"Sie hatte keine Ahnung, dass sich hinter Tante Mats Fürsorge Liebe versteckte, da sie selbst Liebe mit Sehnsucht gleichsetzte."
Nina ist die Tochter einer Schauspielerin. Ihre Mutter hat vor allem sich selbst im Sinn. Beruf, Erfolg, Karriere, Ansehen. Die Wirkung auf andere ist ihr so wichtig, dass ihr die eigene Tochter nur hin und wieder ins Gedächtnis gerät. Nina, die bei einer Tante aufwächst, himmelt die Mutter an. Sie verehrt sie auf eine eher ungesunde Weise, möchte ihr gefallen, indem sie alles macht, was die kühle Person die sich Mutter nennt, - die ihre Rolle aber schlechter ausfüllt, als sie es jemals mit ihren Rollen im Theater getan hat -, von Nina verlangt. So beugt sie sich auch dem Wunsch Schauspielerin zu werden.
"Jetzt, wo er älter war, waren die Nächte unbestimmter und dunkler, und die Welt war in jedem Fall ein viel zu dunkler, quälender Ort, und so machte er das Licht an, wenn er nicht schlafen konnte, und schrieb."
Luke lebt gemeinsam mit seinem Vater in einer kleinen Wohnung. Seine Mutter ist schon seit Jahren in einer Psychiatrie. Lukes ebenso hoffnungsvoller wie verzweifelter Versuch seine geliebte Maman aus der Klinik, die ihm schier unerträglich scheint, für sie aber zum gewohnten Umfeld geworden ist, zu retten, scheitert. Er vergräbt sich in Arbeit, steigt immer höher auf der Karriereleiter. Es mangelt ihm weder an Geld, noch an Frauen, die ihm ihre Liebe aufbinden wollen und doch ist er einsam und unzufrieden. Als er Leigh und Luke, ein junges Paar aus London, das sich ganz und gar dem Theater verschrieben hat, bemerkt er, dass er falsch ist, in dem Leben, das er führt. Die Rettung der Mutter ist gescheitert, doch die eigene hat er immer noch selbst in der Hand.
"Da waren sie wieder, die gewohnte, schmerzliche Freude des Suchens und der Mangel; die Distanz zu dem, was Liebe hieß, die ihn geformt hatte. Die Prägung, die dafür gesorgt hatte, dass sein Herz verkümmerte."
Der Blickwinkel wird mal verstärkt auf Luke, mal verstärkt auf Nina bzw. deren Umfeld gelegt. Er führt uns in die 70er und 80er Jahre, in die Geschichten vier junger Menschen, die unumgänglich miteinander verwoben sind. Sympathisch sind sie alle. Vom ersten Moment an. Niemand der vier scheint so stark verbunden zu sein wie Luke und Nina, deren ganzes Leben beeinflusst wurde durch die wichtigste weibliche Person im Leben eines jeden Menschen: die Mutter. Luke, der trotz der scheinbaren Schwäche der eigenen Mutter, trotz ihrer körperlichen wie auch manchmal geistigen Abwesenheit, die Stärke der Mutter, ihre Illusionen, ihre Träume und Hoffnungen aufgenommen hat. Auf der anderen Seite Nina, die nie Illusionen aufbauen konnte, da sie ihr von der Mutter ebenso zerstört wurden wie ein klares Bild der Realität. Beide jungen Menschen immer auf der Suche nach dem was sie glücklich macht. Scheinen nicht zu erkennen, dass das Glück manchmal direkt vor der Nase liegt.
" '[...] Warum hören wir nie auf, daran zu glauben?'
'Woran?'
'Daran, dass Rettung möglich ist.' "
"Jahre wie diese" ist mein erster Roman der Engländerin Sadie Jones, mit Sicherheit aber nicht der Einzige, der den Weg in mein Bücherregal finden wird, denn ich bin ganz verzaubert von ihrem Vermögen Atmosphäre zu erschaffen. Atmosphäre, die mich mitgerissen hat, die mich immer wieder zum Buch greifen lies, das ich bewusst in kleinen Stücken genossen habe. Ich bin gerne zurückgekehrt in die Gesellschaft der vier jungen Menschen, die sich manchmal in ihren Träumen und Hoffnungen verirrt und verloren haben, und doch immer wieder zurückgeholt wurden auf den Boden der Tatsachen. "Jahre wie diese" ist ein ganz fein gezeichneter Roman über die Besonderheiten und Ausprägungen der mütterlichen Liebe, aber auch ein wunderschöner Roman über Liebe, wenn die Geschichte auch manchmal den Weg der Dramatik einschlägt. Umso größer sind die Gefühle dann jedoch, wenn sie sich wieder in die von allen Liebenden erhoffte Richtung entwickeln. Ein Roman, den ich sehr genossen habe und gerne weiter empfehle.