Historische Romane = Schund?

  • Zitat

    Original von beowulf
    So habe ich für mich Schund definiert, nicht nach Schreibstil, nicht nach Genre, sondern nach nicht vorhandener Botschaft die der Autor zu vermitteln versucht. Ich habe ernsthaft den ersten Band der Shades of Grey bis zum bitteren Ende gelesen, immer auf der Suche danach, dass da noch kommt welche Geschichte da was transportieren soll. Da war aber nichts. Das ist Schund.


    Immer wieder interessant, wie die Meinungen zum Thema "Buch mit Botschaft" auseinander gehen können :grin
    Muß man große Autoren wie Nobelpreisträger unbedingt toll finden ?
    Ich glaube, dass einige Bücher, die ich lese, von einigen, die hier schreiben, durchaus als "Schund" angesehen werden.
    Ich mag sie trotzdem (die Bücher=immer, die "Bezeichner"=fast/meistens
    :grin)!
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Zitat

    Original von Tilia Salix


    Ich habe hier nur eine Überlegung angestellt, wie Meinungen, dass historische Romane z. B. Schund sind, entstehen dürften.
    Meine Überlegung dazu: Wenn ich in einem Genre die angeblich guten, herausragenden Bücher lese und sie sich dann bestensfalls als mittelmäßig herausstellen, entsteht nun mal der Eindruck, dass in diesem Genre keine wirklich guten Bücher zu finden sind.


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    Wahrscheinlich müsste bei der Frage, ob bzw. warum historische Romane als Schund gelten, aber erst einmal abgeklärt werden, seit wann historische Romane (angeblich) als Schund gelten. Dazu bräuchten wir hier allerdings einen Literaturwissenschaftler, der auf das Thema historischer Roman spezialisiert ist und uns einen geschichtlichen Überblick vom ersten historischen Roman bis in die Gegenwart liefert.


    Zum Vergleich:
    Fantasy galt noch in den 1970er und 1980er Jahren als Schund (von gewissen Ausnahmen wie einem E.T.A. Hoffmann abgesehen), hier hat sich eindeutig die Wertung zum Besseren gewendet und es wird inzwischen differenziert.


    Anfang der 1990er Jahre habe ich eine Studentin gekannt, die damals ihre Diplomarbeit über Kinderbücher schrieb. Die erzählte mir, dass sie an dieser Universität eine der ersten war, der ein solches Thema für die Diplomarbeit gestattet wurde. Damals galten Kinderbücher vielen Professoren offensichtlich noch als zu unbedeutend, um überhaupt als wissenschaftlicher Untersuchungsgegenstand zugelassen zu werden.


    Für eine gewisse Wertschätzung des historischen Romans im 19. und 20. Jh. spricht nicht nur die Beliebtheit, sondern dass auch Autoren/innen, die heute zur Literatur gezählt werden (oder damals als Literatur galten) solche Bücher geschrieben haben. Zudem waren historische Stoffe damals im Theater recht beliebt. (Allerdings wurde im 19. Jh. und vor dem Zweiten Weltkrieg ein historischer Stoff auch oft gewählt, um Gegenwartsthemen zu gestalten.)


    Auf der anderen Seite finden wir immerhin Romane, meistens von Frauen wie eine Barbara Cartland oder Angelique Golon, die als Schund galten bzw. keinen guten Ruf hatten, obwohl sie offensichtlich unter der Hand gerne gelesen wurden. (Ob hier die Einstuftung als Schund zu Recht oder Unrecht besteht, lasse ich jetzt einmal offen. Da müsste wohl ein weiterer Thread eröffnet werden.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Zitat

    Original von Teresa
    Zum Vergleich:
    Fantasy galt noch in den 1970er und 1980er Jahren als Schund (von gewissen Ausnahmen wie einem E.T.A. Hoffmann abgesehen), hier hat sich eindeutig die Wertung zum Besseren gewendet und es wird inzwischen differenziert.


    Hättest du dafür mal eine Quelle?
    Bist du evtl. Österreicherin?


    Als Der Herr der Ringe 1975 (?) auf Deutsch erschien, war es für viele erwachsene Leser der erste phantastische Roman, den sie gelesen haben. Die Generationen davor kannten aus Kriegs- und ähnlichen Gründen oft gar keine Phantastik. Ich kann mich an keine öffentliche Schund-Diskussion der 70er Jahre in Zusammenhang mit Fantasy erinnern. Allerdings an die Schmutz- und Schunddiskussion, die das Comiclesen verhindern sollte. ;-)

  • Ich bin zwar nicht Teresa, aber ich kann mich schon daran erinnern, dass Fantasy-Romane bzw. deren Leser lange belächelt wurden. Wikipedia ist zwar keine wasserdichte Quelle, liefert aber zumindest erste Hinweise.


    Zitat

    Fantasy wird oft als reine Unterhaltungs- und Trivialliteratur betrachtet, da Fantasyliteratur in ihrer Entstehungszeit zumeist in Pulp-Magazinen erschien und sich an ein entsprechendes Publikum richtete. Nach den kulturellen Wertungskategorien „Hoch-“ und „Popkultur“ wird Fantasy für gewöhnlich der Popkultur zugeordnet. Das Verschwimmen der Grenzen zwischen unterhaltender und ernster Literatur macht jedoch auch vor der Fantasy nicht halt. Fantasymotive finden sich in zeitgenössischen Romanen und Filmen wieder und auch die Literaturwissenschaft nimmt sich verstärkt der Fantasy an.


    Edit: Autokorrektur-Korrektur

  • Für wirklich schlechte Bücher (also Bücher, die bei Anwendung von objektiven Kriterien wirklich schlecht sind) verwende ich lieber den Ausdruck Müll, da Schund bei aller negativen Wertung, die in dem Ausdruck mitschwingt, am Buchmarkt durchaus etabliert ist. Es gibt bereits den Ausdruck Schundliteratur, der zwar abwertend ist, aber auch eine gewisse Anerkennung von solchen Büchern beinhaltet.


    Für mich ist das sicherste Kriterium noch immer die 100 Jahresgrenze. Hat es ein Buch (ob Roman oder Bühnenstück) geschafft, sich über Jahrhunderte als beliebte Lektüre oder als Anregung für weitere Bücher zu halten, so spricht das eigentlich für die Qualität des Buches. Mir ist natürlich klar, dass dieser Maßstab bei Büchern aus der Gegenwart gewöhnlich nicht angewendet werden kann.


    Kriterien, wie z. B. die Erwähnung in einem Literaturlexikon, die Verleihung eines Preises (und sei es auch der Literaturnobelpreis) und Ähnliches muss nicht mit tatsächlicher Qualität zu tun haben, das kann auch rein zeitbedingte Gründe haben.


    Abgesehen davon sind die anerkannte "Hochliteratur" und der zumindest geschmähte "Schund" oft gar nicht so weit auseinander, was die Themen, die Idee und der Stoff betrifft. Die Qualität hängt von der Umsetzung ab.
    Mein Lieblingsbeispiel, obwohl kein historischer Roman: "Irrungen Wirrungen" oder "Quitt" von Theodor Fontane. Nur auf die Inhalte reduziert, wäre das erste Buch ein Liebesroman und das zweite Buch eine Geschichte um ein Verbrechen, das in einem Ambiente beginnt, das aus dem Heimatroman vertraut ist. Dass beide Romane eben kein Schund sind, liegt alleine daran, wie der Autor Fontane diese Themen gestaltet hat.


    Gerade "Der Name der Rose", immerhin bereits vor mehr als 25 Jahren publiziert, ist für mich sogar ein Beispiel für einen wirklich gelungenen historischen Roman. Hier wird nicht einfach nur eine Kriminalgeschichte vor einer historischen Kulisse erzählt, sondern die Geschichte ist eben nicht reine Kulisse, sondern wird erlebbar gemacht und ohne sie gebe es einen Teil der Handlung gar nicht. Dem Autor gelingen zum Teil wirklich interessante, außergewöhnliche Figuren. Zudem werden noch zeitgenössische Themen eingearbeitet und ein wenig Philosophie, und dann gibt es noch die Anspielungen zu anderen Werken. Somit ein Buch, dass Leser/innen, die sich darauf einlassen, eine ganze Menge zu bieten hat (und zum mehrmaligen Lesen einläd.)


    Die entscheidende Qualität ist jedoch, dass das Buch ein Bestseller wurde und auch weitere historische Romantypen beeinflusst hat. Zwar wurde immer wieder von Leser/innen, denen ein simpler Krimi gereicht hätte, bemängelt, dass der Roman sehr geschwätzig wäre und Ähnliches, aber offensichtlich hatte der Roman selbst für die, die nur eine simple Krimigeschichte lesen wollte, noch genug zu bieten, so dass sie das Buch doch fertig zu lesen bereit waren. Das muss einmal ein/e Autor/in schaffen.


    Dass es sich beim "Namen der Rose" auch um einen Glücksfall für das Genre historischer Roman gehandelt hat, ist daran zu erkennen, dass Umberto Eco bis heute kein weiteres Werk gelungen ist, wo der Spagat zwischen Unterhaltung und anspruchsvolleren, teils philosophischen Themen funktionieren würde.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

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  • Zitat

    Original von Buchdoktor


    Hättest du dafür mal eine Quelle?
    ...


    Eine Informationsquelle oder Sekundärliteratur kann ich Dir diesbezüglich nicht angeben, in diesem Fall bin ich selbst die Quelle, damit bin ich aufgewachsen.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Buchdoktor


    HdR war eben deswegen so ein Erlebnis, weil das Buch praktisch in eine Phantastik-Wüste einbrach in Deutschland. Damit fing eine neue Welle an.
    Die ging dann recht schnell unter, wurde aber vor allem aus den USA nachgefüttert mit der nächsten Generation der AutorInnen, die sich in der Tat von Pulp Magzine emanzipiert hatten und literarische Ansprüche ins Genre brachten. Politisches, neue Ideen. Das dauerte bis ca. Mitte 1990er, seither geht's eigentlich nur bergab. :grin



    Teresa


    das mit der 100-Jahre-Grenze ist nicht haltbar, finde ich. Ganz viel geht unter im Lauf der Zeit, ungeachtet der Qualität. Einfach der Menge wegen.
    Nach Deiner Rechnung wäre Literatur des Barock oder der Renaissance untauglich, weil sich kaum noch jemand darauf bezieht?
    Und die Literatur von Frauen nahezu vollumfänglich, weil sie nie genug Aufmerksamkeit bekam.
    Andererseits wären einige AutorInnen sehr seichter Bücher wichtig: Karl May, Hedwig Courths-Mahler.


    Weil Du Fontane nennst:
    Literatur, ja, kein Schund resp. Müll.
    Aber sprachlich kaum noch an eine breitere LeserInnenschaft zu bringen, obwohl er vergleichsweise modern schreibt. Auch als Bezugssystem alles andere als im Schwange.



    beisswenger


    'Der Name der Rose' ist intellektueller Schund.
    :grin

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • (Sorry, aber dass "Geschichte erlebbar gemacht" wird, ist doch Klappentextdeutsch und kein Qualitaetskriterium. Ansonsten waere Legoland ne Bildungsreise.)

  • Zitat

    Original von Teresa
    Eine Informationsquelle oder Sekundärliteratur kann ich Dir diesbezüglich nicht angeben, in diesem Fall bin ich selbst die Quelle, damit bin ich aufgewachsen.


    Naja, ich bin auch damit aufgewachsen, dass Comics Schund sind - und dann kommt jeder x-beliebige Latein- oder Französischlehrer mit Asterix unterm Arm in den Unterricht und Erika Fuchs wird auf Händen getragen ... :rofl

  • Zitat

    Original von Buchdoktor


    Naja, ich bin auch damit aufgewachsen, dass Comics Schund sind - und dann kommt jeder x-beliebige Latein- oder Französischlehrer mit Asterix unterm Arm in den Unterricht und Erika Fuchs wird auf Händen getragen ... :rofl


    Je nun, das ist der Lauf der Zeit. In hundert Jahren ist Shades of Grey vielleicht auch ein Klassiker des literarisch anerkannten Genres Hausfrauen-Porno. Wer weiß das schon?

  • Zitat

    Original von Tilia Salix
    Je nun, das ist der Lauf der Zeit. In hundert Jahren ist Shades of Grey vielleicht auch ein Klassiker des literarisch anerkannten Genres Hausfrauen-Porno. Wer weiß das schon?


    Unsere Enkel brauchen ja auch noch Referatsthemen ... :rofl


  • Abgesehen davon, dass Rechnungen für mich in die Mathematik gehören und nicht in die Literatur :grin, kann ich deine Einwände nicht so recht nachvollziehen.


    Wie kommst Du z. B. darauf, dass sich heute niemand mehr auf die Literatur des Barock oder Renaissance bezieht?

    Die Stücke von William Shakespeare (die Werke entstanden um 1600) werden doch immer wieder aufgeführt, immer wieder gibt es Verfilmungen, in vielen Schreibwerkstätten beziehen sich die Leiter/innen auf ihn. Es gibt immer wieder Romane (auch historische Romane), die von ihm angeregt sind. Und was die meisten historischen Romane über die Rosenkriege betrifft, ich bin mir sicher, dass die meisten dieser Autoren/innen Shakespeares Werke gelesen haben dürften. Da gibt es mir einfach zu viele Parallelen. Das spricht für die Qualität der Werke dieses Autors.


    Wenn es um Themen aus dem Dreißigjährigen Krieg geht ist Grimmelshausen (17. Jh.) auch heute noch eine sehr beliebte Quelle, obwohl er kein Historiker, sondern ein Romanautor war. Aber offensichtlich ist seine Beschreibung der Kriegsgräuel noch immer die eindringlichste. Davon abgesehen wurde auf seinen Simplicissimus und auch auf die Courasche immer wieder von anderen Autoren Bezug genommen, z. B. Bertold Brecht, dessen Mutter Courage immer wieder aufgeführt wird oder auch bei Günther Grass.


    Falls du ein aktuelleres Beispiel kennst, als z. B. Theodor Fontanes "Irrungen Wirrungen", an dem sich der Unterschied zwischen "Hochliteratur" und "Schund" gut veranschaulichen lässt, nur her damit.
    Immerhin wurde seine "Effi Briest" vor einiger Zeit wieder einmal verfilmt und Buchkenner/innen hatten an dieser Verfilmung einiges auszusetzen, das spricht eigentlich dafür, dass Fontane zumindest mit diesem Roman noch immer im deutschen Sprachraum recht präsent sein dürfte.


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    Zu viele Romane von Hedwig Courths-Mahler sind heute gar nicht mehr am Buchmarkt. Aber gerade bei ihr wäre sicher auch einmal zu untersuchen, warum sie zu ihrer Zeit so erfolgreich war. Was hatten ihre Bücher, was durch andere Bücher damals nicht geboten wurde.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

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  • Zitat

    Original von Charlie
    (Sorry, aber dass "Geschichte erlebbar gemacht" wird, ist doch Klappentextdeutsch und kein Qualitaetskriterium. Ansonsten waere Legoland ne Bildungsreise.)


    Ob Klappentextdeutsch oder ein anderes Deutsch - bei Umberto Ecos "Name der Rose" habe ich gefunden, dass wirklich Geschichte erlebbar gemacht wurde, es sich hier einmal um keine Floskel handelt, sondern das zutrifft.


    Aber ich gebe dir schon recht, bei den meisten Büchern, wo das behauptet wird, ist es wirklich nur ein Marketing-Schmäh.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

  • Zitat

    Original von Buchdoktor


    Naja, ich bin auch damit aufgewachsen, dass Comics Schund sind - und dann kommt jeder x-beliebige Latein- oder Französischlehrer mit Asterix unterm Arm in den Unterricht und Erika Fuchs wird auf Händen getragen ... :rofl


    Damit, dass Comics Schund sind, bin ich auch aufgewachsen. Die Vorurteile waren damals sogar noch schlimmer, Comics galten nicht nur als Schund, sondern es wurde sogar behauptet, dass Kinder und Jugendliche, die so etwas lesen, dabei "verblöden" würden. :gruebel


    "Asterix" - nun, der war halt sozusagen die löbliche Ausnahme.
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    Vielleicht sollten wir sogar dafür dankbar sein, dass inzwischen selbst das Lesen von "Schund" nicht mehr unter der Hand geschieht, sondern dass es da doch schon eine gewisse Toleranz gibt.

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    Die gefährlichsten Unwahrheiten sind Wahrheiten, mäßig entstellt. (Georg Christoph Lichtenberg)

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  • Fantasy als Schlund? Das erinnere ich so nicht. Könnt ihr euch noch an die ersten Videospiele in so Flippergroßen Apparilos erinnern? Da bewegte man Fantasyfiguren mit dem Joystick. Achtziger Jahre.

  • Teresa


    mir geht es darum, daß Deine Argumentation, daß die Bedeutung eines Texts sich auch daraus ergibt, wie lange er im Gedächtnis bleibt, etwas zu kurz gefaßt ist. Das kann nämlich für qualitativ hochwertige wie minderwertige Texte gelten.
    Und, ich wiederhole, viele Texte gehen im Lauf der Zeit unter, aus vielerlei Gründen. AutorInnen sterben jung, ihre Bücher wurden verboten und verbrannt, ihre Manuskripte gehen verloren, werden gestohlen, gehen in brennenden Bibliotheken unter. Die Dauer der Zeit spielt eine Rolle.
    Was wir heute als 'die' antike griechische Literatur bewundern, ein Beispiel, ist das Ergebnis von Überlieferungszufällen. Es ist ein Mini-Ausschnitt einer literaischen Landschaft, die verloren ist. Nicht weil sie schlecht war, sondern weil sie nicht aufgeschrieben wurde oder das, was aufgeschrieben wurde, einfach nicht überlebt hat.


    Oder nimm einen Meilenstein der deutschen Literatur, Goethe. Sein Werk ist reduziert auf wenige seiner Texte. Heißt das, daß die besser sind als der Rest? Wäre ein bißchen einfach, oder?
    Und was ist mit einer Zeitgenossin, Sophie von la Roche? Die ist nahezu vergessen. Das hieße nach Deiner These, daß ihre Texte wenig taugen?


    Die Überlebenszeit, auch das Wiederaufnehmen, sind zufällig und daher nicht unbedingt ein Qualitätskriterium.
    Die Literatur des Barock besteht beileibe nicht nur aus Grimmelshausen, die der englischen Renaissance ganz bestimmt nicht nur aus Shakespeare. Auch ist das mit dem Wiederaufnehmen zu hinterfragen. Stücke etwa werden neu gedeutet. Ist das dann noch Shakespeare?


    Zu Effi Briest: das ist Schullektüre. Wenn sich jemand darauf bezieht, dann (viel zu) oft mit einem 'Bääh, so ein doofes Buch.
    Wofür spricht das jetzt? Oder wogegen?


    Was Trivialliteratur angeht: da muß man sich fragen, was haben die Geschichten nicht, was andere haben?
    Die Antwort lautet: Komplexität und Fragen. Deswegen waren sie erfolgreich.



    Bei der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur ist es schwierig, eine Beispiel für den schmalen Grat zwischen Schund und Litertaur zu finden, weil das seit ca. 20 Jahren mindestens nicht mehr der spingende Punkt ist. Wir haben weniger Trivialisierung im traditionellen Sinn, sondern eine Art Tages-Journalismus, die sich ausgebreitet hat. AutorInnen greifen aktulle Themen direkt auf und werfen sie aufs Papier. Krebs, Demenz, altersbedingte Impotenz und Inkontinenz, böse Nazis, böse DDR, Pädophilie. Schlag die Zeitung auf und Du hast die Themen der nächsten Saison.
    Leitartikelprosa.

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Zitat

    Original von magali
    Bei der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur ist es schwierig, eine Beispiel für den schmalen Grat zwischen Schund und Litertaur zu finden, weil das seit ca. 20 Jahren mindestens nicht mehr der spingende Punkt ist. Wir haben weniger Trivialisierung im traditionellen Sinn, sondern eine Art Tages-Journalismus, die sich ausgebreitet hat. AutorInnen greifen aktulle Themen direkt auf und werfen sie aufs Papier. Krebs, Demenz, altersbedingte Impotenz und Inkontinenz, böse Nazis, böse DDR, Pädophilie. Schlag die Zeitung auf und Du hast die Themen der nächsten Saison.
    Leitartikelprosa.


    Kann Dir nicht ganz folgen - ist das jetzt positiv oder negativ? Oder nur eine allgemeine Zustandsbeschreibung?


    Ich fühle mich jedenfalls angesprochen - Themen aus der heutigen Zeit will ich in (Gegenwarts-/Zukunfts-)Romanen lesen -> was denn sonst? Und über was schrieben die Autoren denn früher?

    "Wie kann es sein, dass ausgerechnet diejenigen, die alles vernichten wollten, was gut ist an unserem Land, am eifrigsten die Nationalflagge schwenken?"
    (Winter der Welt, S. 239 - Ken Follett)

  • Zustandsbeschreibung.


    Die Frage ist, inwieweit man sich als AutorIn das Thema aus der Aktualität heraus vorgeben läßt.
    Schreibt eine über Demenz, schreiben die fünfundzwanzig nächsten auch darüber.
    Schreibt einer über die Schrecken der DDR, kommen gleich die nächsten dreißig.
    Schreibt eine über Mobbing, folgen sechsundvierzig Romane über Mobbing in allen Lebenslagen.
    Und, das gehört dazu, sie schreiben alle auf die gleiche Weise darüber.


    Literatur heißt, daß der Fokus weiter reicht. Es geht immer um das Menschsein in der Welt an sich in Verbindung mit den adäquaten sprachlichen Mitteln. Und einem neuen Blick. Oft reichen ja Bruchteile bei der Verschiebung.
    Oder die Bestandteile werden anders kombiniert und neu zusammengefaßt.
    Was fällt mir ein? :gruebel


    Adoleszenzprobleme+Liebesprobleme+Nazi+DDR in Eva Menasses 'Quasikristalle'.
    Alles da, aber das Thema ist nicht das Abarbeiten dieser Probleme, sondern ihre Wahrnehmung im Verfließen der Zeit bis hin zur Zeit an sich als Gegenstand.
    Ganz anderer Fokus, ganz eigen umgesetzt. Aktuell, modern, zeitgemäß und zugleich klassisch literarisch.


    Natürlich ist es richtig, aktuelle Themen in der Literatur aufzugreifen. Aber die Bearbetung des Stoffs darf nicht bei der Aktualität kleben bleiben.
    Ich stoße bei Kinder- und Jugendbüchern immer wieder auf dieses Problem. Die werden dann so schrecklich pädagogisch, eben weil es nicht gelingt, einen weiteren Bezugsrahmen herzustellen.
    Eine andere Form im gleichen Bereich sind Geschichten, die deutlich politische Propaganda transportieren. Auch die kleben an der Aktualität, benutzen einfache Sprache und haben einen sehr kleinen Ausblick.
    Das ist dann in der Tat Trivialisierung und dort landet Leitartikelprosa dann letzten Endes auch.


    Um das Thema historische Roman= Schund oder nicht Schund angemessen zu diskutieren, müßte man die deutschsprachigen historischen Romane aus der Literatur dazunehmen, mindestens von Feuchtwanger an bis z.B. Uwe Timms 'Morenga'.
    Allein auf der Basis von Unterhaltungsliteratur geht das eigentlich nicht.
    Das führt letzlich nur wieder zu dem alten und leidigen Punkt, daß eben 'Schund' verteidigt wird, als gälte es das Leben.
    Als ob diese Lektüre in Zeiten der allseitigen Vergötterung der Unterhaltung noch verteidigt werden müßte.
    :rolleyes

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • manchmal frage ich mich, ob bei Krimis die Autoren alle die Fortbildung des Jahres besuchen. Der vierte Pädophile hintereinander geht mir dann nur noch auf den Geist- egal wie gut das Buch eigentlich ist.