Inhaltsangabe (Quelle: Buchrückseite)
Rothenburg ob der Tauber, um 1540. Maria wächst als Henkerstochter in einer schäbigen Gasse heran. Dem Mädchen ist der Beruf des Vaters eine fremde Welt. Nur zu deutlich spürt sie, dass sie gemieden wird - gelten Henker und ihre Familien doch als "Unehrliche", mit denen man nicht in Berührung kommen soll.
Als sie alt genug ist, nimmt ihr Vater sie zum ersten Mal zu einer Hinrichtung mit. Danach schwört sie sich, die Henkerswelt für immer hinter sich zu lassen, sobald sie erwachsen ist. Aber ihre Eltern haben andere Pläne: Sie soll den Sohn und baldigen Nachfolger des Freiburger Henkers heiraten. Bleibt ihr nur die Flucht?
Autorin (Quelle: Verlagsseite)
Astrid Fritz studierte Germanistik und Romanistik in München, Avignon und Freiburg. Als Fachredakteurin arbeitete sie anschließend in Darmstadt und Freiburg und verbrachte mit ihrer Familie drei Jahre in Santiago de Chile. Heute lebt Astrid Fritz in der Nähe von Stuttgart.
Allgemeines
Erscheinungstermin: 30.Mai 2015 bei Kindler, Hardcover mit 512 Seiten
Erzählung in der dritten Person aus der Perspektive der Protagonistin Maria Vollmer
Gliederung: Prolog (Nürnberg 1525), drei Hauptteile, bestehend aus insgesamt 49 Kapiteln: Kindheit (Rothenburg ab 1533) - Lehrjahre (Hall ab 1539) - Zeit der Reife (Basel ab 1545), Autorennachwort, umfangreiches Glossar
Zum Inhalt
Die zu Beginn des ersten Teils fünfjährige Protagonistin lebt in Rothenburg als Tochter des dort amtierenden Scharfrichters Hans Vollmer und seiner Frau Margareta. Die Eltern erziehen ihre drei Kinder Veit, Maria und Jonathan liebevoll, dennoch ist ihre Kindheit überschattet durch die soziale Stellung als "Unehrliche" , zu denen im 16.Jahrhundert neben den Schindern (Abdeckern) und Totengräbern auch die Scharfrichter (Henker) gehören. Besonders Maria leidet unter der Ausgrenzung, der ihre Familie wegen des Berufs ihres Vaters ausgesetzt ist, denn die anderen Mädchen wollen nicht mit ihr spielen und drangsalieren sie auch in der Schule, deren Besuch sie bald aufgibt.
Als die Familie nach Hall umziehen muss, weil ein dunkles Geheimnis aus der Vergangenheit der Mutter sie einzuholen droht, verbessert sich die Situation nicht. Familie Vollmer geht es finanziell relativ gut, da der Vater nebenher auch noch als "inoffizieller" Wundarzt arbeitet, Geschäfte mit Galgenstricklein als Glücksbringer macht und auch die Mutter mit selbsthergestellten Salben und Heiltränken Geld einnimmt. An der sozialen Ausgrenzung und den Berührungsängsten der "ehrlichen" Bürger ändert das jedoch nichts.
Nachdem sich die Familie trotz dieser Widrigkeiten recht gut in Hall eingelebt hat, muss sie einige Jahre später erneut ihr Domizil wechseln und zieht nach Basel. Maria ist inzwischen eine junge Frau, der es bewusst wird, dass es ihr als Henkerstochter vorbestimmt ist, ein Leben lang in ihren Kreisen zu verharren. Während ihr wenig sensibler Bruder Veit als Knecht und künftiger Nachfolger des Vaters mit seinem Leben zufrieden ist und der jüngere Bruder Jonathan dem Stadtviertel der Unehrlichen entkommt, indem er in die Fremde zieht, um zu studieren, bleibt Maria nur die Ehe oder ein Leben als einfache Magd. Als die Pläne ihrer Eltern für ihre Ehe mit einem Henkerskollegen konkret werden, beschließt Maria, ihr Leben in die eigenen Hände zu nehmen, ein nicht ungefährliches Unternehmen für eine schutzlose, alleinstehende Frau...
Beurteilung
Der Roman ist nach Aussage der Autorin im Nachwort von einer wahren Begebenheit inspiriert, die Romanfiguren sind fiktiv. Die Einblicke in das Leben einer Scharfrichterfamilie des 16.Jahrhunderts entsprechen jedoch den historischen Tatsachen und sollen mit den Vorurteilen der Leser im Hinblick auf das durch Filme und Bücher erzeugte Bild "des blutrünstigen Henkers als finsterer Geselle mit schwarzer Kapuze auf dem Kopf und Beil in der Faust" (S.498) aufräumen. Vielmehr wird hier aufgezeigt, dass die Scharfrichter nicht selten sensible Menschen waren, die gebildeter als der Durchschnitt der Bevölkerung waren und durch die Anforderungen ihres Berufs und die damit verbundene soziale Ausgrenzung durchaus psychisch unter Stress gerieten. Sehr eindrucksvoll wird auch das Leben der Henkersfamilien unter dem Stigma der "Unehrlichkeit" beschrieben. Die Charakterisierung der Mitglieder der Familie Vollmer ist sehr gut ausgearbeitet: Die immer wiederkehrende Melancholie der Mutter wird vor dem Hintergrund ihrer eigenen tragischen Jugenderfahrung verständlich, Maria wird nicht als ausschließlich positive Protagonistin aufgebaut, sondern auch mit ihren Fehlern geschildert, sie macht im Laufe des Romans eine beeindruckende Entwicklung durch.
Sehr interessant sind auch die Einblicke in das Berufsleben der Scharfrichter und anderer "unehrlicher" Berufe sowie in die oft sehr grausamen Praktiken des Justizvollzugs.
Der Sprachstil ist der Ausdrucksweise des 16.Jahrhunderts gut angepasst, ein umfangreiches Glossar im Anhang erleichtert dem Leser das Verständnis veralteter Ausdrücke.
Vermisst habe ich eine Landkarte im inneren Einband, diese hätte es dem Leser erleichtert, den häufigen Ortswechseln mitsamt den beschwerlichen Wanderwegen der Protagonisten besser zu folgen.
Fazit
Ein unterhaltsamer Roman, der interessante Einblicke in das Berufs- und Alltagsleben der frühneuzeitlichen Scharfrichterfamilien bietet!
9 Punkte