicht mitzudenken. Alles hinzunehmen.
    Und da irrsinnige Mengen von Lektüre auf den Markt geschwemmt werden, sind Leserinnen wirklich oft überfordert.


    Ich sehe beide Seiten, möchte gute Unterhaltungs-Autorinnen und verständige Leserinnen.
    Träumen darf ich, ja?


    :lache

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • magali, ich kriege das jetzt nicht alles zitiert, also muss es so gehen:
    Hin und wieder schaue ich mich um, um mich schnellstens wieder abzuwenden. Ich gucke, außer Nachrichten (die man auch nicht durchweg glauben kann) kein TV, lese keine gängigen Zeitschriften (auch nicht beim Friseur), im Kino war ich seit Jahren nicht mehr und das ungebremste Mitteilungsbedürfnis der Menschen über jeden Pups bei facebook o.ä. interessiert mich überhaupt nicht, weshalb ich auch da nicht teilnehme.
    Völlig bewusst greife ich oft zu älteren, schon gelesenen Büchern, weil ich genau weiß, was ich kriege. Das heißt aber nicht, dass ich z.B. die Südstaatenromantik in Vom Winde verweht für bare Münze nehme oder glaube, dass die Sklaven der Zeit eigentlich ein angenehmes Leben hatten.
    Der Reiz liegt ganz woanders, ebenso, wie bei Georgette Heyer, wie du so schön aufgeführt hast.
    Hin und wieder lasse ich mich dazu verleiten, etwas Aktuelles und am Markt Beliebtes zu lesen, was beim letzten Mal der totale Griff ins Klo war: FSoG. Falls die Autorin sich bei dem Buch irgendwas gedacht hat und etwas mitteilen wollte, ist das bei mir nicht angekommen.
    Wie auch immer: Natürlich würde ich am liebsten nur stimmige Geschichten in schöner Sprache lesen, aber die muss man auch finden.
    Zwischenzeitlich liest man sich eben durch das, was einen interessiert und es macht zumindest mir nichts aus, wenn das ein oder andere nicht korrekt dargestellt wird, denn mein Weltbild gerät dadurch ganz sicher nicht ins Wanken.


    :wave
    Kalypso

  • Zitat

    Original von Delphin


    Für mich ist es schon mal ein Unterschied, ob eine Autorin eine historische Persönlichkeit zum intriganten Bösewicht macht und dann im Nachwort schreibt, dass diese Sichtweise umstritten ist, oder nicht dem aktuellen Forschungsstand entspricht, sie sich aber aus dramaturgischen Gründen so entscheiden hat. Es aber durchaus auch andere Sichtweisen gibt. Oder ob sie ihn zum intrigranten Bösewicht macht und dann andere Autoren diskreditiert, die dies nicht tun, und sich darstellt, als hätte sie die Weisheit mit Löffeln gefressen.


    Ich will auch keine Zensur, aber wenn eine Autorin sich die Geschichte so hinbiegt, wie sie passt, dann muss sie halt auch mit der Kritik leben.
    ...


    Ich habe vor einiger Zeit einen Roman gelesen, wo die historische Heldin einen unerfreulichen Ehemann hatte. Allerdings wies die Autorin im Nachwort schon darauf hin, dass über diesen Ehemann nur sein Name bekannt ist und dass er aufgrund einer Verletzung behindert war. Sie räumte ein, dass der tatsächliche Ehemann vielleicht ein ganz netter Kerl gewesen sein könnte.


    Was mir hier zumindest positiv aufgefallen ist, war außerdem, dass es wenigstens auch einen (aus meiner Sicht zumindest) nachvollziehbaren Grund gab, warum der Ehemann in den Roman so negativ dargestellt war. Immerhin ist die Heldin Dichterin, und in ihrer Dichtung spielen unglückliche Ehen eine Rolle, das brachte die Autorin vermutlich auf die Idee, dass da vielleicht auch Dinge vorkommen, die ihre Heldin in ihrer Ehe erlebt hat.


    Das ist natürlich kein zwingender Grund, den Ehemann der Heldin zu einem Schurken zu machen, aber, dramaturgisch betrachtet, passt es zumindest zu der Idee, die in der Geschichte erzählt wird.


    Ähnlich auch das Beispiel mit dem Finanzminister - grundsätzlich ist nichts dagegen, dass er der Schurke ist, wenn Autor/in das auch z. B. im Nachwort klarstellt und sich nicht die Deutungshoheit anmaßt.


    Was die Qualität des Romans betrifft, wäre für mich allerdings auch noch ausschlaggebend, wenn diese Zurechtbiegung von historischen Fakten

    - nicht wie eine reine Willkürentscheidung von Autor/in rüber kommt: etwa: jetzt brauchen wir noch einen Schurken, nun, nehmen wir halt den Finanzminister (sondern es auch für die Handlung selbst Sinn macht, warum gerade der Finanzminister diese Rolle spielen muss)


    - nicht ausschließlich klischeehaft wirkt bzw. den Vorurteilen geschuldet ist: der Finanzminister als Schurke, denn er ist z. B. ein Geistlicher, ein Aufsteiger, ein Sadist ...


    Ähnliches gilt für mich übrigens auch beim historischen Roman für andere typische Romanrollen wie z. B. Held/in, Vertraute/r, Witzfigur, Mentor/in etc., wenn für diese in historischen Romane Menschen ausgewählt werden, die tatsächlich gelebt haben.


    Die Zuordnung für eine "Rolle" sollte keineswegs nur willkürlich wirken.

    --------------------------------
    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Zitat

    Original von Kalypso
    Das heißt aber nicht, dass ich z.B. die Südstaatenromantik in Vom Winde verweht für bare Münze nehme oder glaube, dass die Sklaven der Zeit eigentlich ein angenehmes Leben hatten.
    Kalypso


    Nur vorsorglich, weil ich dieses Buch weiter vorn nannte:
    Weder nehme ich eine Südstaatenromantik - die ich in diesem Buch auch kaum erkennen konnte - für bare Münze, noch glaube ich, dass die Sklaven in jener Zeit ein angenehmes Leben hatten. Der Begriff "Sklave" schließt für mich den Kontext "angenehm" per se aus, wenn auch in Einzelfällen die Sklaverei aufgrund der Umstände etwas weniger schlimm empfunden worden sein mag.
    ______________


    Ich finde es schade, dass auch hier wieder einmal der Begriff "Oberlehrer" negativ verwendet wurde, denn ich lasse mich gern klüger machen=sprich: belehren und verdanke meinen Lehrern, ob nun Ober- oder nicht, sehr viel und habe die meisten in guter Erinnerung (obwohl ich keineswegs ein Streber war und auf dem Gymnasium sogar einmal sogar eine Ehrenrunde drehte).

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von maikaefer
    Nur vorsorglich, weil ich dieses Buch weiter vorn nannte:
    Weder nehme ich eine Südstaatenromantik - die ich in diesem Buch auch kaum erkennen konnte - für bare Münze, noch glaube ich, dass die Sklaven in jener Zeit ein angenehmes Leben hatten. Der Begriff "Sklave" schließt für mich den Kontext "angenehm" per se aus, wenn auch in Einzelfällen die Sklaverei aufgrund der Umstände etwas weniger schlimm empfunden worden sein mag.


    maikaefer, nein, ich bezog mich auf mich selbst, da ich eingangs erwähnt hatte, dass ich Vom Winde verweht immer wieder lesen mag.


    ______________

    Zitat

    Original von maikaefer
    Ich finde es schade, dass auch hier wieder einmal der Begriff "Oberlehrer" negativ verwendet wurde, denn ich lasse mich gern klüger machen=sprich: belehren und verdanke meinen Lehrern, ob nun Ober- oder nicht, sehr viel und habe die meisten in guter Erinnerung (obwohl ich keineswegs ein Streber war und auf dem Gymnasium sogar einmal sogar eine Ehrenrunde drehte).


    Das wiederum kam nicht von mir, sondern von dem knurrigen Herrn weiter hinten.
    Lernen tun wir sowieso ständig, ob nun Sinniges oder Unsinniges. Man muss aber auch gelernt haben zu unterscheiden und entsprechend damit umgehen, ob jemand Wissen vermitteln will oder einfach nur seine Ansichten als alleingültig ansieht und anderen diese aufdrücken will, sowohl in Romanen, als auch im täglichen Leben.


    :wave
    Kalypso


  • Deshalb hatte ich es von meinem an Dich gerichhteten Text auch durch einen
    _______________ extra getrennt :-)
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)