Erstmals erschienen 1826
Es beginnt laut. Ein Mühlrad braust, der Bach rauscht, Sperlinge schrillen und dann brüllt der Müller. Er wirft seinen Sohn hinaus. Dabei nennt er ihn nicht einmal mit seinen Namen. ‚Taugenichts‘ heißt er für seinen Vater, ein Hinweis darauf, daß der Konflikt, der hier seinen Höhepunkt findet, schon länger schwelt. Im Unterschied zur Leserin erschüttert die unfreundliche Geste den jungen Helden der Geschichte nicht. Auch der Vater ist nicht ganz so feindselig, wie man nach seinem erster Auftritt denken könnte. Er steckt dem Jungen noch ein paar Groschen zu. Mit ihnen in der Tasche und mit der Geige im Arm geht die Reise los.
Nichts ist geplant, das kann auch nicht sein. Der Held befindet sich im Zustand vollständiger Unschuld, die in diesem Fall Ahnungslosigkeit miteinschließt. Alles ist für ihn gleich, schön muß man hier ergänzen, er betrachtet die Welt mit Kinderaugen. Sie ist voller Wunder, jeder Grashalm, jeder Sonnenfleck auf dem Weg, jeder Vogel im Baum scheint nur da, ihn zu erfreuen. Den Augenblick genießen, das kann er. Als dann wirklich ein Wunder geschieht, ihm nämlich eine Kutsche mit zwei schönen Damen begegnet, die ihn mitfahren lassen, ist er gleichermaßen selig, wie in seinem Weltbild bestätigt. Die Welt ist gut.
Diese Überzeugung hat er noch eine Weile. Er findet eine Anstellung als Gärtnerbursche und später als Zolleinnehmer, er findet Menschen, die es gut meinen mit ihm. Vor allem verliebt er sich. Seine Berufe samt den guten Ratschlägen nimmt er nicht ernst. Er probiert Dinge aus, schlüpft in Rollen, verkleidet sich berufsgerecht und legt die Verkleidungen wieder ab, wenn ihm die Sache zu langweilig wird.
Was ihn wirklich bestimmt, ist die Liebe zur schönen Gräfin, aber ausgerechnet die bringt ihn völlig durcheinander. Dafür gibt es auch keine guten Ratschläge und Verkleidungen nützen auch nichts. Im Gegenteil bringt sie ihm wilde Abenteuer, Ängste, Verzweiflung, Einsamkeitsgefühle und Tränen. Klären kann sie sein eigenes Denken auch nicht. Taugenichts ist weiterhin unschuldig und sieht kaum weiter, als bis zu seiner Nasenspitze.
„Er weiß aber auch gar nichts!“ sagt die Kammerjungfer einmal ziemlich verärgert und da hat er seine größten Tolpatschigkeiten noch gar nicht begangen.
Es fällt nicht leicht, einen solchen Helden zu akzeptieren, selbst in einer recht kurzen Novelle. Trotzdem muß man sich auf ihn einlassen, sonst wird man nicht warm damit. Eichendorff macht es einer leicht. Sein Ich-Erzähler ist so unmittelbar präsent, offen und ohne jede Zweideutigkeit in seinen naiven Schilderungen und Urteilen, daß man ihm wider jede Vernunft einfach lauscht
Zu lauschen gibt es viel, nicht nur den Erlebnissen von Taugenichts, sondern auch seinen Liedern. Die Musik ist seine Kunst, seine Stimme, die er dem Chor der Welt hinzufügt. Singen – einige Gedichte sind eingefügt-, sprechen, philosophieren, Instrumente, Stimmen anderer Menschen, die Geräusche der Natur und menschlicher Tätigkeit bestimmen die Atmosphäre, aber auch die Vorstellung von der Welt, wie sie hier vorgestellt wird. Nichts taugen auf den längst vorgegebenen Bahnen, das ist kein Fehler. Wer sich nicht hinauswagt, bleibt Philister und Knollfink. Deren Stimmen klingen dumpf, sie haben wenig Worte. Zugleich wird streng unterschieden zwischen Nichts taugen und Faulheit. Letztere ist nicht erlaubt, auch Taugenichts will nicht faul sein. Wichtig ist, eine Beschäftigung zu finden, die zu ihm paßt.
Die Berufe werden vorgeführt, Handwerker, Domestiken, Studenten, Beamte, bis hin zur Berufung, dem Künstlerdasein. Echt und falsch, Handwerk, Talent und Genie, alles klingt an. Eichendorff urteilt nicht, er gibt Meinungen ab dazu, aber alles, was er sagt, hat auch andere Seiten. Auch das ist ungewohnt. Richtig und falsch mischen sich in den Aussagen, nicht nur zu Kunst und Leben. Die Leserin ist aufgerufen, Unterschiede zu machen, zu verstehen, was Posen sind, was wahr.
Was wichtig ist, wird immer auf die Spitze getrieben, etwa Taugenichts’ Verkleidungen, bis schließlich seine eigenen Kleider für eine Kostümierung gehalten werden. Es kommt immer auf den Blickwinkel an und auf das vorhandene Wissen.
Interessant gemessen an der Entstehungszeit ist die aktive Rolle der Frauenfiguren. Zwar werden sie ebenso wie die auftretenden Männer, abgesehen von wenigen Ausnahmen, ausschließlich nach ihrem Stand oder Beruf benannt, trotzdem bestimmen sie die Ereignisse mit. Sie wählen ihre Männer, die Ehemänner wie die Liebhaber. Die Kammerjungfer ist jeder Situation gewachsen und das ist nötig bei dem Kuddelmuddel, den der Taugenichts anrichtet. ‚Die schöne Gräfin‘, die er anschmachtet und derentwegen er Liebesleid geplagt bis nach Rom pilgern muß, hat ihren Entschluß längst gefaßt, ehe die Umstände ihn wieder dorthin führen, wohin er gehört.
Ob er am Ende klüger geworden ist? Auf jeden Fall kann er das Dasein mit offeneren Augen genießen. Ein Taugenichts bliebt er, mit Überzeugung und er bekommt auch noch die Mittel dazu. Das muß gefeiert werden. Das Ende ist wieder laut. Hochzeitsmusik und Tanz, darüber ein Feuerwerk, unten rauscht die Donau. Disharmonie am Anfang, Harmonie am Ende, beides in vollem Klang. Der berühmte Schlußsatz endet auch mit Ausrufezeichen: … und es war alles, alles gut!
Der positive Schluß, der heitere Grundton und der Eindruck, aus einem Guß zu sein, darf eine nicht täuschen. Eichendorff arbeitete über vier Jahre an seinem Taugenichts. Schon die ersten Seite des Manuskripts, die häufig abgebildet wird, enthält Streichungen, Ergänzungen, Verbesserungen. Bis zur Veröffentlichung dauerte es noch einmal fast drei Jahre. Autobiographisch ist das Ganze auch nicht im mindesten. Auch durch die Art, eigene Meinungen so in den Text fließen zu lassen, daß die Leserin andere Überlegungen anstellen kann, entzieht sich der Autor. Die Geschichte des Taugenichts ist Märchen, Idealisierung, ein bißchen Schelmenroman, ein bißchen Candide, ein bißchen Fantasy. Liebesgeschichte, ein Schuß Künstlerroman, Abenteuer. Versöhnlich, wobei gleich wieder die Frage offen bleibt, mit welcher Welt?