Historische Romane = Schund?

  • Zurück zum Thema und zwar zum historischen Unterhaltungsroman:


    da der Name Rebecca Gablé gefallen ist, nehme ich das auf. Sie ist ein aufschlußreiches Beispiel dafür, was im Genre schieflaufen kann.


    Gablé gehört zu den Mitbegründerinnen des neuen deutschen Unterhaltungsromans. Ihre großangelegte Familiengeschichte gilt als 'gut' recherchiert, solide, in den Fakten verläßlich.
    Leider hat sie sich verleiten lassen im Lauf der Jahre, sich Deutungshoheit über den von ihr behandelten Abschnitt der englischen Geschichte anzumaßen, was zu ihrem sehr unglücklichen 'Sach' - Buch über das englische Mittelalter geführt hat. Das Buch hat gezeigt, daß sie von Geschichte keine Ahnung hat.
    Zur angemaßten Deutungshoheit gehörten auch Ausfälle gegen die, die ihrer - romanbedingten - Interpretation widersprechen.
    Hier kann man etwa die Frage stellen, inwieweit es heutzutage(!) erlaubt ist, Persönlichkeiten der Geschichte rundum negativ darzustellen, obwohl längst bekannt ist, daß die Realität der Epoche anders war.


    Ein ganz neues Beispiel für eine solche Frage ist ein gerade erschienenes Jugendbuch, ein Zeitreiseroman, in dem ein Teenager nach Versailles unter Ludwig XIV. versetzt wird. Das Buch gibt es, wenn ich das recht sehe, derzeit nur als Kindle-Version. Es hat begeisterte Leserinnen gefunden, aber auch eine Ein-Stern-Rezension eingefahren.
    Diese wiederum ist eine ausgezeichneten, beispielhafte Kritik, die das Buch eingehend diskutiert und Einwände nicht nur in literarischer, sodnern auch historischer Hinsicht bringt. Auch in diesem 'Buch' wird entegegen der realen Gegebenheiten eine historische Persönlichkeit unangenehm schwarz gezeichnet. Daß das Ganze auch noch einen homophoben Einschlag hat, macht es wirklich schlimm.


    Ich finde es falsch, unwissenden Leserinnen so etwas vorzusetzen. Es ist verantwortungslos. Warum die Vergangenheit bemühen, wenn man sowieso daran drehen will? Wieso soll für Unterhaltung alles erlaubt sein?
    Schund!



    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Kannst du mir sagen, von welchem Buch du sprichst?
    Ist es denn so, dass die Tatsachen total verdreht wurden oder ist es die eigene Interpretation des Autoren/der Autorin von den Charakteren im Buch? Ich bin ja der Meinung, dass es so ist, dass manche Menschen eine Charaktereigenschaft oder die Taten eines Menschen gut und richtig finden, die anderen dagegen falsch. Wenn du verstehst, was ich meine...
    Aber um mir da ein Urteil bilden zu können, müsste ich wissen, worum es geht.
    Im Moment kann ich noch nicht sagen, ob ich diese scheinbaren Unwahrheiten für Schund halte oder nicht. Da muss ich noch mal drüber nachdenken.


    Edit: Manchmal frag ich mich, ob ich in Deutsch aufgepasst habe :yikes Hab mal an der Formulierung gedreht.


  • Liebe magali,
    falls du dich damit u.a. auf meinen Beitrag beziehst, möchte ich darauf hinweisen, das ich meine Krimis lesende Freundin (Die Germanistin ist) nicht als Argument (Wofür? Wogegen?) nutzen wollte, sondern ihr Beispiel erwähnt habe, um im Gegenzug dafür zu werben, LeserInnen mit gehobeneren Ansprüchen an ihre Literatur nicht automatisch Überheblichkeit zu unterstellen. Dahinter stand die Hoffnung, der Diskussion ein wenig Gift zu entziehen und sie zu mehr Sachlichkeit zurückzuführen. :-)


    Vielen Dank übrigens für den Link zum Jugendbuch. Ich weiß immer noch nicht, ob ich lachen oder weinen soll.



    Zum Thema:


    Im Zusammenhang mit der Qualität von historischen Romanen wurde in dieser Diskussion sehr oft die Recherche erwähnt. Keine Frage, dass gute Recherche wichtig ist, sie sollte meiner Meinung nach aber kein Selbstzweck sein. Auf das Einflechten vieler (unwesentlicher) Details kann ich durchaus verzichten, wohingegen ich es wichtig finde, dass der Geist der beschriebenen Zeit eingefangen wird, d.h. er sich im Verhalten und Denken der handelnden Personen sowie in ihrem politischen und kulturellen Umfeld widerspiegelt. Die mehrfach erwähnte Kartoffel könnte ich verzeihen, eine schlecht erzählte / langweilige Geschichte oder miesen Schreibstil hingegen nicht. Gute Recherche allein macht keinen guten Roman.


    LG harimau :wave

    "Lieber losrennen und sich verirren. Lieber verglühen, lieber tausend Mal Angst haben, als sterben müssen nach einem aufgeräumten, lauwarmen Leben"

    Andreas Altmann

  • Was wissen wir überhaupt über Geschichte? Geschichte wird/wurde von Siegern geschrieben und darüber hinaus nicht immer von Zeitzeugen. (Vgl. Bibel). Und immer wird/wurde auf Teufel-komm-raus gefälscht, bis sich die Schwerter biegen/bogen (Vgl. Konstantinische Schenkung). Hinzu kommt, dass Geschichte früher von Personen des Adels und der Kirche aufgeschrieben wurde, die nur wenig von den Lebensbedingungen der unteren Stände wissen wollten.


    Außerdem gibt es in der Geschichtswissenschaft unterschiedliche Paradigmen wie in anderen Wissenschaften auch – die gibt es selbst in der Physik (Vgl. Kopenhagener Deutung versus Parallelwelttheorie in der QM). Zudem ändern sich Paradigmen ständig. Aktuelle Beispiele gefällig? Die Gründe für den Ausbruch des 1. WK werden heute anders gedeutet als vor 30 Jahren. Die Bedeutung der Sklaverei für die US-Wirtschaft ebenfalls.


    Ich behaupte mal, dass wir nichts Genaues wissen. Sicherlich sollte der Autor exakt recherchieren, dennoch sollte er seiner Intuition folgen und keineswegs seine künstlerische Freiheit aus Gründen einer heute geltenden Political Correctness selbst begrenzen. Wenn in den USA Mitte der 1950er-Jahre das Wort „Negerhaus“ von Hinz und Kunz benutzt wurde, dann sollte es verdammt noch mal so auch im Buch stehen (Vgl. Harper Lee, Gehe hin, stelle einen Wächter, S. 9).


    Dennoch gibt es verlässliche Informationen über die Vergangenheit, die wir mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit verifizieren können. Deuten wir alle Daten über das Mittelalter richtig, dann können wir annehmen, dass man auf dem Weg von einer Stadt zur anderen sich nur nach der Nase nach richten musste.

  • Magalis Einwand hat meinen Blick auf den "Schund" doch verändert, weil es sich um ein Jugendbuch für Leser ab 14 handelt. Das wirft interessante Fragen auf:


    Wenn ein Verlag als preiswerte Hausmarke schnell zusammengeschriebene und kaum lektorierte Texte auf den Markt bringt, gräbt er sich und anderen Verlagen damit nicht Käufer ab, die in der Lesezeit dieses schlechten Buchs kein besseres lesen, das auf dem Markt ja verfügbar wäre? 3€ eingenommen und dafür ein Buch eines angesehenen Hausautors weniger verkauft?


    Die Frage, ob Jugendbuchautoren eine besondere Verantwortung tragen, wurde hier ja schon engagiert diskutiert. Offensichtlich kann und will bei dem Zeitreisebuch ein Verlag verantworten, dass unter seinem Schirm abfällige Darstellungen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe verbreitet werden.


    Welche Verantwortung tragen Blogger und Rezensenten für die Mittelmäßigkeit, die hier beklagt wird? In der Leseprobe wäre ich nicht über die erste Seite hinausgekommen und hätte auf einen unlektorierten Anfängertext getippt. Als Mutter möchte ich nicht, dass Jugendliche dadurch den Eindruck erhalten, Sorgfalt wäre entbehrlich, weil sich ja offensichtlich Mittelmaß gut verkaufen und vermarkten lässt.

  • Ich finde immer noch, dass der Autor ein Recht hat, die Charaktere und Begebenheiten so zu interpretieren, wie er es für sich für richtig hält. Dafür hat er oder sie die künstlerische Freiheit. Solange der Schreibstil für den Leser passt und die Spannung oder was auch immer er daraus ziehen möchte ebenfalls ist doch alles ok. Ob man das direkt als Schund deklarieren muss, weiß ich nicht.


    Ich habe für mich immer noch keine Erklärung gefunden, was Schund ist. Ich bin der Meinung, dass alles, was jemand aufgeschrieben hat um eine Geschichte zu erzählen, kein Schund sein kann. Dann eher schon die wöchentlich auf den Markt geworfenen Kurzgeschichten, die mal eben so "hingerotzt" werden (falls dem so ist, was ich nicht weiß).

  • [quote]Original von Booklooker
    Ich finde immer noch, dass der Autor ein Recht hat, die Charaktere und Begebenheiten so zu interpretieren, wie er es für sich für richtig hält. Dafür hat er oder sie die künstlerische Freiheit. Solange der Schreibstil für den Leser passt und die Spannung oder was auch immer er daraus ziehen möchte ebenfalls ist doch alles ok. Ob man das direkt als Schund deklarieren muss, weiß ich nicht.


    Ich habe für mich immer noch keine Erklärung gefunden, was Schund ist. Ich bin der Meinung, dass alles, was jemand aufgeschrieben hat um eine Geschichte zu erzählen, kein Schund sein kann. Dann eher schon die wöchentlich auf den Markt geworfenen Kurzgeschichten, die mal eben so "hingerotzt" werden (falls dem so ist, was ich nicht weiß).[/quote


    Ich glaube, dass Bücher individuell bewertet werden. Mein Geschmack muss nicht mit dem eines anderen gleich sein. Zum Glück! Und genauso wie ich mir das Recht herausnehme, ein Buch als gut zu bezeichnen, weil der Schreibstil mir gefällt (einer anderen Personen außer dem Autor muss er nicht gefallen) :lache habe ich auch kein Recht zu sagen was der oder die lesen taugt nichts.


    Geschmack ist relativ.

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

  • Ansonsten bin ich der Ansicht, dass man sich mit Begriffen wie "Schund" und "Kitsch" zurückhalten sollte, zumindest wenn man seine Meinung in einer breiteren Öffentlichkeit, z.B. hier im Forum, äußert.


    Man sollte im Auge behalten, dass es immer Leute gibt, die das gut finden, was einem selbst so wertlos erscheint. Und für die derartige Abwertungen ebenso beleidigend wie herabwürdigend wirken können - je nach vorhandenem Selbstbewusstsein ;-).


    Aber das wurde hier bestimmt schon geschrieben, ich möchte es hiermit nur noch mal bestätigen.

  • Zitat

    Original von magali
    Hier kann man etwa die Frage stellen, inwieweit es heutzutage(!) erlaubt ist, Persönlichkeiten der Geschichte rundum negativ darzustellen, obwohl längst bekannt ist, daß die Realität der Epoche anders war.


    Aber wo in der Geschichtsschreibung gibt es so etwas wie die "Realität der Epoche", speziell wenn wir wir im vorliegenden Fall vom Mittelalter sprechen? Vielleicht sind sie damals gern auf rosa Elefanten auf die Jagd geritten. Aber wenn sich keiner die Mühe gemacht hat, das aufzuschreiben, wissen wir es nicht.


    Klar, man muss sich irgendwo festhalten können. Aber ich finde, gerade dieser Mangel an 100 %iger Gewissheit (die wir nicht mal heute haben, wenn wir uns auf das Hörensagen und einschlägige Presse verlassen müssen) gibt AutorInnen historischer Romane die Freiheit, ihre eigenen Interpretationen zu machen. Es sollte in sich stimmig sein und wenn eine historische Person gegen den überlieferten Strich gebürstet wird, freue ich mich über entsprechende Erklärung im Nachwort. Aber ich sehe das nicht als Verantwortung der AutorInnen, sondern der mündigen LeserInnen. Wenn eine/r meint, er/sie wüsste nun alles über König Kasimir, weil er/sie einen Roman über denjenigen gelesen hat, dann ist diese Person meiner Ansicht nach selber schuld.

  • Ich mag Bücher von Rebecca Gablé nicht mehr lesen, seit sie sich auf ihrer Homepage ziemlich herablassend über Sharon K. Penman und vor allem Josephine Tey geäußert hat. Ich hätte noch damit leben können, dass sie Richard III. zum Schurken gemacht. Das gefiel mir zwar nicht, weil ich durch Sharon K. Penman ein ganz anderes Bild von Richard im Kopf hatte, und Gablés Interpretation entspricht wohl auch nicht dem aktuellen Forschungsstand, aber was weiß ich schon, ich bin keine Historikerin, und ganz aufklären wird man es vermutlich auch nicht.


    Aber der Ton ging für mich gar nicht. Ich hab das entsprechende Buch zwar noch gelesen, aber ich hab das irgendwie nicht mehr aus dem Kopf bekommen. Im Grunde war ich eh schon übersättigt, da jedes ihrer Bücher immer wieder demselben Muster folgt, aber das hat mir den Rest gegeben.


    Kann man hier nachlesen unter "Richard III und die ermordeten Prinzen".


    Ist vielleicht eher ein Fall für "Muss Euch ein Autor sympathisch sein, um das Buch lesen zu können?"

  • Ach so, vergessen. Ich finde schon, dass man als Autor eine gewisse Verantwortung hat, wie man eine historische Person darstellt. Denn das frisst sich möglicherweise ja für die nächsten Jahrhunderte in die Hirne der Menschen ein, die das Zeug lesen. So wie Shakespeare das Bild von Richard III. ziemlich mitgeprägt hat.