Schreibwettbewerb Juni-August 2015 - Thema: "Oh Gott" oder (für Atheisten) "Stoßseufzer"

  • Thema Juni/Juli 2015:


    "Oh Gott" oder (für Atheisten) "Stoßseufzer"


    Vom 01. Juni bis 31. Juli 2015 - 18:00 Uhr könnt Ihr uns Eure Beiträge für den Schreibwettbewerb Juni/Juli 2015 zu o.g. Thema per Email an schreibwettbewerb@buechereule.de zukommen lassen. Euer Beitrag wird von uns dann anonym am 1. August eingestellt. Den Ablauf und die Regeln könnt Ihr hier noch einmal nachlesen.


    Bitte achtet darauf, nicht mehr als 500 Wörter zu verwenden. Jeder Beitrag mit mehr als 500 Wörtern wird nicht zum Wettbewerb zugelassen!



    Achtung: Achtet bitte auf die Änderungen! Annahmeschluß ist ab sofort immer am Monatsletzten um 18:00 Uhr und die e-mail Adresse hat sich wie folgt geändert - schreibwettbewerb@buechereule.de

  • von Rumpelstilzchen



    In einem etwas heruntergekommenen, früher sicher prächtigen Wohnzimmer bearbeitet eine Frau einen Sessel mit Bürste und Polsterschaum.


    „Das nutzt jetzt auch nichts mehr, Hera“, spottet eine junge Frau und wirft einer auf einer Stange hockendenden Eule eine tote Maus zu. Die Eule öffnet kurz das rechte Auge, reagiert aber sonst nicht.


    „Hätte dein Vater nicht die blödsinnige Idee gehabt, vom Olymp herabzusteigen, bloß weil er hoffte, die Nähe ihrer Götter würde die Opferbereitschaft der Menschen wieder erhöhen, müssten wir hier nicht würdelos hausen“, schimpft Hera.


    Durch die offene Terrassentür schwebt ein gutaussehender junger Mann herein, faltet sorgfältig die Flügel unter den Mantel, verbeugt sich ein wenig übertrieben vor Hera, gießt aus einer Amphore eine goldenen Flüssigkeit in einen Becher und trinkt durstig.


    „Köstlich, welch eine Wohltat. Die göttlichen Botschaften, die ich der Regierung überbracht habe, wurden nicht eben gut aufgenommen. Genau genommen hat man mich davongejagt. Kapitalistenknecht und europäisches Imperialistenschwein haben sie mich geschimpft. Mich, den Götterboten. Keine Ehrfurcht mehr vor den Göttern. Nur noch dieser verfluchte Euro“.


    „Ach, der Euro. Wenn es weiter nichts wäre.“ Ein großer, muskulöser Mann mit Schwert und Schild stürmt ins Zimmer, gefolgt von einem zerrupften Geier, der sich auf die tote Maus stürzt und sie verschlingt.


    „He, Ares, dass wir dich auch mal wieder zu sehen kriegen. Dir müsste es doch gefallen, überall Kriege, Massaker, Gemetzel. Hübsch blutig und grausam. Sowas magst du doch?“ Athene geht auf ihn zu und küsst ihn auf die linke Wange, was den Kriegsgott entsetzt zurückfahren lässt.


    „Früher, da haben die Menschen Kriege geführt, weil sie das Land oder die Frauen oder das Vieh ihrer Nachbarn haben wollten. Danach haben sie uns schöne Opfer gebracht – ach die wunderbaren Rinder und Schafe, die sie uns zu Ehren verbrannt haben“. „Die Weinopfer nicht zu vergessen“, wirft Hermes schwärmerisch ein. „Ja, ja, aber lenk nicht ab. Heute, heute ziehen sie mordend und plündernd durch die Welt zur höheren Ehre des eifersüchtigen Gottes, den dieses Wüstenvolk vor einer Weile eingeführt hat. DU SOLLST KEINE ANDEREN GÖTTER NEBEN MIR HABEN. Nichts als Unglück hat dieser unsichtbare Gott gebracht. Kein einziges Laster. Keine Frauengeschichten, Saufen tut er auch nicht. Und uns, uns haben sie völlig vergessen. Unsere Tempel sind verfallen, Touristen rennen in den Trümmern herum und werfen Kaugummipapiere und Bierdosen in die Ecken. Bierdosen!“ die Stimme des mächtigen Kriegsgottes wird schrill und er scheint den Tränen nah.


    Da fährt ein gewaltiger Blitz vom Himmel, ein Donner lässt das Haus erbeben und Göttervater Zeus betritt das Haus.


    „Genug geklagt. Seit Jahrhunderten sinne ich auf Abhilfe und heute endlich bringe ich gute Nachricht. Andere Planeten voller Leben soll es in den Weiten des Weltalls geben, mit Wesen, denen Götter völlig unbekannt sind. Wir ziehen um. Hermes, du bestellst die anderen Götter hierher. Heute Abend ziehen wir aus. Alle zusammen.“


    Am Abend bestaunen die Menschen ein eigenartiges Spektakel. Wie Sternschnuppen, die zum Himmel zurückkehren, gleiten helle Lichterscheinungen in die Höhe und verlieren sich in der Ferne.

  • von Johanna



    Puh, endlich.
    Endlich hatte sie es hinter sich.
    Kaum war die Verhandlung zu Ende, stürmte Charlotte aus dem Raum, flog die Treppe förmlich hinunter und verließ das Gerichtsgebäude.
    Vor der Tür wartete bereits ihre Freundin, die sie erst einmal in den Arm nahm.
    „ Du hast es geschafft, Charlie, endlich, Du bist ihn los „ strahlte die sie Freundin an.
    „Laß uns etwas trinken gehen und das Kapitel endgültig abschließen, ok?“


    Beide gingen ins nahegelegene Café, bestellten sich eine Flasche Sekt und ließen die letzten Jahre Revue passieren.
    „Endlich frei“, seufzte Charlotte. „Im nachhinein frage ich mich, wie ich das derart lange ertragen konnte. Diese Demütigungen, die Verletzungen. Ich weiß es einfach nicht. Danke, dass Du die ganze Zeit an mich geglaubt und mich unterstützt hast, auch wenn ich es Dir vermutlich nicht leichtgemacht habe mit meiner Unentschlossenheit.“


    Charlotte nahm langsam ihr Sektglas in die Hand und meinte nachdenklich:
    „Wie konnte es nur soweit kommen? Anfangs war er ein so liebevoller Mann, wir haben so wunderbare Zeiten erlebt und dann, fast schleichend, wurde er anders. Verschlossener, ungehaltener, bis eben hin zur Brutalität.
    Ich habe es immer wieder entschuldigt, mir eingeredet, dass es nur vorübergehend so sei, dass er wieder anders wird, so wie früher.“


    „Ach, Charlie, mach Dir keine Vorwürfe, Du hast es ja letztlich geschafft ihn endlich anzuzeigen, als es nicht mehr anders ging. Der Bruch des Kiefers war so gesehen ja fast schon etwas Positives, da konntest Du es eben einfach nicht mehr leugnen. Und das ist auch gut so.
    Manchmal kann man leider nichts machen, wenn sich jemand derart verändert und sich nicht helfen lassen will. Und leider braucht es eben doch oft seine Zeit, bis man einsieht, jetzt endlich handeln zu müssen und sich aus einer derartigen Situation zu befreien“


    „Oh ja, mittlerweile habe ich das auch eingesehen. War ein verdammt schmerzhafter Prozeß, aber ich denke, ich bin soweit, das alles hinter mir zu lassen.“


    Die Gläser klirrten leise, als die beiden Freundinnen anstießen.


    „Mal sehen, was das neue freie Leben so mit sich bringt“, lächelte Charlotte und nahm einen kräftigen Schluck.

  • von Suzann



    „Alter, das war geil! Warum machen wir das nicht öfter?“ Sein bester Kumpel Eric, der mit zwei anderen auf der Rückbank saß, lehnte sich zwischen den Vordersitzen nach vorne und lallte Lukas seine Begeisterung ins Ohr. „Weil du die meiste Zeit zockst und deinen Arsch nicht aus der Hütte bekommst“, konterte er kurz, da er sich bei 180 Sachen nicht gerne ablenken ließ. „Schnall dich an, du Homo“, schnauzte er, als er bei einem schnellen Blick in den Rückspiegel bemerkte, dass Erics vorgebeugter Oberkörper gurtlos war.


    Der metallicblaue BMW mit seinen satten 170 Pferdestärken war neu und die Erfüllung eines lang gehegten Wunsches, daher machte es ihm nichts aus, dass er heute als Fahrer hatte nüchtern bleiben müssen. Seine Freundin Sophia warf ihm vom Beifahrersitz aus einen genervten Blick zu. Das Basketballspiel hatte ihr gefallen, aber sie wäre lieber alleine mit ihm dort gewesen. Außerdem mochte sie es nicht, wenn er so schnell fuhr. Der BMW schnurrte über die fast leere Autobahn und sein Fuß sackte noch ein wenig schwerer auf das Gaspedal. Er hätte ewig so über die Überholspur fliegen können.


    Er kam gerade aus einer langgezogenen Linkskurve und sein Blick öffnete sich wieder in die Ferne, als er im Zwielicht der späten Abendstunde ungläubig die Szenerie registrierte, die sich ein paar hundert Meter vor ihm auftat. Ein Wagen war am linken Fahrbahnrand liegen geblieben. Es dampfte aus der geöffneten Motorhaube. Auf gleicher Höhe stand ein zweites Auto auf dem Standstreifen und zwischen den beiden Fahrzeugen liefen Leute. Sophia und Eric kreischten um die Wette. Er stampfte auf die Bremse und merkte, dass das Heck seines Wagens im Begriff war auszubrechen. Dann hielt die Zeit an.


    Sie schleudern in die Unfallstelle. Zwei Gestalten versuchen panisch auszuweichen. Ein dumpfer Schlag. Noch einer. Das Fahrzeug trifft auf ein Hindernis. Sein Kopf wird brutal vor und zurück geschleudert. Ein Airbag knallt. Glas splittert. Schreie, Blut, Schmerzen.


    Sekundenbruchteile später war Lukas wieder in der Realität. Ohne sich bewusst dazu entschlossen zu haben, nahm er seinen Fuß wieder von der Bremse und fixierte das Lenkrad mit durchgedrückten Armen. Seine Finger wurden weiß vor Anspannung. Der schlingernde BMW stabilisierte sich und Augenblicke später hatten sie die ungesicherte Unfallstelle erreicht. Die Idioten auf der Fahrbahn waren gerade noch aus der Gefahrenzone gestolpert. Ihre Gestalten waren nur verwischte Schemen, als er zwischen den beiden stehenden Autos hindurch schoss.


    Während sein Herz wie wild klopfte, wurde er sich langsam wieder seiner Umgebung bewusst. Adrenalin pumpte durch seine Adern. Sophias Hand hatte sich schmerzhaft in seiner Schulter verkrallt. Eric auf der Rückbank kotzte sich Bier in den Schoß und auch die beiden anderen konnten sich gar nicht beruhigen.


    „Alter, war das knapp!“
    „Hast du das gesehen?“
    „Hast du das gesehen!“


    Bei der nächsten Ausfahrt verließ Lukas die Autobahn, um zur Unfallstelle zurückzukehren und während im Auto alle wild durcheinander schnatterten, kreiste in seinem Hirn ein Satz in Dauerschleife:
    „Scheiße, was für ein Dusel.“

  • von Sinela



    Dumpf grollend suchte sich das Wasser seinen Weg, überschwemmte Wiesen und Felder. Die braunen Fluten rissen Tiere mit und ertränkten sie. Auch vor dem Dorf an der Flussbiegung machten sie nicht Halt und überfluteten die Straßen und Wege, liefen in Häuser um dort Keller und Wohnräume zu füllen. Sie nahmen alles mit sich was nicht niet- und nagelfest war. Schnell glich die Landschaft einer Seenplatte, aus der nur noch die Baumspitzen und Hausdächer heraus ragten.



    „Oh mein Gott!“
    Marianne schaute fassungslos auf die zerstörte Landschaft. So schlimm hatte sie sich das Ausmaß der Überschwemmung nicht vorgestellt. Wo vor zwei Wochen noch ein Dorf stand, sah man heute nur noch einzelne Häuser stehen. Selbst die Kirche hatte den Wassermassen nicht standgehalten und war in sich zusammen gebrochen.
    Marianne drehte sich zu ihrem Mann um, der neben ihr auf dem Kutschbock saß.
    „Lass uns von hier weggehen, Friedrich. Diesmal hatten wir Glück und sind mit dem Leben davon gekommen, aber wer weiß wie es beim nächsten Hochwasser sein wird.“
    „Aus Hegelsbach weggehen? Hier wurden wir geboren, sind wir aufgewachsen, haben geheiratet – hier sind wir zu Hause! Nein, auf keinen Fall! Und schau doch, unser Haus steht noch. Wenn das kein Zeichen ist!“
    „Und wenn das Wasser wieder kommt?“
    Friedrich legte Marianne den Arm um die Schulter und drückte sie an sich.
    „ Zu unseren Lebzeiten wird es keine so große Flut mehr geben. Die letzte fand 1670 statt, also vor fast 200 Jahren, die nächste wird sich genauso lange Zeit lassen. Und jetzt lass uns weiterfahren.“



    Mit wackeligen Knien betrat Marianne ihr Elternhaus. Möbel lagen kreuz und quer in den Räumen, alles war voller Schlamm, braun, hart, stinkend. Hätte ihr Mann sie nicht gehalten, wäre sie zu Boden gesunken. Tränen standen ihr in den Augen, wie um alles in der Welt sollten sie das Haus wieder bewohnbar machen?
    „Morgen werden wir anfangen, alles herzurichten.“
    „Wie soll das gehen Friedrich? Nur wir zwei? Das bewältigen wir nie!“
    „Natürlich tun wir das! Wir sind jung, wir sind stark, wir haben Werkzeug und Proviant aus der Stadt mitgebracht … und wir haben uns.“
    Ein zaghaftes Lächeln erhellte Mariannes Gesicht.
    „Ja, das haben wir. Und deinen unverbesserlichen Optimismus.“
    Entschlossen reckte sie die Schultern.
    „Also gut, du versorgst die Pferde, ich schaue mich hier um. Irgendwo müssen wir ja anfangen.“



    „Ach Friedrich, ich kann es noch gar nicht glauben – wir haben es tatsächlich geschafft.“
    Voller Stolz blickte Marianne auf das Haus, das fast wieder im alten Glanz erstrahlte.
    „Ich habe es dir doch gesagt, dass wir ...“
    „Ja, ja,“ fiel ihm seine Frau ins Wort, „aber ohne die Hilfe unserer Nachbarn hätten wir es bedeutend schwerer gehabt.“
    „Das stimmt allerdings. Nur gut, dass einige der früheren Dorfbewohner auch wieder zurück auf die Heimatscholle gekommen sind.“
    „Komm, lass uns reingehen und unser neues Bett einweihen.“
    Friedrich grinste.
    „Das lasse ich mir nicht zweimal sagen.“

  • von Inkslinger



    Sonnenstrahlen fallen durch das Fenster und streifen meinen Arm. Ich öffne die Augen und stöhne. Der Wein war gestern wieder zu schmackhaft und die Gäste zu redselig.
    Der Wecker röhrt los und ich werfe mich ihm entgegen um an den doofen Schlummerknopf zu kommen. Mist, schon 14 Uhr. Der halbe Sonntag wieder vorbei. Dabei hatte ich noch so viel vor. Vorsichtig drehe ich meinen erschöpften Körper zurück und beobachte das Wesen neben mir.


    Fest eingemummelt in die Decke liegt sie da, einzig der verwuschelte Blondschopf ist zu sehen. Den Wecker hat sie wieder einmal gekonnt überhört und schläft seelenruhig weiter. Naja, 'ruhig' kann man das nicht nennen. Ihr Schnarchen wird klangvoll von den Wänden zurückgeworfen und bildet eine unvergleichliche Kakophonie. Kurz bevor ich erraten kann, um welche Melodie es sich handelt, ist es auf einmal zu Ende. Stille.


    Sekundenlang regt sich nichts, selbst das Atmen hat sie vergessen. Hoffentlich holt sie gleich wieder Luft... Ich warte gespannt. Soll ich sie lieber wecken? Oder wiederbeleben? Geräuschlos pirsche ich mich an, presse behutsam mein Ohr an ihre warme Brust und lausche.
    Plötzlich atmet sie tief ein und ich weiche erschrocken zurück. Als wenn nichts gewesen wäre, fängt sie an zu reden. Während sie spricht erklingt immer wieder ihr schönes, helles Lachen und die Sonne kitzelt keck ihre Stupsnase.


    Schade, dass ich keins ihrer Worte verstehe. Schon immer habe ich ihre linguistischen Fähigkeiten bewundert. Ich kann dank ihrer Hilfe jetzt sogar Spanisch und Portugiesisch auseinanderhalten, aber diese Sprache ist mir völlig unbekannt. Ist ja auch egal. Hauptsache, sie freut sich.
    Was erzählt sie da nur alles?
    Vielleicht, was sie in den letzten Stunden erlebt hat. Phantasievolle Umschreibungen von fernen Orten und mir unbekannten Leuten. Die besten Zeilen ihrer Lieblingslieder. In einer Sprache, die noch niemand entdeckt hat.


    Vielleicht erinnert sie sich ja, was sie da alles sagt, und ich kann sie später danach fragen. Ansonsten bleibt es eben ein Geheimnis zwischen ihr und dem Kopfkissen.

  • von Lese-rina



    „Ich muss dir was tolles erzählen“, aufgeregt lehnte sich meine Kollegin Claudia an die Kante meines Schreibtisches. „Gerade lese ich ein Buch über Bestellungen an das Universum“, fuhr sie fort „du wirst es nicht glauben – aber es funktioniert!“ Ich grinste in mich hinein. Claudia hatte einen Hang zum Esoterischen und kam alle paar Tage mit einer neuen, welterneuernden Idee an. „Zuerst habe ich mir auch gedacht, welch ein Quatsch. Bis ich mir heute Morgen einen Parkplatz bestellt und sofort einen gefunden habe.“ Das war allerdings wirklich außergewöhnlich, trotzdem kannte ich ihren Hang zur Dramatik, auf das schnell die Ernüchterung folgte und so hörte ich den Ausführungen über die „Bestellungen“ nur nebenbei zu.


    Eine halbe Stunde später waren Claudia und ihre Bestellungen wieder vergessen. Beim Eincremen meiner rissigen Hände, stutze ich. Mein Ehering war weg! Hatte ich ihn nach der letzten Pflege nicht wieder angesteckt? Ich ließ meinen Blick über den Schreibtisch wandern – nichts! Wo hatte ich ihn nur hingelegt? Ist er vielleicht vom Tisch gerollt? Nein, auch dort nur Staubflusen und eine vergessene Büroklammer. Fieberhaft überlegte ich. Nach dem Aufstehen hatte ich ihn angelegt, da war ich mir sicher. Meine Handtasche fiel mir ein, Hüter vieler verlorengeglaubter Schätze. Die hektische Suche darin brachte nichts, also kippte ich kurzerhand den Inhalt auf meinem Schreibtisch aus. Kein Ring zu finden! Das durfte doch nicht wahr sein! Kaum ein halbes Jahr verheiratet und schon verlor ich den Ehering? In meinem Hals bildete sich ein dicker Kloß. Claudia und ihre Bestellungen an das Universum fielen mir ein. Wie war das? Positives formulieren und dann schnell wieder vergessen? Ob ich es doch mal probieren sollte? Oder lieber den Heiligen Antonius anrufen, auf den sich meine Oma bei Verlorengegangenem stets erfolgreich verließ?


    Das Telefon klingelte, doch dafür hatte ich weder Zeit noch Nerven. Meine Gedanken rasten. Panisch durchsuchte ich zum wiederholten Mal meinen Schreibtisch und den Inhalt meiner Handtasche. „Dein Mann heißt doch Gerd, oder?“, Claudia steckte ihren Kopf durch die geöffnete Zwischentür. „Wie? Was?“ Völlig in Gedanken nahm ich die Frage gar nicht wahr. „Sabine von der Rezeption ruft an. Es wurde ein Ehering abgegeben, gefunden auf der Toilette. Wir nehmen an, es ist deiner!?“ Ich starrte sie an. Erst jetzt merkte ich, wie angespannt mein ganzer Körper war. „Ja, meiner“, konnte ich nur noch stammeln. Eine Welle der Erleichterung durchflutete mich. Ich ließ mich im Schreibtischstuhl zurückfallen und schloss kurz die Augen. Puh! Beim Öffnen der Augen blickte ich aus den Fenster in einen strahlend blauen Himmel. „Danke“, flüsterte ich lautlos.

  • von Marlowe



    „Also, Frau Weber, dann erzählen Sie doch mal, wie genau ist das passiert?“
    Frau Weber schluchzte laut auf. „Mein Mann und ich sind begeisterte Nacktwanderer und machten diese schöne Wandertour durch das Fichtelgebirge. Es war ein so wunderbarer Tag, warm und sonnig, ein paar Freunde gingen mit und wir waren ungefähr in der Mitte des Aufstiegs, als mein Horst an den Steilhang trat und die Arme ausbreitete und laut rief, er wäre der König der Welt!“
    „Gut, Frau Weber und dann?“
    „Als er sich umdrehte, rutschte er mit einem Fuß ab, schwankte kurz und suchte nach seinem Gleichgewicht, aber er schaffte es nicht. Als er nach hinten fiel, packte ich kurz entschlossen zu und hielt ihn fest.“
    „Also nochmal ganz genau, Sie hielten ihn an seinem Glied fest. Richtig?“
    „Genau, es war das Einzige, was ich gerade noch packen konnte, er fiel zwar, aber ich konnte ihn halten, er baumelte jetzt direkt über dem Abgrund. Meine Freundin Christine kam dazu und fragte mich, was ich da mache und ich sagte ihr: ‚ich kriege ihn nicht hoch. Bitte hilf mir.‘“
    „Aha, Sie sagten ihr, Sie kriegen ihn nicht hoch und sie soll Ihnen dabei helfen!“
    „Genau, sie hielt mich fest und wir versuchten ihn gemeinsam hoch zu bekommen, aber seine Beine hatten sich irgendwo im Fels verhakt, so sehr ich auch zog und zerrte, ich bekam ihn nicht hoch. Horst schrie wie am Spieß und dann, und dann,“ sie schluchzte wieder laut auf.
    „Ja, und dann?“
    „Na ja, dann riss er ab und Horst fiel hinunter.“


    „Frau Weber, wir sind hier aber in Ihrem Schlafzimmer, Ihr Horst liegt eingeklemmt unter dem zusammengekrachten Bett, in der Hand halten Sie immer noch Horsts Willi. Soweit so gut, ihre Freundin Christine, die nebenan wohnt, hat den Notruf gewählt und uns verständigt, sie sagte aber, sie höre schreckliche Schreie aus der Wohnung hier. Ich wiederhole, hier aus Ihrem Schlafzimmer, wir sind nicht im Fichtelgebirge!“
    „Sie meinen, wir sind..., das war...?“ Sie blickte sich verwirrt um. „Das war nur ein Albtraum? Oh mein Gott!“


    Oberkommissar Freudentaler betrat das Schlafzimmer.
    „Na, Heiner, was haben wir denn hier?“
    „Tja, Bert, wenn Du mich fragst, ein wahrer Albtraum-Unfall. Aber ganz sicher bin ich mir nicht.“