Keine deutsche Übersetzung
If you walk in their shoes, you might not be such an asshole to them." (Josh)
Zum Buch/Meine Meinung
Das Buch habe ich gelesen, weil mir immer mal wieder mal wieder Menschen begegnen, die ich als unglaublich nett und warmherzig erlebe, die aber Bemerkungen über homosexuelle Beziehungen raushauen, die sie - wenn man die sexuelle Orientierung durch Hautfarbe oder Religionszugehörigkeit ersetzen würde - wahrscheinlich selbst als rassistisch oder antisemitisch erkennen würden und bei denen es mir, in Anbetracht des Leids, das solche Bemerkungen hervorrufen können, schwerfällt, mich auf meine Finger zu setzen. Nun könnte ich relativ mühelos auf einer rein säkularen Ebene diskutieren oder auch die Bibel auseinander pflücken, das führt jedoch sehr selten zu etwas. Hier ging es mir darum, ein Buch zu lesen, das innerhalb des Wertesystems konservativer Christen argumentiert.
Timothy Kurek ist ein junger heterosexueller Christ, der als Mitglied einer unabhängigen Babtistengemeinde im "Bible Belt" der Vereinigten Staaten aufgewachsen ist und sehr konservativ erzogen wurde. Als ehemaliger Student der evangelikalen Liberty University des fundamentalistischen Baptistenpredigers Jerry Falwell hatte er bisher nur wenig Kontakt zu Schwulen und Lesben. Homosexualität ist in seiner Gemeinde eine Sünde, man hat ihm beigebracht, sich vor der "heimtückischen gay agenda" vorzusehen. Unter christlicher Nächstenliebe versteht er, Lesben und Schwule auf die Sündhaftigkeit ihres "Lebensstils" hinzuweisen und sie wieder auf den richtigen Pfad zu bringen. Er bezeichnet sich zu Beginn des Buches selbst als "Bible Thumper", also jemand, der Bibelzitate benutzt, um andere zu ermahnen oder zurechtzuweisen.
Als seine beste Freundin Liz ihm unter Tränen berichtet, dass sie sich bei ihren Eltern als lesbisch geoutet hat und diese sie aus dem Haus geworfen haben, merkt er, dass sein erster Impuls ist, ihr eine Predigt zu halten. Zu diesem Zeitpunkt kämpft er jedoch schon seit einigen Jahren mit Zweifeln an der Haltung seiner Kirche gegenüber Lesben- und Schwulen, daher schweigt er, statt sie zu verurteilen. Gleichzeitig fühlt er sich aber schuldig, weil er das Gefühl hat, für sie als Freund nicht ausreichend dagewesen zu sein, und dass sein Bedürfnis zu predigen statt zu trösten nicht in sein Selbstbild eines christliche Nächstenliebe lebenden Menschen passt.
Er beschließt, sich bei seiner Familie, seinen Freunden und seinem Pastor als schwul zu outen und ein Jahr lang mit dem Label "schwul" zu leben, um sich besser in die Menschen hinein versetzen zu können, die er aufgrund seines Glaubens und seiner Erziehung ablehnt. Eingeweiht ist nur sein bester heterosexueller Freund Josh, sowie wenig später ein schwuler Freund, der sich als seinen festen Freund ausgibt, da Tim zunächst zu viel Angst hat, angebaggert zu werden. In dem einen Jahr macht er alles mit, was die LGBTQ-Szene zu bieten hat. Alles außer Sex. Er besucht Schwulen-Clubs, arbeitet in einem lesbisch-schwulen Café, nimmt an Gay Pride Parades teil, demonstriert vor der amerikanischen Botschaft des Vatikans, der sich 2003 gegen eine Resolution der UN zur Entkriminalsierung von Homosexualität ausgesprochen hatte.
Durch sein Outing verliert der Autor Freunde, die nichts mit einem unbußfertigen Sünder zu tun haben wollen, andere Freunde ziehen sich stillschweigend zurück, er bekommt gesagt, dass Jesus ihn nicht liebt. Sein Pastor hält ihm genau die Predigt, die er selbst fast Liz gehalten hätte und schlägt ihm vor, sich eine andere Gemeinde zu suchen, auch wenn er "wie alle anderen Sünder" weiterhin willkommen wäre. Er gewinnt aber auch neue Freunde, kann Vorurteile abbauen und neue Sichtweisen erlernen. Er kämpft mit seinem inneren Pharisäer, dessen Argumente im Buch kursiv dargestellt sind und hadert mit seinem Glauben, findet dann aber doch wieder zurück.
Der Autor argumentiert in diesem Buch eher emotional und hat auch nicht den Anspruch, ein besonders intellektuelles Buch zu schreiben. Die Hauptbotschaft, "Jesus is love" wird für mein Empfinden, fast bis zum Erbrechen wiederholt, trifft aber möglicherweise genau den Ton seiner Zielgruppe. Seine Täuschung wurde kritisiert und auch, dass er nicht wirklich nachempfinden kann, wie es ist, schwul zu sein, da er sich jederzeit das Wissen hatte, eigentlich heterosexuell zu sein und sich ja jederzeit zurück-outen konnte. Aber, meiner Meinung nach, hat er sein Herz auf dem rechten Fleck und er setzt sich heute noch für LGBTQ-Rechte ein. Der Autor schafft es, im Verlauf des Jahres, seinen Glauben seinen neuen Erfahrungen anzupassen, ohne weniger gläubig zu sein. Seinen Glauben möchte ich nicht kritisieren, da ich ja gezielt ein Buch lesen wollte, in dem ein konservativer Christ aus christlicher Sichtweise argumentiert.
Über den Autor
Kurek stammt aus Nashville im Bundesstaat Tennessee im sogenannten Bible Belt und ist Absolvent der evangelikalen Liberty University. Als homophober evangelikaler Christ hat Kurek ein Jahr lang vorgetäuscht, homosexuell zu sein, und seine Erlebnisse in seinem Buch verarbeitet. Kurek berichtet, schon bei seiner christlichen Pfadfindergruppe habe er vermittelt bekommen, sich vor Homosexuellen in Acht zu nehmen, und dass sie alle HIV-Positive, Perverse und linke Pädophile seien. Kurek kam auf die Idee, seine Vorstellungen über Homosexualität zu überdenken, als er 2004 auf die Aktivistengruppe SoulForce stieß, und später noch einmal, als eine Freundin sich ihm gegenüber als lesbisch zu erkennen gab und berichtet hatte, dass ihre Familie sie verstoßen und enterbt hat. Kureks Perspektivwechsel führte bei ihm zu einem radikalen Umdenken und erfuhr erhebliche öffentliche Beachtung. Gleichwohl hat Kureks Veröffentlichung bei LGBT-Interessengruppen wegen seiner Täuschung eine Kontroverse hervorgerufen. Das Experiment war jedoch nicht das erste seiner Art und erinnert an Black like Me von John Howard Griffin und Self-Made Man von Norah Vincent.
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