'Die Zeit, die Zeit' - Seiten 001 - 078

  • Ich bin sofort mitten drin. Das finde ich sehr erfreulich, habe ich doch in letzter Zeit so einige Bücher gelesen, die sich als recht substanzarm erwiesen. :grin


    Tja, der Herr Suter...er kann es. Sicher ist das keine Hochliteratur, aber er schreibt elegant und gut lesbar, ohne einen gleich zu erschlagen.



    Auf den ersten Seiten fragte ich mich schon, was dieser Peter Taler für ein Typ ist. Anfangs scheint sein Alltag so beschaulich, wie er das am Fenster steht und die Nachbarschaft beobachtet, ganz genau beschreibt, wer wie wo wohnt, und dabei ein Bierchen nach dem anderen trinkt, aber dann entwickelt Suter die Vergangenheit seiner Hauptfigur vor uns, den tragischen Verlust, den Mord, an dessen Frau, die schwierigen Verhältnisse auf der Arbeit, wo Taler und dessen Karriere in Watte gepackt ins Aus manövriert werden.


    Und wir lernen den Nachbarn Knupp kennen und dessen Vorstellung von Zeit. Auf die Idee, seine verstorbene Frau mit der exakten Abbildung eines Tages der Vergangenheit zurück zu holen, muss man erstmal kommen.
    Wie der Titel schon sagt, wird es viel um die Zeit gehen. Ein abstraktes, philosophisches Thema, mit dem Suter den Nachbarn Knupp mit Leichtigkeit "spielen" lässt. Das ist nicht trocken, das ist abstrus und könnte interessant werden.


    Ich bin gespannt! :lesend

  • Also der erste Satz war schon ein guter Einstieg, ich bin begeistert.
    Irgendwas ist anders. Man kennt ja dieses diffuse Gefühl: es liegt auf der Zunge und kommt doch nicht raus. Gut beschrieben.


    Taler steht am Fenster, Bier in der Hand, und beobachtet die Nachbarschaft. Oder vielmehr den kleinen Ausschnitt der Welt, den er vom Fenster aus sehen kann. Detailreich schaut man durch seine Augen auf die nachbarschaftlichen An- und Umbauten der Häuser und Gärten, die Gewohnheiten der Flugbegleiterin von nebenan, das einsiedlerische Verhalten von Knupp, dem alten Mann von Gegenüber. Und so ganz langsam und nebenbei entfaltet sich Talers eigene traurige Geschichte ... ich finde, der Autor hat dies richtig gut gemacht, die Details sind nicht langweilig und meine Fantasie hält gut mit.


    Suter lässt Taler Handlungen wie Rituale ausführen, nicht weil sie nützlich sind, sondern weil er trauert. Wein, den er für seine Frau öffnet und eine Zigarette, die er für sie anzündet, wo sie doch gar nicht kommen wird ... das rührt mich sehr an.


    Die traurige Geschichte von Taler schildert Suter erst nach und nach, die Beobachtungen, wie andere mit einem trauernden Menschen umgehen (die Putzfrau möchte, dass er wieder mehr lebt, der Vorgesetzte möchte, dass er endlich wieder funktioniert ...) sind kurz aber treffend.


    Ich bin froh, dass ich Knupp und sein Verhalten dann endlich näher kennen lernen konnte, ich war über die sich verjüngenden Bäume alarmiert und witterte Fantasyieeinflüsse. Mit seiner Theorie um die Zeit kann ich merkwürdigerweise besser umgehen als mit irgend einer Zaubermacht. Wenn da nicht die rätselhafte Bemwerkung der Antiquariatin gewesen wäre ...

  • Zitat

    Original von Clare
    Wie der Titel schon sagt, wird es viel um die Zeit gehen. Ein abstraktes, philosophisches Thema, mit dem Suter den Nachbarn Knupp mit Leichtigkeit "spielen" lässt. Das ist nicht trocken, das ist abstrus und könnte interessant werden.


    Ich bin gespannt! :lesend


    Das bin ich auch! :wave
    Ich habe Knupps Gedankengebäude beim ersten Durchlesen noch nicht ganz erfasst und werde mir die Abschnitte nochmal durchlesen müssen, aber es klingt auch für mich interessant. Ich hoffe, ich kann es im Laufe des Buches gedanklich besser begreifen, das macht mich dann noch zufriedener.

  • Zitat

    Original von Liesbett


    Das bin ich auch! :wave
    Ich habe Knupps Gedankengebäude beim ersten Durchlesen noch nicht ganz erfasst und werde mir die Abschnitte nochmal durchlesen müssen, aber es klingt auch für mich interessant. Ich hoffe, ich kann es im Laufe des Buches gedanklich besser begreifen, das macht mich dann noch zufriedener.


    Mir gefällt es auch :-].
    Wieder so ein schwer erklärbarer Sog in eine seltsam anmutende Geschichte. Suter kann das wie kaum ein anderer.


    Schon eine bizarre Theorie in Bezug auf die Zeit, die Knupp da auf S. 59 entwickelt.
    Ich hab mal gegoogelt, ob es dieses Buch von Kerbeler wirklich gibt, aber es scheint fiktiv zu sein. Wenn man den Begriff eingibt, kommen ausschließlich Verweise auf Suter.


    Am Anfang dachte ich, Taler ist irgendwie in einer Zeitschleife hängen geblieben, wie bei diesem Murmeltier-Film ;-). Doch es scheint, als würde er nicht fertig mit dem Verlust seiner Frau und wiederholt deshalb ständig diesen Abend, so, als könnte er eine Chance bekommen die Tür rechtzeitig zu öffnen.


    Es muss grauenvoll sein mit dem Gedanken zu leben, dass man wegen kleinlicher Genugtuung den Tod der Frau verschuldet hat.


    Aber bei Suters Geschichten hängt und denkt man sich am besten nicht zu tief rein, Sinn machen sie nicht immer - aber Spaß ;-).

  • Ich habe ja schon einige Stunden gehört. Ich glaube, dies ist eines sener schwächsten Bücher.
    Ich bin gespannt, wie es sich entwickelt.

    :gruebel Gibt es die Zeit wirklich nicht? Oder wie erklärt sich alles?


    Seit einem Jahr hat Taler nichts verändert in der Wohnung - alles ist so wie Laura die Wohnung verlassen hat. Er macht weiterhin Spaghetti mit Tomatensoße wie damals. :gruebel


    Edit hat den Spoiler gesetzt. :wave

    Don't live down to expectations. Go out there and do something remarkable.
    Wendy Wasserstein

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  • Zitat

    Original von Lesebiene
    Ich habe ja schon einige Stunden gehört. Ich glaube, dies ist eines sener schwächsten Bücher.
    Ich bin gespannt, wie es sich entwickelt. Laura hat nie dieselben Kleider getragen und doch hat Knupp 2 Fotos von Laura an 2 aufeinanderfolgenden Tagen mit demselben kleid. :gruebel Gibt es die Zeit wirklich nicht? Oder wie erklärt sich alles?


    Seit einem Jahr hat Taler nichts verändert in der Wohnung - alles ist so wie Laura die Wohnung verlassen hat. Er macht weiterhin Spaghetti mit Tomatensoße wie damals. :gruebel


    Lesebiene, das mit der Kleidung kommt erst im 2. Abschnitt, also bitte Vorsicht! Wir wollen doch nicht zu viel verraten. :grin


    Ich kenne ja nicht so viele Romane von Suter, nur die, die wir bei Querbeet gelesen haben.
    Ich hatte ja auch schon geschrieben, dass es nicht gerade Hochliteratur ist, aber momentan ist mir das auch nicht so wichtig. Das Buch unterhält mich bisher gut. Das reicht mir. :wave

  • Zitat

    Original von Lumos
    ...
    Am Anfang dachte ich, Taler ist irgendwie in einer Zeitschleife hängen geblieben, wie bei diesem Murmeltier-Film ;-). Doch es scheint, als würde er nicht fertig mit dem Verlust seiner Frau und wiederholt deshalb ständig diesen Abend, so, als könnte er eine Chance bekommen die Tür rechtzeitig zu öffnen.


    Es muss grauenvoll sein mit dem Gedanken zu leben, dass man wegen kleinlicher Genugtuung den Tod der Frau verschuldet hat.


    Auf die bin ich gar nicht gekommen.
    Gerade hier ist wieder auffällig, wie Suter die Geschichte sich entwickeln lässt. Erst versteht man gar nicht, was mit diesem Taler eigentlich los ist, bis dann klar wird, dass er sich schuldig fühlt, die Zeit zurückdrehen möchte, schneller zur Klingel gehen, schneller die Tür öffnen...


    Zitat


    Aber bei Suters Geschichten hängt und denkt man sich am besten nicht zu tief rein, Sinn machen sie nicht immer - aber Spaß ;-).


    Treffender hätte ich es nicht sagen können. :lache

  • Zitat

    Original von Liesbett
    Taler steht am Fenster, Bier in der Hand, und beobachtet die Nachbarschaft. Oder vielmehr den kleinen Ausschnitt der Welt, den er vom Fenster aus sehen kann. Detailreich schaut man durch seine Augen auf die nachbarschaftlichen An- und Umbauten der Häuser und Gärten, die Gewohnheiten der Flugbegleiterin von nebenan, das einsiedlerische Verhalten von Knupp, dem alten Mann von Gegenüber. Und so ganz langsam und nebenbei entfaltet sich Talers eigene traurige Geschichte ... ich finde, der Autor hat dies richtig gut gemacht, die Details sind nicht langweilig und meine Fantasie hält gut mit.


    Suter lässt Taler Handlungen wie Rituale ausführen, nicht weil sie nützlich sind, sondern weil er trauert. Wein, den er für seine Frau öffnet und eine Zigarette, die er für sie anzündet, wo sie doch gar nicht kommen wird ... das rührt mich sehr an.


    Ich finde das tottraurig, so ohne Aussicht auf eine Besserung, ein Ende und einen Neuanfang. Das Leben geschieht an diesem Punkt des Romans draußen vor Talers Fenster und ohne ihn, und er beobachtet es nur noch.


    Zitat

    Ich bin froh, dass ich Knupp und sein Verhalten dann endlich näher kennen lernen konnte, ich war über die sich verjüngenden Bäume alarmiert und witterte Fantasyieeinflüsse. Mit seiner Theorie um die Zeit kann ich merkwürdigerweise besser umgehen als mit irgend einer Zaubermacht. Wenn da nicht die rätselhafte Bemwerkung der Antiquariatin gewesen wäre ...


    In Richtung Fantasy wird es nicht gehen, da brauchst du keine Angst zu haben. Ich denke, Suter entwickelt hier mit seinen Figuren eine Theorie und stellt einfach mal in den Raum, dass sie real sein könnte, ohne es nachprüfen zu müssen. Es ist einfach so.

  • Ich hoffe sehr, dass es realistisch bleibt :-)


    Ich stelle mir gerade vor, wie es sein muss, die Zeit tatsächlich zurück drehen zu können, rechtzeitig zur Tür zu kommen (man hat sich die ganze Zeit eingeredet, dass man nur zwei Minuten hätte eher sein müssen ...) und dann ist es doch schon zu spät. Wie ein Film.

  • Jaaaa, ändlich isch wider Suter-Ziit! :freude


    Ihr wisst ja bereits, dass ich mich sehr auf diese LR gefreut hatte.... ;-) Und bis jetzt wurde ich nicht enttäuscht. :fingerhoch


    Auch ich war gleich in der Geschichte drin und fühlte mich nach Zürich versetzt. Ich bin zwar nicht sicher, ob das irgendwo explizit erwähnt wird, aber von den Beschreibungen her, glaube ich schon, dass wir uns in der Stadt an der Limmat befinden. :gruebel Allerdings ist das für die Geschichte nicht wichtig - die könnte sich überall so abspielen.


    Geht es nur mir so oder habt ihr auch den Klang von Schweizerdeutsch in den Ohren, wenn ihr Suter lest? Das machen wohl die Begriffe, die man auf Hochdeutsch weniger verwendet bzw. hört.


    Suter hat es geschafft, mir Talers Kummer sehr nahe zu bringen. Die beklemmende und traurige Atmosphäre ist körperlich spürbar. Ich kaufe es dem Autor ohne Zögern ab, dass Taler nur noch lebt, um den Mörder seiner Frau zu finden.


    Zitat

    Original von Lumos
    Es muss grauenvoll sein mit dem Gedanken zu leben, dass man wegen kleinlicher Genugtuung den Tod der Frau verschuldet hat.


    Das macht Talers Situation noch tragischer und die Schuldgefühle lassen ihn umso verbissener nach dem Täter suchen. Wie sehr muss er sich wünschen, die Zeit zurückdrehen zu können. Daher ist er auch empfänglicher für Knupps Theorie. Aber ob er sich wirklich auf den Nachbar einlassen wird? :gruebel


    A propos Knupp: Ist er ein komischer Kauz oder vielleicht doch ein Genie? Seine Theorie ist schon sehr faszinierend und ich bin etwas ins Grübeln geraten. Aber je länger ich über das Thema nachdachte, umso verwirrter wurde ich. :grin


    Zitat

    Original von Lesebiene
    Ich habe ja schon einige Stunden gehört. Ich glaube, dies ist eines sener schwächsten Bücher.
    Ich bin gespannt, wie es sich entwickelt.


    Bis jetzt kann ich das so nicht sagen. Die Geschichte entwickelt einen Sog, dem ich mich kaum entziehen kann und ich muss unbedingt auch gleich weiter lesen. :-)

  • Zitat

    Original von Ayasha
    ...A propos Knupp: Ist er ein komischer Kauz oder vielleicht doch ein Genie? Seine Theorie ist schon sehr faszinierend und ich bin etwas ins Grübeln geraten. Aber je länger ich über das Thema nachdachte, umso verwirrter wurde ich. :grin
    ...


    Mich verwirrt das wirklich auch sehr, mit zunehmendem Lesefortschritt immer mehr. Ich hatte vielleicht auch einfach keine solche Theorie in diesem Buch erwartet.

  • Mir gefällt das Buch bisher auch ausgesprochen gut und ich genieße gerade, dass es so leicht runterzulesen ist. :grin


    Ihr habt schon ganz viel gesagt, was ich mir auch notiert hatte. Knupps krankhaftes Festhalten an diesem einen Tag ist schon sehr krass. Er hat sich sogar einer oder mehreren Schönheits-OPs unterzogen.
    Ich frage mich, ob die Todestage der beiden Frauen übereinstimmen. Wenn der Tag immer gleich sein muss, dann muss es auch immer eine Leiche geben, oder?
    Oder ist es gra nicht der Todestag seiner Frau, den Knupp wiederholt? :gruebel
    Für Taler könnte die Begegnung mit Knupps Perversion der Zeit heilsam sein.


    Mir gefällt sehr gut, wie Suter diese Geschichte langsam entwickelt.

    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin

  • Zitat

    Original von Ayasha
    Jaaaa, ändlich isch wider Suter-Ziit! :freude
    ...
    Geht es nur mir so oder habt ihr auch den Klang von Schweizerdeutsch in den Ohren, wenn ihr Suter lest? Das machen wohl die Begriffe, die man auf Hochdeutsch weniger verwendet bzw. hört. ...


    Ich habe jetzt vor allem deine Stimme im Ohr. :-]



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    Die eigentliche Geschichte aber bleibt unerzählt, denn ihre wahre Sprache könnte nur die Sprachlosigkeit sein. Natascha Wodin