Griechenland

  • Liebe Eulen, mir fällt auf, dass im Ordner Weltgeschehen gegen früher wesentlich weniger los ist, als man es sich als interessierte Eule eigentlich wünscht. Das Thema Griechenland und Euro wurde bisher noch gar nicht angesprochen.
    Was mich interessieren würde ist weniger die Schuldfrage oder die Schuldzuweisungen, sondern ob es Eulen gibt, die Familienangehörige in Griechenland haben oder selber griechische Wurzeln und wie sie und ihre Familien oder Freunde zu diesem Thema stehen. :wave

    Schon der weise Adifuzius sagte: "Das Leben ist wie eine Losbude, wenn Du als Niete gezogen wurdest, kannst Du kein Hauptgewinn werden.":chen

  • Da bisher hier sich noch keiner zu Wort gemeldet, tu ich das jetzt doch, obwohl es nicht leicht ist. Ich selbst habe keine griechische Wurzeln, sondern bin familiär mit Griechenland verbandelt. Was soll ich erzählen? Ich reihe jetzt mal ein paar Aussagen und Fakten aneinander, was mir gerade einfällt. Vielleicht kannst du etwas damit anfangen.


    Jemand in unserer Familie arbeitet für 15 € am Tag.
    Ein junger Familienvater überlegt, ins Ausland zu gehen.


    Zum Thema "Sie haben über ihre Verhältnisse gelebt" fiel mehrfach der Satz: Wir haben es nicht gestohlen, sie (die Politiker) haben es uns gegeben.


    Ihnen war lange nicht bewusst, dass es im ach so reichen Deutschland ein niedrigeres Rentenniveau gibt als in Griechenland, wobei das nur für den öffentlichen Dienst gilt. Dabei muss man auch berücksichtigen, dass es in Griechenland keine Sozialhilfe gibt, d. h. von einer Rente leben oft drei Generationen.


    Die Griechen haben von dem Geld der "Rettungspakte" nichts bekommen. Wer wurde gerettet?


    Sie fühlen sich an der Nase heumgeführt, weil sich die Verhandlungspartner (Junker, Dijsselbloom, IWF) nicht einig sind.


    Griechenland fühlt sich von Europa allein gelassen bei den Flüchtlingsströmen, die über die türkische Grenze kommen.


    Sie wissen nicht, wie es weiter geht. Jedes Rettungsprogramm gilt nur für ein paar Monate und dann geht das Bangen wieder weiter.


    Sie haben enorme Militärausgaben, weil sie von der Türkei immer wieder provoziert werden, was aber im Ausland nicht wahrgenommen wird.


    Es wird in Deutschland in den Medien verbreitet, dass viel mehr Griechen Immobilien besitzen als Deutsche. Was man aber nicht weiß, ist, dass sich diese Immobilien zum großen Teil auf dem Land in halb verlassenen Dörfern befinden, die nichts Wert sind, absolut unverkäuflich. Die Besitzer haben wegen Arbeit die Dörfer verlassen, leben in den Großstädten. Und jetzt müssen sie auch noch Steuern für diese Immobilien bezahlen.


    Manche haben nichts mehr zu verlieren.




    edit: Für die, die es interessiert, habe ich den folgenden link:


    Ein Report über die Jugend im Griechenland der Krise von Filippos Mandilaras

  • Danke made für Deinen informativen Beitrag, da ich weder griechische Wurzeln besitze noch familiär verbandelt bin, kann ich dazu nichts sagen. Frage ist nur, wie informiert ist der Durschschnittsgrieche über die Situation, also wie es soweit kommen konnte und was sie meinen tun zu können.

  • Darüber, was man tun kann, sind sich doch auch die Fachleute nicht einig. Die Folgen des Referendums sind nicht abschätzbar.
    Die Griechen meinen, dass die Maßnahmen der letzten Jahre nichts gebracht haben, im Gegenteil, die Lage wird immer noch schlechter, kein Ende in Sicht. Sie hängen in der Luft und die wird immer knapper.
    Und die wirklich sinnvollen Maßnahmen wissen mächtige Leute zu verhindern, wie die Besteuerung der Reichen oder auch der Ausbau von Solarenergie.
    Grundlegende Strukturänderungen wären nötig, aber keiner traut sich da ran.

  • Deswegen habe ich den schrecklichen Verdacht, dass es vollkommen Wurscht ist, wie das Referendum ausgeht und wer grad an der Regierung ist. Staatspleite hin, Hilfspakete oder Grexit her ... es wird immer nach dem gleichen Muster weitergewurschtelt. Und wenn man immer das gleiche macht, kann man schwerlich ein anderes Ergebnis erwarten.

    Und was die Autofahrer denken,
    das würd’ die Marder furchtbar kränken.
    Ingo Baumgartner

  • Da sich hier leider weiter keine "Wurzelkinder" gemeldet haben und ich zum Thema keinen neuen thread aufmachen möchte, hoffe ich mal, es ist okay, wenn ich hier eine Frage stelle.
    Ich möchte an die EU glauben und daran, dass das alles so läuft, wie die Nachtsitzer es sich denken. Obwohl ich eher fürchte, dass das Ganze ein Faß ohne Boden, ein Schrecken ohne Ende wird.
    Der "kleine Mann" in Griechenland, der Opa, der seiner krebskranken Tochter von seiner Rente keine Medikamente mehr kaufen kann, der Winzer, der nicht wird ernten können und daher seine Leute nicht mehr lange bezahlen kann, alle haben sie mein Mitgefühl.
    Jetzt sollen die MWSt und das Renteneinstiegsalter erhöht werden. Und privatisiert werden.
    Aber das, was ich an Privatisierung mitbekommen habe, egal, ob Gas-, Strom- oder Wasserversorger, von Bahn und Post ganz zu schweigen, hat das uns auf Dauer etwas gebracht? War es nicht vielmehr immer der Beginn von gestiegenen Kosten und gemindertem Service?
    Was ich nicht verstehe: Was ist mit den Onassis', den Niarchos' oder wie sie alle heißen? Klar kann man die nicht enteignen und finanziell in die griechische Bresche springen lassen. Ganz zu schweigen davon, dass da Arbeitsplätze gefährdet wären.
    Aber, und jetzt kommt meine Frage: Warum habe ich heute nicht ein einziges Mal das Wort "Steuer" (nicht MWSt) gehört? Warum hat man nicht als allererstes die Reform des Steuersystems gefordert? Da soll doch alles korrumpiert sein, soweit ich gehört habe. Obwohl ich irgendwo las, dass man uns eh falsch informiert und hinter allem "der Amerikaner" steckt, der ein uneiniges und somit geschwächtes Europa vorzieht :gruebelWie denkt Ihr darüber? ?(

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

  • Tja, alles was ich zu bieten habe sind einige ungefilterte Gedanken zum Thema "Privatisierung".


    Das bedeutet ersteinmal: wirtschaftliches arbeiten, kein staatlich subventioniertes Fass ohne Boden, ein Unternehmer muß gewinnorientiert wirtschaften.
    Das mag auf den ersten Blick recht gut klingen, es bedeutet uU.aber auch: Einsparungen. Und das - zumindest gefühlt - am falschen Ende, zu guter letzt beim "Kleinen Mann", der sich nicht wehren kann.


    Die Griechenlandmisere finde ich recht schwer zu beurteilen, jeder hat eine Meinung, die auch logisch und folgerichtig begründet wird.


    Dabei wird der Eindruck erweckt das wir viel Geld in ein Fass ohne Boden pumpen, weil die Regierung dort unten eh nur Scheiße baut und sich keinen Deut ums Sparen kümmert.



    Das mag so sein. Allerdings bin ich längst an dem Punkt an dem ich das Ganze nur noch als staunender Zuschauer ohne eigene Meinung betrachte, ohnmächtig und kaum in der Lage, die Situation zu durchschauen.
    Ich fühle mich dazu verurteilt den "Kleinen Mann/die Kleine Frau" zu bedauern, die den Milliardenpoker der Regierungen ausbaden müssen.


    Ich weiß es nicht! Mag dieses Eingeständnis auch beschämend sein, ich denke ich bin da nicht alleine.


    In der Privatisierung sind es am Ende einige wenige, oft nur ein Einzelner, der die Verantwortung trägt.


    Und die Geschichte hat des öfteren gezeigt das die Meinung der Mehrheit/der Masse nicht unbedingt nachhaltig die richtige war.

  • Zitat

    Original von Bodo


    In der Privatisierung sind es am Ende einige wenige, oft nur ein Einzelner, der die Verantwortung trägt.


    Wenns denn so wäre und nicht nur so, daß der eine, oder sehr wenige den Reibach damit machen und die meisten eben leer ausgehen.
    Hätten diese wenigen Verantwortung, bzw. würden sie sie verantwortungsvoll wahrnehmen, sähe vieles anders aus.


    Aber ich glaube nicht mehr daran, einigen wenigen diese Macht zu verleihen, da die wenigsten damit verantwortungsvoll umzugehen verstehen.
    Sprich - anfangs mag es Geld in Kassen spülen, privatisiert man.
    Allerdings nur kurzfristig.
    Danach ist es verbraucht und das verscherbelte Gut ist weg. Der Privatier macht Geld, die Angestellten nicht.


    Mir tun auch die Menschen in Griechenland, die jetzt dermaßen unter den Zuständen leiden müssen, leid.
    Ich verstehe auch nicht, weshalb man nicht an die geht, die genügend haben um Steuern zu zahlen. Oligarchen scheint es ja zur Genügend zu geben.
    Auch daß diese von sich aus nichts machen, ist ein Armutszeugnis.


    Soweit ich weiß, war das ein Vorschlag Tsipras, eben die Vermögenssteuer einzuführen, der aber abgelehnt wurde.
    Er wurde sozusagen gezwungen, am sozialen zu sparen..


    Ich kann da schon sehr gut den Unmut der Griechen gegenüber der deutschen Politik verstehen.

  • Dazu einige Gedanken/Zitate von Edward Abbey:


    "Power is always dangerous. Power attracts the worst and corrupts the best."


    "Anarchism is founded on the observation that since few men are wise enough to rule themselves, even fewer are wise enough to rule others."



    Edward Abbey

  • Zitat

    Original von maikaefer
    Jetzt sollen die MWSt und das Renteneinstiegsalter erhöht werden. Und privatisiert werden.


    Dazu möchte ich noch darauf hinweisen, dass Anfang 2010 die MWST in zwei Schritte zuerst von 19 auf 21% und dann auf 23% erhöht wurde. Jetzt geht es darum, was in welche der drei MWST-Klassen eingeordnet werden soll. So sollen jetzt Hotels in die höchste Klasse kommen. (War da nicht in Deutschland auch mal so eine Aktion für Hoteliers, aber genau in der anderen Richtung?)


    Was das durchschnittliche Renteneintrittsalter betrifft, liegt das in Griechenland in etwa so hoch wie in Deutschland. So wenigstens zitiert die Süddeutsche Zeitung die OECD. hier


    Was die Privatisierung betrifft, sehe ich das so wie maikaefer.

    Zitat

    Original von maikaefer
    Aber, und jetzt kommt meine Frage: Warum habe ich heute nicht ein einziges Mal das Wort "Steuer" (nicht MWSt) gehört? Warum hat man nicht als allererstes die Reform des Steuersystems gefordert? Da soll doch alles korrumpiert sein, soweit ich gehört habe.


    Darüber kann ich auch nur spekulieren. So eine Reform kostet Zeit und Geld. Die wollte man zunächst nicht investieren. (Abgesehen von dem Wissen, dass man an die Reichen sowieso nicht so leicht rankommt.)
    Man dachte wohl, MWST-Erhöhung und Rentenkürzung würde als erste Feuerlösch-Aktion Zeit für zeitaufwendigere Reformen bringen. Das war ein Irrtum. Der IWF hat die Folgen der Einsparungen völlig unterschätzt. Es heißt, er ging von einem Rückgang der Wirtschaft um 0,3% aus. Statt dessen betrug er 25%. Die Folge ist klar. Die erhofften zusätzlichen Einnahmen aus der MWST wurden durch den geringeren Konsum der Griechen aufgefressen. In der europäischen Öffentlichkeit wird das aber so wahrgenommen, als ob die Griechen reformunwillig wären.


    Eins verstehe ich überhaupt nicht: Bei den früheren Rettungspaketen wurde das Geld doch immer tranchenweise nach einer Kontrolle der Troika freigegeben. Was haben die kontrolliert, wenn es jetzt immer heißt, die Griechen hätten keine Reformen umgesetzt?


    Was ich zusätzlich noch befürchte, ist, dass bereits jetzt schon zahlreiche Großinvestoren in Griechenland auf Einkaufstour sind. Die kleinen Familienbetriebe sind pleite. Hier kann man billig an Immobilien kommen. Sobald etwas Ruhe eingekehrt ist, werden die Investoren neu beginnen und die ehemaligen Besitzer dürfen dann zum Mindestlohn bei ihnen arbeiten.


    Übrigens, um auch einmal das Wort "Hausaufgaben" zu verwenden: Wann macht Europa endlich seine Hausaufgaben und sorgt dafür, dass so eine Bankenkrise nicht wieder möglich ist? Die war es ja schließlich, die die prekäre Schuldensituation in Griechenland, die übrigens bis 2008 die EU nicht störte, dann zum explodieren brachte.

  • Zitat

    Original von oemchenli
    Mein Mann sagte gestern zu mir: "Der europäische Gedanke ist tot, es geht nur noch um Kohle und Macht."



    Ich glaube das auch.


    Ging es denn nicht schon immer nur um Kohle und Macht?
    Immerhin hatte man eine zeitlang das Gefühl, dem ein bisschen was entgegegen setzen zu können.


    Manchmal könnt ich heulen.

  • Zitat

    Original von made
    Manchmal könnt ich heulen.


    Damit bist Du nicht allein.


    Wie es ein paar Menschen schaffen, ein ganzes Volk unterwerfen zu wollen, ihnen Brotkrümel vor die Füße zu schmeißen
    Alles nur wegen eines imaginären Wertes, der für einige das Heiligtum schlechthin zu sein scheint, dabei aber immer mehr Menschen ausschließt.
    Das ist zum heulen.



    Es ist wirklich eine Frage, wie lebenswert noch diese Mentalität von Geld und Kapital ist, die alles, was ein Mensch wirklich hat, geben kann und benötigt völlig außen vor läßt.


    Vermutlich geht es nur, wenn die Menschen endlich merken, daß die Menschlichkeit kaum noch existent ist, und sich Geld nicht essen läßt.


    Die Gesellschaft kann sich wohl nur gemeinsam der immer mehr werdenden Geldzukunft erwehren, wenn sie erkennt, daß es auch noch andere Werte gibt und dann gemeinsam dafür einsteht.


    Es gibt Bewegungen, privater Hilfeversuche, die direkt in Form von Spenden an die Griechen gehen sollen. ( Bin leider nicht 100% informiert, muß ich ändern)


    Vielleicht ist das eine nicht ganz verkehrte Idee, wenn sich die Menschen dem zuwenden und so wieder entdecken, daß es noch andere Dinge gibt, die sehr befriedigend sein können. Hilfe geben ohne Geld dafür zu erwarten kann viel bewirken und kann auch sehr viel zurückgeben. Kein Geld, aber das, was viele Menschen ausmacht.


    Schon die Arbeit, der Organisation an der derartigen Hilfen kann einem einzelnen Menschen sehr viel geben.


    Und die "Kapitalhörigen" überläßt man einfach sich selbst - sollen sie sich doch gegenseitig zerfleischen und ihrem Heiligtum frönen, dabei halt das verlieren, was Menschen eigentlich ausmacht. Vielleicht kommen sie selbst mal darauf, aber das liegt dann an ihnen.



    Ok, ich werd zu philosophisch, ich merk das schon.
    Aber ich war heute morgen sooo wütend, als ich das Ergebnis der Erniedrigung eines ganzen Landes gehört habe.


    Und wie Du sagst, made - ich hätte ebenfalls heulen können

  • Meiner Ansicht nach besteht das Problem darin, dass die Griechen als Volk kein positives Verhältnis zu ihrem Staat haben. Wer Steuerhinterziehungen bis zum kleinsten Ding runter systematisch und flächendeckend betreibt, der muss sich nicht wundern. In der Zeit berichtete ein Journalist von dem vergeblichen Versuch für seine Steuererklärung eine Quittung über den Verzehr zu erhalten. Im Fernsehen habe ich einen Bericht gesehen, wie Handwerker sich weigerten eine Zahlung zu quittieren. Nicht nur die Reichen bezahlen keine Steuern, alle sind gegenüber ihrem Staat unsolidarisch.

  • @ Marlowe: Bei Deinem link kommt bei mir "Page not found".
    @ made: Schau mein zeitgleiches posting über Deinem vorletzten! :knuddel1
    @ nochmal made: Der link in Deinem letzten posting ist für Österreicher, oder?
    @ Rumpelstilzchen: Dein link klingt sehr interessant, kann mich jetzt nicht richtig konzentrieren, da halb auf dem Weg, lese ich später genauer :anbet
    :wave

    “Lieblose Kritik ist ein Schwert, das scheinbar den anderen, in Wirklichkeit aber den eigenen Herrn verstümmelt.”Christian Morgenstern (1871 – 1914)

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