Der neorealistische Film

  • Paisa


    Regie: Roberto Rossellini


    Kurzbeschreibung:
    "Pais" Sechs Episoden, die sich mit der letzten Phase des zweiten Weltkriegs spielen. Am Oscar-nominierten Drehbuch wirkten u.a. Klaus Mann "Mephisto" und Federico Fellini mit.


    Mein Eindruck:
    Paisa ist ein Episodenfilm, der in der Roberto Roessellini-Box enthalten ist. Ich habe mir den Film, den bisher nicht kannte, angesehen und war erstaunt zu erfahren, dass es sich um ein wegweisendes Werk des italienischen Neorealismus handelt.


    Die 6 Episoden erzählen eigenständige Geschichten, zentral ist jedoch bei allen die Befreiung Italiens durch die Amerikaner 1944. Zum Teil wird auch die Zeit danach betrachtet. Auf weitere Inhalte gehe ich jetzt nicht ein, weil die bei Wikipedia sehr genau beschrieben sind (Achtung: Spoilergefahr!)


    Insgesamt ist Paisa ein faszinierender, dokumentarisch angehauchter Film, dessen Geschichten faszinieren, weil sie auch starke erzählende Elemente enthalten.
    Meist werden jeweils 2 Figuren in den Mittelpunkt gestellt. Mich persönlich haben die Episoden 3 und 4 am meisten berührt, aber auch die ersten beiden Teile sind sehr gut!


    Der Film ist mehrsprachig, da Menschen verschiedener Nationalitäten mitwirken. Natürlich die Italiener, die Amerikaner, die englisch sprechen, bis auf die Ausnahmen, die Sprachkenntnisse haben und die deutschen Soldaten sprechen natürlich Deutsch. Diese komplexe Szenerie verstärkt den realistischen Eindruck.


    Paisa macht nachdrücklich klar, dass der neorealistische Film aus dem Widerstand entstand und überaus wichtig war. Ich denke, ich werde mir in kürze weitere neorealistische Filme ansehen oder wieder ansehen. Hat jemand detaillierte Filmtipps aus diesem Genre?

  • Wenn Du schon bei Rosselini bist:


    Rom, offene Stadt, mit einer Wahnsinns-Darstellung von Anna Magnani, obwohl das zunächst gar nicht auffällt.


    Dann de Sica, Fahrraddiebe, eine schrecklich schmerzliche Vater-Sohn-Geschichte
    und, mein Favorit, de Santis, Bitterer Reis.
    Ich weiß aber nicht, inwieweit der zu bekommen ist.


    Dir könnte Viscontis Die Erde bebt gut gefallen oder auch de Santis No c'è pace tra gli ulivi. Ich weiß nicht, ob es davon eine deutsche Fassung gibt, eine englische gibt es, No Peace under the Olive Tree.


    Es sind allesamt sehr harte Filme, mit extremer Zuspitzung der inneren Konflikte der Figuren bedingt durch die äußeren, und meist tragisch. Die Bildsprache ist ebenso, harte Linien, Totalen, die suggerierte Weite verweist auf die Enge, der Bildeffekt zielt darauf ab, den Alltag punktgenau abzufilmen, um größtmöglichen Realismus zu bewirken. Daß das ein gemachter Effekt ist, verstärkt die künstlerische Wirkung, ohne daß sie je künstlich wird. Das Publikum soll sich im Film wiedererkennen, vertraut fühlen und zugleich die Tragik des menschlcihen Daseins klar erkennen. Die Bilder, auch Mimik und Gestik der SchauspielerInnen erzählen schon fast alles auch ohne die Dialoge.
    Große Filme, ungemeín traurig, ungemein schön.


    Die deutschen Dialoge sind so-so. Manchmal wirken sie kitschig, zuweilen vermittelt ihre Knappheit nicht alle die Untertöne, die sie haben. Wahrscheinlich sollte man ganz neue Synchronfassungen herstellen. Aber wer macht so was schon.


    Ich mag Neorealismo im Film sehr sehr, aber ich ertrage es nicht immer. ;-)

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Danke für die Tipps, magali!


    Rom, offene Stadt habe ich spontan bestellt.
    Ich habe schon viel von dem Film gehört, aber gesehen habe ich ihn nie, glaube ich.


    Visconti kenne ich ganz gut, auch Die Erde bebt. Aber das ist schon lange her.
    Fahrraddiebe kenne ich auch! Großartiger Film!
    Schuhputzer von de Sica würde ich auch gerne mal sehen!

  • Ah, Visconti, dachte ich mir's. :lache


    Schuhputzer kenne ich auch nicht, es wäre tatsächlich an der Zeit, mal wieder den einen oder anderen dieser Film aufzustöbern.
    Viscontis Rocco und seine Brüder könnte man noch als Spätableger des Neorealismo betrachten.
    Mehr kenne ich leider auch nicht.


    Ich freue mich schon auf Deine Kritiken.


    :wave


    magali

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Danke für den Tip, schaue ich mir mal näher an.


    Die Frage ist bloß, was ist knapper, meine Stellfläche oder meine Zeit? :cry

    Ich und meine Öffentlichkeit verstehen uns sehr gut: sie hört nicht, was ich sage und ich sage nicht, was sie hören will.
    K. Kraus

  • Mann, Schwager und ich sind lebenslange Neorealismo-Anbeter, weshalb ich unbedingt noch ohne Ruecksicht auf Deine Stellflaeche (ich kann gern sehr viele Filme leihen! Allerdings haben die meisten in unserer Sammlung keine Untertitel) meine Lieblingsfilme empfehle:


    Riso Amaro (de Santis, auf gar keinen Fall verpassen, der ist wie ein Wegweiser durch das Stueck Filmgeschichte)
    Sciuscià (der ganz junge, ungesuesste de Sica)
    Ossessione (Visconti, schwaerzer und erdiger geht Passion nicht mehr)
    und
    Germania Anno Zero (Rossellini, der gekonnteste, nicht mehr so roh, durchaus schon routiniert, aber in der Wirkung immer noch unmittelbar und ganz stark)


    Viele grandiose Stunden beim Weg durch den Neorealismo wuensche ich. Und wenn ich - nachdem ich mir von Dir hier schon etliche Buchempfehlungen eingesackt habe - noch darf: unbedingt dazu Alberto Moravia lesen. Macht suechtig, und zum Glueck ist ziemlich viel da.


    Herzlich,
    Charlie

  • Am Montag um 20.,15 Uhr kommt im Fernsehen ein Episodenfilm von Vittorio De Sica: Gestern, heute und Morgen
    (Ieri, oggi e domani)


    Mal sehen, ob ich es schaffe, da hineinzusehen.



    Adelina soll eine Haftstrafe im Gefängnis antreten, um ihre Schulden zu begleichen. Da sie schwanger ist, bekommt sie eine Schonfrist. Nichts liegt nun näher, als diese Gesetzeslücke unter aufopferndem Einsatz ihres Ehegatten auszureizen.
    Anna, die Frau eines reichen Industriellen, träumt mit ihrem jungen Geliebten, dem Schriftsteller Renzo, vom Ausbruch aus ihrer langweiligen Welt. Als dieser bei einem gemeinsamen Ausflug ihr Luxusauto beschädigt, zeigt sich, wo Annas wahre Prioritäten liegen.
    Mara ist Prostituierte. Eines Abends kommt sie mit einem jungen Mann von nebenan ins Gespräch. Umberto ist Priesterschüler und die Begegnung mit der wunderschönen Frau lässt ihn an seiner Eignung zum Zölibat zweifeln. Mara steht nun vor der Aufgabe, ihn wieder auf den rechten Weg zu führen.

  • Gerade nach vielen Jahren wieder gesehen:


    Amici per la pelle
    von 1955


    Kurzbeschreibung:
    Rom im Jahre 1955: Der vierzehnjährige Mario ist ein selbstsicherer und beliebter Junge. Eines Tages bekommt er jedoch mit dem schüchternen aber intelligenten Diplomatensohn Franco einen neuen Sitznachbarn, den er auch wegen dessen guter Schulleistungen so gar nicht recht leiden mag. Eines Tages kommt es zum Streit, doch ausgerechnet diese Auseinandersetzung führt dazu, dass die beiden unterschiedlichen Jungen dicke Freunde werden. Die anfänglich sporadischen gemeinsamen Unternehmungen häufen sich, und so erleben die beiden gemeinsam viele Abenteuer, die sie fest zusammenschweißen. Als Francos Vater eines Tages aus beruflichen Gründen fortziehen muss, bietet sich Marios Familie sogar an, den schüchternen Franco bei sich aufzunehmen. Ein großer Wettlauf, an dem die beiden Freunde teilnehmen, wird schließlich zum Prüfstein für ihre Freundschaft.


    Freunde fürs Leben erzählt die bezaubernde Geschichte einer Jungenfreundschaft und nimmt innerhalb des Genres Jugendfilm einen ganz besonderen Platz ein: 1955 wurde der Film nicht nur in Venedig vom Office Catholique International du Cinéma prämiert, sondern erhielt auch in Deutschland das Prädikat besonders wertvoll . Freunde fürs Leben erinnert ein wenig an Vittorio de Sicas Sciuscià ( Schuhputzer , 1946), einen Meilenstein des italienischen Neorealismus, und steht wie auch damalige Kritiken feststellten diesem Film in nichts nach. Psychologische Durchdachtheit des Drehbuchs gepaart mit der sensiblen Regie Franco Rossis, unter der die Jungdarsteller Geronimo Meynier und Andrea Sciré wie langgediente Profis erscheinen, schaffen ein Meisterwerk, eine äußerst gelungene Mischung aus Komödie und feinsinniger Abbildung jugendlichen Denkens und Fühlens. Hervorzuheben ist außerdem die Filmmusik von Oscarpreisträger Nino Rota.


    Mein Eindruck:
    Schöner Film in schwarzweiß um eine Freundschaft, mit einigen neorealistischen Einschlägen, die z.B. das Alltagsleben in Rom zeigen.
    Sehr empfehlenswert!

  • Stromboli


    Regie: Roberto Rossellini
    Drehbuch: Roberto Rossellini
    Produktion: Roberto Rossellini


    Kurzbeschreibung:
    Im Italien der Nachkriegsjahre willigt die aus Litauen stammende Karin in die Hochzeit mit dem italienischen Fischer Antonio ein, um möglichst schnell aus dem Flüchtlingslager heraus zu kommen. Er nimmt sie mit auf seine Heimatinsel Stromboli, wo Karin nicht nur mit dem armeseligen, harten Leben dort konfrontiert wird, sondern auch mit der Tatsache, dass dieses Leben ständig durch einen noch aktiven Vulkan bedroht wird. Bei den meisten anderen Einheimischen stößt Karin auf Ablehnung, und auch Antonio ist durch ihr Verhalten zunehmend irritiert.


    Mein Eindruck:
    Stromboli ist ein interessanter Film des Neorealismus von 1950, gedreht von Roberto Rossellini mit Ingrid Bergman in der Hauptrolle.
    Das Thema, sich in der Fremde zu integrieren und die Schwierigkeiten dabei, sind heute wieder sehr von Belang. Die Naturaufnahmen der Insel sind bemerkenswert!
    Neben dem Vulkanausbruch ist der Thunfischfang in großer Authentizität gezeigt.