Historische Romane = Schund?

  • Danke, Bodo :-)


    Ich verstehe nicht, warum sich manche hier so aufregen. Und der Nazivergleich hat den Vogel abgeschossen.


    Ich kann doch etwas Schund finden. Ob es nun Schund ist oder nicht, sollen Experten prüfen.


    Wenn Bücher reine Geschmackssache sind, dann darf ich doch wohl auch äußern, dass für meinen Geschmack etwas Schund ist?


    Und warum nimmt man das so persönlich? Ich z.B. sage klar: ich lese manchmal Schund - und er gefällt mir.


    Mir kann doch auch Mist gefallen. Warum fällt es vielen so schwer zuzugeben, dass ihnen Dinge gefallen, die eher Murks sind?


    Ich trage auch gern zerrissene Jeans. Ich weiß, das ist kein Abendkleid. Warum kann man bei Büchern nicht einfach zugeben, dass das schon eher etwas schlicht und dämlich ist und einem aber gefällt. Bei der Jeans würde doch auch keiner sagen: das ist ja alles Geschmackssache. Und mit der Jeans bin ich genauso schick wie jemand im Abendkleid.


    Für mich hat das was von "Dünkel". Irgendwie wirkt es auf mich so, als wollten Leser für sich pachten wollen: ich lese, daher bin ich klug. Und darum sind dann viele angepisst, wenn das Gelesene von anderen als Schund bezeichnet wird.


    Nur weil Leuten was gefällt, wird daraus noch keine niveauvolle Literatur. Aber es ist doch ok, Schund zu mögen. Warum meinen viele Leser, dass alles, was sie lesen und mögen, gleich was "hochwertiges" sein muss? Ist doch ok, die Lindenstraße zu mögen und die wandernden Huren und Helene Fischer.


    Was ich nicht ok finde, ist der Drang, diese Dinge zu was machen zu wollen, was sie nicht sind. Nur weil jemand was mag, muss es noch lange nicht "gut" sein.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

  • Zitat

    Original von magali
    Ich weiß nicht, ob ein Roman, der zur Literatur und nicht zur einfacheren Unterhaltung gehört, automatisch 'wie Blei in de Regalen liegt.'
    Das wird oft und oft angeführt. Ich halte das für einen Vorwurf, der sich bewußt oder unüberlegt aus dem Dogma der steigenden Gewinne speist.


    Ja, genau dieses "Dogma der steigenden Gewinne" ist doch dafür verantwortlich, daß der durchschnittliche Verlag eben versucht, etwas zu verkaufen, was das Publikum will. Daß das oft genug voll daneben geht - geschenkt. Aber wenn wir das Risiko stark eingrenzen, sprich die Anzahl der Neuerscheinungen pro Verlag beispielsweise halbieren, so ist doch umso mehr daran gelegen, Bücher herauszubringen, die am Markt funktionieren.


    Es geht mir nicht um Mega-Seller wie die Wanderhure. Das war wirklich ein Glückstreffer für den Verlag, den man so nicht planen konnte. Es geht um die "Kopien", also die Bücher, die in den Jahren darauf den Markt der historischen Romane fluteten (und aus meiner Sicht in erster Linie für den im Ausgangspost beschriebenen schlechten Ruf der historischen Romane im Allgemeinen verantwortlich sind). Diese wurden meines Erachtens von den Verlagen produziert, weil sie relativ sichere Verkäufe boten - keine Bestseller, aber genug, um davon als Verlag leben zu können. Und genau die würde man bei einer Beschränkung meiner Ansicht nach weiter produzieren.


    Aber letzten Endes führen wir sowieso ein Scheingefecht: Selbst wenn sich alle großen Publikumsverlage auf eine Selbstbeschränkung einigen würden, kämen über Selbstpubsis weiterhin Tonnen an unsichtbarem Material auf den Markt (wenn auch in den meisten Fällen nicht in die Buchhandlungen).

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Zitat

    Original von LeSeebär



    Aber letzten Endes führen wir sowieso ein Scheingefecht: Selbst wenn sich alle großen Publikumsverlage auf eine Selbstbeschränkung einigen würden, kämen über Selbstpubsis weiterhin Tonnen an unsichtbarem Material auf den Markt (wenn auch in den meisten Fällen nicht in die Buchhandlungen).


    aber meist nur digital ;-)


    Manchmal hat der Autor auch Erfolg damit, siehe aktuelles Beispiel Hanni Münzer.



    Heute
    http://www.spiegel.de/karriere/berufsleben/lektor-hobby-schriftsteller-haben-kaum-chance-auf-vertrag-a-1042434.html


    entdeckt, wobei die Kommentare am interessantesten sind.

  • LeSeebär


    Als Scheingefecht sehe ich es nicht. Das Problem liegt eher darin, daß verläßliche Zahlen fehlen, um die Grundlagen zu klären.
    Man müßte wissen, wie sich - ich übernehme die Termini - Originale und Kopien tatsächlich verkaufen. Ich gehe etwa davon aus, daß von den nachgeschobenen 'kopierten' Romanen viele übersehen werden, liegenbleiben, sich in geringer Zahl verkaufen.
    Weiter wäre zu klären, inwieweit LeserInnen, die Bücher von Verlagen kaufen, gebunden/Ebook, identisch sind mit denen, die bei den SPlerInnen kaufen. Ich bin nicht sicher, ob das das gleiche Publikum ist. Und inwieweit SPlerInnen den traditionellen Buchmarkt tatsächlich spürbar beeinflussen.
    Für all das fehlen mir sichere Informationen.


    Das Schundproblem ist auch eine Frage der Orientierung auf dem unübersichtlichen Markt. Qualität als Leitlinie.
    Und klar, Qualität muß definiert werden, immer wieder einmal.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Man müßte wissen, wie sich - ich übernehme die Termini - Originale und Kopien tatsächlich verkaufen. Ich gehe etwa davon aus, daß von den nachgeschobenen 'kopierten' Romanen viele übersehen werden, liegenbleiben, sich in geringer Zahl verkaufen.


    Definiere mal "Viele" :lache


    Verkaufsgarantie gibt es wohl keine, aber willst Du wirklich unterstellen, es könnte an mangelnder Phantasie der Verlage und Autoren liegen, dass auf den Büchertischen der großen Buchhandelsketten stapelweise Bücher liegen, die sich auf den ersten Blick nicht unterscheiden? Oder die Supermärkte, die ja nur einen sehr begrenzten Bereich an Büchern ins Regal aufnehmen - historische Frauenromane sind auch dort immer in größerer Anzahl anzutreffen, während man beispielsweise von den Büchern der demnächst wieder erscheinenden Longlist des Deutschen Buchpreises in den allermeisten Supermärkten nicht mal ein Viertel findet (ich weiß, die Longlist ist kein Maßstab, aber Du darfst gerne tauschen gegen Deine Favoriten, ich bin überzeugt, es wird schon viel Mühe kosten, davon fünf Titel zu finden) - alles Zufall?


    Ich vermute, daß die Wahrscheinlichkeit, daß sich das Buch einigermaßen verkauft, bei den Kopien größer ist, weil mir als sonstige Erklärung wirklich nur einfällt, daß es einfach billiger ist, eine Kopie zu erstellen, und ich weigere mich, das als Branchenfremder ernsthaft in Betracht zu ziehen.

    Zitat

    Das Schundproblem ist auch eine Frage der Orientierung auf dem unübersichtlichen Markt. Qualität als Leitlinie.


    Sorry, wenn ich mich wiederhole, aber: Wie?

    Zitat

    Original von LeSeebär
    Meinst Du, "Schund" wäre in einem übersichtlicheren Markt leichter zu erkennen? Oder leichter zu definieren? Der Leser würde, wenn der Schund nicht als Massenerscheinung in praktisch immer gleicher Verpackung daherkommen würde, den Schund besser erkennen und ihn entsprechend meiden? :gruebel

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • :lache
    'Viele' hängt an der jeweiligen Auflagenhöhe. Da fehlen mir auch die Zahlen.


    Ich habe das Gefühl, wir reden mal wieder aneinander vorbei.
    Was die Kreativität anbelangt, ist ein Teil des Verlagslebens tatsächlich phantasielos, weil es um Umsätze und Gewinne geht. Da kommt eher ein Sicherheitsdenken zum Tragen und ein bißchen Spielen, nämlich das Ausreizen, wieviel man den Leserinnen noch vom Gleichen bis Ähnlichen bieten kann, ehe sie abwinken.


    Wie Bücher in Supermärkte kommen, weiß ich nicht. Das sind ja keine Buchhandlungen, ich weiß auch nicht, wie das abgerechnet wird. Aber da setzt man auf ein wenig verwöhntes Massenpublikum. Auf Gelgenheitskäuferinnen.


    Was meinst Du damit, daß die 'Kopien' billiger sind? Zumindest die Vorschüsse bei Neuautorinnen sind stetig gesunken in den letzten zehn Jahren. Von daher kann es tatsächlich besser sein, eine Unbekannte auf den Markt zu werfen, oder?


    Zur Qualität:
    An bestimmten Moden bei den Themen im Unterhaltungsroman in den letzten Jahren konnte man gut sehen, wie Leserinnen angefüttert und in eine bestimmte Richtung gelenkt wurden. Auswanderungsromane, historische Krimis, sog. 'Love and Landscape' u.ä.
    Von daher würde ich vorschlagen, doch mal den Versuch zu wagen, etwas weniger, aber dafür Solideres anzubieten und sich nicht immer auf den kleinsten gemeinsamen Nenner zu berufen. Also, wenn die Lenkung in die eine Richtung funktioniert, warum nicht in die andere?


    Warum nicht AutorInnen aufbauen, statt sie heute das und morgen jenes schreiben zu lassen? Warum alle paar Monate ein Buch raushauen? Warum dieses ewige Theater mit den Pseudonymen? Etwas mehr Zeit lassen, bis ein Buch angekommen ist. Nicht immer gleich Krisengespräch, wenn sich ein Buch nach einem Monat nicht tausendmal verkauft hat.
    Es sind viele Faktoren, die man da ändern müßte.


    Deswegen würden leichtere historische Romane keineswegs völlig verschwinden, sie wären nur nicht in solcher Zahl vorhanden, daß man sich gar nicht mehr durchfindet.


    Wir reden hier von einem sehr hohen Berg bereits existierender Titel aus. Würden drei Jahre lang überhaupt keine Bücher mehr erscheinen, sondern nur die Produktion der vorangegangenen Jahre verkauft, würden das zumindest die Leserinnen überhaupt nicht merken. :grin

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Wir reden hier von einem sehr hohen Berg bereits existierender Titel aus. Würden drei Jahre lang überhaupt keine Bücher mehr erscheinen, sondern nur die Produktion der vorangegangenen Jahre verkauft, würden das zumindest die Leserinnen überhaupt nicht merken. :grin


    Die würden ein bis zwei Regalmeter im Zimmer ungelesener Bücher frei lesen und sich für den gewonnen Platz ein neues Laster zulegen. :chen

  • Nein, überhaupt nicht OT.
    Das ist es, was ich gestern meinte, ich hatte nur keine Zahlen parat.
    Die Zahl der Neuerscheinungen ist leicht gesunken.
    Die Frage ist nur, ob es daran liegt, daß das TB abgeschafft wird/werden soll oder eine Reaktion darauf, daß es zuviele, nun ja.
    :grin


    Danke.



    :wave


    magali

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    K. Kraus

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  • Es ist ganz einfach so das immer mehr immer gleich aussehende Titel auf den Markt geschmissen werden weil es funktioniert. Viele Kundinnen wollen vor dem Lesen schon die Sicherheit das sie genau bekommen was sie wollen.


    Der "Hersteller" mag wechseln, doch drin sind immer Ravioli - so wie die Verpackung es ankündigt!


    Als dann irgendwann diese Überproduktion nicht mehr abfloss reduzierte man den Ausstoß - das ist im Grunde das ganze Geheimnis.


    Das Problem in dieser - wie in allen ähnlichen - Diskussion ist einfach, das die Eulen als kritische und durchaus an Vielseitigkeit interessierte Leserinnen von sich ausgehen, wenn sie versuchen diese Situationen zu beurteilen.


    Die so oft herangezogene "Breite Masse" tickt aber anders! Sie kaufen den Einheitsbrei WEIL SIE DAS SO WOLLEN! Sie wollen genau wissen was sie kriegen. Sie lesen seichte Unterhaltung nicht weil sie für anspruchsvolles zu blöd sind - davon gibt es auch genug - sondern weil der Lesegenuss für sie in der literarischen Berieselung liegt, so wie man nebenher den Fernseher laufen lässt. Sie wollen leichte, nicht belastende Unterhaltung.

  • Das mag sein, daß viele das wollen. Daraus ergibt sich aber keineswegs die Berechtigung, das auch zu bekommen und zwar jederzeit und in rauhen Mengen.
    Wenn man den Anspruch aufnimmt, um ihn zu erfüllen, heißt das zum einen, daß man es tut, weil man auf diese Weise sicher verdient. Zum zweiten, daß Standards sinken, es viel mehr Genormtes, Vorhersehbares, ungeschickt Formuliertes gibt.
    Es ist wie bei anderen Waren auch, es tritt ein Qualitätsverlust ein, weil billiger Billiges produziert wird.


    Betrachtet man es von Leserinnen aus, dann tritt auch bei ihnen nach gar nicht langer Zeit ein Überfütterungseffekt ein. Dann hat man wieder das Problem mit der Überproduktion.
    Andere wiederum haben gar keine Ahnung, daß es bessere Bücher gibt. Daß man anders erzählen kann. Anders formulieren.
    In meinen Augen ist es zu einfach, zu sagen, die sind erwachsen, die können sich doch nach Anderem umsehen. Ich finde, sie können es nicht, wenn sie vor einer Wand mit dem Ewiggleichen stehen.


    Wie man das einschätzt, hängt sicher von der persönlichen Weltanschuung ab. Ich halte wenig davon, aus allem eine Marke, ein Produkt, ein Ware zu machen und die Abnehmerinnen damit eigentlich zu einer Geldbörse auf zwei Beinen zu degradieren, gerade noch gut genug, um ihnen mit schönen Lügen Schund anzudrehen.
    Andere sehen das anders.


    Da es hier aber im historische Romane geht und nicht um SchundSchrottMist-SchmonzettenSchnulzenSchlunzen allgemein, mal die Fragen:


    Was macht denn einen guten/schlechten historischen Roman aus? Wie entscheidet sich eine Leserin?
    Weil das Buch in Stapeln liegt? Beworben wird? Weil man Autiorin/Autor vom Namen her kennt? Weil man eine Liebesgeschichte mit Kostümierung sucht?

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    K. Kraus

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  • Dein Link funktioniert nicht bei mir.


    Danke für den Hinweis auf die SPlerin.
    Ich bin beeindruckt. Der Textauszug eiens Romans auf ihrer Website hat 15 Sätze. Jeder einzelne besteht nur und auschließlich aus Klischees. Der Plot, soweit ich ihn erfassen konnte, ist Kitsch.
    Ob das Aufnehmen dieses Texts noch unter 'Lesen' zu fassen ist, halte ich für fraglich.
    Und die Autorin behauptet von sich, sie hätte Phantasie.

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    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magaliDa es hier aber im historische Romane geht und nicht um SchundSchrottMist-SchmonzettenSchnulzenSchlunzen allgemein, mal die Fragen:


    Was macht denn einen guten/schlechten historischen Roman aus? Wie entscheidet sich eine Leserin?
    Weil das Buch in Stapeln liegt? Beworben wird? Weil man Autiorin/Autor vom Namen her kennt? Weil man eine Liebesgeschichte mit Kostümierung sucht?


    Nach welchen Kriterien sich Leser/in entscheidet, weiß ich nicht.


    Was ich von einem guten historischen Roman verlange, habe ich bereits geschrieben: auf jeden Fall sollte er jene Kriterien erfüllen, die für mich überhaupt einen guten Roman ausmachen.


    Wichtig sind für mich zwei Fragen:
    Erste Frage: Gefällt mir der Roman?
    Zweite Frage: Warum gefällt mir der Roman oder warum gefällt er mir nicht?
    Erst dann kommen "objektivere" Kriterien ins Spiel, z. B. die Erzählqualität, die Dichte etc.


    Es ist auch schon vorgekommen, dass ich einen historischen Roman gelesen habe, bei dem ich dem Autor empfohlen hätte, mit Blick auf seine Geschichtskenntnisse sich für sein nächstes historisches Buch wenigstens wieder einmal einen Blick in sein Schulbuch zu gönnen. Andererseits aber war es ein lustiger und unterhaltsamer Roman, es war vergnüglich, ihn zu lesen. Nur als historischer Roman überzeugte er halt überhaupt nicht. (Auch wenn er zumindest "kartoffelfrei" war.)


    Was der Beurteilung Historizität bei historischen Romanen betrifft, spielt eine Rolle, mit was für einer Art von historischen Roman ich es zu tun habe. Bei einem Abenteuerroman, einem Kriminalroman, einer Familiensaga mit schweren Schicksalsschlägen, einem Liebesroman ist eigentlich am wichtigsten, dass die historische Kulisse so einigermaßen überzeugt und zur Handlung passt. (Wenn ich dabei entdeckte, dass es sich um gar keine Kulisse, sondern um einen überzeugenden historischen Hintergrund handelt, spricht das für die Qualität des Buches.)


    Wichtig ist für mich auch, wie das Historische in die Handlung eingebaut ist. Ist es eine reine Kulisse, ein gelungener Hintergrund, bringt es etwas für die Geschichte, die erzählt wird bzw. passt es zur Geschichte, die erzählt wird oder ist es sogar wichtiger Teil der Geschichte?
    Gerade bei den historischen Kriminalromanen ist auffallend, dass es kaum einmal vorkommt, dass das Verbrechen einem Bezug zum historischen Hintergrund hat. Bücher, in denen es tatsächlich gelungen ist, die Motivation einer Täterfigur aus dem zeitgenössischen Hintergrund zu entwickeln sind z. B. "Die Rechenkünstlerin" von Helga Glaesener und "Die Toten des Meisters" von Andreas J. Schulte.


    Hinzu kommt noch der Forschungsstand zum Zeitpunkt der Erstpublikation und die damaligen Arbeitsbedingungen, unter denen der Roman geschrieben wurde. Schließlich kann ich von Autoren/innen nicht verlangen, dass sie für ihre historischen Romane wichtige Sekundärliteratur verwenden, die es noch gar nicht gegeben hat oder auf die sie damals keinen Zugriff hatten, weil es eben noch keine Internetkataloge etc. gab.
    Und wenn das neue großartige Fachbuch über XY 2012 erscheint und der Roman über XY 2014, ist es für mich auch in Ordnung, dass Autor/in dieses Fachbuch nicht mehr verwendet hat. Sicher schade, aber auch für die Recherche muss sich Autor/in einen Schlusspunkt setzen.


    Was ich auch berücksichtigen, sind die Intentionen von Autor/in.


    Wenn Autor/in ihr Buch als historische Räuberpistole über den König FG ankündigt, ist das für mich in Ordnung und wenn ich dieses Buch lese, erwarte ich mir sicher keinen allzu genauen historischen Hintergrund, sondern eine vergnügliche Abenteuergeschichte.


    Wenn das Buch z. B. als Liebesschmonzette zwischen Kaiserin Sisi und Graf Andrassy ankündigt ist, werde ich das Buch wahrscheinlich nicht lesen, weil mich Liebesschmonzetten gewöhnlich nicht interessieren. Sollte ich es aber lesen, weil ich z. B. wissen will, wie die historischen Fakten hier umgesetzt wurden, würde ich das Buch nachher sicher nicht verreißen.


    Anders sieht es aus, wenn Autor/in mit Ansprüchen auftritt, die das Buch mehr oder weniger nicht erfüllt. In diesem Fall hat Autor/in Verrisse, negative Kritik und Ähnliches eigentlich herausgefordert.
    Es macht eben für mich schon einen Unterschied, ob z. B.der/die Autor/in ihre drittklassige Liebesschmonzette á la "Die Wanderhure des Kaisers" als seichten historischen Liebesroman für romantische Leser/innen ankündigt oder ob sie sich als die großartige Historiker/in präsentiert, die mit dem Slogan wirbt: so sollte Geschichte erzählt werden oder das ist wahre Geschichte von ....
    (Hüte dich vor den Fans dieses/r Autor/in!)


    Was die Abweichungen von geschichtlichen Fakten betreffen, so ist für mich sehr entscheidend, warum dies geschieht.


    Nehmen wir z. B. den Mord an dem englischen König Henry VI.
    Wenn man sich auf das Internet verlässt, müsste man glauben, dass er tatsächlich ermordet wurde. Das Einzige aber, was gesichert sein dürfte: Henry VI. wurde in einer Kapelle im Tower von London tot aufgefunden. Es spricht zwar einiges dafür, dass er ermordet wurde, aber aus wissenschaftlicher Sicht fehlt bis heute ein eindeutiger (Sach-)Beweis für den Mord. Der Tod von Henry VI. könnte also, auch mit Blick auf sein Alter, eine natürliche Todesursache gehabt haben.
    Für eine/n Autor/in, die das in einem historischen Roman verwendet, ist das eigentlich der Glücksfall, denn aufgrunddessen, dass die Todesursache nicht fest steht, bleibt es ihr/ihm überlassen, wie sie seinen Tod gestaltet. Allerdings halte ich nicht viel von Autoren/innen, die dann noch mit der Behauptung kommen, dass es so war, wie sie es in ihrem Roman beschrieben haben, denn das wäre die einzig richtige Lösung.
    Und was noch wichtig ist, wenn sie z. B. sich für einen Mord entscheidet, sollte das nicht ein dekoratives Detail sein, sondern auch tatsächlich Auswirkungen auf die Handlungen haben bzw. aus der Handlung heraus motiviert sein. (Wie so etwas funktioniert - schlag nach bei Shakespeare!)


    Problematischer ist es sicher, wenn es dagegen eindeutig um eine Abweichung von den historischen Fakten geht. Fiktives Beispiel:
    Historische Vorgabe:
    Auf dem Reichstag in Regensburg hat der Kaiser ein wichtiges Gespräch mit dem Kurfürsten von Brandenburg. Auf diesem Reichstag ist der Herzog von Bayern nicht nachgewiesen.
    In den folgenden Jahren hat der Kaiser einen Konflikt mit dem Herzog von Bayern, in dem der Kurfürst von Brandenburg nicht wirklich verwickelt ist.


    Autor/in schreibt nun einen Roman, wo es um den Konflikt zwischen Kaiser und Herzog geht und weicht dabei von den historischen Fakten ab, indem sie das Gespräch auf dem Reichstag zwischen den beiden stattfinden lässt.
    Für jemanden, der von einem historischen Roman eine strikte Einhaltung der Fakten verlangt, ist diese Abweichung natürlich unzulässig. Aber ist sie grundsätzlich, da unhistorisch, abzulehnen?


    Meine Meinung dazu: Es kommt auf die Umsetzung an.


    Wenn diese Änderung für die Handlung etwas bringt, spricht nichts dagegen. (Wenn der Kurfürst für die weitere Handlung ohnehin nicht notwendig ist, ist das Weglassen vielleicht gar keine schlechte Lösung. Wenn der Herzog ohnehin eine Hauptfigur ist, könnte er so einen guten ersten Auftritt bekommen.)


    Problematisch wird es allerdings, wenn sich daraus inhaltliche Ungereimtheiten ergeben oder weitere Abweichungen notwendig sind, damit die Handlung überhaupt wieder stimmig wird. (Das wäre z. B. der Fall, wenn Gründe vorliegen, dass der Herzog auf dem Reichstag nicht gewesen sein kann und diese schwerwiegend sind, sei es, weil er noch gar nicht geboren war, als dieser Reichstag stattfand, sei es, weil er zu diesem Zeitpunkt gerade auf einer für die Romanhandlung ebenfalls wichtigen Pilgerfahrt ist oder Ähnliches.)


    Ich würde mich jedenfalls dann an die historischen Fakten halten, wenn eine Änderung für meine Geschichte letztlich unwichtig ist oder wie eine reine willkürliche Handlung wirkt.


    Für einen gelungenen Roman ist mir auch wichtig, dass zwischen den Figuren und den Geschehnissen Verknüpfungen bestehen. Was mir immer wieder auffällt - viele Romane sind eigentlich nicht mehr als eine Nacherzählung von Fakten. Wichtig wäre, dass diese miteinander verknüpft sind, ein historisches Ereignis nicht einfach nur erzählt wird, sondern auch Sinn für die Handlung macht, Teil einer Handlungskette ist, deren Ablauf beeinflusst. Die Figuren sollten nicht einfach austauschbar sein, sie sollten nicht einfach nur den Namen einer historischen Figur haben, sondern auch Eigenheiten, an denen sie identifiziert werden können. Nebenbei ist es mir auch wichtig, dass die Beziehungen der Figuren ausgearbeitet sind und sich nicht nur auf Sex & Crimes beschränken und dass es tatsächlich eine spannende Interaktion zwischen den Figuren gibt. (Und in einem richtigen historischen Roman wäre es auch gut, wenn z. B. die Auseinandersetzung zwischen Held/in und Gegenspieler/in z. B. Bezug auf die damaligen Wertevorstellungen, auf das Feudalsystem oder Ähnliches nimmt.)


    Und auch noch wichtig, bei einem richtigen historischen Roman erwarte ich mir kein "Mittelalterfeeling", sondern eine Darstellung der damaligen Zeit, die glaubwürdig wirkt.
    Mal ehrlich, wenn ich einen Roman über die 1920er Jahre des 20. Jahrhunderts schreibe und mich für den Hintergrund an den 1950er Jahren orientiere, würde ich für mein "20. Jahrhundert-Feeling" ausgelacht werden, und das zu Recht. Dabei umfasst das 20. Jahrhundert ca. 100 Jahre. Das Mittelalter dagegen dauerte mindestens 700 Jahre (wenn wir die Zeit der Völkerwandung dazu zählen ist es sogar noch länger), und die sollen sich mit einem "Mittelalterfeeling" abdecken lassen?

    --------------------------------
    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

    Dieser Beitrag wurde bereits 4 Mal editiert, zuletzt von Teresa ()

  • Zitat

    Original von magali
    Das mag sein, daß viele das wollen. Daraus ergibt sich aber keineswegs die Berechtigung, das auch zu bekommen und zwar jederzeit und in rauhen Mengen.


    Ach tatsächlich?


    Das Angebot ist da, die Nachfrage auch, und alle sind glücklich.


    Naja.... Fast alle...


    Es ist ja nicht so das hier Menschen von etwas Schädlichem abgehalten werden - einige wären auch ohne diese Bücher blöd - die anderen entscheiden sich aus freiem Willen dafür. Und eines ist klar: Nur weil jemand haufenweise Trivialliteratur liest bedeutet das nicht zwangsläufig das dieser Leser zu dumm für was besseres wäre.


    Ich halte es für äusserst anmaßend und arrogant hier die eigenen Standarts zur Meßlatte zu erheben, immerhin leben wir in einem freien Land.


    Das mit dem Überfütterungseffekt ist auch Quatsch. Es lässt sich einfach nur eine gewisse Menge in einer bestimmten Zeit lesen, das ist alles, und die Angebotsmenge übersteigt einfach die Menge, die konsumiert werden kann.


    Wie sieht denn der Vorschlag aus? Ein verbot des Schundromans? Ein verordneter Konsum von mindestens einem "guten Buch" im Monat?


    Sorry, aber deine Annahmen und Rückschlüsse halte ich alle für falsch.
    Für lustig, sicher..... Aber dennoch für falsch!

  • Bodo


    Du verkaufst das, Dein Interesse liegt woanders.
    Klar mußt Du so argumentieren.



    Teresa


    danke, da habe ich jetzt Lesestoff.


    'Mittelalterfeeling' ist etwas, das man bei der Schunddiskussion beachten sollte, finde ich. Das gehört nämlich organisch dazu. Pferde, offenes Feuer, ein böser Mönch, ein Mädchen, das lieber als Mann leben möchte, Hexen ...
    :grin

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus


  • Als Buchhändler muß ich für die Freiheit der Literatur und die des Lesers, seine Auswahl selber zu treffen sein - und jemand ohne finanzielle Interessen durch den Beruf sollte dagegen sein weil..? Weil was?


    Muß der Leser wirklich vom Schund geschützt werden? Sollte wirklich jemand bestimmen sollen was die Menschen lesen?


    Hat das jemals funktioniert - und würdest Du ein solches System wirklich verteidigen wollen?

  • Bodo


    jemand bestimmt, was LeserInnen lesen, die Verlage auf jeden Fall. LektorInnen, KritkerInnen, LehrerInnen, LiteraturwissenschaftlerInnen, MarketingexpertInnen. Werbefachleute. ControlleriInnen, JuristInnen und SteuerberaterInnen.
    Was in die Buchhandlungen kommt, ist die Folge gezielter Überlegung. Es ist festgesetzt, bestimmt.


    Freiheit der Literatur, was soll das denn sein? Klar kann man weitgehend schreiben, was man will. Ob es in Buchhandlungen landet, ist eine ganz andere Sache. Und wenn es dort landet, ist es nicht 'frei'. Dort bestimmen nämlich wiederum Menschen darüber, ob es


    im Regal landet
    von dem Regal
    auf dem Stapeltisch
    ob ein Exemplar vorrätig ist
    ob mehrere
    ob es in Schaufenster komt
    wie groß die Fläche im Schaufenster ist
    ob Buchhändlerinnen es offen bewerben
    vorschlagen
    Lesungen dazu veranstalten.


    Frei? Was soll das sein?


    Die Frage lautet: soll das, was das meiste Geld bringt, zum Standard werden?


    Es ist kein luftleerer Raum. Was wir heute haben, ist die Folge einer Entwicklung.
    Ich habe Buchhändlerinnen erlebt, die haben böse oder entsetzt geguckt, wenn ich einen Krimi wollte. Ich habe Buchhandlungen erlebt, in denen die Unterhaltungsromane auf Drehständern im hintersten dunkelsten Winkel standen.


    Heute, fünfunddreißig /vierzig Jahre später erlebe ich BuchhändlerInnen, die dreinschauen, als käme ich von Planet Mumie, wenn ich nach Klassikern frage. Ich finde sie in einer dunklen Ecke, ein paarmal Thomas Mann, Werther, ein paar Reclambändchen, Dürrenmatts Versprechen. Offenbar die derzeitige Schullektüre.


    Ich werde dumm angemacht, wenn ich Bücher vom Arena Verlag will (der Verlag ist älter als die Buchhändlerin, ich gebe es zu), ich werde anderswo stolz zu den wunderbar präsentierten Stapeln mit Jugendbuch-Neuerscheinungen geführt, 80% Schund aus den USA, Highschool-Liebesschmalz oder Sex mit Gestaltwandlern. Der Rest Schund made in Germany.


    Erzähl mir nichts von Freiheit auf dem Buchmarkt, wenn es um Freiheit des Verkaufens geht.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Also ist Freiheit nicht existent und kann somit nicht eingeschränkt werden... Man muß sie auch nicht verteidigen, denn es gibt sie ja garnicht!


    Eine totale Freiheit - das weißt Du selbst - kann und darf es nicht geben. Es gibt immer irgendwo Einschränkungen - so hast Du bei Deinen Ausführungen die Ladengröße ausser acht gelassen. Was für eine Begrenzung, und nicht nur metaphorisch.


    Natürlich findet in einem Wirtschaftsunternehmen eine Auswahl statt, aber kein Mensch der bei klarem verstand ist und über die nötige Intelligenz verfügt kann bestreiten das diese Vielfalt auf dem Buchmarkt existiert! Manches davon muß man suchen, einiges vor Ort bestellen (Ladengröße!) aber es ist da! Das ist die Freiheit von der wir alle profitieren.


    Du hast also schlechte Erfahrungen in Buchhandlungen gemacht. Na und? Überall im Buchhandel findet man Ignoranz und Inkompetenz, das lässt allerdings keinerlei Schluß auf den Buchhandel zu sondern zeigt nur, das auch hier einiges im Argen liegt.


    Deine Liste zeigt nur eine Reihe von frei zu entscheidenden Ereignissen.
    Eine Lesung, Schaufenster usw wird vor Ort, natürlich auch unter finanziellen Gesichtspunkten entschieden. Freiwillig.
    (Man kann darin einen Widerspruch sehen, allerdings gleiten wir hier denke ich in einen philosophischen Bereich ab der rein theoretisch und der Diskussion kaum dienlich ist.)


    Nochmal: Freiheit in einer reinen Form kann es nicht geben! Und die Freiheit auf unserem Buchmarkt ist vorhanden, und - wenn auch alles nicht perfekt ist - wert sie zu verteidigen. Nicht des Geldes wegen - kein Buchhändler macht diesen Job der Kohle wegen - sondern weil es etwas gutes ist.
    Das Buch welches ich gerade lese ist sicherlich der übelste Schund, aber ich würde seine Existenz zu jeder Zeit verteidigen, weil gerade Bücher wie dieses am besten geeignet sind das Ideal der Freiheit zu hinterfragen!


    Freiheit ist eines der höchsten Güter und auch heute noch eine Errungenschaft die nicht selbstverständlich ist. Man sollte da nicht leichtfertig drauf scheißen!