Die Autorin: Die für ihr Werk mehrfach mit namhaften Preisen ausgezeichnete kanadisch-walisische Autorin Jo Walton schrieb mit der "Farthing-Trilogie" ein Meisterwerk nicht nur des Krimonalromans und des Polit-Thrillers sondern auch ein erschreckendes Szenario der alternativen Geschichtsschreibung ( Eine Fiktion in welcher geschichtliche Zusammenhänge alternativen Verläufen angepasst werden).
Das Buch: 1941, noch vor dem Eintritt der USA in den II Weltkrieg gelang es Sir James Thirkie mit dem Deutschen Reich einen Friedensvertrag auszuhandeln - der Krieg tobt in Europa zwar weiter, Großbritanien ist allerdings nicht mehr beteiligt.
Acht Jahre sind seither vergangen, als sich eine Gesellschaft, bestehend aus Adel und Politik, auf dem weitläufige Landgut Farthing einfindet, unter ihnen die Tochter des Hauses, die sich ins gesellschaftliche abseits manövriert hat - sie hat tatsächlich einen Juden geheiratet!
Am Morgen findet man den Helden des Friedensvertrages tot in seinem Zimmer, mit dem Dolch in seiner Brust wurde einer jener berühmten gelben Sterne an ihn geheftet, welche auf dem Kontinent immer noch in Gebrauch sind.
Auch wenn die Spurenlage auf nur einen Täter hindeutet ist Inspector Carmichael von Scottland Yard skeptisch und beginnt, gegen alle Widerstände, auch in andere Richtungen als der offensichtlichen zu ermitteln, was in dieser Gesellschaft einen Tanz auf rohen Eiern bedeutet. Tatsächlich hat die feine Gesellschaft so einiges zu verbergen und ist kaum gewillt, einen gewöhnlichen Polizisten im Dreck ihrer erlauchten Kreise herum wühlen zu lassen.
Und dann fallen Schüsse....
Meine Rezension: Immer wieder widmeten sich Autoren aus den verschiedensten Genres dem Thema alternative Geschichtsschreibung, von der Phantastik bis hin zur Wissenschaft wurden diese "was wäre wenn" Fragen mehr oder weniger fantasievoll und/oder mit akademischem Ernst zu beantworten versucht. Oft sind Schlüsselmomente der Geschichte Ausgangspunkt von mehr oder weniger originellen und/oder realistischen Theorien und Gedankenspielereien zu einem alternativen Fortgang der Geschichte.
Bei Jo Walton bildet dieser alternative Geschichtsverlauf den Hintergrund zu einer zunächst als typischer englischer Krimi erscheinenden Geschichte - eine feine Gesellschaft, ein Landsitz und ein Mord - um dann immer mehr zu einem Politthriller zu werden. Dabei schafft es die Autorin virtuos diese verschiedenen Genre zu einem großen ganzen zu vereinen und nicht - wie es so oft passiert - unentschlossen zwischen ihnen hin- und herzupendeln. Die Geschichte der Mordermittlung ist perfekt auf den politischen Hintergrund abgestimmt, beide entwickeln sich parallel und absolut folgerichtig.
England ist dabei relativ autark, was natürlich vor allem auch die politische Entwicklung im Lande selber betrifft. Was vor Allem fehlt ist der "Schock" über die von den Nazis an den Juden verübten Gräueltaten. Auch wenn man das Schicksal der europäischen Juden hier durchaus bedauern mag, ein latenter Antisemitismus tritt trotzdem mehr oder weniger unverhohlen zu Tage. Und um diese Stimmung, diese politische Strömung ist das eigentliche Thema des Romans, welches sich der Inhaltsangabe nach auch durch die folgenden Bände ziehen wird.
Man kann durchaus behaupten das auch im Kriminalroman bereits alles gesagt wurde - nur noch nicht von jedem. Und so lange das Geschäft gut läuft kommt hier auch jeder zu Wort, ob er/sie etwas zu sagen hat oder nicht spielt dabei kaum eine Rolle, solange am Ende die Kasse stimmt.
Aber wie bei einem tollen Song kommt es auch in der Literatur oft mehr darauf an wer etwas sagt und weniger, was gesagt wird.
Und Jo Walton singt den altbekannten Cozy-Crime-Rag mit der meisterhaften Leichtigkeit einer wahrhaft großen Autorin - und das ist noch der leichtere Teil! Wie sie dann später den Politthriller und das Drama miteinbezieht ist tatsächlich unvergleichlich und verweist selbst Autorinnen vom Range einer Dorothy Sayers in die zweite Liga. Sayers, Christie und Doyle mögen zwar den Anfang dieser Art Kriminalliteratur erschaffen und - durchaus nachhaltig - geprägt haben, was aber Jo Walton auf dieses Fundament aufbaut ist einfach atemberaubend gut.
Es zeigt sich hier wieder ganz deutlich das der Begriff "Kriminalliteratur" kein Widerspruch in sich ist und das der Kriminalroman und seine Gattung keinesfalls hinter der "Guten Literatur" zurückstehen muß, sondern dazugehört, weil sie ebenfalls gute Literatur sein kann und immer schon gewesen ist.