Amos Oz - Judas

  • Titel: Judas
    Autor: Amos Oz
    Übersetzt aus dem Hebräischen von: Mirjam Pressler
    Verlag: Suhrkamp
    Erschienen: März 2015
    Seitenzahl: 331
    ISBN-10: 3518424793
    ISBN-13: 978-3518424797
    Preis: 22.95 EUR


    Das sagt der Klappentext:
    Das Leben des jungen Schmuel Asch ändert sich im Winter 1959 von Grund auf: Seine Freundin verlässt ihn, seine Eltern melden Konkurs an, und er muss sein Universitätsstudium abbrechen. Verzweifelt findet er Unterschlupf und Arbeit in einem alten Jerusalemer Haus als Gesellschafter für einen behinderten, rhetorisch gewandten Mann. Als Schmuel sein neues Domizil bezieht, begegnet er der schönen und aufregenden Atalja Abrabanel, die beinah doppelt so alt ist wie er. Sie macht ihm unumwunden klar, dass es besser wäre, sich nicht in sie zu verlieben, andernfalls würde er seinen Arbeitsplatz sofort verlieren, wie alle seine Vorgänger.


    Der Autor:
    Amos Oz wurde 1939 als Amos Klausner in Jerusalem geboren und wuchs auch dort auf. Seine Eltern waren 1917 von Odessa nach Wilna (damals Polen) geflüchtet und wanderten von dort nach Palästina aus. 1954 trat er dem Kibbuz Chulda bei und nahm den Namen Oz an, der auf hebräisch Kraft, Stärke bedeutet. Von 1960 bis 1963 studierte er Literatur und Philosophie an der hebräischen Universität in Jerusalem und kehrte nach seinem Bachelor-Abschluss in den Kibbuz zurück und lehrte bis 1986 Literatur und Philosophie an der Oberschule Hulda. Seit dem 6-Tage-Krieg war er in der israelischen Friedensbewegung aktiv und befürwortete eine Zwei-Staaten-Bildung im israelisch-palästinensichen Konflikt.


    Meine Meinung:
    Dieses Buch ist ein Liebesroman, ein Liebesroman der aber auch zugleich ein Roman über das Land und das geteilte Jerusalem ist. Aber es ist keiner dieser süßlichen schwülstigen Liebesroman aus der Abteilung ChickLit. Nein, dieser Roman von Amos Oz hat Niveau – wurde er doch von einem der bedeutensten lebenden zeitgenössischen Autoren geschrieben.
    Dieser Roman ist aber auch hochpolitisch. Stets ist das feindliche Verhältnis zwischen Juden und Arabern gegenwärtig. Amos Oz bezieht aber hier nicht Partei – wobei er im realen Leben ein Verfechter der Zwei-Staaten-Lösung ist.
    Und in diesem Buch wird – quasi zwischen den Zeilen – die These aufgestellt, dass Judas, der angeblich Jesus verraten haben soll, der einzige echte Christ war, das er der Jünger war, der sich Jesus am nächsten fühlte. Eine interessante Argumentation untermauert diese These. Es geht aber auch um das Judentum generell – um die Juden und ihre Stellung in der Welt. Um die Probleme der Juden, die sie auch mit sich selbst haben.
    Die handelnden Personen sind dem Autor großartig gelungen. Nicht nur in Bezug auf ihre Authenzität, sondern auch in Bezug auf ihre Handlungen, Gedanken und Gefühle. Handelnde Personen die ohne irgendwelche gängigen Stereotypen auskommen. Sie wirken auf den Leser individuell und einzigartig.
    Ein sehr lesenswertes Buch, ein wirkliches Highlight des literarischen Jahres 2015. 9 Eulenpunkte.

    Ich mag verdammen, was du sagst, aber ich werde mein Leben dafür einsetzen, dass du es sagen darfst. (Evelyn Beatrice Hall)


    Allenfalls bin ich höflich - freundlich bin ich nicht.


    Eigentlich mag ich gar keine Menschen.

  • Ich lese das Buch gerade - und tue mich ein wenig schwer damit. Oz ist ein großartiger, aber auch detailverliebter und, vorsichtig gesagt, etwas ausschweifender Erzähler. Die Bewegungen in seinem Fiktionsraum fallen oft marginal aus. Er wiederholt sich, erklärt Dinge, die man bereits verstanden haben kann, und kommt insgesamt nur sehr langsam voran. Trotzdem ist die Lektüre ein großer Genuss - erinnert mich aber ein wenig z.B. an das Spareribs-Essen: Viel Fummelei, wenig Fleisch, aber es schmeckt äußerst lecker. Sorry für den schrägen Vergleich. ;-) Wer Oz schon gelesen hat, wird nicht überrascht sein. Fraglos ein gutes Buch, aber die Handbremse bleibt angezogen. Huch, noch ein schräger Vergleich.

  • Zäh und kleinschrittig


    Der Kampf des Staates Israel um die eigene Existenz könnte als Metapher für das Leseerlebnis dienen - zäh, kleinschrittig, entbehrungsreich und mit ungewissem Ausgang. Umso mehr, da dieser Existenzkampf eines der Themen des Romans ist.


    Der schmale, hochgewachsene, bärtige und wuschelhaarige Student Schmuel Asch hat die Verlobte verloren, den konkursgegangenen Vater als Studienfinanzierer und den sechsköpfigen "Arbeitskreis zur sozialistischen Erneuerung" als Freundeskreis. Fast schon auf dem Weg in die Wüste, um dort zur Ablenkung Aufbauhilfe zu leisten, entdeckt Asch ein merkwürdiges Jobangebot: Ein älterer, behinderter Herr namens Gerschom Wald soll abends intellektuell unterhalten werden. Als Gegenleistung winken karge Kost, spartanische Logis und ein schmales Gehalt. Und außerdem die mysteriöse, attraktive Mittvierzigerin Atalja, die, wie sich später herausstellt, Walds Schwiegertochter ist.


    Wir schreiben das Jahr 1959, die Handlung spielt im Winter in Jerusalem, wo man nachts Schüsse aus dem Grenzgebiet hört. Der Staat Israel ist elf Jahre alt, David Ben-Gurion regiert ihn. Gerschom Wald hat den Sohn Micha im Israelischen Unabhängigkeitskrieg verloren. Dessen Schwiegervater, also der Vater von Atalja, war zu Zeiten der Staatsgründung ein Mittstreiter von Ben-Gurion, bis er als Verräter in Ungnade fiel und aus den Reihen der Jewish Agency verbannt wurde.


    Ein anderer, weit berühmterer vermeintlicher Verräter war Judas Ischariot, jener Jünger, der gemäß überlieferter Historie zu verantworten hatte, dass Jesus gekreuzigt wurde. Während die Feindes des jüdischen Volks und die Antisemiten allgemein (unter anderem) diesen Umstand weidlich nutzen, wird das Thema von den Juden und jüdischen Gelehrten selbst kaum behandelt. Schmuel Aschs Studien sollten sich genau diesem Umstand widmen. Gab es diesen Verrat wirklich? Und wenn ja - war es nicht letztlich das Verhalten Judas', das den Aufstieg des Christentums überhaupt ermöglicht hat?


    Mit all diesen Fragen, winzigen Indizien, Was-wäre-wenn-Szenarien und ähnlichem kann und muss man sich vielleicht beschäftigen, wenn man die ideologischen und philosophischen Hintergründe erforschen will, die einerseits die Situation im so genannten Nahen Osten ausmachen und andererseits die offenbar endlosen Auseinandersetzungen zwischen Religionen und religiösen Volksgruppen begründen. Wenn man, nun, vielleicht nicht verstehen, wenigstens aber etwas transparenter gestalten möchte, was die Protagonisten und ihre Vorgänger antreibt und -trieb. Es sei angemerkt, dass ich es ganz persönlich für, um es vorsichtig auszudrücken, für etwas idiotisch halte, wenn sich Gruppierungen anfeinden und bekämpfen, (unter anderem) weil vor mehreren tausend Jahren möglicherweise 30 Silberlinge geflossen sind - oder auch nicht. Mit Verlaub, aber der Vergleich zu sonstwo umfallenden Getreidesäcken liegt zumindest mir da sehr nahe - was nichts verniedlichen, sondern die Eigenartigkeit der Umstände unterstreichen soll; Umstände, die zugleich exemplarisch sind, weil ähnliche die meisten irdischen Konflikte speisen und gespeist haben. Allein, die Welt ist, wie sie ist, und Amos Oz' neuester Roman kann möglicherweise dabei helfen, die komplexe Situation und all das ihr vorangegangene und möglicherweise noch folgende Grauen zu erahnen. Und damit die nach wie vor ungeklärte Zwei-Staaten-Frage, das Selbstverständnis des jüdischen Volks, den Zionismus und sein Gegenteil, erschütternde Phänomene wie Antisemitismus und die Religionsgeschichte der letzten zwei, drei Jahrtausende.


    Doch "Judas" ist kein Sachbuch, sondern ein Roman, und als solcher muss er sich den Vorwurf gefallen lassen, eher unattraktiv zu sein. Zwar gelingt es Oz, die Atmosphäre jener Jahre äußerst anschaulich wiederzugeben, insofern sich das beurteilen lässt, aber auf mehr als nur marginale Handlung und Entwicklung muss man als Leser nahezu vollständig verzichten. Die Hauptfigur, Schmuel Asch, ist jemand, dem man spätestens ab der hundertsten Seite (plus/minus) nur noch ins schwerfällige Gesäß treten möchte, und der Zauber, der von der mysteriösen Atalja auszugehen scheint, verkommt mit der Zeit zur reinen Behauptung. Die akribisch geschilderten Abläufe im seltsamen Haus von Gerschom Wald, dazu die detailliert wiedergegebenen Verhaltensweisen Aschs - wir erfahren beispielsweise regelmäßig und ausführlich, wie er sich auf Spaziergänge vorbereitet, wodurch der Babypuder, mit dem er Bart und Kopfhaare behandelt, zum müden Treppenwitz wird - dienen auch nicht gerade dazu, etwas mehr als nur einen Hauch von Spannung aufkommen zu lassen. Womit nicht das gemeint ist, was zuweilen als "Suspense" bezeichnet wird, sondern viel, viel weniger, nämlich die simple Hoffnung auf ein wie auch immer geartetes Vorankommen, also, um es einfacher zu sagen, Interesse für die Figuren und ihre Schicksale. Natürlich lassen sich diese Zähigkeit und Entwicklungsarmut auch wieder als Metaphern lesen, als Gleichnisse für die Stagnation in der Region, den aussichtslosen Status Quo, die faktische Unmöglichkeit, dass Völker miteinander auskommen werden, die sich faktisch hassen: Das Paradoxon kann niemals aufgelöst werden, ohne die Geschichte - behauptete wie tatsächliche - zu verleugnen, wozu niemand fähig oder bereit ist. Mit hoher Wahrscheinlichkeit kommt diese Vermutung Oz' Intention sehr nahe, wodurch die Schwerfälligkeit von "Judas" zum Stilmittel, quasi zur Leinwand wird, auf der Amos Oz seine Studie skizziert, die für Menschen, die näher an Thematik und Geschehen sind, möglicherweise sogar skandalöse Thesen enthält, aber unterm Strich ist das Buch einfach ein bisschen langweilig und altbacken. Für das zeitgeschichtliche Dokument, das enthalten ist, für die zugrundeliegende Sichtweise und Fragestellung hätte es jedoch nicht des Romanformats bedurft.


    "Judas" ist eine Geschichte über Loyalität, Märtyrertum, Religion, durchaus auch Liebe und Freundschaft, vor allem aber über die nicht eben leicht verständliche Situation, in der sich all die Menschen rund um die östliche Mittelmeerküste befinden. Der Roman beleuchtet in diesem Zusammenhang einige Aspekte, die möglicherweise bislang ausgeklammert wurden, und er wirbt um Verständnis - letztlich für alle Beteiligten. Aus meiner persönlichen Sicht unterstreicht er jedoch vor allem die Frage, was das eigene Leben wert ist, was es lebenswert gestalten kann, wenn man sich in einem Umfeld befindet, in dem die politischen und philosophischen Hintergründe so viel wichtiger zu sein scheinen als der Einzelne. Und die Antwort hierauf ist nicht weniger als fundamental erschütternd.

  • Dieser Roman ist aber auch hochpolitisch. Stets ist das feindliche Verhältnis zwischen Juden und Arabern gegenwärtig. Amos Oz bezieht aber hier nicht Partei – wobei er im realen Leben ein Verfechter der Zwei-Staaten-Lösung ist.
    Und in diesem Buch wird – quasi zwischen den Zeilen – die These aufgestellt, dass Judas, der angeblich Jesus verraten haben soll, der einzige echte Christ war, das er der Jünger war, der sich Jesus am nächsten fühlte. Eine interessante Argumentation untermauert diese These. Es geht aber auch um das Judentum generell – um die Juden und ihre Stellung in der Welt. Um die Probleme der Juden, die sie auch mit sich selbst haben.

    Ich habe das Hörbuch vor ein paar Tagen gehört und es genauso empfunden.
    Für mich war die Romanhandlung eher zweitranging. Auf mich wirkte es so, dass Amos Oz den Fokus eher auf die Beschreibung der so unterschiedlichen Charaktere und ihre Empfindungen und Gedanken gelegt hat, als auf die Handlung der Geschichte. Ich fand sie alle sehr faszinierend und in ihrer eigenen Art auch sehr authentisch.

    Richtig begeistert hat mich alles, was Amos Oz dazwischen gepackt hat:

    die unterschiedlichen, gegensätzlichen Ansichten über die Gründung des Staates Israel an sich oder das Verhältnis zwischen Arabern und Juden, die Portion Historie und Politik, die er eingeflochten hat, die philosophischen und theologischen Gedanken zu Jesus, Judas und dem Judentum und zum Verhältnis des Judentums zum Christentum.
    Und er wertet dabei nicht, ergreift keine Partei, sondern regt durch die besondere Darstellung der unterschiedlichen Positionen zum Nachdenken an und fordert zum Differenzieren und zur Auseinandersetzung mit dem Gelesenen auf. Zumindest hat das Buch das bei mir bewirkt.
    Die Figur des Schmuel Asch wirkt hier wie einer Gestrandeter zwischen den unterschiedlichen Positionen und manchmal auch wie ein Vermittler. Das hat mir unglaublich gut gefallen.

    "There is beauty in imperfections. They made you who you are. An inseparable piece of everything…" Arcane