Inés Garland: Wie ein unsichtbares Band [ab 14 Jahren]

  • Inés Garland: Wie ein unsichtbares Band
    FISCHER KJB 2013. 256 Seiten
    ISBN-13: 978-3596854899. 14,99€
    Vom Verlag empfohlenes Alter: Ab 14 Jahren
    Originaltitel: Piedra, papel o tijera
    Übersetzerin: Ilse Layer


    Verlagstext
    »Ich sah sie schon von weitem, sie saß auf einem Ast, die Beine im Wasser, als hätte sie schon immer dort gesessen. Zu ihren Füßen lag noch ein Mädchen, das genauso aussah wie sie, nur aus Wasser, und beide grinsten, wie die Katze in Alice im Wunderland. Als ich näher kam, zerfloss das Mädchen aus Wasser, und das andere, das auf dem Ast saß, sprang herunter.«


    Alma verbringt mit ihren Eltern jedes Wochenende auf einer Insel im Flussdelta in der Nähe von Buenos Aires. Die Nachbarskinder Carmen und Marito werden zu ihren Spielgefährten und Freunden. Auf der Insel ist die Welt in Ordnung, soziale Unterschiede scheinen keine Rolle zu spielen. Als Almas Eltern merken, dass ihre Tochter mehr als Freundschaft für Marito empfindet, verbieten sie ihr den Umgang. Doch da ist Alma schon längst mit Marito zusammen … Eine Kindheits- und Liebesgeschichte vor dem Hintergrund der aufkommenden Militärdiktatur in Argentinien, die zu Tränen rührt. Ausgezeichnet mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis 2014.


    Die Autorin
    Inés Garland arbeitet als Journalistin, Übersetzerin, Autorin von Büchern und Drehbüchern und leitet Schreibwerkstätten. Viele Jahre schlummerten ihre Texte in der Schublade, bis sie sich entschloss, sie einer größeren Öffentlichkeit zu präsentieren. Ihre Texte gewannen auf Anhieb mehrere Auszeichnungen.


    Inhalt
    Almas Eltern fahren mit ihr jedes Wochenende in ihr Häuschen am Fluss, um der lauten Stadt zu entfliehen. Das letzte Stück des Weges müssen sie mit dem Boot zurücklegen. Der Fluss bildet zugleich Trennlinie zwischen den Lebensverhältnissen der wohlhabenden und der ärmeren Familien. Wenn der Wasserspiegel steigt und den Garten überschwemmt, kehrt Almas Familie in die Stadt zurück. Die Nachbarskinder Carmen und Marito leben während des Hochwassers in einem überschwemmten Holzhäuschen. Man hätte es längst auf Pfähle setzen sollen, meint Almas Vater dazu. Aber auch er hat keine Initiative dazu ergriffen. Carmen und Marito leben gemeinsam mit mehreren Onkeln bei Dona Ángela, ihrer Großmutter, seit die Mutter mit einem neuen Partner auf und davon gegangen ist. Ángela verträumt ihre karge Freizeit am Fluss. Ihr Mann ist in die Stadt zurückgegangen, um das Warten auf Hilfsarbeiten für die Reichen hinter sich zu lassen. Leute wie Almas Eltern beschäftigen kurzfristig Hauspersonal; von dem verdienten Geld kann niemand hier am Fluss leben. Als Alma sich in Marito verliebt, konfrontieren ihre Eltern sie damit, dass „arme Leute“ wie Marito der falsche Umgang für ihre Tochter sind. Alma besucht eine private katholische Schule und hat sich bisher keine Gedanken darüber gemacht, dass Marito sich keine Ausbildung leisten kann und um Unterstützung dafür betteln muss. Die Bücher, über die der wissbegierige Marito gern mit Alma sprechen würde, sind nicht mit dem zu vereinbaren, was an ihrer Schule gelehrt wird.


    Alma ist ein Jahr jünger als Carmen und nicht nur in ihrer körperlichen Entwicklung noch sehr kindlich. So behütet, wie sie aufgewachsen ist, kann Alma nur schwer begreifen, dass die Freunde ihrer Kindheit einer anderen Klasse angehören und es für sie keinen gemeinsamen Lebensweg geben kann. Noch weniger ist Alma darauf vorbereitet, vom vorgezeichneten Weg abzuweichen und mit einem Partner zu leben, den ihre Eltern ablehnen. 1976, im Jahr vor Almas Abitur, übernimmt in Argentinien eine Militärdiktatur die Macht durch einen Militärputsch. Alma muss erkennen, dass ihre Eltern zuvor in Angst gelebt haben und die besondere Behütung ihrer Tochter noch weitere Gründe hat als die Moralvorstellungen der katholischen Kirche. Die Erkenntnis dass Carmen und Marito als Gegner der Militärdiktatur verfolgt wurden, trifft Alma unvorbereitet. Die Anzeichen dafür kann sie vermutlich erst im Rückblick als Erwachsene deuten.


    Fazit
    Inés Garlands melancholische Liebesgeschichte beobachtet das Heranwachsen dreier Jugendlicher. Ihre Hauptfigur Alma schreibt in der Ichperspektive und mit 30 Jahren Abstand zu den Ereignissen. Sehr berührend wirkt die stimmungsvolle Beschreibung des Flusses im Laufe der Jahreszeiten, der für die Ereignisse auch eine symbolische Bedeutung hat. Mit der von Eltern und Gesellschaft beabsichtigten Naivität der Protagonistin entlarvt die Autorin verstörend Mitläufer, die politische und soziale Verhältnisse nur als Zaungäste wahrnehmen. Mit dieser Darstellung spricht die Autorin eine größere Zielgruppe als nur die Jugendlicher an. Ihren vor historischen Ereignissen in Argentinien spielenden, herausragenden Liebesroman empfehle ich mit Begeisterung allen Altersgruppen.


    10 von 10 Punkten