Steilküste - Jochen Missfeldt

  • Titel: Steilküste – Ein See- und Nachtstück
    Autor: Jochen Missfeldt
    Verlag: rororo
    Erschienen: 1. Juni 2006 (Taschenbuchausgabe)
    Seiten: 288
    ISBN-13: 978-3499242410
    Preis: 8,90 EUR


    Vorbemerkung zur Einstimmung
    Heute vor genau 70 Jahren war der erste Tag nach der bedingungslosen Kapitulation und damit Tag Eins nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Wie sah es an diesem Tag – und an den folgenden – im Norden Deutschlands aus? In der Marineschule Flensburg-Mürwik gab Großadmiral Dönitz, ein glühender Vasall seines Führers Adolf Hitler (der sich allerdings schon Tage vorher seiner Verantwortung durch Selbsttötung entzogen hatte) noch immer den letzten Regierungschef des Dritten Reiches, und, wenige Kilometer entfernt in der Geltinger Bucht am Südufer der Flensburger Außenförde, hatten sich gerade die letzten U-Boote der deutschen Kriegsmarine selbst versenkt. Dort spielte sich in diesen Tagen eine Tragödie ab, die zunächst nicht ernsthaft aufgearbeitet worden ist, weder durch die Gerichtsverhandlungen dazu ab 1947, die alle mit dem skandalösen Freispruch der Verantwortlichen endeten, noch durch die Geschichtsforschung bis in die späten siebziger Jahre hinein. Erst dann begann sich, nicht zuletzt als Folge der endlichen Sensibilisierung für das unheilige Wirken alter Nazi-Seilschaften in Politik, Behörden und Justiz bis in diese Zeit hinein, eine andere Sicht auf die Dinge durchzusetzen.
    Nochmal gut zwanzig Jahre später hat Jochen Missfeldt diesen wichtigen Roman geschrieben, in dem die jungen Männer, die noch nach der bedingungslosen Kapitulation wegen Fahnenflucht hingerichtet wurden, die historische Grundlage bilden. In diesen Tagen des allseitigen Gedenkens an das Ende des Naziterrors Grund genug, einem der bewegendsten und literarisch anspruchsvollsten Werke dazu die Aufmerksamkeit zu schenken, die es wahrlich verdient.


    Der Autor
    Jochen Missfeldt (* 26. Januar 1941 in Satrup, Schleswig) wurde nach dem Abitur 1961 Pilot in der Luftwaffe der Bundeswehr, flog zunächst die RF-104 „Starfighter“, später die RF 4E „Phantom“. Zuletzt war er Staffelkapitän im Aufklärungsgeschwader 52 in Leck / Nordfriesland. Nach seinem Ausscheiden studierte Missfeldt Musikwissenschaft, Philosophie und Volkskunde an den Universitäten in München und Kiel. Seit 1985 ist er freier Autor. Er ist Mitglied des PEN-Zentrums Deutschland.


    Auszeichnungen (Auswahl)
    1980 Friedrich-Hebbel-Preis
    2002 Wilhelm-Raabe-Literaturpreis für den Roman Gespiegelter Himmel
    2002 Hugo-Junkers-Journalistenpreis
    2006 Kunstpreis des Landes Schleswig-Holstein
    2010 Theodor-Storm-Preis der Stadt Husum
    2014 Italo-Svevo-Preis
    (Quelle: Wikipedia)
    Werke (Auswahl)
    Gesammelte Ängste. Gedichte. Hohwacht-Verlag, Bonn 1975, ISBN 3-87353-022-8
    Mein Vater war Schneevogt. Gedichte. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 1979
    Zwischen oben, zwischen unten. Erzählung in elf Heften. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 1982, ISBN 3-7846-0517-6
    Capo Frasca und andere Fliegergeschichten. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 1984
    Solsbüll. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 1989, ISBN 3-7846-0140-5 (Roman)
    Der Rapskönig. Parabelverlag, Wiesbaden und Zürich 1990 (Kinderbuch)
    Zwölf neue Gedichte. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 1996, ISBN 3-7846-0164-2
    Gespiegelter Himmel. Titanvogeltage. Alexander Fest Verlag, Berlin 2001, ISBN 3-8286-0147-2
    Steilküste. Rowohlt, Reinbek 2005, ISBN 3-498-04493-1 (Roman)
    Zwischen oben und Capo Frasca. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 2004 (Erzählungen)
    Mein Meeresgrund. Gedichte. Langewiesche-Brandt, Ebenhausen 2010
    Du graue Stadt am Meer. Der Dichter Theodor Storm in seinem Jahrhundert. Biographie, Carl Hanser Verlag, München 2013, ISBN 978-3-446-24141-1.
    Von einem, der ausflog ... Ein modernes Märchen. Carl Hanser Verlag. Hanser Box. ePUB-Format, München 2014. ISBN 978-3-446-24816-8.
    (Quelle: Wikipedia)


    Zum Buch
    Der Roman Steilküste verfolgt das Schicksal zweier Marinesoldaten, die kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges von ihrem Kriegsschiff flüchten. Beide werden aufgegriffen und noch nach Kriegsende am 10. Mai 1945 nach der Verurteilung zum Tode an Deck des Schiffes Buéa in der Geltinger Bucht (Flensburger Förde) hingerichtet. Missfeldt nimmt hier einen wahren Stoff zur Grundlage seines Romans. Die drei Soldaten, die damals in der Tat hingerichtet wurden, werden namentlich am Anfang des Bandes erwähnt. Das Buch stellt die Frage, wann Krieg endet und wie sich Schuld auch nach dem Ende des Dritten Reiches fortsetzt. (Quelle: Wikipedia)


    Was ich dazu sage
    Ich habe ja in diesem Forum bereits Missfeldts Lyrik empfohlen und euch seinen Band „Mein Meeresgrund“ wärmstens ans Herz gelegt, siehe hier
    „Steilküste“ ist von seinen Romanen der, den ich am meisten schätze.
    Eines aber muss man wissen: Missfeldt macht es seinen Lesern nicht leicht – nie. Seine Prosa „geht nicht so runter“, sie scheint oft sperrig, hartleibig geradezu. Und ist, hat man sich einmal eingelesen, doch das genaue Gegenteil davon, nämlich farbschillernd, experimentierfreudig, unerhört malerisch – und manchmal auch ein wenig romantisch.
    In der „Steilküste“ wählt er wiederum einen ungewöhnlichen Erzählstil, der eine gewisse „Akklimatisierungszeit“ fordert. Durch überaus mutige, oft abrupte Wechsel der Erzählperspekive - und das auch noch durch unterschiedliche Zeiten und Geschehnisse hindurch - gelingt ihm auf einzigartige Weise eine dichte Verknüpfung von Fakten und Fiktion, von Wissen und Ahnen, von Tun und Fühlen – und das mehrdimensional, soweit es die Geschehnisse und die handelnden Personen betrifft.
    Ein bemerkenswertes Beispiel großer Erzählkunst, gepaart mit fast spitzbübischer Lust am stilistischen Experiment, niemals aber gewollt oder gar protzend. Jochen Missfeld ist ein Mann der leisen, aber zielgenau angeschlagenen Töne. Ich weiß das, denn ich durfte ihn als Kamerad und Freund seit Jahrzehnten begleiten. Und ich habe für meine Arbeit unendlich viel von ihm gelernt. Das meiste davon aber traue ich mich nicht umzusetzen. Und das ist auch gut so. Lest dieses Buch, lasst euch darauf ein – dann wisst ihr, warum.

  • Ich habe das Buch schon vor einigen Wochen gelesen und ich kann mich Dieters schöner und so passenden Rezi nur anschließen. "Steilküste" ist ein leises Buch, das sich dem Schicksal der beiden Soldaten aus mehreren Perspektiven nähert und so ein vielschichtiges Bild auf sie, ihr Leben, aber auch das der beiden Erzähler liefert.


    Was mich am meisten beeindruckt hat, war die Poesie, die man hinter der Sprache entdeckt, wenn es gelingt sich, auf Jochen Missfeldts mehrdimensionale Erzählweise einzulassen. Denn trotz des Themas, ist das ein Buch, dass mich, wenn ich es aufgeschlagen habe, mit einer inneren Ruhe erfüllt hat. Ich habe das Lesen regelrecht genossen. Ich bin schon lange nicht mehr derart in ein Buch abgetaucht. Das Gelesene war für mich fast greifbar.
    Das Buch ist definitiv jetzt schon ein Jahreshighlight und eines, das ich sicherlich noch das ein oder andere Mal zur Hand nehmen werde.


    Ich vergebe 10 Punkte. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, warum ich hier bei den Eulen gelandet und geblieben bin. Ohne die Büchereule hätte ich dieses beeindruckende Buch vielleicht nie entdeckt. :-)

  • Zitat

    Original von Saiya


    (...) Was mich am meisten beeindruckt hat, war die Poesie, die man hinter der Sprache entdeckt, wenn es gelingt, sich auf Jochen Missfeldts mehrdimensionale Erzählweise einzulassen. Denn trotz des Themas, ist das ein Buch, dass mich, wenn ich es aufgeschlagen habe, mit einer inneren Ruhe erfüllt hat. Ich habe das Lesen regelrecht genossen. Ich bin schon lange nicht mehr derart in ein Buch abgetaucht. Das Gelesene war für mich fast greifbar.
    Das Buch ist definitiv jetzt schon ein Jahreshighlight und eines, das ich sicherlich noch das ein oder andere Mal zur Hand nehmen werde.


    Ich vergebe 10 Punkte. Dies ist ein gutes Beispiel dafür, warum ich hier bei den Eulen gelandet und geblieben bin. Ohne die Büchereule hätte ich dieses beeindruckende Buch vielleicht nie entdeckt. :-)


    Freut mich richtig, dich mit meiner Empfehlung zu diesem Buch gelockt zu haben, liebe Saiya. Und was du da zu den Büchereulen sagst, kann ich nur unterschreiben.

  • Oh, haben das noch nicht mehr gelesen?? Ich bräuchte bitte einen Motivationsschub. Das sperrige und die Zeitsprünge lassen mich ständig vor und zurück blättern, da ich nicht mehr weiß ob ich etwas verpasst habe. Und ich lese manche Passagen nochmal, weil sie mir so fremd vorkommen. Bin allerdings erst auf Seite 49 aber wie gesagt, ich habe 3 Mal von vorne angefangen, weil ich früh nicht mehr wusste, was abends dran war und tagsüber ging es mir genau so. Ich glaube, das Buch liebt keine Unterbrechungen.


    Ein Satz ist mir aufgefallen - "Nachrichten flogen durch die Luft, blieben an Antennen hängen und bauten sich ein Nest." So ähnlich jedenfalls. Toll, ich hoffe, es kommen noch mehr solcher Sätze.

    "Leute die Bücher lesen, sind einfach unberechenbar." Spruch aus "Wilsberg "
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  • Zitat

    Original von Findus
    1. Das sperrige und die Zeitsprünge lassen mich ständig vor und zurück blättern (...)


    2. Ein Satz ist mir aufgefallen - "Nachrichten flogen durch die Luft, blieben an Antennen hängen und bauten sich ein Nest." So ähnlich jedenfalls. Toll, ich hoffe, es kommen noch mehr solcher Sätze.


    Zu 1: Ja, er schreibt nicht einfach, der Jochen, er fordert seine Leser. Doch das ist nun mal ein Merkmal von anspruchsvoller Literatur. Wie toll, Findus, dass du dennoch Gefallen daran findest. Wir alle haben uns viel zu sehr an schlichte Texte gewöhnt, die man so weglesen kann. Doch bleibt von denen etwas in uns haften? Erinnert sich jemand von uns noch an die vielen leicht verdaulichen, süffigen Bücher, die wir allzu häufig konsumieren?


    Mein alter Freund Jochen Missfeldt hat vor zwei Jahren an einem Seminar der literaturwissenschaftlichen Fakultät der Europa-Universität in Flensburg zu diesem Buch als Autor mitgewirkt. Ich hatte das Privileg, ein paarmal teilzunehmen, und mir ist aufgefallen, dass die Studierenden - nachdem sie erst einmal die Barriere überwunden hatten, hier nicht mit einfacher Kost abgespeist zu werden - sich wie junge Goldgräber auf die Suche nach den bemerkenswertesten Formulierungen machten.
    Und in diesem Zusammenhang auch gleich


    zu 2: Das Werk wimmelt von diesen sprachgewaltigen, ungeheuer kreativen und dabei ganz und gar einzigartigen Begriffen, Formulierungen und Sätzen. Es lohnt sich also, dranzubleiben. Sicher, das ist keine Verbrauchsprosa, alles will bewusst gelesen werden, aber dafür schafft Jochen Bilder, die so nur er kann. Ich habe viel von ihm gelernt, ohne jemals an ihn heranreichen zu können.


    Viel echtes Lesevergnügen weiterhin!

  • Danke für die Aufmunterung Dieter. Ja manche Bücher muss man sich erarbeiten, dafür liebt man sie um so mehr.


    Mich hat jetzt auch die Zahl derer erschüttert, die hätten gerettet werden können, hätte die Marine rechtzeitig mit ihrer Verschiffung begonnen.

  • Zitat

    Original von Dieter Neumann
    zu 2: Das Werk wimmelt von diesen sprachgewaltigen, ungeheuer kreativen und dabei ganz und gar einzigartigen Begriffen, Formulierungen und Sätzen. Es lohnt sich also, dranzubleiben. Sicher, das ist keine Verbrauchsprosa, alles will bewusst gelesen werden, aber dafür schafft Jochen Bilder, die so nur er kann. Ich habe viel von ihm gelernt, ohne jemals an ihn heranreichen zu können.


    Viel echtes Lesevergnügen weiterhin!


    Ich kann mich Dieter nur anschließen, Findus.
    Es lohnt sich wirklich. Jochen Missfeldts Art hier mit Sprache umzugehen, ist so poetisch, so ganz und gar wunderbar.
    Das ist ein Buch, auf das ich mich einlassen musste. Es liest sich nicht so einfach weg, aber es hat mich auf ganz und gar andere Art und Weise abtauchen lassen, als die meisten Romane zu diesem Thema/über diese Zeit, die derzeit den Markt überschwemmen.
    Die unterschiedlichen Perspektiven auf verschiedenen Zeitebenen sind anfangs nicht einfach "zu verarbeiten". Ich war beim Lesen damals allerdings so fasziniert von den Worten und den entstehenden Bildern, dass ich mir das erarbeiten wollte. Wenn man sich dann darauf einlässt, entfaltet die Erzählweise eine seltsame Logik und einen Sog, dem ich mich nicht entziehen konnte. Und es ist vor allem kein Buch, dass ich nur einmal lesen möchte. Ich sitze jetzt hier und die beim Lesen entstandenen Bilder sind alle wieder da.
    So schreiben zu können, wie Missfeldt, empfinde ich als Gabe, die nicht viele haben. Das Buch war für mich als Leserin quasi ein Geschenk.

  • Liebe Saiya,


    das hast du wundervoll gesagt. Ich habe mir erlaubt, das so


    Lieber Jochen,
    letztes Jahr hatte ich auf Büchereule.de deine "Steilküste" besprochen. Davon anscheinend motiviert, hat sich gerade mal wieder eine Leserin dazu geäußert. Ich finde, als kleinen Morgengruß an diesem sonnigen Tag ist dies sicher für dich erfreulich. Selten genug wird die Seele des Schreibers von jemandem gesalbt, der offensichtlich verstanden hat.


    weiterzuleiten. Ich bin sicher, Jochen Missfeldt freut sich sehr über deine Worte.

  • Gerade noch einen wunderbaren Satz entdeckt. Das Kapitel über das Kinderschiff ist übrigens grandios. Man meint, das frisch gemähte Gras zu riechen.


    Schade, dass es keine Leserunde gibt- Egal: "Fredy hörte die Meeresstille an den Strand schlagen."


    Und das tut man tatsächlich, gibt ein unverwechselbares, weiches blobb. So als wäre das Wasser Gelee. Großartig wie man mit Worten genau das ausdrücken kann.

    "Leute die Bücher lesen, sind einfach unberechenbar." Spruch aus "Wilsberg "
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