Historische Romane = Schund?

  • Zitat

    Original von magali
    Die Frage ist, inwieweit man sich als AutorIn das Thema aus der Aktualität heraus vorgeben läßt.
    Schreibt eine über Demenz, schreiben die fünfundzwanzig nächsten auch darüber.
    Schreibt einer über die Schrecken der DDR, kommen gleich die nächsten dreißig.
    Schreibt eine über Mobbing, folgen sechsundvierzig Romane über Mobbing in allen Lebenslagen.
    Und, das gehört dazu, sie schreiben alle auf die gleiche Weise darüber.


    Ja, diesen "Kopismus" der Branche, der einsetzt, sobald einer Erfolg hat, finde ich auch furchtbar. Aber das hat meines Erachtens nix mit "Aktualität" zu tun, sondern funktioniert doch bei jedem Thema - siehe den Vampir-Hype der letzten Jahre, den ich nun nicht gerade als "Leitartikelprosa" bezeichnen würde.

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Nein, das war reine Unterhaltung, da ist Kopieren an der Tagesordnung.


    In der Literatur sollte das nicht so automatisch geschehen. Da muß Auseinandersetzung mit dem Thema da sein, auf jeder Ebene, erzählerisch, gestalterisch, denkerisch, sprachlich.


    Es ging in meinen Ausführungen ausgehend von Teresas Versuch, Qualität zu definieren, um Literatur. Weil Teresa ein Beispiel brachte dafür, daß ein kleiner Roman je nach Ausgestaltung des Themas Schund oder Literatur sein kann.
    Ihr Beispiel war von Fontane.
    Mir fiel kein zeitgenössisches ein, sie fragte danach. Deswegen meine Sicht der Dinge, daß heute vor allem Leitartikelprosa vorgelegt wird. Nimm das vorgegebene Thema weg und es bleiben bloße Versatzstücke ohne Bedeutung außer vielleicht political correctness.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Nur eine Klarstellung meinerseits:


    Zitat

    Original von magali
    Teresa


    mir geht es darum, daß Deine Argumentation, daß die Bedeutung eines Texts sich auch daraus ergibt, wie lange er im Gedächtnis bleibt, etwas zu kurz gefaßt ist. Das kann nämlich für qualitativ hochwertige wie minderwertige Texte gelten.


    Zitat

    Original von Teresa
    ...
    Für mich ist das sicherste Kriterium noch immer die 100 Jahresgrenze. Hat es ein Buch (ob Roman oder Bühnenstück) geschafft, sich über Jahrhunderte als beliebte Lektüre oder als Anregung für weitere Bücher zu halten, so spricht das eigentlich für die Qualität des Buches.
    ...


    Kriterien, wie z. B. die Erwähnung in einem Literaturlexikon, die Verleihung eines Preises (und sei es auch der Literaturnobelpreis) und Ähnliches muss nicht mit tatsächlicher Qualität zu tun haben, das kann auch rein zeitbedingte Gründe haben.


    Ich habe lediglich jenes Kriterium angeführt, das für mich noch am ehestens eine objektive Beurteilung für die Qualität eines Textes zulässt. (Falls eine objektive Beurteilung überhaupt möglich ist.)


    Wenn ein Text (Geschichte, Drama, Roman, Erzählung etc.) es schafft, über mehrere Generationen, die nicht einmal direkt aufeinander folgen müssen und in verschiedenen Zeitepochen / Strömungen, in unterschiedlichen Gesellschaftssystemen, als Lektüre / Diskussionsthema etc. zu bestehen, spricht das für seine Qualität, die ihn von anderen Texten abhebt, die diese Zeitlosigkeit / Universalität / Vielschichtigkeit etc. nicht haben.


    Das bedeutet (zumindest für mich) aber nicht automatisch, dass diese anderen Texte minderwertig sind, wie mir von Magali hier fälschlich unterstellt wird.


    In meinem ursprünglichen Text findet sich weder die wertenden Bezeichnung "hochwertiger Text" noch die Bezeichnung "minderwertiger Text", und das mit gutem Grund, weil ich nicht zwischen hochwertigen und minderwertigen Texten unterscheide, sondern nur zwischen herausragenden, guten Texten und solchen Texten, die eben keine herausragenden Texte sind.


    Warum das so ist, warum die Texte zu einer bestimmten Zeit beliebt waren, geschätzt wurden etc., welche Qualitäten jene Texte haben, das muss an jedem Werk einzelnd abgeklärt werden.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

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  • Zitat

    Original von magali
    Um das Thema historische Roman= Schund oder nicht Schund angemessen zu diskutieren, müßte man die deutschsprachigen historischen Romane aus der Literatur dazunehmen, mindestens von Feuchtwanger an bis z.B. Uwe Timms 'Morenga' :rolleyes


    Das ist leider viel zu wenig, da der historisch Roman nicht erst mit Leon Feuchtwanger beginnt, bei dem wiederum zu berücksichtigen ist, dass seine Romane eher Zeitromane sind, in denen Themen aus seiner eigenen Zeit zur Diskussion gestellt werden, die er allerdings anhand eines historischen Stoffes vorführt. (Hinzu kommen noch eine ganze Reihe weiterer Autoren/innen, auf die das zutrifft.)
    Die Frage ist also auch, inwieweit z. B. Feuchtwangers Romane überhaupt als historische Romane zu verstehen sind bzw. in welche Kategorie des historischen Romans sie tatsächlich gehören.


    Die wichtigste Frage ist sicher:
    Seit wann gibt es überhaupt historische Romane? (In wie weit ist es berechtigt, Walther Scott an den Anfang zu stellen? Was war vor Sir Walther Scott? Was ist mit historischen Romanen, die eigene Wege beschreiten und nicht sein Modell nutzen? Sind die klassischen Islandsagas z. B. nicht wenigstens schon Vorläufer des historischen Romans? ...)


    Die zweite Frage ist:
    Ab wann hat sich der Roman überhaupt als seriöses Genre durchgesetzt?


    Inwieweit sind Bühnenwerke zu berücksichtigen, die meistens auch eine historische Geschichte erzählen? Da haben wir z. B. "Macbeth" von Shakespeare, "Edward II." von Christopher Marlowe oder "Le Cid" von Pierre Corneille, Goethes "Götz von Berlichingen" oder z. B. Schillers Wallernstein ...


    Und schließlich wären auch die Meinungen von den Autoren/innen selbst zu ihren historischen Romane zu sehen. Viele Schriftsteller/innen des 19. Jahrhunderts haben wenigstens einen historischen Roman geschrieben. Wie haben sie ihre Romane selbst gesehen?


    Einzubeziehen wären außerdem auch Standardwerke des historischen Romans aus der anglo-amerikanischen, französischen und russischen Literatur, vielleicht auch aus der italienischen, spanischen und polnischen oder sogar finnischen, ungarischen und kroatischen, slowakischen und tschechischen Literatur - immerhin hat der deutsche Romane diese Literatur beeinflusst und die Literatur dieser Länder auch ihn.


    Weiter bleibt noch immer die Frage:
    Ab wann ist ein historischer Roman überhaupt ein historischer Roman?


    :write

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  • Eine interessante Diskussion. Ich finde, dass es sehr gute historische Romane gibt. Nur nennt sie niemand so*g*. Ich jedenfalls kenne das Vorurteil, dass historische Romane Schund seien. Und meine Buchhandlung jedenfalls ist da nicht unschuldig. Wie es bei anderen Buchhandlungen ist, weiß ich natürlich nicht.


    In meiner Buchhandlung ist unterteilt in Sachbücher - verschieden Bereiche. Dann gibt es die Neuerscheinungen Sachbuch und Belletristik. Und dann gibt es Krimis, Romane für Frauen, Fantasy, Science Fiction, Historische Romane und: Romane A-Z.


    Gute historische Romane finde ich z.B.: Der Name der Rose, Die tausend Herbste des Jacob der Zoet, Arthur & George etc. ABER: diese Bücher stehen in meiner Buchhandlung bei: Romane A-Z. Bei den historischen Romanen stehen die ganzen wandernden Huren, die Schamanen, Rabbis und Medici. Meine Buchhandlung, so hab ich den Eindruck, nimmt da vorab eine Art "Qualitätseinteilung" vor.


    Das ist bei anderen Genres übrigens genauso. Fool on the hill lässt sich ebenso wenig unter Fantasy finden wie Blumen für Algernon unter Science Fiction.


    Das Vorurteil, historische Romane (oder auch andere Genre) seien Schund, könnte auch daher kommen, dass in manchen Buchhandlungen unter diesen Überschriften wirklich nur der "Schund" einsortiert ist.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

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  • Zitat

    Original von Frettchen
    Das ist bei anderen Genres übrigens genauso. Fool on the hill lässt sich ebenso wenig unter Fantasy finden wie Blumen für Algernon unter Science Fiction.


    Ich habe in einer Buchhandlung mal moniert, dass ein Fantasyroman bei den Historischen stand. Die Antwort der Buchhändlerin: Ach wissen Sie, für mich sind alle historischen Romane Fantasy.
    Seltsamerweise existiert diese Buchhandlung noch, im Gegensatz zu den anderen vor Ort, deren Schließung ich mehr bedauert habe.
    Ich hätte erwartet, dass es genau diese Haltung ist, die Leser von Unterhaltungsliteratur zu den Onlinehändlern treibt. Wer möchte schon deutlich gezeigt bekommen, dass das, was man gern liest, weit unter dem Niveau der Dame mit den hochgezogenen Augenbrauen liegt?


    Zitat

    Das Vorurteil, historische Romane (oder auch andere Genre) seien Schund, könnte auch daher kommen, dass in manchen Buchhandlungen unter diesen Überschriften wirklich nur der "Schund" einsortiert ist.


    Danke. Auch im Namen aller Kollegen und und vor allem Kolleginnen, die damit bestätigt bekommen haben, dass sie Schundliteratur für Schundleser schreiben.

  • Zitat

    Original von beowulf
    Der erste historische Roman der Geschichte ist das Gilgameschepos.


    Zitat

    Original von Charlie
    Das Gilgamesch Epos ist kein Roman.


    Da wir nichts über die in der Entstehungszeit des Gilgamesch-Epos üblichen Bezeichnungen der damals bereits bekannten Literaturgattungen wissen, würde ich nicht salopp behaupten, dass das Gilgamesch-Epos kein Roman ist.


    Das Werk erzählt jedenfalls eine Geschichte aus vergangener Zeit, die in seiner Entstehungszeit durchaus als eine historische Geschichte gegolten haben dürfte. (Bis Ende des 20. Jh. waren historische Romane stets eine Mischung aus Fiktion und Fakten, im Unterschied eben zu den halbwissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen historischen Büchern).
    Der Umfang des Gilgamesch-Epos hat eine Länge, die durchaus dem entspricht, was wir heute unter Romanlänge verstehen.


    Hinzu kommt, dass es noch in der deutschen Romantik (also zu Beginn des 19. Jh.) durchaus vorgekommen ist, das Teile von Romane in gebundener Sprache geschrieben wurden, so z. B. bei Ludwig Achim von Arnim.


    Das Gilgamesch-Epos könnte durchaus als historischer Roman verstanden werden, jedenfalls kann es als Vorläufer dieser Gattung gesehen werden.
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    Was die Buchhandlungen betrifft, hat das vielleicht weniger mit Einstufung als Schund zu tun, als damit, dass die Abgrenzungen der einzelnen Gattungen nicht so einfach sind und eine Aufstellung nötig ist, mit der die meisten Kunden auch etwas anfangen können.
    (Und für das Geschäft selbst ist es nun einmal besser, wenn sie jene Bücher im Regal haben und nicht ständig bestellen müssen, die die Leser/innen vorwiegend kaufen.)


    Außerdem haben die meisten Buchhändler/innen wahrscheinlich auch gar nicht so viel Zeit, um alle Bücher, die neu am Markt sind, erst noch durchzulesen, um sich selbst ihre Meinung zu bilden, wo das eine oder das andere Buch am besten hineinpasst. Um Zeit zu sparen, verlassen sich die meisten sicher auf die Informationen durch Verlag und Kritik, sonst würden ihre Buchhandlungen längst bankrott gegangen sein.


    Wenn in einer Buchhandlung also bei historischen Romanen vorwiegend Abenteuerromane mit historischer Kulisse zu finden sind, so liegt das eher daran, dass so etwas für die meisten Kunden/innen heute eben das ist, was sie für den typischen historischen Roman halten, und dass Verlage und vermutlich auch die Autoren/innen ebenfalls diesen Eindruck vermitteln..
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    Wie sieht es in den Büchereien aus, wo ich mir gewöhnlich meine Bücher hole, also die Büchereien meiner Heimatstadt, und bei denen jedenfalls wichtig ist, dass Leser/innen ihre Bücher auch recht problemlos finden.


    Die übliche Unterteilung ist: Die Jugendbücher haben gewöhnlich ihre eigene Nische, ebenso die Fachbücher, die gewöhnlich nach Fachgebieten unterteilt sind, außerdem CDs und DVDs. In einigen Büchereien gibt es noch ein eigenes Regal für Bücher mit Großdruck und Bücher in Englisch und anderen Sprachen.


    Im Gegensatz zur Zeit, wo ich aufgewachsen bin, ist eine Unterscheidung zwischen "Hochliteratur" (Klassiker) und den anderen Büchern gewöhnlich nicht mehr üblich. (Da kann es schon vorkommen, dass z. B. das Buch "Die Wahlverwandtschaften" von Goethe neben "Der Schwester der Königin" von Philippa Gregory aufgestellt ist.) Ich persönlich finde das sehr gut, aber es macht die Suche wesentlich schwieriger.


    Die Romane sind gewöhnlich alphabetisch gereiht.


    Ein eigenes Regal gibt es meistens für die Neuerscheinungen, eigene Regale gibt es immer für die Kriminalromane, manchmal auch für die Fantasy-Romane und sehr selten für Romane, die in der Vergangenheit spielen (also die historischen Romane).


    In einigen Büchereien sind Romane, die in der Vergangenheit spielen, zumindest an dem Buchstaben H auf dem Buchrücken gekennzeichet.


    Die historischen Kriminalromane und die Kriminalromane vor historischer Kulisse sind meistens unter den Kriminalromanen zu finden, hat Autor/in auch andere historische Bücher / Bücher mit historischer Kulisse geschrieben, z. B. Abenteuerromane, Liebesromane oder auch Werke, in denen es tatsächlich um Geschichte geht und diese nicht nur Kulisse ist, kommt es oft genug vor, dass auch die Kriminalromane unter den (allgemeinen) Romane zu finden sind oder die Bücher an beiden Orten gesucht werden müssen.


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    Korrektur: Einfügung eines weiteren und deutlicheren Hinweises, dass es hier nur um die Büchereien in der Stadt, wo ich wohne geht, nachdem es da offensichtlich ein Missverständnis gegeben hat.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

    Dieser Beitrag wurde bereits 3 Mal editiert, zuletzt von Teresa ()

  • Salopp oder nicht - das Gilgamesch-Epos ist kein Roman.
    Und "Geschichte fuer mich erlebbar gemacht" ist kein Qualitaetskriterium, sondern ein Geschmacksurteil (eins von vielen).
    Gesehen werden koennte manches als vieles, so auch Legoland als Studienreise, dieses und jenes als Schund und dieses oder anderes als keiner, Meinungsaeusserungen als letzte Schluesse der Weisheit, China, Sack Reis, usw.
    Ich hab auf die Diskussion keine Lust, nur diesen laestigen Drang, meine Freunde in Schutz zu nehmen, auch wenn die den nicht noetig haben, daher: Das Gilgamesch Epos kann von mir aus als Faschingskostuem oder als Reklame fuer Orientreisen (gibt's derzeit billig) gelten, aber deshalb ist es noch lange weder das eine noch das andere, und damit war's das auch, habt Spaesschen und Stoesschen, Charlie.

  • Teresa


    völlig klar. Es ist eben so, daß die angewendeten Kriterien jedes für sich hinterfragt werden müssen und immer wieder diskutiert. Das wird gemacht, das tun wir hier und so gehört es sich auch. Kritik ist schließlich etwas Lebendiges.


    Richtig ist auch die Frage, ab wann es 'den' historischen Roman' gibt. Mit Scott zu beginnen kann man auch infrage stellen.
    Klar gab es vorher schon historische Stoffe in Romanform.


    Man muß eine Zäsur setzen, um einzugrenzen. Da das Material sehr reichlich fließt, begint man gern im zwanzigsten Jahrhundert, was den deutschen historischen Roman betrifft. Schon das ist Einschränkung, weil Erzählungen, Drama und Versepen ausgeschlossen werden.


    Damit fällt, da hast Du recht, etwa die Romantik weg. Tieck wäre hier wichtig, Du nennst ihn ja (ich nehme an, der Ludwig vor Arnim war das, ja?), oder Hauff. Und da wäre es dann wichtig, auch die damaligen Autorinnen zu berücksichtigen, die in keinem Kanon auftauchen und per Geschlecht hübsch vergessen sind. Ich nenne mal Amalia Schoppe und ihren Marat-Roman, aber auch Ida von Düringsfeld oder die christlichen Koplportageromane von Fanny von Tarnow.
    Da kann man lange und mit Gewinn diskutieren über trivial, literarisch, Einfluß von Scott, Anfänge einer Weiterentwicklung.


    zum heutigen historischen Unterhaltungsroman zurück:
    vieles davon ist stark stereotypisiert. In den meisten Fällen gibt es eine Liebesgeschichte, weil das von den LeserInen erwartet wird. Geschichte, so die herrschende Überzeugung, ist nur verständlich und akzeptabel, wenn sich zwei in den Armen liegen.
    Nur dann ist man bereit, auch etwas zu lernen.
    Das ist ein weiterer Faktor, der zur Stereotypisierung von historischen Unterhaltungsromane beiträgt: er muß Lernmaterial enthalten.


    Auf beide Anforderungen reagieren sehr viele AutorInnen prompt. Sie recherchieren wild, tragen Materialhaufen zusammen. Sie schreiben Liebesgeschichten, je nach Anforderung mehr oder weniger pornographisch.
    Es ist komplett egal, in wlecher Epoche eine Geschichte spielt, Hauptsache hübsche Kostüme und farbiger Hintergrund.


    Bei den wenigsten gibt es künstlerische Gründe, sich eines Themas anzunehmen. Die Frage ist doch, warum will jemand gerade diesen bestimmten Stoff gestalten?
    Die Antwort darauf liegt viel zu oft bei marktechnischen Erwägungen.



    Charlie und Katerina


    ich für mein Teil habe wenig Geduld mit Autorinnen, die allein bei der Frage, inwieweit historische Unterhaltung trivial ist oder nicht, angebraust kommen, um zu erklären, daß sie beleidigt sind. Man kann die Uhr danach stellen in solchen Threads.


    Natürlich ist das hier eine Diskussion und nicht die Verkündung des Evangeliums. Schlimm, daß man es extra hinschreiben muß.


    Historisch gesehen ist das Gilgamesch-Epos, das wir überhaupt nur kennen - es gab sicher Vorläufer - , ein Korpus erzählender Texte, im Unterschied etwa zu Königslisten, Aufzeichnungen von Steuerzahlungen oder Opfergaben an einen Tempel.
    Das sind sachliche Unterscheidungen, die man macht, wenn man mit Quellen zu tun hat. Sie sind nützlich bei der Einschätzung ihres Werts für eine Interpretation.
    Sieben Rinder an Tempel XY sind sieben Rinder.
    Ein Himmelsstier ist etwas schwerer zu fassen.


    Was die Bemerkung der Buchhändlerin zu historischem Roman resp. Fantasy angeht, könnten auch Fantasy-Leserinnen betroffen sein. Sehr.
    Würde ich komische Reaktionen von Buchhändlerinnen nicht als das sehen, was sie sind, nämlich komische Reaktionen, an den Moment und die Stimmung gebunden, würde ich seit zig Jahren keine Buchhandlung mehr besuchen.
    Ein bißchen Bodenhaftung, bitte.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von Frettchen
    Das Vorurteil, historische Romane (oder auch andere Genre) seien Schund, könnte auch daher kommen, dass in manchen Buchhandlungen unter diesen Überschriften wirklich nur der "Schund" einsortiert ist.


    Eigentlich klingt das eher danach, dass "deine" Buchhandlung alles, was Unterhaltung ist, unter die Genres einsortiert, während die E-Literatur unter A-Z steht.


    Teresa : Deine Ausführungen zur Aufstellung in Büchereien ist interessant, aber nicht generell korrekt. Da das jetzt eher off-Topic ist, nur in aller Kürze: ich kenne Bibliotheken, da stehen die Jugendbücher zwischen den Erwachsenenbüchern, es gibt Bibliotheken, die stellen Sachliteratur (Fachliteratur gibt es eher in wissenschaftlichen Bibliotheken) zusammen mit Belletristik ins Regal und es gibt jede Mene Bibliotheken, da stehen die historischen Romane in einer eigenen Ecke. Ob ein historischer Krimi bei Krimi oder bei Historisches steht, ist Auslegungssache. Es gibt Bibliotheken, die würden Eco niemals in ein Regal mit Iny Lorentz stellen und es gibt genau so viele, die beides fröhlich im Historisches-Regal vereinen. Menschen sind unterschiedlich, Bibliothekare auch.


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    Buchhändler müssen davon leben, Bücher zu verkaufen, und da der durchschnittliche Leser eher zu Unterhaltung als zum sprachlichen Kunstwerk greift, stehen in den Genreecken tatsächlich oft eher die unterhaltenden Romane. Die Klassiker stehen auch oft extra und nicht dazwischen. Ich traue den meisten Händlern durchaus zu, dass sie ihre Kundschaft kennen und den Laden entsprechen sortieren.


    Mein Eindruck ist, dass die Frage, ob etwas als "Schund" angesehen wird, oft viel mehr davon abhängt, ob es Trivialliteratur ist oder nicht, als vom eigentlichen Genre. Mittlerweile gibt es wohl kein Genre mehr, das nicht auch von einem gelegentlichen Anfall von Literatur betroffen wäre, so dass man nicht mehr automatisch jedes trivial beherrschte Genre in die Schundecke stellen kann.
    Da stellt sich dann bei mir die Frage: was zum Henker ist denn überhaupt Schund? Magali sprach weiter vorn im Thread, ob ernst gemeint oder nicht, davon, Umberto Ecos Name der Rose sei "intellektueller Schund" - also führt die Gleichung trivial=Schund ins Leere? Gibt es auch in der "E-Literatur" Schund? Und worin besteht der Unterschied zwischen einem schlechten Roman und Schund? Oder gibt es da keinen?

  • Zitat

    Original von Tilia Salix


    Eigentlich klingt das eher danach, dass "deine" Buchhandlung alles, was Unterhaltung ist, unter die Genres einsortiert, während die E-Literatur unter A-Z steht.


    Das ist mir schon klar, daher ja der Schund in "".


    Was Schund ist, definiert doch jeder für sich selbst. Ich finde aber bemerkenswert, wie schnell Leser und offenbar auch Autoren sich beleidigt fühlen, wenn man das ein oder andere Buch als Schund bezeichnet. Das muss nicht unbedingt abwertend sein. Ich lese auch Schund - und find das gar nicht schlimm. Einer - meiner Meinung nach - der besten Filme aller Zeiten heißt sogar so. Und nicht zu vergessen Bodo Kirchhoffs "Schundroman". Wenn mal alle so ehrlich wären und stolz auf ihren "Schund".


    Es gibt doch durchaus spannenden Schund, lustigen, schönen, romantischen etc.


    Edit: für mich persönlich ist der Unterschied zwischen Schund und einem schlechten Roman der, dass ich Schund durchaus unterhaltsam oder spannend etc. finden kann, einem schlechten Roman kann ich rein gar nichts abgewinnen, solche Bücher breche ich auch oft ab.

    Man möchte manchmal Kannibale sein, nicht um den oder jenen aufzufressen, sondern um ihn auszukotzen.


    Johann Nepomuk Nestroy
    (1801 - 1862), österreichischer Dramatiker, Schauspieler und Bühnenautor

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  • Zitat

    Original von Frettchen
    Was Schund ist, definiert doch jeder für sich selbst.


    In bestimmten Parametern schon, aber trotzdem gibt es doch auch eine Basisdefinition dessen, was als Schund gilt. Und die ist durchaus negativ, denn sonst gäbe es die von dir beschriebene Abwehrreaktion ja nicht.


    Zitat

    Original von Frettchen
    Edit: für mich persönlich ist der Unterschied zwischen Schund und einem schlechten Roman der, dass ich Schund durchaus unterhaltsam oder spannend etc. finden kann, einem schlechten Roman kann ich rein gar nichts abgewinnen, solche Bücher breche ich auch oft ab.


    Das ist interessant, denn bei mir ist es gerade umgekehrt: ein schlechter Roman ist einer, der nicht gut ausgeführt ist, der mehrere Schwächen hat und mir deshalb nicht gefällt. Schund ist nach meinem Empfinden ein schlechter Roman, der mich noch dazu für blöd verkauft. Schund würde ich viel eher abbrechen, als einen schlechten Roman.

  • Zitat

    Original von Frettchen


    Es gibt doch durchaus spannenden Schund, lustigen, schönen, romantischen etc.


    Edit: für mich persönlich ist der Unterschied zwischen Schund und einem schlechten Roman der, dass ich Schund durchaus unterhaltsam oder spannend etc. finden kann, einem schlechten Roman kann ich rein gar nichts abgewinnen, solche Bücher breche ich auch oft ab.


    Ich wiederum kann Frettchens Definition voll zustimmen:
    Bei einem Schundroman erwarte ich mir zumindest ein Buch, das unterhaltsam ist und bei dem das Lesen Spaß machen kann.
    Romane, die tatsächlich schlecht sind, haben nicht einmal diese Qualität, sie verärgern mich höchstens (und das vor allem dann, wenn ich den Eindruck habe, dass Autor und Verlag mir da etwas untergejubelt haben.)

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

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  • :lache


    genau, mehr oder weniger, was 'Schund' und 'Name der Rose' betrifft.


    Das Buch ist kein Mittelalterroman, sondern eine höchst intellektuelle - man könnte durchaus behaupten - 'verkopfte' Diskussion in den Grenzgebieten von Philosophie, Literatur und Kulturwissenschaft samt Theologie und natürlich Ecos Fachgebiet Semiotik. Es ist prall voll mit Anspielungen auf Literatur, Philosophie und Theologie, nicht nur mittelalterlicher, sondern auch moderner. Das Buch ist oft anachronistisch.
    Klar ist es als Krimi aufgebaut, klar hat es eine altertümliche Kulisse, aber um die geht es nicht.
    Es ist eigentlich ein wissenschaftlicher Diskurs. Ungeschminkt intellektuell, frech präsentiert. Keine Entschuldigung nirgends dafür, daß hier äußerst komplizierten Gedankengängen bis ins Letzte nachgegangen wird. Es hat durchaus einen Zug akademischer Selbstgefälligkeit eben von der Art, bei der sonst das Publikum umgehend die Federn sträubt und den Autor kreuzigen will. Oder wenigstens die FeuilletonistInnen, die das Buch so gelobt haben.
    Ich verstehe bis heute den Erfolg des Buchs hierzulande nicht. Faszinierendes Phänomen. :grin

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus


  • Ludwig Archim von Arnim ist nicht mit Ludwig Tieck ident, aber ein Zeitgenosse von ihm. Allerdings sind die meisten seiner Bücher unvollendet geblieben. Historische Romane von ihm sind z. B. "Die Kronenwächter" und "Isabella von Ägypten", in seinem Zeitroman "Armut, Reichtum, Schuld und Sühne der Gräfin Dolores" findet sich übrigens eine Skizze zur Legende der Päpstin Johanna." Einen Roman über diesen Stoff hat Arnim begonnen, aber nicht beendet. (Allerdings ist Arnim mit Blick auf die heutigen Lesegewohnheiten nicht gerade einfach.)


    Aber auch Ludwig hat historische Romane geschrieben, so z. B. "Vittoria Accorombona", zudem er offensichtlich das Drama "The white Devil" von John Webster (1579 - um 1634) gekannt hat und davon beeinflusst war.


    "Liechtenstein" von Wilhelm Hauff ist schon deswegen wichtig, weil, weil es jener deutschsprachige Roman sein dürfte, wo das Walter-Scott-Modell tatsächlich überzeugend umgesetzt ist, ohne dass der Roman allerdings eine Kopie oder ein Plagiat ist.
    Auch die Romane von Autorinnen wären wichtig.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Teresa


    ach so.
    Mit dem Vornamen Ludwig habe den Mann von Bettina von Arnim noch nie in Verbindung gebracht. Ich kenne ihn nur als Achim, so steht es auch auf den Buchrücken. Ist das neuere Forschung, ihn Ludwig zu nenen?
    Stilistisch finde ich ihn auch nicht einfach, Tieck aber schlimmer.
    Habe ich Dich recht verstanden, daß Arnim auch eine 'Vittoria Accorombona' geschrieben hat?



    Edit Nachtrag:


    Du hast recht, ich habe grad in meine Ausgabe geguckt, er selbst hat mit L.A. Arnim unterschrieben.
    Danke für den Hinweis!

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

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  • Was Schund resp. Literatur angeht:


    ich benutze lieber den Ausdruck trivial.
    Bei mir ist 'Schund' die unterste Stufe von trivial, daran ist für mich nichts Unterhaltendes mehr. Lustig finde ich es auch nicht, nur noch schlimm.


    Ein schlechter Roman ist ein Roman, bei dem das, was die Autorin erreichen wollte, gründlich danebengegangen ist, also aiuf allen Ebenen oder auf so vielen wesentlichen Ebenen, daß auch das, was übrigbleibt an Positivem nicht mehr trägt.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus